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"LA JUIVE" - Ein Erfolg geht in die zweite Runde!

Oliver LÁNG

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Einmütige Achtung und Anerkennung fremder Meisterwerke sind eher selten Merkmale großer Komponisten, noch weniger, wenn es sich um Schöpfungen prominenter Zeitgenossen handelt; die nicht musikalische Bibliothek so manchen Tonsetzers ist voll bissiger und mehr oder minder qualifizierter Bemerkungen, wenn es sich um das Schaffen eines Kollegen dreht. Nein, da ging es nicht immer um Richtungsstreitigkeiten oder tiefgreifende Zerwürfnisse in Sachen des musikalisch Richtigen oder Wahren, vielmehr - auch geniale Künstler sind eben nur Menschen - stehen Karrierestreben und Erfolgsneid oft an erster Stelle. Was eine Claque ist, darüber können Theaterbesucher spätestens dann ein trauriges Lied singen, wenn sie so manch hochgeputschte Musiktheaterpremiere abseits der beiden großen Häuser Wiens, etwa im leichteren Unterhaltungsfach, erlebt haben. Doch wer denkt, ein diffiziles Mikromarketing wäre erst Ende des 20. Jahrhundert geboren, der sollte sich den Begriff des "Dormeur" vor Augen halten, jene etwas skurrilen, bezahlten Figuren in den Zuschauerräumen im Paris des 19. Jahrhunderts, die bei Opernpremieren vornehmlich eines zu tun hatten: ein Schläfchen zu absolvieren, und das, bitteschön, möglichst publikumswirksam. Und wenn sich davor und danach auch noch ein kleineres oder größeres deutliches Gähnen einfand, dann war der Job bestens erledigt. Bezahlt wurden diese "Dormeure" natürlich von der Konkurrenz, die demonstrieren wollte, wie blutleer und langweilig doch die Oper dieses oder jenes Komponisten wäre. Und dennoch: Es gab immer wieder Werke in der Musikgeschichte, die von Fachkollegen nur breitestes Lob erhalten haben, die über persönlicher Konkurrenz, Missgunst oder Fehde standen und einen besonderen Glanz der Einmaligkeit bargen, der sie gleichsam außerhalb menschlicher Emotionalität und Berechnung stellte. So Fromental Halévys "La Juive". Man greife einfach einen beliebigen Komponisten heraus: Liszt, Wagner, Berlioz, Mahler... - nur Lob. Also: Ein totaler Erfolg, eine Sensation, eine Wegmarke auf dem Vormarsch der französischen Oper!

Ensemble LA JUIVE

Doch wie wundersam ist die Geschichte, wie erstaunlich ihr Lauf und wie traurig sind manchmal ihre Hakenschläge. Ein Publikum einer Weltmetropole ist außer sich, nein, nicht nur einer Metropole, gleich mehrerer, das Werk steht auf den Spielplänen aller wichtigen Häuser, um dann, wie mit einem Schlag, zu versinken. Oder, Hand aufs Herz, wer hatte in Wien "La Juive", ausgenommen vielleicht der Arie "Rachel, quand du Seigneur", wirklich genau gekannt, bevor Staatsoperndirektor Ioan Holender, der wohl seit Jahrzehnten erfolgreichste Direktor dieses Instituts, das Werk neu auf seine Bühne hievte? In der Renaissance der einstigen großen Erfolge im Bereich der Grand Opéra ging er also den Weg konsequent weiter, den er mit "Rienzi", "I vespri siciliani", "Le Phrophète", "Guillaume Tell" erfolgreich begangen hatte; wesentliche Opern, die kein leichtes Leben in der Wiener Musikwelt haben, die oftmals auch in letzter Zeit kritisch hinterfragt worden waren und doch immer bewiesen hatten, dass sie zum wesentlichen Stock der Literatur gehören und ihren Platz im Opernhaus, vielleicht sogar im Repertoire verdienen. 

