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Die Synagogen von Venedig

Gianmario GUIDARELLI und Stefano ZAGGIA

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Die fünf Synagogen des Ghettos von Venedig liegen im Herzen des Stadtnetzes eingebettet. Von jeher waren sie identitätsstiftende Zentren der unterschiedlichen Gruppierungen mit jeweils eigenen Riten, aus denen sich die jüdische Gemeinde zusammensetzte. Man traf sich dort, um zu beten, zu unterrichten und die ärmeren Glaubensgenossen zu unterstützen. In Venedig, wie anderswo auch, wurden die Synagogen oft als „Scuola" - „Schule" bezeichnet.

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Venedig, Ghetto, Sinagoga Ponentina, Innenraum, Blick zum Aron ha-kodesch. Foto: G. Guidarelli, mit freundlicher Genehmigung.

Die fünf Synagogen von Venedig, üblicherweise auch Schulen genannt, spielten eine bedeutende Rolle im innerstädtischen Gefüge des Ghettos - sei es als imposante Gebäude, die urbane Plätze definieren, oder aber als Räume, die in bereits bestehenden Wohngebäuden geschaffen worden waren und deren Gegenwart auch heute noch von aussen lediglich durch schlichte Zierelemente angezeigt wird: grosse Fenster, Inschriften, Laternen, die emporragen, um das Licht von oben einzusammeln. Für die jüdische Religion existieren keine spezifischen Bestimmungen, die die räumliche Organisation der Synagogen betreffen. Dennoch entstanden im Laufe der Zeit einige Traditionen bezüglich der Anordnung der beiden wichtigsten rituellen Einrichtungsgegenstände, die für den G‘ttesdienst gebraucht werden: die Bimah (oder auch, bei den Sefarden, Tevah; die Kanzel) und der Aron ha-kodesch (der Thoraschrein, auch als „Truhe" oder „heilige Truhe" bezeichnet). Die einzige vereinheitlichende Vorschrift betrifft die Ausrichtung des Saales, dessen Hauptachse vom Aron bestimmt ist, dem Fokus des Raumes im wahrsten Sinn des Wortes, an der östlichen Wand angebracht, das heisst, in Richtung Jerusalem.

Scuola Tedesca

Die erste Synagoge, im Jahr 1528 im Ghetto errichtet, wurde Tedesca (Deutsche) genannt. Ihr Kultsaal findet sich heute im vierten Gebäudestockwerk gelegen, denn die Innenräume sind, so wie beim Grossteil der Synagogen in Venedig, das Resultat zahlloser Umbauten. Die ursprüngliche Anordnung der Kulteinrichtungen im Saal die Position des im Jahre 1666 wiederhergestellten Aron an der kurzen Seite des Raumes in Richtung des Canale vor. Die Bimah hingegen befand sich in der Mitte des Saales, unter der Laterne, die, noch offen gegen Aussen hin, von oben eine grosse, theatralisch inszenierte Menge an Licht herunterrieseln liess. Diese Anordnung ist charakteristisch für aschkenasische Synagogen in Mittel- und Nordeuropa. Sie wurde noch vor dem Jahr 1733 völlig auf den Kopf gestellt, als die Bimah an die kurze Seite des Raumes, in Richtung Campo, verschoben wurde.

Scuola Canton, Scuola Italiana

Auf die Scuola Tedesca folgte um 1531-32 die Errichtung der privaten Scuola Canton und 1575 schliesslich jene der Scuola Italiana. In den beiden Letztgenannten sticht die Position der Bimah hervor: sie findet sich dort in einer Aussennische untergebracht und wird von einer Laterne beleuchtet.

Scuola Ponantina und Scuola Levantina

Die beiden jüngsten Synagogen sind jene, die dem spanischem Ritus folgen: die Scuola Ponentina und die Scuola Levantina. Sie umschliessen den kleinen Platz des Ghetto Vecchio als eigenständige, imposante Gebäude. In beiden Fällen befinden sich die Kulteinrichtungen Aron und Bimah in der Raummitte, so wie es charakteristisch ist für den sefardischen Ritualbau, und in beiden Fällen handelt es sich um einen Innenraum von doppelter Höhe mit einer Empore für die Frauen.

Der Bau der gegenwärtigen Scuola Ponentina begann vor 1612, als ein erstes Projekt ausgearbeitet und mit dem Kauf angrenzender Häuser begonnen wurde. Mitte des 17. Jahrhunderts wurden umfassende Umbauarbeiten eingeleitet. Diese waren spätestens 1657 abgeschlossen, als das Gebäude in einigen Dokumenten als „fabbricato da novo" („von Neuem erbaut") beschrieben wurde.

1680 wurde die Ausgestaltung der Scuola Levantina beschlossen; sie geht vermutlich auf einen Entwurf des venezianischen Architekten Alessandro Tremignon (1635 Padua -1711 Venedig) zurück. Die Ausstattung beider Synagogen weist zahlreiche Ähnlichkeiten auf und ist durch eine gehobene, an bildhauerischen Details reiche Ausführung charakterisiert.

  

Aus dem Italienischen übersetzt

von Dr.in Eva Holpfer - DAVID dankt

für die Unterstützung!