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Das Problem der Flüchtlinge

Ludwig SCHNEIDER

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„Wenn das Reh flieht, so ist es darum nicht schuldig". Ich war selber Flüchtling, daher weiss ich, was Flüchtlingsleid heisst und kann mich mit Recht über das Nahost-Flüchtlingsproblem zu Wort melden.

Meine Eltern s.A. waren Juden, wollten es aber nicht mehr sein, sie waren in Deutschland total „eingedeutscht". Mein Vater kam aus Leipzig und meine Mutter aus dem Elsass. Wir lebten in Magdeburg, wo ich 1941 geboren wurde. Als die Nazizeit begann, war mein Vater der Meinung, dass dieser Spuk schnell vorübergeht. Daher floh er mit uns nicht ins Ausland, sondern nach Quedlinburg, wo uns eine evangelische Küsterfamilie aufnahm und wir in einem schiefen Hinterhaus überlebten.

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Jüdisches Einwandererzeltlager bei Raanana, Tel Aviv, 1949. Foto: GPO. Mit freundlicher Genehmigung des Israeli Government Press Office.

Als der Krieg zu Ende war, zogen wir nach Magdeburg zurück. Dann kam der November 1950. Ein Jugendfreund meines Vaters stürzte früh morgens in unser Haus und rief „Haut ab, heute Nacht holen sie euch ab und bringen euch nach Sibirien!" Das war eine der stalinistischen Säuberungen, mit der das DDR-Regime Intellektuelle, Doktoren, Juden und andere Querdenker auf Nimmerwiedersehen nach Sibirien verschleppte.

So mussten wir wieder alles stehen und liegen lassen und flohen nach Westdeutschland. Als wir auf der anderen Seite der Grenze waren, sagte ich zu meiner Mutter: „Wenn ich einmal gross bin, will ich nicht mehr weglaufen müssen!" Denn das hatte ich als Neunjähriger schon erkannt: Zuerst haben uns die Rechten, die Faschisten verfolgt, weil wir Juden waren, ohne noch Juden sein zu wollen. Dann haben uns die Linken, die Kommunisten verfolgt, weil wir Juden waren, ohne noch Juden sein zu wollen - mein Vater war der deutscheste Deutsche, der mir je begegnet ist.

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Das jüdische Flüchtlingslager Maabara bei Pardess Hana, 1950. Foto: GPO. Mit freundlicher Genehmigung des Israeli Government Press Office.

Ich selber machte mein Kindheitsversprechen wahr und zog in der Hochzeitsnacht 1964 mit meiner Frau als einziger meiner Familie nach Israel. Dort wurde bereits Aviel, unser ältester Sohn, geboren, der nun die von mir gegründete „Nachrichten aus Israel"-Redaktion leitet (www.israelheute.com). Wir haben fünf Kinder und mittlerweile 22 Enkelkinder, die alle in und um Jerusalem leben. Damit wurde der Schneider-Stamm wiederbelebt!

Nun lebe ich in Israel, von wo aus unsere Vorfahren einmal vertrieben worden sind, und hier wird uns nun vorgeworfen, wir hätten die Palästinenser aus ihrem Land gejagt und zu Flüchtlingen gemacht. Hier fragt man sich: Waren die Israelis, von denen während des Unabhängigkeitskrieges (Mai 48 bis Juli 49) viele von Leiden geschwächte Holocaustsüberlebende waren, so stark, dass sie die zahlenmässig überlegenen Armeen der Arabischen Liga in die Flucht schlagen konnten? Damals hiessen die arabischen Einwohner noch nicht Palästinenser, denn alle Moslems, Juden und Christen, die in dem ehemals britischen Mandatsgebiet lebten, waren laut ihrem Pass und Status „Palästinenser" - so auch Israels Staatsgründer David Ben Gurion und ebenso Israels erster Staatspräsident Chaim Weizman.

Die damaligen Israelis mussten sich nicht nur gegen die im Heiligen Land lebenden Araber verteidigen, sondern auch gegen die von den Sowjets aufgerüsteten arabischen Nachbarstaaten. Die USA und die Briten dagegen halfen damals Israel nicht, sondern liessen - ihre Neutralität betonend - Israel im Regen stehen. Und die Wiedergutmachungsgelder aus Deutschland erhielt Israel erst ab 1952.

Angesichts der arabischen Übermacht und israelischen Ohnmacht waren sich die in Israel lebenden Araber sicher, dass es ihren arabischen Brüdern gelingen wird, die „Juden ins Meer zu treiben", denn sie glaubten der arabischen Propaganda, die über Rundfunk und Flugblätter die Araber aufforderte „Im Namen Allahs! Verlasst für kurze Zeit eure Erde, denn unsere Bomben können nicht zwischen Juden und Arabern unterscheiden."

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Mitarbeiter der UNRWA verteilen Lebensmittel im Rafah, Flüchtlingslager, Gaza Streifen. Mit freundlicher Genehmigung von Flash 90

So haben also nicht die Israelis die Araber vertrieben, sondern es waren ihre arabischen Führer, die sie zur Flucht überredet haben. Als dann die Israelis wider Erwarten siegten, war bei den Arabern der Jammer gross und das leidige Nahostflüchtlingsproblem war geboren.

Eine von der UNO 1948 durchgeführte Zählung ergab, dass 472.000 Araber dem Ruf ihrer arabischen Führer folgten und aus Israel flohen. 160.000 Araber dagegen folgten dem Angebot Ben Gurions, zusammen mit ihnen das Land aufzubauen - sie wurden israelische Staatsbürger, aus denen mittlerweile 1.550.000 wurden, was 20,3 % der israelischen Gesamtbevölkerung ausmacht.