Doch werfen wir einen Blick zurück und schauen uns an, wie alles begann: Fromental Halévy (1799-1862), Sohn des deutsch-jüdischen Dichters und Denkers Elias Levy, Schüler Cherubinis und Méhuls, kam 1822 nach Wien, wo er mit Beethoven zusammentraf, schuf mit seiner Oper "La Juive" (Die Jüdin) im Jahr 1835 den durchschlagendesten Erfolg seines Lebens. Gemeinsam mit dem ebenso genialen Vielschreiber Eugène Scribe brachte er das Pariser Opernpublikum zum Toben und wurde als wesentlicher Komponist der ersten Phase der Grand Opéra zum ernsthaften Konkurrenten Giacomo Meyerbeers. 150.000 Goldfrancs soll die Ausstattung der "Juive" gekostet haben, beinahe zwei Dutzend von einem Zirkus ausgeliehene Pferde waren mit dabei, und es war Franz Grillparzer, der nach der Pariser Uraufführung der Oper in sein Tagebuch schrieb: "Aber welche äußere Ausstattung! Die Dekorationen Wirklichkeiten, aber nein: Bilder. ... Hier malt man das Licht, die Steigerung und die Beiläufigkeit gleich von vorneher in die Dekoration hinein!" Halévy, der Lehrer von Komponisten wie Gounod, Saint-Saëns, Lecocq oder Bizet war, hatte insgesamt an die 40 szenischen Werke für die Bühne geschrieben, konnte aber kein zweites Werk zu solch einem Erfolg führen.

Shicoff und Isokoski

Worum geht es nun in dieser hochgelobten "Juive"? Eugène Scribe wählte die Zeit der Hussitenkriege und des Konzils von Konstanz (1414), in der er religiöse, richtiger: menschliche Fehlleistungen grell auf die Bühne brachte. Ein römischer Schurke Brogni lässt aus religiösem Fanatismus die Kinder des jüdischen Goldschmieds Eléazar töten, dieser wiederum nimmt dessen verloren geglaubte und christlich getaufte Tochter Rachel bei sich auf und erzieht sie jüdisch. Léopold, der Reichsfürst, verführt diese in jüdischer Verkleidung, hat jedoch nicht den Mut und Charakter, zu ihr zu stehen. Als Rachel nun das Verhältnis offenlegt, werden sie, Léopold und Eléazar mit einem Bannfluch belegt. Rachel nimmt ihre Aussage zurück, rettet den Reichsfürsten, wird jedoch gemeinsam mit ihrem vermeintlichen Vater ermordet. Dieser offenbart dem inzwischen gebesserten und zum Kardinal avancierten Brogni die Wahrheit über Rachel: Sie war die Tochter Brognis!

