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Reise in die tonale Vergangenheit

Julia URBANEK

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„Ich bin so glücklich, ich habe meinen Posten verloren", erklärte er der Familie fröhlich beim Nachmittagskaffee: „Mich bringt niemand mehr in ein Bankhaus". Und so war es dann auch: Der junge Mann saß niemals wieder hinter einem Schalter. Er hatte etwas ganz anderes vor: die Musikwelt umzukrempeln. Die Familie stand zuerst unter Schock und hatte für den Richtungswechsel des Sohnes wenig übrig. Aber sein Weg war nicht aufzuhalten: Arnold Schönberg sollte ihn nicht in einer Bankkarriere finden, sondern in der pulsierenden Künstlerszene der Jahrhundertwende. Schönberg war elektrisiert von den Komponisten, die die Wiener Musikwelt revolutionierten: Wagner, Mahler, Strauss. Und: Schönberg sollte selbst Schöpfer großer Werke werden, die Tonalität aushebeln und seine Technik der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Halbtönen entdecken, die allgemein unter dem Terminus „Zwölftonmusik" bekannt ist.

Sonderausstellung »Der junge Schönberg« © Arnold Schönberg Center, Wien

Nach Ausstellungen wie „Schoenberg in America", „Schönberg in Berlin" oder Der Maler Arnold Schönberg widmet sich das Arnold Schönberg Center im dritten Wiener Gemeindebezirk dem „Jungen Schönberg", seinen Wiener Jahren bis 1900, seiner Adoleszenz, der Zeit, in der Begegnungen und Erfahrungen besonders prägen. Die Schau stellt die zentrale Frage: „Wann wurde Schönberg zu Schönberg, der Romantiker zum Neutöner, der musikalische Autodidakt zum Enfant terrible der Wiener Musikszene?" Auf dieser Suche entdecken Besucher Unbekanntes und ein neues Bild des großen Schönberg, das das Bekannte komplettiert und untermauert. Schönberg beantwortete die gestellte Frage einmal selbst – groß prangt sein Zitat am Beginn der Ausstellung: „Einer hat es sein müssen, keiner hat es sein wollen, also habe ich mich dazu hergegeben". Fotos, Memorabilia und Zeitdokumente belegen die Umstände, unter denen Schönberg zu dem geworden ist, was ihn zu einer einzigartigen Figur der Musikgeschichte macht.

1874 wurde Arnold Schönberg in Wien als Sohn des aus Ungarn stammenden Schusters Samuel Schönberg geboren, seine Mutter Pauline Nachod kam aus Prag. Die Familie lebte im „freiwilligen Ghetto" Leopoldstadt (Zitat Joseph Roth) und wechselte dort mehrmals die Wohnung. Schönbergs Eltern waren nach der Aussage ihres Sohnes nicht mehr als „durchschnittlich musikalisch" - Musik war für sie eine nette Freizeitbeschäftigung - und ließen ihm „ungewöhnlich wenig Förderung" angedeihen, als sich seine Veranlagung herauskristallisierte. Allerdings waren es die Eltern, die ihm einen ersten Kontakt zur Musik eröffneten, indem sie ihn und seine Schwester Ottilie Geige lernen ließen. Erst später kaufte sich Schönberg um ein paar Gulden auf einem Tandelmarkt sein erstes Cello.

Arnold Schönberg und sein Mentor Alexander Zemlinsky (1917) © Arnold Schönberg Center, Wien

Der junge Arnold war im Wesentlichen auf sich allein gestellt und begann mit acht Jahren als Autodidakt zu komponieren. „Im Gegensatz zu vielen Familien, die Wunderkinder hervorbrachten, fand sich in der meinigen niemand, der sich für mich verwendet hätte". Schönberg war also auf sich selbst angewiesen: Er saugte alles auf, was sich ihm bot: „Deshalb sind alle Kompositionen, die ich vor meinem siebzehnten Jahr geschrieben habe, nichts als Imitationen solcher Musik, die mir zugänglich war". Diese Kontakte zur Musik wurden auch durch räumliche Nähe geschaffen: Im Augarten oder im Prater unweit der Wohnung der Schönbergs spielten Militärmusik-Kapellen, die öffentliche Konzerte gaben und so einen „Gratis-Zugang" zu Live-Musik ermöglichten. Schönbergs Freund David Josef Bach erinnert sich an seine erste Begegnung mit Schönberg im Prater: „Vor dem ‚Ersten Kaffeehaus’ im Prater stand mit anderen Zaungästen ein junger Bursch, in hellgelbem kurzen Überrock, sprach laut von der Musik und über sie, die aus dem Gartenpavillon herüberscholl. Dies ist meine erste Erinnerung an Arnold Schönberg […] Wir standen damals alle, Siebzehn- und Achtzehnjährige, vor dem Zaun, um gratis Musik zu hören. Ein junger Kapellmeister [..] spielte Bruchstücke aus Wagner, einmal sogar aus den Meistersingern, im Jahre 1891 oder 1892[…] Für die allermeistem unter uns war es die einzige Möglichkeit ein bisschen Musik zu hören. […] Wir waren arme Hunde, aber jung, lebenshungrig und zukunftssicher", schrieb Bach 1934. Schönberg selbst war nicht aufzuhalten, wenn es darum ging, musikalische Eindrücke in sich aufzusaugen. Soweit es seine finanziellen Möglichkeiten erlaubten, kaufte er Noten und schrieb dann kleinere Stücke, imitierte, was er vom Hören und Lesen kannte. Ein neues Universum erschloss sich ihm, als er mit Kollegen aus der Schule zu musizieren begann: er schrieb Trios für Streicher und – nachdem er durch Partituren Beethovens, die er sich von seinem Ersparten gekauft hatte, von „einem Drang besessen" war - auch Streichquartette. Fast rührend gestaltet sich dieser Weg: „Natürlich fing ich sogleich an, Streichquartette zu schreiben. In der Zwischenzeit hatte Meyers Konversationslexikon (eine Enzyklopädie, die wir auf Raten kauften) den langersehnten Buchstaben ‚S’ erreicht und ermöglichte es mir, unter ‚Sonate’ zu erfahren, wie ein erster Satz eines Streichquartetts gebaut sein soll", schreibt Arnold Schönberg 1949.

