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Video Art

Tina WALZER

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DAVID: Sie leben in Israel, Deutsch ist Ihre Muttersprache. Sind Sie Israelin?

Felice Naomi Wonnenberg: Ich wurde auf Sylt gezeugt und in Köln geboren. Nach Israel ging ich als Erwachsene, weil ich links bin, aber auch Zionistin. Deshalb habe ich Aliya gemacht. In Israel ist der Zionismus heute ja rechts, die Künstlerszene aber links. Das wirft natürlich eine Menge Widersprüche auf. Ich persönlich habe nichts gegen einen eigenen palästinensischer Staat, parallel zu Israel hoffentlich friedlich koexistierend. Ich bin für mehr Chaos in der Welt, für mehr Widersprüche.

DAVID: Was hat Ihre künstlerische Entwicklung beeinflusst?

Felice Naomi Wonnenberg: Israel ist sehr klein, aber nicht provinziell. Es hat eine gut vernetzte, internationale Kunstszene, und die israelischen Künstler sind international stark repräsentiert. Als Künstler stößt man hier seltener an gläserne Wände wie in London, Berlin oder Düsseldorf. Man kommt mit den Leuten in Israel schneller ins Gespräch, hier läuft alles viel chaotischer, ohne jahrelange Planung. Es passiert einfach sehr viel spontan. Vieles ist möglich, was in anderen Ländern für junge Künstler oft unmöglich ist, wo junge Künstler gar keine Möglichkeiten finden. In Israel herrscht eine chaotische Offenheit.

Selbstportrait. Foto: Felice Naomi Wonnenberg

DAVID: Seit wann sind Sie als Künstlerin aktiv?

Felice Naomi Wonnenberg: Ein Künstler ist „Opfer seiner Triebe" um es mit Brecht zu sagen. Bereits als ich noch in Berlin lebte begann ich, Experimentalfilme zu machen. Ich arbeitete mit Videos im Krankenhaus, da ich selbst ans Krankenbett gefesselt war. Das war der Beginn meiner Video-Kunst. Aus der liegenden Position hielt ich meine Erfahrungen des Gefesselt- Seins und der Monotonie im Krankenhaus fest.

DAVID: Von welchem Punkt sind Sie gestartet?

Felice Naomi Wonnenberg: Ich ging meinen Weg von der klassischen Schule der Fotografie hin zur digitalen Video-Kunst. Später, in Israel, hatte ich kein Geld mehr; verschiedene Dinge waren geschehen. Ich war gezwungen, Videos ohne Video-Kamera zu machen, denn meine Kamera war kaputt, und ich konnte mir keine Reparatur leisten. So entstanden zwei Arbeiten. Eine davon, Kvetshing (Complaining) to Gertrud Stein (2007), setzt sich humorvoll-kritisch mit der Situation des Künstlers und der Anatomie des Kunstmarktes auseinander: Alle bekommen Geld, nur der Künstler nicht. Ausgangspunkt dieser Arbeit war eine Einladung, die ich vom New Yorker Museum of Modern Art bekam, dort meine Arbeiten zu zeigen. Das israelische Außenministerium bezahlte meinen Flug als Förderung für eine ausgezeichnete israelische Künstlerin. Meine Reisekosten waren damit aber nicht gedeckt. Trotzdem lehnte ich die Einladung nicht ab, schließlich ist das Museum ja sehr renommiert. Mein Bankkonto war nach dieser Reise überzogen. Ich musste einen völlig kunstfremden Job annehmen, um die Schulden, die mir aus dieser Ausstellung entstanden waren, wieder abzuarbeiten und ich hatte keine Zeit mehr für meine Kunst. Aus Wut über diese Zwangslage begann ich Videos ohne Video-Kamera zu machen.

Kvetshing to Gertrud Stein, Standbild. Mit freundlicher Genehmigung Felice Naomi Wonnenberg.

DAVID: Wie geht denn das?

Felice Naomi Wonnenberg: Ich benutzte den gewöhnlichen Touristen-Fotoapparat eines Freundes, ausgerüstet mit einem movie- Modus. Damit kann man Kurzfilme von 1 Minute und 10 Sekunden Dauer aufnehmen. So lange läuft das, dann ist die Speicherkarte voll. Ein solcher Kurzfilm wurde Kvetshing to Gertrud Stein. Gertrud Stein wurde ja von Pablo Picasso portraitiert, sie war die erste Picasso-Sammlerin, als er selbst noch arm war. Später ist sie selbst verarmt, als Jüdin, versteckt in Paris. Sie musste ihr „Apfel-Bild" von Paul Cezanne verkaufen. Zum Trost malte ihr Picasso ein neues Apfel-Bild, das viel mehr wert war als der Cezanne. Gertrud Stein war eine ganz bedeutende Förderin des Kubismus, und sie war 32 Jahre alt, als Picasso sie portraitierte. Auch ich war 32 Jahre alt, als ich völlig verarmt aus New York zurückkehrte. In dem Kurzfilm stehe ich vor Gertrud Steins Portrait und frage sie, was ich jetzt tun soll, so arm wie ich bin. Das war dann das erste Kunstwerk , das ich an einen Sammler verkauft habe. Interessant, nicht? Gerade jene Arbeit über die Anatomie des Kunstmarktes!

DAVID: Sie unterrichten auch Kunst?

Felice Naomi Wonnenberg: Ich halte kunsthistorische Vorlesungen im Rahmen des Erwachsenenbildungs- Programms von Yad Vashem. Das ist für mich eine schöne Herausforderung, interessante Themen zu suchen.

