Am 1. Juli 1244 verlieh Herzog Friedrich von Österreich, Steiermark und Krain den Juden ein Privileg1 , in dem unter § 14 festgelegt wurde, dass ein Christ zum Tode verurteilt und sein ganzes Vermögen eingezogen werden soll, wenn er den Judenkirchhof verwüstet (...item si christianus cimeterium Judeorum quacumque temeritate dissipaverit aut invaserit, in forma iudicii moriatur, et omnia sua proveniant camere ducis, quocumque nomine nuncupentur...)2. Zwar können wir anhand von schriftlichen Quellen jüdisches Leben in Wien und Umgebung ab 1187 nachweisen3 , jedoch eindeutige Beweise für das Vorhandensein eines jüdischen Friedhofs gerade in Wien bis zum Jahre 1349 konnten noch nicht erbracht werden. Es lässt sich auch nicht mehr feststellen, wie viele Juden mit dem jüdischen Münzmeister Schlom in Wien um 1200 gewohnt hatten, wir wissen nur, dass 1196 Schlom und fünfzehn seiner Glaubensgenossen von durchziehenden Kreuzfahrern ermordet wurden4 . Ihre Leichen bestattete man vermutlich noch auf eigenem Grund in Einzel- oder Familiengräbern. Es könnte aber genauso der (wenn auch traurige) Anlass zum Anlegen eines eigenen "zentralen" Judenfriedhofs in Wien gewesen sein. Dank einer Urkunde aus dem Jahre 1204 lassen sich zwar vier Grundstücke im Besitz des Münzmeisters nachweisen, ob sich jedoch auf einem der Gründe gar ein beth hachajjim (Haus des Lebens/Grab) befunden hat, lässt sich nicht mehr bestätigen. Die Besitzungen Schloms lagen "neben der Judenschule nach der Donau zu", also außerhalb der Stadtmauer5. Da somit die Juden am Anfang des 13. Jahrhunderts in Wien bereits eine Synagoge besaßen, liegt die Vermutung nahe, dass zu dieser Zeit auch ein gemeinsamer Friedhof vorhanden war. Immer wieder tauchten - bestärkt durch das Auffinden von einzelnen Grabsteinen - Vermutungen auf, der eine oder andere Stein würde der Beweis für die Existenz eines mittelalterlichen Friedhofs in Wien sein. Diese einzelnen Grabsteine beweisen aber nur, dass Juden in Wien anwesend, gesiedelt und (eventuell in Einzelgräbern) bestattet wurden6. Wann der Judenfriedhof, der zwischen dem Kärntnertor7 und dem Widmertor8 lag, angelegt wurde, ist uns nicht bekannt.
Selbst spätere Privilegien, wie etwa die von Premysl Ottokar, dem Marktgrafen von Mähren und Sohn des Königs von Böhmen, lassen nicht auf die Existenz eines Judenfriedhofes in Wien schließen. Das Privileg vom 29. März 1254 bestätigt mit einigen Ausnahmen den Juden ihre Rechte aus der Judenordnung Friedrichs vom 1. Juli 1244, der Paragraph 14 kommt jedoch in Ottokars Privileg nicht mehr vor - von einem Judenfriedhof ist also nicht (mehr) die Rede. Hingegen wird auch auf die Totenüberführung eingegangen. Im Paragraph 13 des Privilegs von 1254 heißt es: "Item ob die Judn nach irr gewonhait ettlich nach irn toden vons tatt zu statt oder von gegent zu gegent oder von lant zu lant fuertn, Ob aber In ain mautter ichts ab wolt nötn, der sol als ain rauber püest werden"9 . Diese Genehmigung, die Leichen mautfrei von Ort zu Ort zu überführen, sagt nur, dass man die Toten in einem bestimmten Ort oder in ein bestimmtes Land überführte, Namen von Orten oder Ländern werden nicht erwähnt. Selbst Ignaz Schwarz kann, als er über das Judenviertel in Wien schreibt, nur vermuten, dass der erwähnte Friedhof im Friedericianum identisch ist mit dem erst 1368 eindeutig nachgewiesenen Judenfriedhof am Kärntnertor10 , schlüssige Beweise konnte auch er nicht geben.
