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Eine Galerie an Feinden

Susanne FALK

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Ein Leben im Superlativ: Etwa fünfundvierzig Romane und Sachbücher hat er geschrieben, rund zwölf Millionen Bücher weltweit verkaufte er zu Lebzeiten und galt damit zeitweilig als der bestbezahlte deutschsprachige Autor seiner Generation. Er stilisierte sich zum jüngsten Chefredakteur aller Zeiten und gründete nach dem Zweiten Weltkrieg im Auftrag der US-amerikanischen Regierung etwa sechzehn Zeitungen auf deutschem Boden, später kam noch die Gründung zweier Zeitschriften hinzu, denen weniger Erfolg beschieden war. Er heiratete im Leben gleich sechsmal und führte zahlreiche Affären. Er war ein Weltbürger, der als einzige Heimat die deutsche Sprache benennen konnte, Exilautor, der bestgehasste Journalist Deutschlands, ein erfolgsverwöhnter Mensch, der den Schein nach Aussen um jeden Preis wahrte und innerlich dennoch bei jeder negativen Kritik zusammenzuckte. Ein Leben, reich an Erfolgen und ebenso reich an Tragik. In diesem Jahr hätte Hans Habe seinen 100. Geburtstag gefeiert.

Habe, 1911 in Budapest unter dem Namen Janos Békessy geboren, war der Sohn von Bianca Marton, einer Lehrerin, und Imre Békessy, einem Publizisten, der in den 1920er Jahren in Wien mit den Blättern „Die Stunde", „Die Börse" und „Die Bühne" zu zweifelhaftem Ruhm und schnellem Reichtum gelangte. Dabei erwarb sich insbesondere die Zeitung „Die Stunde" den Ruf eines Revolverblatts, das angeblich Anzeigen von reichen Wiener Unternehmern dadurch requirierte, dass es sie ausspionierte und anschliessend damit drohte, schmutzige Details aus dem Privatleben der Personen in der Zeitung zu veröffentlichen - es sei denn, man schaltete kostspielige Werbungen in der „Stunde". Békessy selbst konnte ein solches Vorgehen nie nachgewiesen werden, dennoch schädigten die Gerüchte sein Ansehen nachhaltig. Als die Financiers seines Zeitungsverlages, der Kronos Verlags AG, 1926 durch Francspekulationen pleite gingen, musste Imre Békessy sein Zeitungsimperium zwangsweise veräussern und kehrte aus Furcht vor der Justiz sowie aus Scham über seine enormen finanziellen Verluste von einem Kuraufenthalt in Frankreich nicht mehr nach Wien zurück. Wenige Wochen nach dem Zusammenbruch seines Zeitungsimperiums unternahm er einen ersten Selbstmordversuch. Sein einziger Sohn, Janos, war zu diesem Zeitpunkt erst fünfzehn Jahre alt und wurde von dem gesellschaftlichen Niedergang des Vaters stark geprägt. Nicht zuletzt die beständige Hetzkampagne gegen Imre Békessy, die Karl Kraus in der „Fackel" führte, sorgten dafür, dass der junge Janos Békessy beim Eintritt in seine Berufslaufbahn als Journalist den Namen Békessy ablegte und sich fortan Hans Habe nannte. Später wurde das Pseudonym Hans Habe, das sich aus der Übersetzung des ungarischen Vornamens Janos in Hans und einer Zusammenziehung der Anfangsbuchstaben von Hans und Békessy in Habe ergab, auch sein amtlich eingetragener Name.

Während die Eltern ab 1926 zunächst in Frankreich bleiben, geht der Sohn zurück nach Wien, maturiert 1929, bricht nach nur einem Semester ein Germanistikstudium an der Universität Heidelberg ab und geht 1930 zur „Wiener Sonn- und Montagszeitung". Dort landet er seinen ersten Erfolg: Er kann Hitlers ursprünglichen Familiennamen Schückelgruber bzw. Schickelgruber ermitteln und macht ihn publik. Damit erlangt er beinahe über Nacht Berühmtheit und rückt sich ins Blickfeld der Nationalsozialisten, was ihn jedoch nicht daran hindert, ein zweifelhaftes berufliches Intermezzo beim austrofaschistischen Pressedienst einzulegen. 1934, da ist er bereits das zweite Mal verheiratet, kauft ihn sein Schwiegervater bei der Zeitung „Der Montag" ein. Habe wird Chefredakteur und Herausgeber, mit gerade einmal 23 Jahren. Ob er damit allerdings der jüngste Chefredakteur Europas, wie er später gerne behauptete, war, ist fraglich, da Vergleichswerte zu anderen europäischen Ländern fehlen. Habe jedoch kultivierte solche Informationen gerne zur erfolgreichen Selbstdarstellung.

