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Christian Qualtinger im Interview

Tina WALZER

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Christian Qualtinger hat mit dem Herrn Karl ein kongeniales Comicbuch zum wohl berühmtesten Werk seines Vaters geschaffen. Als Maler, Zeichner und Musiker gleichermassen beeindruckend, tritt er auf seine eigene Weise in die Fussstapfen Helmut Qualtingers, und über sie hinaus.

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Carl Merz/ Helmut Qualtinger: Der Herr Karl. Das Comicbuch von Christian Qualtinger und Reinhard Trinkler. Mit freundlicher Genehmigung Amalthea Signum Verlag und Thomas Sessler Verlag.

DAVID: Das Publikum kennt und schätzt Sie vor allem durch Ihre Musik, Ihre Auftritte sind legendär.

Qualtinger: Dem ist leider nicht so! Meine sogenannten Auftritte innerhalb des Jahres 2016 bestehen aus etwa 4-5 Mal. Ein „gestandener" Musiker sollte jährlich auf rund 100 Auftritte auf der Bühne kommen. Auch wenn Sie meinen, dass meine Auftritte legendär sein sollen, so ist dem doch selten so.

DAVID: Was ist für Sie das Besondere daran, was treibt Sie an?

Qualtinger: In Wien gibt es derzeit so viele gute Musiker wie noch nie, aber die Jobs sind rar. Da dachte ich, finde welche. Beim letzten Projekt waren es fünf: Posaune, Gitarre, Mundharmonika, Kontrabass und eine Geige, welche auch das Akkordeon bedienen konnte .. ja.. und ich, mit Sprache, Texten und etwas Gesang. Es war ein sehr schönes, aber etwas aufwendiges und dadurch auch teures Klein-Orchester, mit dem Namen „Zur Eisernen Zeit". Der Name kommt von einem bis heute existenten Gasthaus am Naschmarkt. Dieses gibt es unter demselben schon seit der Kaiserzeit, mit Volkssammlungen und so weiter, es ist in einem Otto Wagner-Pavillon untergebracht und teilt sich diesen mit einer öffentlichen Damen- und Herrentoilette auf. Das Gasthaus befindet sich mehr oder weniger vis-à-vis vom Theater an der Wien und steht für die verschiedensten Geistes- und Brieftaschengrössen bereit (ausser an Ruhetagen) - es ist, sozusagen, eine Wiener Institution.

DAVID: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Publikum? Hat es sich im Lauf der Zeit verändert?

Qualtinger: Mein Wiener Telefonbuch erschien mir in manchen Zeiten als eine Art - immaterieller - Schatz. Ich fand da Charaktere aus allen Sphären der Gesellschaft notiert, mit Telefonnummern und Adressen. Heute ist das alles anders. Aber ich habe immer von einem grossen Fest geträumt.

DAVID: Sie haben der Figur, die Ihr Vater ersonnen hat, ein ganz eigenes Gesicht gegeben, der Leser sieht den Herrn Karl mit den Augen des Sohnes durch eine verwandelte und doch nicht so sehr veränderte Welt  gehen. Was macht für Sie den Herrn Karl aus, was ist er für Sie?

Qualtinger: Der Herr Karl ist ein österreichisches Ventil. Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen. Christoph Schlingensief arbeitete noch in Zeiten der schwarz-blauen Koalition, und Joan Holender erlaubte das neben der Staatsoper: Das war eine Provokation, die jenen, die mein Vater so liebte, sehr ähnlich war. Er, „der Helmut mit dem Höllenmut" - ich konnte das als Sohn nicht einschätzen, erst im Laufe der späteren Jahre wurde mir langsam klar, was das wohl für ihn bedeutet haben mag, und woraus sich dieser Antrieb speiste. Man muss sich das vorstellen: Die Situation mit den russischen Besatzern in Wien war schwierig, und das hat den Nazis damals wieder Recht gegeben. Die Russen hatten die meisten Toten zu beklagen, ja, waren aber auch für 2.000 Vergewaltigungen mit tödlichem Ausgang im Wiener Raum verantwortlich. Eine aufgeklärte Öffentlichkeit war nicht vorhanden. Sobald es nämlich etwas Wohlstand gab, ist jede derartige Regung beim Normalbürger wieder eingeschlafen. Wenn man 1947 geboren ist, und man kommt drauf, der Vater war ein Nazi: da hätte ja jeder einen Psychiater gebraucht, und zwar auf beiden Seiten, jener der Täter, und jener der Opfer genauso. Und wieso haben sie sich nicht gewehrt, die Juden beziehungsweise die Österreicher, oder beide gemeinsam? Die Frage steht nach wie vor im Raum.

DAVID: Sie sind nicht nur ein hervorragender Musiker...

Qualtinger: Als hervorragender Musiker habe ich ungefähr das Niveau eines 12-Jährigen, und wenn beispielsweise ein ausgelernter Pianist in meiner Nähe wäre, hätte ich sofort Klavierverbot.

DAVID: ... sondern vor allem auch ein herausragender Zeichner. Ihre Werke finden sich in vielen Kunstsammlungen.