Erst zur Pestzeit hören wir wieder von einem Judenfriedhof in Wien, der nun schon eher als der Friedhof am Kärntnertor angesehen werden kann. Der Judenhasser Konrad von Mengenberg berichtet aus dem Jahre 134911 , dass auch unter den Juden die Sterblichkeit sehr groß gewesen sei und sie dadurch gezwungen gewesen wären, den Grund ihres Friedhofs durch den Zukauf von zwei Häusern zu vergrößern (auf die Lage des Friedhofs ging er nicht ein). Interessant ist auch der Hinweis von Konrad, dass die Wiener Judengemeinde zu dieser Zeit die größte "in deutschen Landen" gewesen sei. Zu Pestzeiten kursierten in der Bevölkerung immer wieder Geschichten über das Entstehen der Pest, so etwa eine Geschichte über eine "Pestjungfrau, die Gift streute12 " oder über Juden, die angeblich Brunnen vergiften würden und so an der Seuche Schuld seien (dass aber auch viele Juden an der Pest starben, das wollte man nicht zur Kenntnis nehmen). Diese Gerüchte reichten bereits 1348 aus, um die Juden in Deutschland und Ungarn, meist schon bevor die Pest in eine Stadt "Einzug" gehalten hatte, zu verfolgen, ihnen ihre Besitzungen wegzunehmen und sie zu ermorden. In Österreich waren die Juden durch Albrecht II. besser beschützt, sodass viele Juden aus den angrenzenden Ländern in Österreich Zuflucht suchten. Hier wurden Sie von der Seuche eingeholt, was zur Folge hatte, dass der Friedhof in Wien erweitert werden musste.
Die ersten eindeutigen Nachweise über den Friedhof am Kärntnertor stammen aus den Jahren 1368 und 1385. In der Urkunde von 1368 wird der Friedhof im sogenannten "Greut" vor dem Kärntnertor lokalisiert, und aus dem Jahre 1385 liegt uns ein Kaufvertrag vor, in dem ebenfalls der Judenfriedhof vor dem Kärntnertor erwähnt wird. Im Kaufbuch C der Stadt Wien heißt es, dass Ulrich Bader und seine Erben am St. Blasiustag 1385 ihre Badstube, gelegen vor dem Kärntnertor zu Wien, neben dem Judenfriedhof, an die Judengemeinde verkaufen13 . Ulrich hatte bereits 1369 eine zum Bad "gehörige Hofstatt an David den Juden von Eggenburg"14 veräußert. Wofür diese Hofstatt mit Grund verwendet wurde (eventuell als Friedhof), wird nicht erwähnt.
Auch Meir ben Barukh ha-Levi, Gemeinderabbiner zur Zeit der Wiener Geserah, bestätigt die Existenz des Friedhofs am Kärntnertor. Er verbot den Koha-nim, das Stadttor in Wien zu passieren "durch welches der Tote geführt werden soll, solange nicht die Leiche darüber ging"15 .
Der Friedhof dürfte sich nach heutiger Schätzung in der Nähe des Häuserkomplexes Opernring Nr. 10 (Nähe Goethe-Denkmal) befunden haben und war bis 1421 im Besitz der Wiener Judengemeinde. Nach der Ermordung der Juden wurde ihr gesamter Besitz vom Herzog eingezogen, der Friedhof verwüstet, die Grabsteine entfernt und als Baumaterial für diverse Hausbauten im neuen Vorort Gumpendorf weiterverkauft.
Erst 1437 wechselte der entweihte und verödete Platz wieder seinen Besitzer. Herzog Albrecht schenkte "den eckteil des flecks, da weiland der Juden freudhof gewesen" dem Chorherrenstift St. Dorothea. Der Eckteil wird auch noch genauer eingrenzt, er berührte an einer Seite "die gemein strassen, die da gehet von unsern haus, genat das Paradeys, zu dem spital, und endet sich an des Albert Weyer meister garten, an dem andern theil beruhret er die strassen, die da gehet von unsern hauss hinauf neben dem stadtgraben zu dem Khärntnerthor"16 .