Ein Jahr später steht „Der Montag" vor der Pleite. Habe verkauft und geht mit seiner zweiten Frau, die Schweizer Staatsbürgerin ist, als Völkerbundkorrespondent des „Prager Tagblatts" nach Genf. 1936 erscheint sein erster Roman „Drei über die Grenze" und wird zu einem grossen Erfolg. 1938 wird Habe, geboren als ungarischer Staatsbürger der K. u. K.-Monarchie, mit österreichischem Pass ausgestattet, nach dem „Anschluss" Österreichs aus dem Deutschen Reich ausgebürgert. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbricht, geht Habe illegal über die Schweizer Grenze nach Frankreich und meldet sich zur Fremdenlegion. Er gerät in deutsche Gefangenschaft, kann seine Identität aber geheim halten und flieht schliesslich aus einem deutschen Gefangenenlager zurück bis in die Schweiz, dann weiter bis Lissabon, wo man ein Affidavit für ihn hinterlegt hat. Habe reist mit seinen Eltern in die USA aus.

Dort erscheint 1941 sein „Kriegsbuch", wie er es nennt, unter dem Titel „A Thousand Shall Fall" (1946 auf Deutsch erschienen als „Ob tausend fallen"). Habe beschreibt darin detailliert seine Kriegserlebnisse an der Seite der Franzosen. Das Buch wird zum Megaseller. Allein in den USA erreicht es eine Auflage von über 5 Millionen Exemplaren. Damit ist Habe bis heute einer des bestverkauften deutschsprachigen Autoren in den USA. Habe, bereits zum dritten Mal verheiratet, wird Vater eines Sohnes und erwirbt die amerikanische Staatbürgerschaft. Beim Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg meldet er sich zur amerikanischen Armee und erhält einen hohen Posten in der 12. Armeegruppe für psychologische Kriegsführung. Habe wird Ausbilder in Camp Ritchie, wo er exilierte Männer, viele von ihnen Juden mit deutscher Muttersprache, darunter auch Klaus Mann, in Verhörtaktiken ausbildet sowie im journalistischen Handwerk. Habe erhält den Auftrag zur Planung des Wiederaufbaus einer demokratischen Presse auf deutschem Boden, sollten die USA den Krieg gegen Hitler gewinnen.

Nach Einsätzen in Nordafrika kommt Habe 1944 schliesslich nach Frankreich, erlebt die Befreiung von Paris und kann endlich 1945 sein Lager in Bad Nauheim aufschlagen, von wo aus, zunächst noch zentral geleitet, die amerikanische Armee mit dem Wiederaufbau der deutschen Presse beginnt. Habe gründet ca. 16 Zeitungen in der amerikanischen Besatzungszone und erhält schliesslich die Leitung des Zentralorgans, der „Neuen Zeitung" in München. Doch Habe weigert sich, sein Blatt propagandistischen Zwecken zur Verfügung zu stellen. 1946 kündigt er und geht zurück in die USA. Da ist er bereits das vierte Mal geschieden, pendelt in den Folgejahren häufig zwischen München und den USA hin und her, heiratet ein fünftes Mal, wird 1951 Vater einer Tochter, gründet zwei erfolglose Zeitschriften, schreibt Drehbücher und geht schliesslich zurück nach Österreich, diesmal an den Wolfgangsee. In dem selben Jahr, in dem seine Tochter geboren wird, begehen seine Eltern gemeinsam Selbstmord. Habe wird die Einreise nach Ungarn, wo der Vater sich Ende der 1940er Jahre eine neue Existenz als Publizist aufbauen wollte, verweigert. Dass der Vater auch die Mutter mit in den Tod nimmt verzeiht ihm der Sohn nie, ebenso wenig wie die brieflichen Anschuldigen, er, der Sohn, habe den Vater im Stich gelassen, so dass ihm nur noch der Ausweg in den Tod geblieben sei. Der Abschiedsbrief des Vaters bleibt bis heute verschollen.

Habe, inzwischen zum sechsten Mal verheiratet, zieht vom Wolfgangsee in die Schweiz, nach Ascona, und findet zum ersten Mal seit langem so etwas wie Ruhe. Die Ehe mit Licci Balla, einer ehemaligen ungarischen Schauspielerin und Sängerin, funktioniert, trotz der ausserehelichen Affären Habes, relativ gut, man holt sogar die Schwiegermutter zu sich ins Haus. Die Tochter kommt in den Sommermonaten auf Besuch aus den USA, zum Sohn ist der Kontakt weitgehend abgebrochen. Dennoch erlebt Habe hier zum ersten Mal so etwas wie ein halbwegs intaktes Familienleben. Er arbeitet unablässig, schreibt teilweise zwölf Stunden am Tag und produziert einen Roman nach dem nächsten, nicht wenige auch als Fortsetzungsromane für populäre Zeitschriften wie die „Revue" und die „Hoerzu". Habe ist kommerziell ungemein erfolgreich, kann jedoch bei der Literaturkritik mit seinen „ernsthaften" Romanen, wie etwa „Die Mission" oder „Christoph und sein Vater", nicht punkten, zu sehr hängt an ihm der Ruf des Kolportageautors. Das veranlasst ihn später dazu, seine Romane zuerst in englischer Übersetzung erscheinen zu lassen, um der deutschen Kritik entgegen zu wirken.