Qualtinger: Keines meiner grafischen oder malerischen Exponate hat sich je in irgendeiner bedeutenden Kunstsammlung meines Heimatlandes befunden - ausser, dass der Herr Karl-Comic im Shop der Albertina aufliegt: was mich unendlich erfreut hat.

DAVID: Wie haben Sie den Zugang zur Kunst für sich entdeckt?

Qualtinger: Unter anderem hat mein Interesse an der Kunst Stephan Templ geweckt. Er war es auch, der mich bestärkt hat, eine Mappe anzulegen, und er hat mich überredet, mit ihm gemeinsam die Aufnahme an der Akademie der Bildenden Künste zu versuchen. Mit dem Fahrrad sind wir zur Prüfung gefahren, ich hinten auf dem Gepäckträger, mit unseren beiden Mappen unter dem Arm. So sind wir am Schillerplatz angekommen, vom Gemeindebau im 19. Bezirk wie die Sirs in die Akademie gereist. Wir kamen prompt beide auf die Anwärterliste, Stephan und ich, er bei den Architekten (das Praktische hat ihm mehr gelegen als mir), und ich bei Arnulf Rainer. Ich wollte eigentlich unbedingt zu den Realisten, doch ich konnte ja nichts. Rainer hat mich trotzdem genommen. Auf meinen Aufnahmeantrag hatte ich übrigens „Christian Schicklgruber" geschrieben, und so wurde ich dann vom Prüfungskomitee aufgerufen: „Nächster: Schicklgruber vortreten!". Erst dem Maler Josef Mikl ist etwas aufgefallen: „Ja, bist Du ned der Bua vom Qualtinger!" hat er ausgerufen, als ich vor ihm stand, und die Kommission war peinlich berührt. Aufgenommen haben sie mich aber doch. Rainers Assistent Johann Julian Taupe hatte mich nämlich herausgerissen, er hatte sich meine Mappe angeschaut - keine Selbstverständlichkeit, unter den hunderten hoffnungsvoll abgegebenen. In der Klasse war ich dann noch mit vielen Max Weiler-Schülern zusammen, die mir viel angenehmer waren als die Rainer-Schüler.

DAVID:Was bedeutet das Zeichnen für Sie?

Qualtinger: Es ist etwas Archaisches. Adolf Menzel1 der die ersten Toten nach der Schlacht von Königgrätz2 radierte (beziehungsweise in Kupfer ätzte), sagte zum Beispiel: „ Alles Zeichnen ist gut, alles zeichnen noch besser", wenn Sie verstehen?

DAVID:Wie kam es zu dem Comicbuch?

Qualtinger: Josef Haderer hätte es machen sollen, aber die zweite Frau meines Vaters, Vera Borek, und sein Verleger, Professor Schulenburg, haben gesagt, „Du bist sein Sohn, und das machst jetzt Du!" So kommen ja die meisten Sachen zusammen. Ich schaue mir das Buch auch gern an, im Unterschied zu Audio-Aufnahmen meiner Auftritte, die ich überhaupt nicht hören mag. Die Aufnahmen mit meinem Vater hingegen höre ich mir unendlich gern an.

DAVID: Woran arbeiten Sie derzeit?

Qualtinger: Da das erste Comicbuch ein Erfolg war, soll ich ein zweites machen, diesmal über die österreichische Kaiserin Sisi. Gleich vorweg: Sisi hat überhaupt nichts mit Romy Schneider gemeinsam. Der Film ist wunderbar. Aber es ist eine Geschichte für sich. Die richtige Sisi wurde mit 16 Jahren in eine Zwangsheirat gesteckt, mit Geld zum Ausgeben ohne Ende versorgt, und unglaublich unglücklich. Mit dem Film wollten Ernst Marischka und Franz Antel beweisen, „Wir in Österreich können auch Filme machen wie die Amerikaner", das hat aber nichts zu tun mit der Realität. Rudolf, zum Beispiel, war ein bisschen patschert, wenn auch progressiv-fortschrittlich: Schon als Kind konnte er den deutschen Kronprinzen, den späteren Kaiser Wilhelm II. nicht leiden, und als der deutscher Kaiser wurde, hat er sich bald danach umgebracht.

DAVID:Wie ist Ihr Verhältnis zum Judentum?

Qualtinger: Ich bin ganz überzeugt, in so manchem Wiener (viel mehr, als es wissen) steckt mindestens ein Tropfen davon. Was Israel angeht, so finde ich, es sollte woanders sein. Und zwar: die edelsten Teile der Schweiz, die, die an Tirol und Vorarlberg grenzen, sollte man dazu nehmen, ein ordentliches Stück von Salzburg, und Oberösterreich sowieso. Dort sollte Israel sein. Mindestens ein Viertel der Schweiz, wegen der Chuzpe, die Flüchtlinge abzuweisen, Bayern, und ein Stückl von Südtirol auch noch dazu. Und was machst Du mit den Leuten dort?

DAVID: Was halten Sie für die drängendsten Probleme der Gegenwart?