Zum Abschluss noch ein Hinweis auf das Grab der Märtyrer vom 28. September 1420, über das Samuel Krauss in seinem Buch "Die Wiener Geserah im Jahre 1421" berichtete. Die in der Synagoge gefangenen Männer und Frauen starben den Märtyrertod, nachdem man die Juden der Umgebung gefangen genommen, gefoltert und viele von ihnen getötet hatte. Schließlich sickerte die Absicht des Herzogs Albrecht V. durch, den jüdischen Eltern ihre Kinder wegzunehmen, um sie anschließend zwangszutaufen. Die leidgeprüfte Gemeinde sah keinen anderen Ausweg mehr, als sich am Sabbat des Sukkoth-Festes in der Nacht selbst zu töten. Erzürnt darüber, dass er über die Juden nicht mehr selber richten konnte, befahl der Albrecht, die Toten - ohne sie zu begraben17 - vor die Stadt zu bringen, um sie in der Nähe des Friedhofes "auf einem Steg des Weingartens" zu werfen. Berichte aus dieser Zeit sprechen von einem anschließenden Wunder: "...eine steinerne Mauer, ein ganzer Berg von Stein und ein Zaun sind auf sie gefallen, so dass sie wie in einem Grab lagen; Kein Wild, kein Vieh und kein Hund konnte an sie heran...alle Nacht hat man ein Licht auf dem Berg brennen sehen..." und "...dass viele fromme Christen gesagt haben, dass sie von der Stelle her ein Singen und Beten gehört hätten...". Vermutlich aber wurden die Toten in der Nacht von den zurückgebliebenen (getauften) Juden in einem Massengrab in der Nähe des Friedhofs am Kärntnertor begraben18 .
1 das Privileg ist in einer Abschrift des 14. Jahrhunderts erhalten und geht wohl auf das Privileg vom August des Jahres 1238 zurück, Aronius Julius, Regesten zur Geschichte der Juden im fränkischen und deutschen Reiche bis zum Jahre 1273, Historische Commission für Geschichte der Juden in Deutschland (Hg.), Verlag Leonhard Simion, Berlin 1902, S.222 - 223 und 236. 2 Aronius, Nr. 547, S. 233 – 237. 3 vgl. Aronius, Nr. 323a, S. 145 - Konrad von Mergerstorf überträgt an den St. Nikolausaltar zu Klosterneuburg dem Juden Heinrich, der einen Zins von fünf Denaren jährlich zu zahlen hat "...quemdam Judeum Henricum..."; Aronius, Nr. 336, S. 150-151 - Herzog Leopold V. von Österreich macht den Juden Schlom zu seinem Münzmeister "...quendam Judeum nomine Shlom..."; Schwarz Ignaz, Das Judenviertel in der Inneren Stadt bis zu seiner Aufhebung im Jahre 1421, in: ders., Das Wiener Ghetto, seine Häuser und seine Bewohner, Band 1, Wien - Leipzig 1909 (im folgenden Schwarz, Judenviertel genannt), S. 53. 4 Aronius, Nr. 339, S. 152; Oberndorfer Ingrid, Jüdisches und adeliges Wirtschaftsleben im 14. Jahrhundert, Unter besonderer Berücksichtigung des Herzogtums Kärnten und seiner angrenzenden Länder, Dipl., Wien 1999, S. 26 - 29. 5 Aronius, 363, S. 161; HHStA 1204 III 30; Lohrmann Klaus/Oppl Ferdinand, Regesten zur Frühgeschichte von Wien, in: Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Band 10, Kommissionsverlag Jugend und Volk Wien - München, Wien 1981, Nr. 283, S. 86 und Nr. 250, S. 78; Lohrmann Klaus, Die Wiener Juden im Mittelalter, Philo Verlagsgesellschaft mbH, Berlin - Wien 2000 (im folgenden Wien genannt), S. 94; Oberndorfer, ebd. 6 Leopold Zunz spricht von einem Grabstein aus dem Jahre 1139 (Zur Geschichte und Literatur S. 405), wogegen sich jedoch Beer in Sulamith 6,2,1823, S.171 ff. ausspricht. 