Zwei Reisen nach Israel prägen ihn tief. Habes jüdische Wurzeln, die Eltern hatten sich im Erwachsenenalter taufen lassen und Habe bereits als Säugling christlich getauft, werden ihm zum ersten Mal in den USA bewusst, als er dem latenten Antisemitismus der Washingtoner Upper Class, in der er sich mit Ehefrau Nummer drei bewegt, begegnet. Der Kampf gegen Hitler-Deutschland verstärkt die Identitätsfindung als Jude zwar, doch erst seine Reisen nach Israel söhnen ihn mit seinen beiden Identitäten, als Jude und Christ, aus. Sein Buch „Wie einst David" ist Zeugnis dieser Reisen. Auf Habes Schreibtisch steht fortan eine Menora, sein Haus in Ascona ist aber auch voll von Madonnenstatuen und Kruzifixen und an Weihnachten schmückt man im Hause Habe einen überdimensionierten Tannenbaum.

Habes pro-israelische Haltung verbindet ihn mit Axel Springer, für dessen „Welt am Sonntag" und „Bild-Zeitung" er als Kolumnist arbeitet - mit Exklusivvertrag. Das macht ihn zur Zielscheibe der Anti-Springer-Kampagne der Jugendbewegung 1967/68 in Deutschland. Habe stellt sich demonstrativ auf die Seite Springers, polemisiert gegen Rudi Dutschke und seine Mitstreiter, kultiviert seine antikommunistischen Haltung und bezeichnet sich fortan als Konservativen. Dafür erntet er den Hass der Jugendbewegung und erhält zahlreiche Morddrohungen.

Habe besass eine Galerie an Feinden, deren Umfang ohne weiteres den halben Louvre bestückt hätte. Den eigenen Wert an der Anzahl seiner Gegner zu bemessen war zwar nicht sein erklärtes Ziel, dennoch pflegte er seine Feindschaften ebenso intensiv wie seine Freundschaften, etwa zu bekannten Autoren wie Erich Maria Remarque, Erika Mann und Hilde Spiel. Habe strengt diverse Prozesse wegen Ehrenbeleidigung an, etwa gegen seine Intimfeinde Henri Nannen oder Friedrich Dürrenmatt, die er teilweise auch gewinnt. Dabei taucht ein immer wieder variierter Satz auf, den schon Karl Kraus seinem Vater in der „Fackel" entgegen schleuderte: „Hinaus mit dem Schuft!" Habe fühlt sich von der deutschen Kritik, von den deutschen Journalisten des Anti-Springer-Lagers verfolgt. Und immer wieder kämpft er mit den Schatten des Vaters, dessen schlechter Ruf als Revolverjournalist ihm bis ins Grab folgt. Er wehrt sich, mit Prozessen, Polemiken, teilweise auch literarisch, zur Gänze abschütteln kann er sein Erbe jedoch nie.

In der Silvesternacht 1968/69 wird seine Tochter Marina in Los Angeles entführt und wenige Tage später tot aufgefunden. Der Täter wird nie ausgeforscht, Habe vermutet ihn jedoch im Umkreis von Charles Manson, dessen grausame Morde wenige Monate später L.A. und die gesamte Welt erschüttern. Parallelen zwischen Mordfällen der so genannten Manson-Family und dem Mord an Marina Habe lassen den Schluss zu, dass es hier tatsächlich Zusammenhänge gibt. Eine Klärung des Falles mit modernen Ermittlungsmethoden wie der DNA-Analyse steht bis heute aus. Habe trifft der Sexualmord an der geliebten Tochter bis ins Mark, er wird sich von den Ereignissen nie mehr ganz erholen. Dennoch stürzt er sich in die Arbeit, schreibt einige erfolgreiche Romane wie z. B. „Palazzo" und ediert eine Best-Off-Ausgabe seiner journalistischen Texte. 1976 wird bei ihm eine Drüsenkrankheit festgestellt. Hans Habe stirbt 1977 in Locarno im Alter von nur 66 Jahren.

Literaturhinweis: Die Werke Hans Habes sind derzeit nur antiquarisch erhältlich, etwa in alten Gesamtausgaben von Heyne (Taschenbuch) oder Herbig (Hardcover).