Der jüdisch-orthodoxe Künstler Daniel Weinberger hat den Schalk nicht nur im Auge, sondern auch in der Kunst. Seine mit Fröschen, Kröten und anderem Getier geschmückten Brautkleidvariationen hingen während des Kunstfestivals "Soho in Ottakring" bis 8. Juni im Schaufenster der ehemaligen "Goldenen Kugel" in der Neulerchenfelderstr. 78. In der Galerie V&V am Bauernmarkt 19 trat er als Kurator einer internationalen Gruppe jüdischer Künstler auf. "Weinbergers internationales Frühlingsfestival: Judenstil – split personality" hieß diese Ausstellung. Bis 1. Juni waren eine Menge unterschiedlicher Schmuckstücke aus Spielzeug, Leder, kopierten Fotos, Obst und Gemüse, Aquarelle und Kleinskulpturen zu sehen. Der Schöpfer dieses Kunstuniversums war aber ausschließlich Weinberger selbst, die fünf anderen Künstler frei von ihm erfunden. Warum er mit fremden Identitäten spielt, wie er die Kunst mit der orthodoxen Religion verbinden kann, worin er sich als gläubiger Mensch von anderen Künstlern unterscheidet: dazu befragte ihn Isabella Marboe bei seinem Wien-Aufenthalt in folgendem Interview.
DAVID: "Sie sind orthodoxer Jude und zugleich eine schillernde Künstlerpersönlichkeit. Wie sind Sie Künstler geworden?" Daniel Weinberger: " Ich war auf der Kunstakademie, studierte 1975, aber ich bin noch immer ewiger Student. Ich gehe wieder auf die Akademie, um einen akademischen Grad zu bekommen. Letztes Jahr studierte ich die jüngere Kunstphilosophie, es ist furchtbar nihilistisch und leer. Wirklich begeistert war ich von der japanischen Manga-Kultur. In Antwerpen studierte ich Schmuckgestaltung und Theatermode. In Jerusalem lernte ich ein Jahr lang in Bezalel Emailkunst, mit 30 begann ich mit Ölmalerei, vier oder fünf Jahre perfektionierte ich diese Technik, um impressionistisch-realistisch malen zu können. Ich lerne ununterbrochen, heuer mache ich Kostüme in der Theaterabteilung." DAVID: "Sind Sie in einer orthodoxen Familie geboren?" Daniel Weinberger: "Nein. Wir feierten zwar Hannukah, Purim, Pessach, doch wir aßen nicht kosher, obwohl Milch und Fleisch getrennt wurden. Kurz: wir lebten wie viele andere jüdische Menschen auch. Mit 33 Jahren wurde ich wirklich religiös, da kam durch mich die Religion ins Haus. Meine Mutter ist inzwischen auch jüdisch orthodox. DAVID: "Sie spielen in Ihrer Kunst mit Identitäten, haben im Bereich Schmuck, Performance, Installation, Malerei gearbeitet. Könnten Sie ihr künstlerisches Themenspektrum etwas schildern?"
Imaginierte Dina von Fleischgeist
Daniel Weinberger: "Ich habe alles gemacht und ausprobiert. Wenn Sie ein wirklicher Künstler sind, ist das Leben Kunst. Alles ist Kunst. Ich habe eine Frau und zehn Kinder: auch die sind Kunst. Kunst bedeutet, eine Sicht auf die Dinge zu entwickeln, die über einen selbst hinaus reicht. Vielleicht ist es auch lebendige Kreativität. Ich möchte Kunst, Kreativität und Leben verbinden. Ich mache z. B. Schmuck, bin aber kein Juwelier. Jemanden, der immer dasselbe macht, halte ich für obsessiv. Das verstehe ich nicht unter Kreativität. Ich habe eine Freundin, die malt den ganzen Tag, jahrelang, Blumen, Blumen, Blumen, Unfälle, Unfälle, Unfälle: das finde ich besessen. Ich habe Aquarelle, Schmuck, Ölbilder, Videos, Performances gemacht, die Thora illustriert. Momentan bin ich von Kleidern sehr begeistert. Ich nähe sogar welche. Das ist Kreativität, wie das Leben. Es ist ein Brunnen, aus dem alles fließt. Es ist unwichtig, ob ich Videos oder Theaterkostüme mache oder male." DAVID: "Sie sind ein orthodoxer Jude, Sie leben als Künstler in Antwerpen. Drückt sich das Religiöse auch in Ihrer Kunst aus oder spielt Ihr Glaube in der Kunst keine Rolle?" Daniel Weinberger: "Jeder denkt, jüdische Kunst sei dekorative Kunst. Ich bin ein orthodoxer Jude, das Judentum ist mein Leben. Ich mache zeitgenössische, moderne Kunst, das ist auch mein Leben. Daher ist das wirkliche jüdische Kunst. All jene, die dekorative, altmodische Kunst machen, erzeugen meiner Meinung nach nicht jüdische Kunst, sondern Folklore. Ich mache als orthodoxer Künstler jüdische Kunst in einer modernen Welt. Das Judentum lebt im Jetzt und Heute." DAVID: "In der Fenstervitrine in der Windmühlgasse ist eine Arbeit von Ihnen ausgestellt, die den Holocaust thematisiert. Können Sie die beschreiben?" Daniel Weinberger: "Diese Arbeit ist sehr emotional. Ich bin mit dem TGV in die Schweiz zu einer Ausstellung gefahren, im Zug malte ich Aquarelle zum Holocaust. Die hab ich verkleinert auf Filz gedruckt. Den Stoff nähte