Wer nur das arabische Flüchtlingsproblem sieht, sieht nur eine Seite der Medaille, denn mit Israels Staatsgründung wurden quasi über Nacht 820.000 Juden, die viele Generationen in den arabischen Ländern gelebt haben, heimatlos. Weil man in den arabischen Ländern die Juden von nun an für potentielle Verräter im Dienste des Judenstaats hielt, mussten die Juden fliehen und Haus und Hof zurücklassen, welche sich die Araber unter den Nagel rissen und wofür die vertriebenen Juden von den Arabern nie eine Entschädigung erhalten haben.

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Ankunft russischer Juden in Israel, 1990. Foto: L. Schneider.

Von den 820.000 aus arabischen Ländern geflohenen Juden wanderten damals 586.000 Juden in Israel ein. So stand der eben erst geborene Judenstaat vor einer jüdischen Masseneinwanderung aus arabischen Ländern. Israel glich damals einem riesigen Zeltlager. So etwa kann man sich den Auszug der Israeliten aus Ägypten vorstellen. Zahlenmässig war das gegenüber den 472.000 aus Israel geflohenen Arabern ein Patt: 586.000 jüdische Flüchtlinge gegen 472.000 arabische Flüchtlinge.

In dieser Pattsituation hätten die arabischen Flüchtlinge die Häuser der aus den arabischen Ländern vertriebenen Juden übernehmen können. Ferner hatten die Araberstaaten Platz genug, denn sie sind flächenmässig 640 Mal grösser als Israel - auch besteht Israel zu 60% Wüste. Die Araberstaaten aber pferchten ihre Glaubensgenossen in elende Flüchtlingslager, weil sie nicht bereit waren, ihre Brüder in ihren Ländern zu integrieren. Dafür verbreiteten sie die Lüge, „die Israelis hätten sie aus ihrer Heimat vertrieben", was von den jungen Arabern geglaubt wird, weil sie die Wirklichkeit, die ihre Väter ihnen verschwiegen haben, nicht kennen, was bei den jungen Arabern unstillbaren Hass auf Israel auslöste.

Fragt man Araber, die heute über 80-Jährigen, bekommt man oft die altersehrliche Antwort, dass sie die Lüge, „Israelis haben sie damals vertrieben", verbreitet haben, weil sie sich ihrer Feigheit schämten, das Land freiwillig verlassen zu haben. So gibt es in Ägypten, Libanon und Jordanien und der Westbank immer noch Flüchtlingslager. Die dort lebenden palästinensischen Flüchtlinge haben nach 62 Jahren immer noch ihren UNO-Flüchtlingsstatus, den sie jedoch verlieren würden, würden sie ein selbstständiger Palästinenserstaat werden, und kraft ihres UNO-Flüchtlingsstatus werden sie von 1.700 internationalen Hilfsorganisationen betreut.

Egal, ob selbst- oder fremdverschuldet, Flüchtling zu sein, ist immer mit Elend verbunden. In der ganzen Welt gibt es heute über 42 Millionen Flüchtlinge, davon sind 6% arabische Flüchtlinge, die aber erhalten von der gesamten UNO-Flüchtlingshilfe 24%, also 4 Mal mehr als alle anderen Flüchtlinge - und das, obwohl ihre arabischen Volksgenossen mit ihren Erdölmilliarden leicht die palästinensischen Flüchtlinge in der Weite ihrer Länder integrieren könnten, denn sie haben eine gemeinsame arabische Sprache und islamische Kultur und Religion. Die Palästinenser sprechen von 3,7 Millionen palästinensischen Flüchtlingen und fordern ihr Rückkehrecht nach Israel, was absurd ist, denn das sind ja schon die Nachkommen der zweiten Generation. Fragt man die Palästinenser, die heute z.B. in Deutschland und Österreich leben, die wollen gar nicht zurück, um in einem Staat von militanten Hamas- und korrupten Fatah-Palästinensern zu leben. Wenn man die Nachkommen der geflohenen Palästinenser Flüchtlinge nennt, muss man auch den Nachkommen der 1948 nach Israel eingewanderten Juden den Flüchtlingsstatus zusprechen.

Hätte Westdeutschland nach dem II. Weltkrieg so gehandelt wie die Araber, wäre auch Deutschland ein Pulverfass. Israel nahm seit 1948 über 3 Millionen Juden aus aller Welt auf. Davon kamen in den Jahren ab 1989 rund 800.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die wirtschaftlich integriert wurden. Das wäre im proportionalen Vergleich, als würde Deutschland in der gleichen Zeit 8.800.000 Fremde aufgenommen haben. Ich weiss, nun kommt der Einwand: Die Juden, die nach Israel einwandern, sind doch alles Juden, waren zu biblischer Zeit ein Volk und Königreich usw. Stimmt! Doch nach zweitausendjähriger Zerstreuung unter alle Völker sind die Juden untereinander Fremdlinge geworden, die erst in ihrer biblischen Heimat wieder ein Volk, eine Sprache und eine Kultur werden. Dass Israel dies gelingt, gehört zu den Wundern unserer Zeit.

Ob dies an dem von Thilo Sarrazin beschworenem jüdischen Gen liegt, bleibt dahingestellt. Ich glaube eher, dass dies die von den Propheten vorhergesagten Verheissungen G'ttes sind, die vor unseren Augen in Erfüllung gehen - und wenn es danach geht, werden laut biblischer Verheissung aus Sacharja 9,5-8 auch Israelis und Palästinenser einmal im Frieden miteinander leben. So sind die Trübsale, die Israel - und auch die Palästinenser - durchmachen, die unausweichlichen Geburtswehen zum Freudigen Ereignis, dem Kommen des Messias.