Ausgabe

Vor 60 Jahren.

Karl PFEIFER

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In unserer letzten Ausgabe berichtete unser Autor Karl Pfeifer über seine Erlebnisse am Beginn des israelischen Unabhängigkeitskrieges. Im Herbst und Winter 1947 bewachte er die Wasserleitung in den Negev. Am 13. Dezember 1947 fielen fünf seiner Kameraden bei Tekuma.

Bei meinen Nachforschungen in Israel erfuhr ich, dass die fünf Kameraden, die in einen Hinterhalt des Turki-Beduinenstammes geraten waren, bis zu ihrer letzten Patrone gekämpft hatten. Zwei konnten noch lebend flüchten, und glaubten von einem befreundeten Beduinen geschützt zu werden, der in der Nähe sein Zelt hatte, dieser aber verriet die beiden und sie wurden noch in der gleichen Nacht ermordet und ihre Gebeine in einem Wadi verscharrt. Die beiden galten als vermisst und erst nach fünf Jahren und gründlicher Nachforschung gelang es, die Leichen der beiden zu finden und endlich zu begraben.

Fahrer in Zivilkleidung und die Palmachniks in der Uniform von Hilfspolizisten. (Karl Pfeifer hinten in der Mitte), Januar oder Februar 1948. Mit freundlicher Genehmigung von Karl Pfeifer.

Wir, die fünf Überlebenden unseres Zuges, wurden noch im Dezember in ein soeben von der Hagana errichtetes neues Lager am Hügel neben dem Kibbuz Nir Am überstellt. Nach den staubigen Feldwegen, auf denen wir mit einem alten Tender patrouillierten, um die Wasserleitung zu bewachen, erwartete uns eine neue Aufgabe, die zunächst leicht erschien.

Zunächst einmal glaubten wir nicht, dass es zu einem Krieg kommen würde. Man sprach von „Moraot", von Unruhen, und dachte, diese würden eine Fortsetzung dessen sein, was 1936-39 passiert war, d.h. wir erwarteten einen Kampf mit arabischen Banden. Tatsächlich schien das im Januar 1948 so zu sein. Der Verkehr zwischen jüdischen Ortschaften wurde massiv behindert, und wir konnten nur hoffen, dass die Briten Neutralität bewahren würden, obwohl wir viele von ihnen zu Recht verdächtigten, mit den Arabern zu sympathisieren. Zunächst aber begleiteten britische Ordnungskräfte unsere Karawanen von und bis Nir Am.

Ich war 19 Jahre alt und bereit, das zu tun, wofür wir ausgebildet worden waren. Doch auf die Begleitung von Karawanen durch arabische Dörfer, von wo aus wir von Heckenschützen beschossen wurden, waren wir nicht vorbereitet. Wenn uns die britische Armee begleitete, war das kein Problem. Wenn das aber nicht der Fall war, und das kam schon im Januar-Februar 1948 vor, dann bestand Gefahr. Zunächst – so unglaublich das heute klingt – hatte ich keine Angst und betrachtete unsere Tätigkeit als ein Abenteuer.

Noch kam am Ersten eines jeden Monats der britische Polizeioffizier und wir meldeten uns stramm mit einem Salut, bestätigten den Erhalt von sechs palästinensischen Pfund – wofür man damals eine Schweizer Uhr hat kaufen können – die uns aber bereits beim Ausgang von unserem Kassier abgenommen wurden. Wir erhielten davon nur zwei Pfund, was auch genügte. Am 1. März 1948 erhielt ich meinen letzten Gehalt von den Briten und der Kassier war nirgendwo. Ich fühlte mich plötzlich reich.

Geld haben wir eigentlich nicht gebraucht, wir wurden gut verköstigt, Seife, Zahnpasta und andere kleine Bedürfnisse wie Schreibpapier erhielten wir auch. Schokolade musste man sich aber selbst kaufen und das war auch kein Problem, solange die Straßen in den Norden offen waren. Im Kibbuz konnte man sich nichts kaufen.

In der Küche des Lagers bei Nir Am waren Mädchen im Freiwilligen-Einsatz, die uns bekochten bzw. im Stab der Negevbrigade arbeiteten, und die Anwesenheit des weiblichen Geschlechts trug bei zu einer Atmosphäre der Heiterkeit. Die meisten von uns waren noch keine 20 Jahre alt, und die Kommandanten waren auch nicht viel älter.

