Ausgabe

Toxische Sprache

Christoph Tepperberg 

Inhalt

Toxische Sprache 

 

Monika Schwarz-Friesel: Toxische Sprache und geistige Gewalt. Wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen. 

Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2022. 

Seiten 227, Softcover (kartoniert), Euro 17,99.-, eBook (ePDF und ePub) Euro 14,99.-

ISBN: 978-389308-466-1 (Print), 978-3-89308-466-5 (ePDF), 978-3-89308-018-2 (ePub)

„Jüdinnen und Juden sind nicht nur physischer Gewalt ausgesetzt, sie sind auch mit psychischer Gewalt konfrontiert. Dies äussert sich in expliziten Hassreden ebenso wie durch harmlos anmutende Muster in der Alltagssprache. Judenfeindschaft und Sprache stehen seit 2000 Jahren in einer untrennbaren Symbiose. Das Gift judenfeindlichen Denkens und Fühlens ist leider Teil unserer Kultur. Entsprechende Sprachgebrauchsmuster sind tief in unser kommunikatives Gedächtnis eingebrannt. Auf diese Weise sorgen sprachliche Antisemitismen dafür, dass judenfeindliche Stereotype von Generation zu Generation weitergegeben werden. Der vorliegende Band macht diesen Zusammenhang anhand authentischer Beispiele anschaulich und verständlich. Er deckt die toxischen Sprachstrukturen mit ihrer Wirkung auf unser kollektives Bewusstsein auf und verweist auf die dringende Notwendigkeit eines sensibleren Sprachgebrauchs.“ (Buchklappentext)

In 17 Kapiteln mit pointierten Überschriften entwickelt Monika Schwarz-Friesel ein spannendes und zugleich erschütterndes Bild von der gestaltenden Kraft der Sprache. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis veranschaulicht die Komplexität der Thematik. Im Eingangskapitel Von einem Gift, das die Köpfe vernebelt und die Seelen mit Hass verdunkelt skizziert die Autorin ihre Botschaft: 

„Jeden Tag wird den Menschen in diesem Land und weltweit eine Dosis Gift verabreicht. [...] Es ist ein sehr altes Gift, dessen toxische Wucht und zerstörerische Wirkung hinreichend bekannt [...] ist. Denn dieses Gift ist seit Jahrhunderten Bestandteil der westlichen DNA, des europäischen Kultur-Genoms. [...] Das Gift heisst Judenfeindschaft, das Mittel ist die Sprache und der Tatort der Verabreichung ist die tagtägliche Kommunikation. [...] Warum ist es wichtig, notwendig, ja essenziell, dass man die Rolle der Sprache beim Antisemitismus in den Mittelpunkt der Aufklärung und Bekämpfung stellt? Weil Sprache Realität nicht nur abbildet, sondern sie auch massgeblich erzeugt.“ (S. 7-16). 

 

In Sprache als Weltenerschafferin und Menschenzerstörerin gibt sie eindringliche Beispiele des verbalen Judenhasses (S. 17-32). In Am Anfang war das Wort: Die Sprache brachte den Judenhass in die Welt, entlang des bekannten Prologs des Johannesevangeliums, erläutert die Autorin die Entstehung des Antisemitismus und erklärt die zweitausend Jahre alte, kompromisslose Ablehnung der Juden durch die Christen. Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich bekanntlich auch ein nicht-religiöser Antisemitismus. Er wurde in Deutschland von prominenten Wissenschaftern wie dem Historiker Heinrich von Treitschke salonfähig gemacht (S. 41-59). Gebildete und aufgeklärte Judenfeindschaft: Bildung und liberale Gesinnung sind kein Garant gegen judenfeindliche Ressentiments. Gebildeter Antisemitismus ist nicht die Ausnahme, er ist die Regel (S. 61-65). Es gibt ihn bei bekannten Schriftstellern wie Charles Dickens, Oscar Wilde, Gustav Freitag, Wilhelm Raabe und Ludwig Uhland (S. 67-71).  Juden und Deutsche: Verbale Judenfeindschaft zeichnet sich seit Jahrhunderten durch eine spezifische Semantik aus, die auf Prozessen der Abgrenzung beruht. Juden wurden und werden nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen, sondern als etwas Fremdes: wir Deutsche/Ihr Juden/Juden gehören nicht zu uns. Zudem werden ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben beziehungsweise an ihnen entwertende Verallgemeinerungen vorgenommen: Fremdling/Wucherer/geld- und machthungrig/talentiert, aber listig und rachsüchtig (S. 38, 89-98). Indirekte Sprechakte: Seit 1945 überwiegen bei derartigen Zuschreibungen die „Camouflage-Antisemitismen“. Dabei spielen Paraphrasen, Chiffren, Andeutungen und Verschleierungen eine besondere Rolle. Man gebraucht das Wort „Jude“ nicht offen, sondern bedient sich verschiedener Tarnmuster und Umschreibungen: die Herrschaften von der Ostküste/in gewissen Kreisen/Rothschild lässt grüssen/Baron Tothschild/ich fühle mich wie Anne Frank/impfen macht frei. Oder man verwendet Codewörter wie „Soros“ oder „Gates“ für den „Machthunger des Weltjudentums“ (S. 73-87). Eine zentrale Ausdrucksform von Judenfeindschaft ist der Israelbezogene Antisemitismus: Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 steht der jüdische Staat als wichtigstes Symbol für lebendiges Judentum im Fokus. Statt auf das Judentum im Allgemeinen wird nun auf Israel referiert. Für Antisemiten ein Glücksfall. Nach dem Holocaust wurden antisemitische Sprüche gesellschaftlich sanktioniert, über den Anti-Zionismus kann man weiterhin judenfeindliche Zuschreibungen vornehmen: zionistische Pharisäer/ränkeschmiedende Landräuber/SSrael/jüdischer SS-Staat/Gift der Welt/Gefahr für den Weltfrieden/Unrechtsregime/Verbrecher- und Apartheidstaat. Als Grund und Katalysator für die Israelfeindschaft wird der Nahostkonflikt genannt. Tatsächlich werde Israel gehasst, weil es als jüdischer Staat existiert und für Antisemiten die Rolle des „kollektiven Juden“ einnimmt. Kritik an Israel werde unterdrückt. In Wahrheit werde laufend Kritik an Israel geübt (S. 24, 34-35, 121-129). In diesem Kontext sind auch die Aktivitäten der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) zu sehen (S. 140). Unter Jews are News und Bad Jews are Good News. Massenmedien und ihre toxischen Narrative wird die Funktion westlicher Medien angesprochen, deren pointierte Berichte und Kommentare Antisemitismus oftmals noch befeuern, insbesondere in Bezug auf den exponierten Staat Israel (S. 181-199). Bibliografie (Literaturverzeichnis, Weblinks, Quellen) (S. 215-224) und Personenregister (S. 225-227) ergänzen diese aussergewöhnliche Publikation.

 

Zur Autorin

Monika Schwarz-Friesel ist eine deutsche Kognitionswissenschafterin und Antisemitismusforscherin, international anerkannte Expertin für Antisemitismus und Sprache. Sie hat seit 2010 den Lehrstuhl für Linguistik am Institut für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin inne, ist Kuratoriumsvorsitzende der Leo-Trepp-Stiftung, Mitglied der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury sowie des wissenschaftlichen Beirats von Antisemitism Studies (U.S.A.) und des Journal of Contemporary Antisemitism (UK). Sie publizierte mehrere Standardwerke: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert, Sprache und Emotion, Semantik, Judenhass im Internet.

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