Die Berliner Festspiele zeigen im Martin-Gropius-Bau bis zum 6. November 2006 die bisher größte Retrospektive des fotografischen Werks von Martin Munkácsi. 350 meisterliche Aufnahmen reflektieren sein wechselvolles Leben in Budapest, Berlin und New York.
Martin Munkácsis (1896-1963) Laufbahn widerspiegelt den Charme kühnen Pioniertums. Getreu dem Credo, dass man „auf Löwenjagd nicht mit einer Pistole fährt", ging er mit stets schwerem Gerät zu Werke. Er stieg auf Leitern, schnallte sich an Rennwagen fest und vollführte beim Ablichten ähnlich akrobatische Bewegungen wie seine Motive, die schwerelos agierenden Tänzer und Models. Munkácsi legte den Grundstein zum modernen Bildjournalismus. Für seine Fotografien aus dem Alltag kroch er unter Tische oder ließ sich von Kronleuchtern hängen, blieb dennoch für seine Motive unsichtbar, keiner konnte sich auf diese Weise vor seiner Linse in Pose werfen. Er ließ sich auf keine Themenbereiche festlegen und strebte, gemäß seinen Worten, nach dem Status des „kompletten Fotografen". Schnell und gezielt In seinem Schaffen lässt sich eine eigene Perspektive erkennen, die einerseits auf der Bewegung an sich, andererseits auf der Bilddiagonalen aufbaut. Die Bleistiftlinien auf einigen seiner Bilder bezeugen die Genauigkeit, mit der Munkácsi seine Fotografien kadrierte. Emotionen transportierte er durch diese ausgeklügelte Linienführung – manchmal liegt der Horizont bedrückend tief, ein andermal wird die optimistische Steigerung von rechts unten nach links oben von sehr lang wirkenden nackten Frauenbeinen angezeigt. "Think while you shoot", sagte sich Munkácsi, dessen Aufnahmen dem Betrachter wie Zufallsschüsse eines ungewöhnlichen Glückspilzes erscheinen sollten. Munkácsi hatte Glück beim Ausüben seiner Kunst aber nicht unbedingt nötig. Er hätte wahrscheinlich einen begnadeten Billardspieler abgegeben, denn er hatte das Talent, in Windeseile Abprallwinkel zu berechnen und verkettete Bewegungen vorauszuahnen. Self-made-man Der ungarischstämmige Jude Martin Munkácsi wurde 1896 in der heute rumänischen Stadt Cluj geboren. Seine schwierigen Lebensumstände, die er später oft, aber nur bruchstückhaft erwähnte, hatten ihn allerlei kleine Jobs verrichten lassen. Sein Lieblingsjob aber war die Fotografie, 1921 fand er sich als Sportfotograf in Budapest wieder. Eine seiner berühmtesten Aufnahmen aus jener Zeit ist „Der Tormann", das Bild von einem für unsere Zeit lustig bekleideten Tormann mit Gavrosch-Mütze, der wenige Zentimeter über dem Rasen einem Ball hinterher segelt. Vergleicht man dieses Bild etwa mit dem eines heutigen Torwarts im Sprung, muss man bedenken, dass die Belichtungszeit in den Anfängen der Fotografie um ein Vielfaches länger war. Aufsehen erregten in den 20-er Jahren ebenso Munkácsis Aufnahmen von den rasenden Motorradfahrern, die einander in Fontänen aus Pfützenwasser hüllten. Richtiger Zeitpunkt, richtiger Ort So lebte der bekannte, selbstredend trotzdem unterbezahlte Sportreporter dahin, bis er eines Tages auf der Straße eine tödliche Auseinandersetzung festhielt. Seine Bildserie, die für die Beweisaufnahme des nachfolgenden Prozesses ausschlaggebend wurde, gab der Fotografie eine bis dahin nicht bekannte dokumentarische Bedeutung und verhalf Munkácsi zu unverhofften Ruhm. Wenige Jahre später fuhr er nach Berlin, wo der Pressemarkt boomte und Star-Fotografen dringend gebraucht wurden. Hier erschienen seine Fotogra-fien in den angesehenen Zeitschriften „Die Dame", „Koralle", „Uhu" und „Vu" sowie in der innovativen „Berliner Illustrierten Zeitung", die damals in einer Auflage von einer Million Exemplaren erschien. Für diese Zeitung fertigte Munkácsi Fotoreportagen von der Straße an, vom Strand und den Märkten, von kühnen Flieger-Frauen sowie Homestories von den Schönen und Reichen. Die Bildperspektive verleiht manchen dieser Aufnahmen eine ironische Note, entblößt vereinzelt die Figuren der Zeit. So tritt uns Hitler in Frack und Zylinder mehr als unbeholfen entgegen, während Leni Riefenstahl im Badeanzug auf Skiern – mit verschwitztem Gesicht, aber tadellos geschminktem Mund – entschlossen an der Kamera vorbeisieht. Fotosafari Im Auftrag der Ullstein- Zeitung reiste Munkácsi in die Türkei, nach London, New York, Sizilien sowie nach Ägypten. 1930 brachte er aus Liberia, dem ers-ten unabhängigen Staat Afrikas, die bahnbrechende Gegenlicht-Fotografie „Drei Jungen laufen in die Brandung des Tanganyika-Sees" mit. Über dieses Bild schreibt der französische Star-Fotograf Henri Cartier-Bresson 1977 der Munkácsi-Tochter Joan: „Es war diese Fotografie, die für mich der Funken war, der das Feuer abbrennen liess ... Plötzlich begriff ich, dass es mit der Fotografie möglich ist, die Ewigkeit zu erreichen durch den Moment. Es ist die einzige Fotografie, die mich beeinflusst hat." 1934 emigrierte der glorreiche Munkácsi nach Amerika, wo er mit einem 100000-$-Vertrag bei „Harper’s Bazaar" zum bestbezahlten Fotografen seiner Zeit aufstieg. Er fotografierte ebenfalls für "Life" und für "Ladies’ Home Journal" und machte in den 1960er Jahren eine 78-teilige fotografische Serie mit dem Titel "How America lives". Kunst und Markt In die Fotografie-Geschichte ist er aber eher mit seinen schelmischen Aufnahmen von Hollywood-Größen wie Katherine Hepburn, Jean Harlow, Leslie Howard, Jane Russell und Marlene Dietrich eingegangen. Sein "Fred Astaire on Tiptoe" wurde zur Ikone der Step-Epoche, und wer das Bild des lachenden Louis Armstrong sieht, erkennt, dass die Großmund-Aufnahme von Mick Jagger nur ein Zitat ist.
Der Meister starb 1963 an Herzversagen, während eines Fußballspiels in New York.
Martin Munkácsi. Budapest – Berlin – New York 5. August –6. November 2006
Retrospektive des großen Fotografen, Martin-Gropius-Bau,
Veranstalter: Berliner Festspiele. Eine Ausstellung der Deichtorhallen Hamburg/Haus der Photographie, mit freundlicher Unterstützung von Joan Munkacsi und ullstein bild.
Kuratoren: F.C.Gundlach, Enno Kaufhold, Klaus Honnef