Shicoff und Isokoski

Auch in Wien, wo schon mehrere Werke von Halévy mit mäßigem Erfolg erklungen waren, feierte "Die Jüdin" einen durchschlagenden Erfolg. Wobei man bemerken muss, dass die Zensur die Oper ziemlich zerzauste und entstellte und das Werk nicht in Originalsprache zu erleben war. Doch es dauerte nicht einmal 20 Jahre, da hatte die Oper bereits die magische Aufführungszahl 100 an der Hofoper überschritten, Gustav Mahler, ein Bewunderer des Werkes, brachte sie erneut auf den Spielplan, der unvergleichliche Leo Slezak übernahm die Rolle des Eléazar. Und welch ein Namenreigen in der Besetzung der Tochter Rachel: Maria Jeritza, Lotte Lehmann, Maria Nemeth, Rose Pauly... Bis 1933 wurde die Oper gespielt, dann verschwand sie vom Spielplan. Danach der Nationalsozialismus, der das Werk bannte und durch diesen Akt beinahe in seiner Lebenskraft tötete, denn nach der Befreiung Österreichs und damit auch der Befreiung der Kunst schien die Oper lange nicht mehr auf Programmzetteln auf, sehr lange, erst in den 80er Jahren waren an der Staatsoper zwei konzertante Aufführungen zu hören (mit José Carreras, Sona Ghazarian, Cesare Siepi), dann wieder eine große Stille. 1999 hauchte Ioan Holender ihr neues Leben ein - und was für eines! Denn die Besetzung, die das Haus am Ring aufbot, war so einmalig, so treffend, dass der Erfolg bereits in der Stunde programmiert war, als die Verträge der Künstler unterschrieben wurden. "Renner von einst zu entdecken" titelte da Österreichs Kritikerpapst Karlheinz Roschitz in der Neuen Kronen-Zeitung und schrieb über den triumphalen Erfolg der Sänger ebenso euphorisch wie sein Kurier-Kollege, der inzwischen verstorbene Musikkritiker Franz Endler. Die bekannte australische Dirigentin Simone Young, die als erste Frau überhaupt eine Opernpremiere am Haus am Ring leitete, führte den Starreigen an, das Feuerwerk wurde mit Neil Shicoff (als Eléazar) und Soile Isoloski (Rachel) gezündet, ein Sängerpaar, das diese tragische, ja erschreckende Geschichte so einmalig und unvergleichlich sang und spielte, dass nicht nur die Wiener Tagespresse voll des Lobes war. Ja, es war wieder eine von Shicoffs Lebensrollen, die er bis in die letzte Nervenendung, bis ins letzte Detail mit seiner gesamten Kraft und Seele ausfüllte und verinnerlichte. "Eine Sternstunde der Gesangskunst", so schrieb die Stuttgarter Zeitung, und der Sänger, dessen Ausspruch, nicht aufzutreten, wenn er nicht 110 Prozent geben könne, ebenso bekannt ist wie seine Absagen, schuf eine Figur mit solch großer Intensität, solcher Plastik und einzigartig glühender Leidenschaft, dass jeder, der sie nach ihm interpretiert, sich diesem Giganten nur mit Achtung stellen kann. Soile Isokoski: Kein Deut hinter ihm, "makellos schöner Sopran", "berührend tiefe Empfindungen", "sie singt, dass einem das Herz bricht", so die Zeitungen. Und Regisseur Günter Krämer, der in der vergangenen Saison nicht nur "Jonny spielt auf", sondern auch "Tristan und Isolde" an der Wiener Staatsoper inszenierte, sowie am Theater in der Josefstadt Molières "Der Menschenfeind", schuf ein psychologisches Kammerspiel, das wohl das genaue Gegenteil des Pomptheaters des 19. Jahrhunderts darstellte und gerade dadurch zeigte, wie vielfältig man dieses Werk sehen kann. Doch noch einen wesentlichen Erfolg sollte diese Produktion der Wiener Staatsoper feiern: An insgesamt 13 Abenden im Jänner/Februar 2000 war die Oper an der New Israeli Opera (in dem 1500-Plätze-Haus mit guter Akustik gastieren regelmäßig Gäste aus den großen europäischen Opernhäusern) in Tel Aviv zu sehen, Michael Sylvester und Francesco Casanova sangen abwechselnd den Eléazar, Krassimira Stoyanova und Hasmik Papian die Rachel. Und die Aufführungen wurden, wie zu lesen war, als Ereignis behandelt. Für viele auch ein politisches Zeichen, das in einer Zeit, in der die Angst vor einem Bundeskanzler Jörg Haider besonders groß war, als ein wichtiger Akt gewertet wurde. Und vor allem: Staatsopernchef Ioan Holender sprach sich für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen aus, ein Versprechen, das auch im Jahr 2002 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kunst-Staatssekretär Franz Morak, dem israelischen Kulturminister Matan Vilnai und dem Bürgermeister von Tel Aviv Ron Huldai in Israel wiederholt wurde. Und gerade solche Projekte fördern ja bekanntlich die Zusammenarbeit und die Vertiefung zwischen Staaten, bemerkte Franz Morak bei dieser Gelegenheit. Denn, so Morak weiter, die Kunst könne ein "Meilenstein sein, um die Welt besser zu machen als sie ist..."

Shicoff, Todorovic und Isokoski

Bundespressedienst des Bundeskanzleramtes, Fotos: © Axel Zeininger, Wiener Staatsoper