Im Januar und Februar war ich oft auf Patrouille eingeteilt. Wir gingen meistens in der Nacht hinaus in Richtung Gaza und warteten, ob Angreifer kommen würden. Manchmal, wenn aus einem Dorf geschossen wurde, pirschten wir uns an und schossen aus unseren kleinen 2inch Granatwerfern ein paar Granaten ab, um dann zurück in das Lager zu laufen. Die Araber – die nicht wie wir an Munitionsmangel litten – schossen dann die ganze Nacht aus allen Rohren, wir waren aber schon im Speisesaal, wo ein warmes Essen auf uns wartete.

Bei anderer Gelegenheit waren wir eingeteilt, Karawanen in den Norden, nach Rechovot oder gar bis Tel Aviv zu begleiten. Manchmal trafen wir dort Freunde und Freundinnen aus der Ersten Brigade, die auf der Straße Tel Aviv – Jerusalem tätig waren. Die Mädchen waren hier lebensnotwendig, denn manche britische Polizisten amüsierten sich damit, die Juden in einer Karawane zu entwaffnen und sie dann einer arabischen Bande lebend zu übergeben. Aber Mädchen zu durchsuchen, das widersprach der britischen Fairness. Und so versteckten die Mädchen Anfang 1948 die Waffen der Männer.

Die Nachrichten, die wir täglich in den Zeitungen lasen, waren nicht ermunternd, wir litten an einem schrecklichen Mangel an Waffen und Munition, während die Araber Waffen und Munition, fast ohne Behinderung durch die Briten, aus den Nachbarländern ins Land brachten. Es starben während dieser Periode viel mehr Juden als Araber.

Ende Februar oder Anfang März erhielten wir die ersten „Panzerwagen", die nichts anderes waren als Lastautos, die eilig in einer Garage mit Stahlplatten verkleidet worden waren. Es gab da ein paar kleine Schiessscharten, und drinnen war es dunkel und unheimlich. Meistens befand ich mich im „Panzer" am Kopf der Karawane. Wenn wir durch ein arabisches Dorf fahren mussten und durch eine Barrikade am Weiterfahren gehindert wurden, bestimmte der Kommandant einen „Freiwilligen", um diese wegzuräumen. Das war natürlich lebensgefährlich, denn die Araber und auch ein paar ehemalige kroatische und bosnische SS-Männer, die ihnen das Minensetzen beigebracht hatten, schossen auf uns aus unmittelbarer Nähe. Bei einer Gelegenheit, als ein ehemaliger Soldat der Roten Armee, ein baumlanger Junge, der 1947 in Berlin zu den Amerikanern geflüchtet war, um bei uns mitzukämpfen, aus dem Wagen sprang, um die Barrikade zu beseitigen, gelang ihm das mit einem Stoß, jedoch erhielt er aus nächster Nähe einen Schuss in den Hals. Wir alarmierten das Spital in Nir Am, doch er überlebte nicht. Fast täglich hatten wir einen oder mehrere Tote zu beklagen. Trotzdem war nach den Begräbnissen die Atmosphäre bald wieder heiter und gelassen, man konnte sich nicht der Trauer hingeben, am besten dachte man gar nicht nach, was einem alles passieren konnte.

Ein „Panzer". Vorne links Karl Pfeifer im März 1948. Mit freundlicher Genehmigung von Karl Pfeifer.

Noch im Februar trafen sich der Muchtar (Dorfrichter) von Brer (heute Brur Chajil), einem besonders feindlichen Dorf, und der Sekretär von Kibbuz Nir Am beim britischen Bezirksverwalter. Unser Vertreter, der natürlich den Standpunkt der Hagana vertrat, machte dem Muchtar von Brer den Vorschlag, alle Ortsfremden auszuweisen und den Frieden zu bewahren. Für diesen Fall sicherte er ihm Leben und Eigentum der Einwohner zu. Doch die Bewohner von Brer waren damals noch überzeugt, dass es ihnen gelingen würde, die Juden zu besiegen. Sie gingen nicht auf das Angebot ein, sondern behinderten den Verkehr noch mehr.

Ende März wurde auch ich im „Panzer" durch einen Schuss verletzt, zum Glück war es nur eine Fleischwunde. Die Araber hatten da bereits panzerbrechende Munition. Mir brachte die Wunde eine Woche Urlaub im Kibbuz Schaar Haamakim, wo ich mich erholte, um dann wieder zu meiner Einheit zu fahren. Die Fahrt in den Norden war auch nicht ungefährlich, fast überall wo Araber wohnten, wurde unser Autobus beschossen.