Schönbergs autodidaktisches Arbeiten nimmt neue Dimensionen an, als er seinem späteren Lehrer Alexander von Zemlinsky begegnet: Er „ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke", schreibt Schönberg in seinem „Rückblick" 1949. Zemlinsky hatte damals ein Amateurorchester gegründet: „Polyhymnia": „Wir waren alle musikhungrig und jung, und musizierten recht und schlecht, jede Woche einmal, drauflos", schreibt Zemlinsky in seinen „Jugend-Erinnerungen".

1897 entstand ein Streichquartett in D-Dur, das als Schönbergs „Gesellenstück" bei Zemlinsky gilt – im März 1898 kam es zu einer privaten Uraufführung durch den Wiener Tonkünstlerverein, im Dezember folgte die öffentliche Erstaufführung im Bösendorfersaal des Musikvereins.

Johannes Brahms, der damals Ehrenpräsident der Wiener Tonkünstlervereins war, spaltete vor der Jahrhundertwende die Musikwelt: Man war „Brahmine" wie die Konservativen oder „Wagnerianer" wie die fortschrittlicheren Denker. Schönberg, der spätere „konservative Revolutionär" entschied sich vorerst für Brahms, der in der Beethovenschen Tradition stand. Bis er Zemlinsky traf: „Als ich ihn kennen lernte, war ich ein ausschließlicher Brahmsianer. Er aber liebte Brahms und Wagner gleichermaßen, wodurch ich darauf ebenfalls ein glühender Anhänger beider wurde. Kein Wunder, dass die Musik aus dieser Zeit deutlich die Einflüsse dieser beiden Meister zeigte, mit einem gelegentlichen Zusatz von Liszt, Bruckner und vielleicht auch Hugo Wolf", schreibt Schönberg. Schönberg entzog sich zwar der offensiven Wagner-Verehrung, bekannte aber später, im Alter von 25 Jahren, also zur Jahrhundertwende, schon alle Opern Richard Wagners an der k. k. Hofoper 20 bis 30 Mal gehört zu haben.

Zemlinsky sollte für Schönberg noch in anderer Hinsicht prägend sein: 1901 heiratete Arnold Schönberg Zemlinskys Schwester Mathilde – eine Ehe, die nicht vom großen Glück gezeichnet war: Schönberg erlebte die intensivste Phase seiner künstlerischen Tätigkeit, Mathilde tröstete sich mit dem Maler Richard Gerstl. Nachdem Mathilde 1923 gestorben war, heiratete Schönberg 1924 ein zweites Mal: die Schwester seines Schülers Rudolf Kolisch, Gertrud Kolisch.

Romantik war für den jungen Schönberg eher eine Sache der Musik als der Gefühle. Der junge Mann scheint wie getrieben vom Gedanken zu komponieren: Musiknoten scheinen ihm alles zu bedeuten, Banknoten zum Leidwesen der Mutter nichts: „Frau Schönberg, am besten nehmen Sie Ihren Sohn wieder heraus, er kritzelt mir alles mit Noten voll", soll Schönbergs Arbeitgeber, der Bankdirektor der Commanditgesellschaft Werner und Co., Schönbergs Mutter geklagt haben. Er blieb bei den Musiknoten, ein Leben lang: Musikautografen, wild durchgestrichene Notizen und feinsäuberliche Widmungen sind es auch, die man in der Ausstellung betrachten kann: Scherzi, Quintette, Walzer, eine Skizze zum Streichsextett „Verklärte Nacht": tonale Grüße aus der Vergangenheit, die kaum erahnen lassen, was folgte.

Ein Zeitsprung führt in den hintersten Raum: Schönberg in Los Angeles im Jahr 1948, drei Jahre vor seinem Tod. Auf den Fotos von Richard Fish, die für einen Bericht gemacht wurden, der nie erschienen ist, sitzt Schönberg an seinem Schreibtisch, unterrichtet oder trifft seine Kinder auf dem Tennisplatz. Dazwischen liegen bewegte Jahre: Die „Gurrelieder", die Entdeckung der „Atonikalität", wie Schönberg selbst die nicht tonartenbezogene Musik nannte, die „Zwölftonmusik", Opern wie „Moses und Aron", seine vier Streichquartette, 1933 die Emigration in die USA. Ein reiches Leben zeichnet sich auf Schönbergs kantigem Gesicht ab - ein Leben für die Kunst, in dem die Musik die Hauptrolle spielte.

„Der junge Schönberg" Die Wiener Jahre bis 1900

Ausstellung des Arnold Schönberg Center Palais Fanto Schwarzenbergplatz 6, Eingang Zaunergasse 1-3, 1030 Wien www.schoenberg.at

Bis 4. Jänner 2008

Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr,
Feiertags sowie 24. und 31.
Dezember geschlossen