Qualtinger: Durch die Globalisierung wird sehr viel Wut importiert und entwickelt sich auch im Land selbst. Zur gleichen Zeit ist durch die Gleichstellung der Frau ein unglaublicher Hass gegen Frauen entstanden. Über die Entwicklung dieses neuen, höchst problematischen Umgangs mit Frauen in Indien hat es gerade einen interessanten Vortrag beim Forum Alpbach gegeben. Das beschäftigt mich seither sehr.

DAVID: Auf dem Tisch vor uns liegen zwei Flöten - was hat es mit ihnen auf sich?

Qualtinger: Ich spiele sie gleichzeitig, wie Dick Heckstall-Smith seine zwei Saxofone! Das war der legendäre Blechbläser der Gruppe Colosseum (die Sie wahrscheinlich gar nicht mehr kennen werden). Das war das zweite sogenannte Pop-Konzert meines Lebens, 1971 im Wiener Konzerthaus.

DAVID: Wie sehen Sie Ihre Mitmenschen?

Qualtinger: Es gibt bemühte und weniger bemühte Menschen. Ob es Gute und Böse gibt, weiss ich nicht. Wofür sie sich bemühen, weiss man auch nicht, und das Bemühen kann Dich narrisch machen. Der Gedanke, dass alle Menschen einander lieben könnten, ist grotesk, aber schön, und nett. Theoretisch könnte die Gesellschaft viel besser funktionieren, wenn weniger gegeneinander, sondern mehr für einander gearbeitet würde. Aber wahrscheinlich ist es nicht. Was wäre der Mensch ohne seine Wut: ein Nackerbatzl (was natürlich fürchterlich ist.) Er könnte ja in geordneten Sätzen vortragen, was ihm nicht passt; andererseits ist die Wut ein einseitiges Gefühl. Manchmal freut man sich ja auch. (Spielt, während er spricht, Klavier, einen Blues, der zwischen Elegie, Lebensfreude und Sanftmut oszilliert; neben dem Klavier stehen Gitarren und eine Staffelei.) Und jetzt ein Balkaneser! (Spielt am Klavier ein balkan-sefardisch inspiriertes Lied.) Ein Pianist dürfte jetzt nicht in der Nähe sein - ist eh keiner da, ich habe geschaut.

DAVID: Vielen herzlichen Dank für das überaus anregende Gespräch! Und Alles Gute für Ihre nächsten Werke!

Das Comicbuch Der Herr Karl, zum gleichnamigen Einpersonenstück der Schauspieler und Kabarettisten Carl Merz (1906 - 1979) und Helmut Qualtinger (1928 - 1986) kongenial bebildert von Qualtingers Sohn Christian, zeigt den Klassiker des österreichischen Kabaretts in einer modernen Variante. 53 Jahre nach dem Erscheinen des Originals 1961 ist das Comicbuch ebenso provokant und bringt eine Charakterstudie der österreichischen Gesellschaft neu auf den Punkt. Kritisch zugespitzt, werden die Typen eines Wiener Pandämoniums in ihren Lebenswelten vorgestellt, und was der Leser zu sehen bekommt, ist um nichts weniger beklemmend als die Schilderung der Befindlichkeiten der Österreicher im Umgang mit der NS-Vergangenheit ihres Landes Jahrzehnte zuvor. Lebte das Einpersonenstück vom Vortrag Helmut Qualtingers, so gibt sein Sohn den Figuren der Herr Karl-Geschichte seine eigenen Gesichter und bereichert damit die Qualtinger"sche Weltsicht um schillernde Facetten der heutigen Wiener Alltagskultur.

Carl Merz/Helmut Qualtinger: Der Herr Karl. Das Comicbuch von Christian Qualtinger und Reinhard Trinkler. Wien Amalthea Signum Verlag 2014.

3. Auflage, durchgehend vierfarbig, 96 Seiten; Euro 19,95.-

ISBN: 978-3-85002-889-9

  

Bühnen- und Aufführungsrechte beim Thomas Sessler Verlag.

  

Christian Qualtinger-Alben zum Nachhören:

Mit Travnicek ins 3. Jahrtausend. Gemeinsam mit Thomas Hojsa und Helmut Emersberger. waku word 2000.

  

Zur Eisernen Zeit. Preiser Records 2003.

  

Captain Austria. Quinton 2012.

Die Alben 2003 und 2012 entstanden gemeinsam mit der Gruppe Zur Eisernen Zeit: Arrangement und Gitarre: Marcus Ratka, Posaune: Leonhard Paul, Mundharmonika: Bertl Mayer, Kontrabass: Uwe Urbanowski, Geige: Roman Gottwald (2003), Waiping Lin (2012)

  

1  1815 Breslau - 1905 Berlin; Anm. d. Red.

2  Genauer: Königinhof bei Königgrätz, heute Dvur Králové nad Labem, Tschechische Republik; Anm. d. Red. Aus drucktechnischen Gründen wird auf die Wiedergabe der diakritischen Zeichen verzichtet.