DAVID: Haben Sie ein Verhältnis zu Österreich?

Felice Naomi Wonnenberg: Die Antwort auf diese Frage verweigere ich! Ich bin weder Israelin noch Deutsche. Das Nationalitäten-Konzept ist ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Grenzen und Pässe sind lediglich Ausdruck des Bestrebens, den Reichtum in Europa zu bewahren. Für meine Identität ist die Frage der nationalen Zugehörigkeit belanglos. Ich fühle mich mehr als Hase denn als Israelin. Obwohl es mir sehr wichtig ist, in Israel zu leben.

DAVID: Was hat es mit dem Hasen – das Symbol der rotating rabbits [vgl. DAVID Heft 76, Jg. 2008, Pessach-Ausgabe] ist ja eine Schlüsselikone Ihrer Identität- auf sich?

Felice Naomi Wonnenberg: Das ist genetisch! Schon mein Opa, und dann mein Vater malten immer, statt ein Schriftstück mit ihrem Namen zu unterzeichnen, einen Hasen. Auch für meine Schwester ist der Hase ihr Lieblingstier. Das Symbol der drei Hasen ist universell. Der Kreis als Zeichen der Unendlichkeit bietet einen interessanten Ansatz, existentiellen Problemen zu begegnen. Der Hase setzt dem Tod schließlich eine sehr schöne und freundliche Überlebenstaktik entgegen: wilde und sexuelle Liebe. Als Antwort auf den Tod ist das zugleich auch eine sehr menschliche Art, mit dem Tod umzugehen. Das macht mir die Hasen sehr sympathisch.

DAVID: Sie sprachen vorhin von zwei Arbeiten. Was war denn das zweite Video ohne Kamera?

Felice Naomi Wonnenberg: Das war „Skype me tonight, OK?" (2007) Es wurde komplett mit einer webcam gefilmt. Mein laptop verfügt über eine eingebaute webcam. Die Video-Kamera war nämlich nach wie vor kaputt. In dieser Arbeit setzte ich mich mit dem Phänomen der Bekanntschaften, die man über das Internet schließen kann, auseinander. Es hat mich interessiert, wie diese virtuelle Phantasie-Blase über den anderen entsteht und sich weiter entwickelt. Skype- Freunde gibt es. Meine Arbeit portraitiert eine Liebesgeschichte via Skype. Was bei einer solchen Annäherung herauskommt, ist keine Beziehung, sondern eine Art großer Einsamkeit. Jeder ist alleine, auf seiner Seite der Mattscheibe. Abgefilmt wurde der Monitor des Mannes mit dem Bild der Frau. An einer Stelle greift der Mann den Monitor an, um die Frau zu streicheln – es ist aber nur der Computer. „Skype me tonight, OK?" wurde unlängst in den USA als bester experimenteller Film ausgezeichnet.

„Skype me tonight, OK?" Standbild. Mit freundlicher Genehmigung Felice Naomi Wonnenberg.

DAVID: Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Felice Naomi Wonnenberg: Meine Kamera ist jetzt endlich repariert. Die neuen Videos gehen stark in die gender-Richtung. So entstehen Bilder von weiblicher Sexualität zwischen Bourgeoisie und Aggression. Putting on Make-Up (2008) zeigt das Schminken des Mundes mit Lippenstift. Dort endet es aber nicht. Der Stift malt immer weiter. Aus dem Mund wird der traurige Mund eines Clowns, dann wird es ein Soldat mit camouflage, dann eine Wunde über dem Auge. Die rote Farbe des Lippenstiftes verändert schließlich das Gesicht sehr stark, am Ende hat sich das ganze Gesicht in eine große rote Wunde verwandelt. Diese Arbeit wird im Dezember in Haifa gezeigt. In das gender- Thema gerate ich ohne besondere Planung immer tiefer hinein. Ich fange gerade an, meine Dissertation zu schreiben: „It‘s Hard To Be a Jewish Hero - Jewish Gender Images in Film and Video" mit einem Stipendium des israelischen Immigrations-Ministeriums und werde vermutlich an einer europäischen Universität abschließen. Die Arbeit ist mit einem Forschungsprojekt bei Yad Vashem verbunden.

DAVID: Wir wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg!

Felice Naomi Wonnenberg lebt in Tel Aviv und Berlin, wo sie als bildende Künstlerin und Kunstkritikerin arbeitet. Sie ist Dozentin am Holocaust Forschungsinstitut Yad Vashem in Jerusalem, wo sie regelmäßig kunsthistorische Vorlesungen im Rahmen des Lehrerfortbildungsprogramms der Institution abhält, und arbeitete in der Museumspädagogik im Jüdischen Museum Berlin, im Israel Museum und im Diaspora Museum Tel Aviv. Sie studierte an der Hochschule der Künste Berlin Kunst und englische Literatur und wurde 2001 mit einem Meisterschülertitel der Akademie ausgezeichnet. 2003 erhielt sie den Preis für künstlerische Innovation von 3SAT für ihren Kurzfilm „Das Leben einer Schildkröte im Nahen Osten", der mehrfach auf 3Sat ausgestrahlt wurde. 2007 – 2008 wurden ihr fünf Stipendien und Auszeichnungen für herausragende künstlerische Leistungen vom Israelischen Staat verliehen. Ihre Kunst wurde in über 35 internationalen Museen, Festivals und Galerien gezeigt, u.a. 2007 im Museum of Modern Art New York. Kontakt: felice.naomi@yahoo.com, http://felice.naomi.googlepages.com

Das Interview führte Tina Walzer.