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Die sich langsam schliessende Schlinge um Israel

Gustav GRESSEL

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Keine echte Aussöhnung zwischen Israel und der Türkei, ein forscher werdendes Ägypten und der andauernde Bürgerkrieg in Syrien sind Parameter einer sich langsam, aber stetig verschlechternden Sicherheitslage im Nahen Osten. In den vorangegangenen Artikeln stellte der Autor fest, dass der arabische Frühling zwar keine revolutionär neue und lebensbedrohliche Situation für Israel geschaffen habe, wohl sich aber die Umfeldbedingungen für Israel langsam, aber stetig verschlechtern. Dieser Trend hält an, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen.

Durch einen Besuch in Israel versuchte US-Präsident Obama die sich formende israelische Regierung in Richtung erneuter Gespräche mit den Palästinensern zu motivieren. Im Grunde eine noble Idee, jedoch liess die Ausführung tief in die Unkenntnis und Naivität blicken, die Obamas Nahostpolitik zugrunde liegt. Zunächst nötigte Obama Ministerpräsident Netanjahu eine Entschuldigung an die Türkei und die In-Aussichtstellung von Entschädigungen für die zu Tode gekommenen islamistischen Aktivisten ab. Obamas Hoffnungen waren, dass durch eine Normalisierung der israelisch-türkischen Beziehungen die Türkei wieder Mittler im Nahen Osten spielen werde und ihre Blockadehaltung zu allen Israel-Themen in internationalen Organisationen (die Türkei blockiert etwa seit Jahren den Mittelmeerdialog der NATO) aufgeben werde.

Ankaras Führungsambitionen

Weit gefehlt! Denn die islamistische AKP denkt gar nicht daran, an die aussenpolitische Tradition der attatürkschen Türkischen Republik (1923-2002) anzuknüpfen! Erdoğan liess sich als diplomatischer Sieger über Israel feiern, der - den Moment auskostend - sofort eine Reise in den Gazastreifen anberaumte (von dem er nur durch erneute amerikanische Überredungsversuche abgebracht werden konnte). Die Botschaft dieser Inszenierung war klar: Die Türkei ist die einzige islamische Nation, die Israel bezwingen könne, deshalb sei es klar, dass die Türkei die Führungsnation im Mittleren Osten werden solle.

Die erhoffte diplomatische Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel trat ebenso wenig ein. Erdoğan wartet offiziell die Entschädigung der türkischen „Opfer" ab, deren Familien diese jedoch ablehnen. Dies gibt ihm einen Vorwand, seine ablehnende und blockierende politische Politik zu Israel fortzusetzen.

Weiters soll ein neuer Anlauf zu direkten Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern unternommen werden. Auch dies ist an sich eine noble Idee. Dass die Arabische Liga jedoch die Verhandlungsposition der Palästinenser entwirft, lässt jedoch ernstzunehmende Verhandlungen in weite Ferne rücken. Die derzeit kursierenden Entwürfe beinhalten auch eine Reihe von „no-gos", wie etwa das volle Rückkehrrecht für alle sich als Palästinenser titulierenden Araber nach Israel (eine Bedingung, die Israel über Nacht zum palästinensischen Staat machen würde). Da Abbas innenpolitisch geschwächt ist und die arabischen Financiers grossteils in das Lager der Hamas übergelaufen sind, ist kaum zu erwarten, dass er sich von diesen vorgegebenen Positionen weit lösen kann.

Sollte es also dennoch zu Verhandlungen kommen, kann höchstens ein Kampf um die internationale Sympathie entbrennen. Die palästinensischen Forderungen sind unerfüllbar (man kann von Israel nicht verlangen, seine Existenz zur Disposition zu stellen), es wird höchstens darum gehen, wer unter welchen Bedingungen und mit welchen Erklärungen die Verhandlungen zuerst abbricht. Das klingt nun nicht besonders spannend, ist aber für Israel nicht minder wichtig. Es gilt der Welt klarzumachen, was für Israel ein Frieden zu „arabischen Bedingungen" bedeutet und zu welchen Kompromissen Israel bereit wäre, wenn es ernsthafte Friedensabsichten auf der anderen Seite gäbe.

Propagandistische Forderungen nach einem nuklearwaffenfreien Nahen Osten

Dass sich die arabischen Staaten ihrer Sache sicher fühlen und die Zeit auf ihrer Seite glauben, ist eine andere Sache. Der arabische Frühling hat das Selbstbewusstsein der arabischen Staaten und in diesen der konservativ-islamistischen Kräfte gestärkt. Denn erstens wurde offen gelegt, dass nach Irak und Afghanistan die USA keinen Landkrieg auf islamischen Boden mehr führen wollen - für Islamisten ein Beweis für den Sieg ihrer Märtyrer.

Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht gerade beruhigend, dass etwa die ägyptische Delegation zur Vorbereitung der NPT1 Review Conference abzog. Man begründete diesen Schritt damit, dass die Vertragsparteien des NPT die Umsetzung einer „atomwaffenfreien Zone Nahost" nicht aktiv vorantreiben. Die Initiative zu einer solchen Zone ist ein arabischer Aufruf zur Entwaffnung Israels, der ausserhalb der arabischen Welt nicht ernst genommen wird.

Unter Mubarak wurde die Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone zwar für die Öffentlichkeit formuliert, jedoch deren Umsetzung nicht mit Nachdruck verlangt. Die Bündnisnähe zu den USA gaben Sicherheit genug und sollten nicht riskiert werden. Die neue islamistische Führung Ägyptens sieht dies jedoch anders. Langfristig könnte Ägypten das Scheitern der „nuklearwaffenfreien Zone Nahost" zum Vorwand nehmen, den NPT zu kündigen und selbst nach nuklearer Bewaffnung zu streben.

Israel und der Konflikt in Syrien

In den Medien breiter dargestellt wird der syrische Bürgerkrieg. Für Israel ist dieser im Grunde eine „lose-lose"-Situation. Gewinnt Assad, behält man ein die Hizb‘Allah unterstützendes autoritäres Regime als Nachbar, das, um von inneren Problemen abzulenken, gerne gegen Israel Stimmung macht. Gewinnen die Rebellen, ist ein Sieg radikal-sunnitischer Kräfte mit ähnlicher Geisteshaltung wie etwa die Hamas der wahrscheinlichste Ausgang. Auch dies wird Israels Lage nicht verbessern und nicht zu einem möglichen Frieden mit Syrien führen.

Insofern scheint es ungewöhnlich, dass sich Israel im Konflikt stärker zu exponieren beginnt. Zuerst erhob es einen klaren Vorwurf an das Assad-Regime, Chemiewaffen gegen Rebellen eingesetzt zu haben. Zwar ist bis heute nicht restlos geklärt, unter welchen Umständen es zu diesem Einsatz kam, jedoch stehen Rebellen ebenso im Verdacht, diese eingesetzt zu haben, um eine Intervention der USA auf ihrer Seite zu provozieren. Angriffe auf Depots der syrischen Armee (loyal zu Assad) sollten den Abtransport syrischer Raketen (im Bürgerkrieg von begrenztem militärischen Wert) an die Hizb‘Allah unterbinden. Im Grunde soll damit vor allem die USA unter Zugzwang kommen, ihre passive Haltung im syrischen Bürgerkrieg aufzugeben. Allerdings ist Syrien für Obama kein einfaches Pflaster.

Einen Bürgerkrieg so zu beeinflussen, dass - wie etwa in Libyen - die militärische Beteiligung auf Luftschläge begrenzt werden kann und zweitens am Ende relativ moderate Fraktionen an die Macht kommen, ist äusserst schwer. Es bedarf hoher nachrichtendienstlicher Detailkenntnis über die kämpfenden Fraktionen, ihre Hintergründe und Absichten. Ob die USA diese haben, ist zu bezweifeln, und der Rat regionaler „Verbündeter" (Türkei, Saudi-Arabien) ist mit sehr grosser Vorsicht zu geniessen. Aufgrund der Krise in Mali ist kaum zu erwarten, dass sich Frankreich (der ehemaligen Kolonialmacht ist eine gute Kenntnis über Syrien zuzutrauen) sich jenseits von Waffenlieferungen und Unterstützungsleistungen für Rebellen engagiert. Somit ist kaum vorstellbar, dass sich die USA zu grösseren Schritten hinreissen lassen und sich an der Situation Israels in absehbarer Zeit etwas ändert.

Anmerkung

1 NPT = Non Proliferation Treaty, der Vertrag gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen. Der Vertrag trat 1970 in Kraft und verbot allen Staaten, die nicht bis zum 1.1.1967 eine Atomwaffe gezündet hatten, den Besitz oder die Entwicklung von Kernwaffen. Israel, Indien und Pakistan haben diesen Vertrag nie unterzeichnet. Im Falle Israels ist jedoch zu sagen, dass dieses vermutlich schon vor 1967 über einen nuklearen Sprengkopf verfügte, jedoch sein Programm geheim hielt und daher zu keinem Test schritt.