ich zu kleinen Säcken, mein Sohn brachte mir Erde aus Israel mit, die hab ich in diese Filzsäckchen gepackt. Nun ist das in einem Wiener Schaufenster ausgestellt. Die Galeristin, Mag. Veronika Schwarzinger, wollte, dass ich dazuschreibe, welche Erde in den Säcken ist. Ich habe das verweigert: die starke Ausstrahlung dieser Arbeit muss man einfach spüren. Die Deutschen sagten immer: "Wir haben es nicht gewusst – wir sind es nicht gewesen." Ich habe nun die jüdische Perspektive eingebracht. Der Kommentar zu meiner Arbeit lautet: "Wir haben es nicht gewusst – wir werden es nicht vergessen!" DAVID: "Der Ausstellungsraum in der Galerie V&V ist ganz mit schwarzer Müllfolie ausgekleidet. Das erinnert ein wenig an die Gruftie-Szene. Was wollten Sie damit ausdrücken?" Daniel Weinberger: "Hier in der Galerie V&V habe ich eine schwarze Plastikhöhle, eine Grotte eingerichtet. Damit zeigte ich mein Mageninneres. Als Künstler muss man sich zeigen, man muss ganz nackt sein. Nicht im wörtlichen Sinn, aber ich will mich selbst häuten. Ich will niemanden an der Nase herumführen. Ich nehme Spielzeug meiner Kinder, Gold, was immer ich finde und mache Kunst daraus. Das Leben eines religiösen Künstlers ist Kunst. Als ich im Künstlerhaus ausgestellte, benutzte ich Nelken. Der Geruch gehört auch zur Kunst, alles gehört dazu. Auch Musik."
Weinbergers Liebe zu Spielzeug als Schmuck
DAVID: "Für mich ist der orthodoxe Glaube eine sehr traditionelle, archaische, auf alten Werten und Regeln aufgebaute Lebensform, die vom Essen über Kleidung alle Bereiche des Alltags umfasst. Diese orthodoxe Haltung scheint mit der zeitgenössischen Kunst, die oft provoziert, in Widerspruch zu stehen. Ich denke da z.B. an den Wiener Aktionismus oder ähnliches. Gibt es aus religiösen Gründen künstlerische Tabus und Grenzen für Sie?" Daniel Weinberger: "Natürlich. Ich esse keine Speisen, die nicht koscher sind, ich gebe Ihnen nicht die Hand undsoweiter. Ich habe viele Grenzen im Leben, jeder hat sie. Früher war ich ein Hippie – selbst die freien Linken, sind begrenzt und in Wirklichkeit sehr bürgerlich. Ich bin viel revolutionärer als sie. Ich will mich verändern, das ist die wahre Revolution. Natürlich habe ich auch meine Grenzen in der Kunst. Ich halte den Schabbat, selbst wenn ich dann nicht zu Eröffnungen gehen kann. Das schränkt mich in meiner Lebendigkeit nicht ein." DAVID: "Ihr Schmuck ist aus allen möglichen Dingen gemacht. Was ist das typisch jüdische daran?" Daniel Weinberger: " Ich lebe im jüdischen Viertel in Antwerpen, ich bitte immer alle Menschen meiner Umgebung, aus aller Welt alles Mögliche mitzubringen. Es sind Sachen aus Afrika, Deutschland, New York, von überall in meiner Kunst. Ich verwende alles. Es keine spezifisch jüdischen Dinge. Ich glaube, das ist nicht so wichtig. Es gibt aber natürlich Arbeiten in dieser Ausstellung, die eindeutig jüdische Identität thematisieren." DAVID: "Ihre Ausstellung in der Galerie V&V heißt ‚Judenstil – Split Personality’. Sie selbst kommen darin als Künstler neben fünf anderen jüdischen Charakteren vor. Gibt es diese Menschen oder sind sie Ihre Fiktion?" Daniel Weinberger: "Diese fünf sind alle ich. Meine Arbeit ist so vielfältig und unterschiedlich. Es gibt Schmuck mit Gold, Schmuck in Schwarz, Schmuck aus Spielzeug, Draht, Obst, Leder, es gibt Fotos und Aquarelle. Das hat mich dazu inspiriert, zu jeder Facette meines Werkes einen passenden Künstler zu erfinden. In der Einladung und im Pressetext werden die als reale Menschen vorgestellt, es bleibt also offen, ob sie existieren oder nicht. Diese Art von Humor mag ich. Die Identitäten dieser Künstler haben alle mit mir zu tun, wer klug ist, könnte also draufkommen." DAVID: "Können Sie diese Persönlichkeiten beschreiben?" Daniel Weinberger: "Meine Vorfahren kommen aus Ungarn, J. Farkash ist wie mein Großvater. Ich mag die Geschichte sehr gern, die ich da erfunden habe: der unbekannte Künstler, der zeitlebens im Geheimen am Plattensee schwarz-weiße Aquarelle von Frauen mit Schmuck malte. Ich liebe es, zu aquarellieren. Für Ölbilder muss man sich einsperren, wegen dem Geruch. Das geht als Familienvater nicht. Vino del Monte ist die spanische Übersetzung meines Namens Weinberger. Als ich ein Kind war, signierte ich alle meine Werke mit Vino del Monte, mütterlicherseits kommen wir aus Spanien. In meiner Kunst verwende ich viel Gold, Leber, Metall und Filz – ich finde, das passt zu Spanien und zu Gaudí, daher habe ich diesen Werkteil zu Vino del Monte zugeordnet."
