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„… Frau und Jüdin. Beides zusammen ist einfach zu viel“

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Vienna's Shooting Girls. Jüdische Fotografinnen aus Wien. Ausstellungskatalog, Jüdisches Museum Wien, hg. von Iris Meder und Andrea Winklbauer

Wien: Metroverlag 2012

224 Seiten, Euro 35,00

ISBN-Nr. 978-3-99300-089-9

  

Die anspruchsvolle Wiener Portraitfotografie der Ersten Republik war auffallend weiblich: 80 Prozent der BerufsfotografInnen waren Frauen. Und von ihnen wiederum besass die Mehrheit jüdische Wurzeln. Woher diese augenfällige Dopplung rührt, untersuchte unlängst das Wiener Jüdische Museum in der von den Kunsthistorikerinnen und Exilforscherinnen Iris Meder und Andrea Winklbauer kuratierten Ausstellung „Vienna‘s Shooting Girls. Jüdische Fotografinnen aus Wien" (23. Oktober 2012-3. März 2013). Wer die sehenswerte Schau verpasste, findet die Antworten im gleichnamigen Katalog. Der Band erweitert die rar gesäten Monographien zum Thema trefflich, da er manch vergessenes, durch Flucht, Vertreibung oder Ermordung kupiertes Fotografinnen-Leben reanimiert.

„Frau und Jüdin, beides zusammen ist einfach zu viel" lauteten die unmissverständlichen Worte, mit denen die Universität Wien in den 1920er Jahren das Habilitationsgesuch der späterhin international angesehenen Physikerin Marietta Blau ablehnte. Prägnant bringt das von Katalog-Beiträgerin Ulla Fischer-Westhauser erkorene Zitat das eigentliche Dilemma auf den Punkt, das, wie der Band zeigt, zahlreiche jüdisch-stämmige Frauen in die Berufs-Fotografie trieb: Einerseits besass die (Aus-)Bildung der Töchter in manch wohlsituierter, liberaler jüdischer Familie einen exorbitanten Stellenwert. Schien Bildung doch Emanzipation, sozialen Aufstieg und Ansehen zu verheissen. Andererseits waren die Ressentiments gegenüber Frauen, erst recht den jüdischen, ungebrochen. Zwar liessen die Universitäten seit 1897 schrittweise Studentinnen zu. Eine akademische Karriere aber verwehrten sie ihnen regulär. Die verhältnismässig junge Fotografie indes gerierte sich weit weniger traditionsverbrämt. Und sie versprach ein solides Einkommen, weil die damalige Presse- und Verlagswelt rapide expandierte und nach immer neuen, unverbrauchten Bildern verlangte.

Frauen täuschten sich „fortgesetzt über ihre eigenen Fähigkeiten", fachsimpelte Karl Scheffler in seiner berühmten misogynen, 1908 veröffentlichten Schrift „Die Frau und die Kunst". In der Kunst täten Frauen „eigentlich nichts als die Masse der Produktion zu vermehren". Schefflers verzopfte Sicht war kein Vorkriegs-Ausrutscher. Vielmehr war sie - mit winzigen Abstrichen - paradigmatisch für den deutschsprachigen Kunstmarkt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vor Lektüre des von Iris Meder und Andrea Winklbauer herausgegebenen Katalogs, an dem insgesamt fünf Autorinnen mitwirkten, mag sich daher die Frage auftun, wie sich Frauen in der Fotografie überhaupt etablieren konnten - zumal in diesem Ausmass. Katalog-Autorin Lisa Silverman kontert mit einer scheinbar simplen, aber treffenden Antwort: Fotografie habe damals schlicht nicht als Kunst gegolten. Obendrein habe das genderstereotype Denken dominiert, Fotografinnen würden sich „intuitiv besser auf die von ihnen portraitierten Personen einstellen". Wagt man einen Blick nach Deutschland, wo der Fotografinnen-Anteil ähnlich beträchtlich war, bestätigt sich Silvermans These: So begeisterte sich u.a. Lotte König 1931 im Sammelband „Die Kultur der Frau" für die „speziell weiblichen Begabungen" der Lichtbild-Künstlerinnen. Namentlich: „Einfühlungsvermögen in die Natur des Modells, ein günstiges Verstehen" - und „geduldiges Studieren des jeweiligen Charakters und Temperaments".

Die Katalog-Herausgeberinnen Meder und Winklbauer sind seit Jahren mit der Rekonstruktion minderbeleuchteter KünstlerInnen-Biografien des 19./20. Jahrhunderts befasst. Auch in ihrem neuen Band spüren sie rund 40 Viten nach, darunter altbekannten und omnipräsenten wie Madame d'Oras, Trude Fleischmanns oder Lisette Models, und vergessenen, wie Cecile Machlups. Einst als Doyenne der Wiener Kunstfotografie zelebriert, zählte Machlup zu der Wiener Minderheit, die dem damals hochaktuellen sogenannten Neuen Sehen huldigte. Das Gros, so die zentrale These des Katalogs, blieb einem „seelenvolle(n), lyrische(n) Piktorialismus", einem traditionsträchtigeren Strang der Fotogeschichte, verhaftet. Tatsächlich fallen - zumindest unter den Abbildungen des Bandes - nur wenige Werke mit experimentellem Habitus ins Auge. „Österreichs Fotografinnen" seien stattdessen „in der Mode- und Portraitfotografie führend" gewesen, resümieren Meder und Winklbauer.

Trotz des gewählten Katalog-Untertitels „Jüdische Fotografinnen" unterstreichen Meder und Winklbauer, dass Religion für die dargebotenen Fotografinnen „im Allgemeinen keine Rolle" gespielt habe. Erst 1938, mit der Annexion Österreichs durch NS-Deutschland, avancierten die jüdischen Wurzeln zum unfreiwilligen Lebensmittel- bzw. -Endpunkt, wie der Katalog klarlegt: Claire Beck-Loos etwa, die Ex-Frau des Architekten Adolf Loos, wurde in Riga ermordet. Edith Barakovich präferierte den Freitod. Madame d'Ora versteckte sich u.a. in einem südfranzösischen Kloster. Trude Fleischmann floh in letzter Sekunde nach New York. Ihr gelang, was den wenigsten glückte - eine neue Fotografinnen-Karriere im Exil. Die Majorität der Emigrantinnen musste sich mit entwürdigend schlecht bezahlten Jobs durchschlagen. Nach 1945 remigrieren wollte dennoch kaum eine, Elly Niebuhr ausgenommen. Sogar Madame d'Ora, ehedem Pionierin und Shooting-Star der Wiener Szene, besuchte ihre Geburtsstadt nur mehr partiell. Einst schuf sie hochglanzpolierte Illusionswelten für elitäre Modemagazine. Nun aber, nach den Qualen der NS-Zeit, begann sie „displaced persons" in Flüchtlingslagern abzulichten und ihre Nachwelt mit Tierleichen-Fotos aus Pariser Schlachthöfen zu irritieren. „Wenn ich die Geschichte in Worten erzählen könnte, bräuchte ich keine Kamera herumzuschleppen", soll ihr US-Kollege Lewis W. Hine gesagt haben. Madame d'Ora hätte ihm wohl kaum widersprochen.