Der April 1948 brachte die Wende. Zwischen Nir Am und Ruchama wurde ein Flugplatz eingerichtet und die Briten – die schon mit ihrem Abzug beschäftigt waren – behinderten die Landung von Flugzeugen, beladen mit Waffen und Munition nicht. Das meiste kam aus der Tschechoslowakei, die für Dollars auch jene Waffen verkaufte, welche Skoda für die Wehrmacht produziert hatte, jedoch nicht mehr liefern konnte. Die Waffenmeister und einige Soldaten arbeiteten Tag und Nacht, um die Waffen zu reinigen. Zum ersten Mal in meinem Leben hielt ich damals ein deutsches Gewehr in Händen, das aber in der Wüste weniger praktisch war. Schon bei ein paar Körnchen Sand musste man das Gewehr putzen. Doch es war eine Freude zu sehen, dass wir auch viele Maschinengewehre und sogar leichte Kanonen erhielten. Die Lage auf den Straßen verschlechterte sich, wir konnten nur mehr mit britischer Begleitung in den Norden fahren, und Mitte April – als die Briten sich aus dem Negev zurückzogen, ging auch das nicht mehr.

Am Abend des 14. Mai – als der Staat Israel ausgerufen wurde - rief man unser Zweites Regiment zu einem Fahnenappell. Wir standen mit unseren Waffen in Reih und Glied, und der Regimentskommandant hielt eine kurze Rede über die Staatsgründung. Dann wurde die Fahne mit dem Davidstern gehisst und der Kommandant gab uns, den versammelten 800 Soldaten, den Befehl, sofort schlafen zu gehen, weil man uns in der Nacht wecken würde. Und tatsächlich, um 2 Uhr wurden wir geweckt. Ich war bei den zwei leichten Kanonen eingeteilt, mit einem nagelneuem Gerät, um die Entfernungen zu messen. Noch vor Sonnenaufgang griffen wir das Dorf Brer an. Als ich ins Dorf kam, waren nur noch ein paar alte Frauen da, einige von ihnen schwer behangen mit Goldmünzen. Wir erhielten den Befehl, ihre elenden Hütten – in denen es nur so von Ungeziefer wimmelte – zu durchsuchen. Wir erinnerten uns daran, dass man ihnen die Chance gegeben hatte, zu bleiben, wenn sie nur den Frieden bewahrt hätten. Doch das haben sie nicht getan, und so bedeutete man den alten Frauen ein paar Kilometer weiter, in den Gazastreifen zu gehen.

Auch wenn damals Araber Ortschaften verlassen mussten, war es keine flächendeckende bzw. gar strategisch geplante „ethnische Säuberung". Man muss bedenken, dass dies erst nach der arabischen Aggression geschah, und das in einem Kampfgebiet. Immerhin blieben doch 150.000 Araber, eine große Minderheit, wenn man bedenkt, dass damals lediglich 650.000 Juden im Land lebten. In den von Arabern verwalteten Gebieten durfte kein einziger Jude bleiben.

Am Vormittag kehrten wir nach Nir Am zurück. Wir mussten uns mit Petroleum beschmieren, um die Flöhe zu beseitigen.

Der Krieg hatte sofort nach der Unabhängigkeitserklärung mit dem Abwurf ägyptischer Flugblätter in hebräischer Sprache und mit der Bombardierung unseres Lagers und des Kibbuz Nir Am begonnen. Es gab Tote, und einem Palmachnik musste das Bein amputiert werden. Bis zum ersten Waffenstillstand schliefen wir in den Gräben. Der Negev war, nachdem Yad Mordechai nach einem heldenhaften Kampf gegen ägyptische Tanks gefallen war, abgeschnitten vom Norden des Landes.

Mitte August als ich mit einer alten Dakota aus dem belagerten Negev ausgeflogen wurde, beschoss uns die ägyptische Flak. Es war faszinierend zu sehen, wie die Geschosse unter uns explodierten.

Im Flugzeug, das Lebensmittel, Waffen und Munition in den Negev gebracht hatte, saßen wir auf primitiven Holzbänken. Um Mitternacht, nach nur kurzem Flug, landete das Flugzeug im damaligen Tel Litvinsky, heute Tel Nof. Mir schlug ein intensiver Geruch von Orangenblüten entgegen. Wir, die wir keine Ausweise, keine richtigen Uniformen hatten, kamen in einem Saal, wo uns gutes Essen und dann Ausweise und Uniformen erwarteten. Ich erhielt zwei Wochen Urlaub, und schon am nächsten Tag fuhr ich wieder in den Kibbuz Schaar Haamakim. Meinen Bruder – der in Jerusalem kämpfte – zu besuchen, wäre zu kompliziert gewesen.