Jüdische Persönlichkeiten mit schönen Gesichtern zu Schmuck verarbeitet
DAVID: "Wie sind Sie auf Har Geven und Ben Moshe gekommen?" Daniel Weinberger: Viele meiner Schmuckstücke sind vom Trauerschmuck der Königin Victoria inspiriert gewesen, die sind alle aus schwarzen Glasperlen auf Stacheldraht in unterschiedlichster Dimension. Dazu habe ich einen britischen Juden erfunden, Ben Moshe. Har Geven ist Israeli, er ist als Sohn Ausschwitz-Überlebender im Jahr der Gründung des Staates Israel geboren, und immer auf der Suche nach seiner jüdischen Identität. Zu ihm gehört beispielsweise diese Kette. Ich suchte nach jüdischen Künstlern mit schönen Gesichtern. Da stieß ich auf Patty Smith, Marianne Faithful, die in einer Radiosendung erzählte, dass sie mit ihrer Mutter in die Synagoge gegangen war. Das hier ist Alan Greenspan, Barbara Streisand, Moshe Dayan, meine Tochter und einige andere. Ich habe ihre Fotos kopiert und zu Halsschmuck gemacht. DAVID: "Die Berliner Jüdin, Dina v. Fleischgeist, was hat die mit Ihnen zu tun?" Daniel Weinberger: "Früher habe ich Kabarett gespielt, damals nannte ich mich Dina von Fleischgeist, daher heisst auch eine erfundene Künstlerin so. Ich spiele natürlich auch mit Klischees: Sie macht typisch feminine Kunst, ihr Schmuck ist aus Obst, Gemüse und Fleisch, sie hat zwei Töcher, ihre Arbeiten werden oft zu leckeren Mahlzeiten verkocht. Daniel Weinberger, der Kurator dieser fünf, das bin ganz unverfälscht ich selbst. Der mit dem Spielzeug, ich liebe es!" DAVID: "Hatten Sie anfangs Probleme, von den Künstlern weiter akzeptiert zu werden oder Probleme in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde als Künstler?" Daniel Weinberger: "Nein, gar nicht. Man schafft sich seine eigene Diaspora im Leben immer selbst. Furcht führt dazu, dass man sich Schutzmauern macht. Es ist normal, dass manche einen nicht mögen, das gibt es in der Kunst und in allen anderen Bereichen auch. Inzwischen habe ich damit keine Probleme mehr. Menschen sind eben verschiedener Meinung. Ich befolge die Thora und mache gute Kunst."
Zur Person Daniel Weinberger: Daniel Weinberger wurde 1950 in Belgien geboren. Als 15 jähriger ging er an die Kunstschule, studierte an der Akademie in Antwerpen, in Bezalel in Jerusalem. Mit 33 Jahren wurde Weinberger zum orthodoxen Juden, blieb aber weiterhin Künstler. Seine Arbeiten umfassen Video, Installationen, Schmuckkunst, Malerei, Kostüm, Film, Theater. Weinberger war bis 8. Juni 2002 in Wien beim Festival SOHO Ottakring mit der Schaufenster – Installation "The war is over – we won!" vertreten, bis Mitte Juni 2002 ist seine Holocaust-Arbeit "Wir haben es nicht gewusst – wir werden es nicht vergessen!" in der Fenstervitrine des Atelier Schwarzinger in der Windmühlgasse 9 zu sehen.
Das Interview mit Daniel Weinberger führte Isabella Marboe im Mai 2002