7 eines von acht Stadttoren, die schon zur Zeit Heinrich Jasomirgott bestanden haben sollen, siehe: Groner Richard, Wien wie es war, Ein Auskunftsbuch für Freunde des alten Wien, Verlag Dr. Franz Hain, Wien 1943, S. 221. 8 entstand mit dem Widmerturm, der zum Schutz des Tores dienen sollte, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Nähe der neuen Burg. Das Tor führte in die Stadt und genau an der Stelle soll später der Rittersaal der k.k. Hofburg erbaut worden sein. Kaiser Ferdinand I. ließ den Turm abtragen und in der Stadtmauer ein neues Tor, das (innere) Burgtor (gegen den Kohlmarkt), einbauen, da vor dem Widmertor ein Bollwerk errichtet wurde und somit das Tor nicht mehr zu benutzen war; siehe Groner, S. 62 u. S. 543 - 544. 9 Scherer J. E., Die Rechtsverhältnisse der Juden in den deutsch-österreichischen Ländern, in: Beiträge zur Geschichte des Judenrechtes im Mittelalter, Mit besonderer Bedachtnahme auf die Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie, Band I, Verlag von Duncker & Humblot, Leipzig 1901 (im folgenden Scherer I genannt), S. 317 - 324; Lohrmann, Wien, S. 102. 10 Schwarz, Judenviertel, S. 52 - 55. 11 von Mengenberg Konrad, Puch der Natur, Pfeiffer (Hg.), S. 112, zitiert nach: Scherer I, S. 372. 12 Schmölzer Hilde, Die Pest in Österreich, "dess wütenden Todts ein umbständig Beschreibung", Österreichischer Bundesverlag, Wien 1985, S. 49; vgl. Stögermayer Maria, Alte Begräbnisstätten im heutigen 19. Wiener Gemeindebezirk, Dipl., Wien 1987 (im folgenden Begräbnisstätten genannt), S. 121 – 129. 13 Wolf Gerson, Die jüdischen Friedhofe und die "Chewra Kadischa" (fromme Bruderschaft) in Wien, Alfred Hölder, Wien 1879 (im folgenden Friedhof genannt), FN 7, S. 2; Schwarz, Judenviertel, S. 44 und S. 50 und FN 113: dort finden wir bereits eine deutsche Übersetzung der lateinischen Originalurkunde vom 3. Februar 1385 vor: Vlrich pader vor Kernertor ze Wienn und sein erben verchawft ir padstuben gelegen vor Kernertör ze Wienn zenest der Juden freyhof umb 405 phunt wienner pfenning den Juden gemein ze Wienne und allen irn erben und nachkomen, als der chawbrief sagt". Als Quelle gibt Schwarz QGW III, 1, 1726, an; Zappert Georg, Über das Badewesen mittelalterlicher und späterer Zeit, in: Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen (Hg.), Band XXI, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, Wien 1858, S. 39: "...Die Judengemeinde erkaufte 1385 von: Ulrich Pader von Kernertor: eine Badestube um 400 Pf. und um 5 Pfd.Wien. Pf. ..."; Stögermayer, Begräbnisstätten, ebd. 14 Schwarz, Judenviertel, FN 113;. 15 Krauss Samuel, Die Wiener Geserah vom Jahre 1421, Wilhelm Braumüller Universitätsverlag, Wien - Leipzig 1920 (im folgenden Geserah genannt), S. 129 - 131 und FN 771b – 772, S. 238. 16 Schwarz, Judenviertel, FN 126; Krauss, Geserah, ebd; Lohrmann, Wien, S. 102; Groner, S. 122. 17 einer anderen Quelle zufolge wollte auch der Herzog, dass man die Toten mit Erde und Steinen begrub, siehe Krauss, FN 635, S. 225. 18 Krauss, S. 106, FN 636 - 639; vgl. Lohrmann, Wien, S. 161 - 173.