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Der jüdische Friedhof Währing in Wien

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Tina Walzer: Der jüdische Friedhof Währing in Wien. Historische Entwicklung. Zerstörungen der NS-Zeit. Status quo.

Böhlau Verlag. Wien 2011. 198 Seiten. EUR 29,90.

ISBN 978-3-205-78318-3.

Der jüdische Friedhof Währing - der heute im 19. Wiener Gemeindebezirk Döbling liegt - ist kein Ort des Todes, sondern ein Ort des Lebens. Er erzählt Geschichte, denn auf diesem Friedhof liegt ein Teil der Wiener Ringstrassenära begraben. Wir finden hier Gräber der Familien Epstein, Arnsteiner oder Wertheim - und eine vom Architekten Joseph Kornhäusel geplante Aufbahrungshalle. Dieses steinerne Archiv, das sich heute in einem bedenklich schlechten Zustand befindet, erzählt uns vor allem vom wachsenden Wien des 19. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Grundlage für die Rettung des Areals sind Daten und Forschungsergebnisse, die im vorliegenden Werk erstmals veröffentlicht werden. Es ist damit auch das erste Grundlagenwerk seiner Art in ganz Österreich.

Die Autorin des Buches, die Historikerin Tina Walzer, ist - ohne Übertreibung - DIE Expertin für den jüdischen Friedhof Währing. Sie kennt buchstäblich jeden Grabstein, jeden Baum und jeden Quadratmeter des Friedhofs. Nun legt sie die Eigentumsgeschichte des Areals, die Gestaltungsmassnahmen - vor allem am Anfang des 20. Jahrhunderts - und die ab 1938 beginnenden Zerstörungen sowie die unrühmliche Rolle der Stadt Wien nach 1945 dar. Mit dem vorliegenden Buch existiert endlich eine seriöse, umfassende Publikation zu diesem Biedermeier-Friedhof, der zwischen 1784 und 1898 belegt wurde und seine grösste Ausdehnung (21.000 m²) im Jahre 1856 aufwies. Insgesamt kann von einer Gesamtzahl von rund 30.000 auf diesem Friedhof bestatteten Personen ausgegangen werden, wobei bei Schliessung des Friedhofes nur 8.969 Personen über einen eigenen Grabstein identifiziert werden konnten. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Autorin nach intensiven Forschungen erstmals eine vollständige Liste aller zerstörten Grabdenkmäler samt Namen veröffentlicht. So wird den bisher Unbekannten mit Nennung des Namens wieder eine Existenz gegeben.

Die Autorin berichtigt aufbauend auf ihren langjährigen Forschungen zahlreiche „urban myths" („urban legends") über diesen Friedhof, wie jene über den nie existierenden Löschteich auf einem Teil des Friedhofes oder das nie ausgewiesene Vogelschutzgebiet.

Obwohl oft mit dem Etikett „aus der NS-Zeit übernommene Schuld" versehen, ergibt sich der Wert jüdischer Friedhöfe vor allem dadurch, dass sie bedeutende Denkmäler der österreichischen Kultur „aus einer Zeit erfolgreichen Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden, lange vor der nationalsozialistischen Machtübernahme darstellen." (Walzer). Sie sind Friedhöfe, „Denk-Mal", historisches Anschauungsobjekt sowie historische Grünfläche in einem. Mit dem Buch, das für Frühjahr 2009 (!) angekündigt war und nun endlich im November 2011 erschienen ist, erhält der versteckte jüdische Friedhof Währing hoffentlich ein grösseres Interesse einer breiten Öffentlichkeit.

Ein Wermutstropfen bleibt nach der Lektüre des Buches: Leider wurden historische Abbildungen, auf die sich die Autorin im Text ausführlich bezieht und die gewisse Vorgänge verständlicher machen würden, nicht abgedruckt. Die Autorin verliert sich in manchen Passagen zu sehr im Detail; viel Interessantes aus dem riesigen Wissen der Autorin bleibt im Werk ungeschrieben. Einer weiteren Publikation muss es daher vorbehalten bleiben, zum Beispiel die Geschichte einiger am Friedhof begrabenen Personen/Familien zu erzählen. Es steht aus diesem Grund am Schluss die Empfehlung an die Leserinnen und Leser, eine der sehr interessanten Friedhofsführungen von Tina Walzer zu besuchen.