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Die jüdische Gemeinde von Gattendorf

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Klaus Derks: Kattondorff. Die vergessene Judengemeinde von Gattendorf. Herausgegeben vom Verein zur Erforschung der Ortsgeschichte von Gattendorf  2010, (Gattendorfer Rückblicke. Ein historisches Kaleidoskop. Betrachtung der Geschichte Gattendorfs in einzelnen Themen, Band 6).

336 Seiten. Euro 15,00.

ISBN 978-3-200-01970-6.

Der Gattendorfer Arzt Klaus Derks hat in einer ausführlichen Darstellung die Geschichte der kleinen Gattendorfer jüdischen Gemeinde eindrucksvoll beschrieben. Seine Quellen sind neben der einschlägigen Literatur Akten unterschiedlichster Provenienz, die sich heute im Original oder als Mikrofilm im burgenländischen Landesarchiv befinden. Die Matriken von Gattenburg befinden sich heute im Komitatsarchiv in Moson. Das letzte Dokument, das Derks in den Archiven finden konnte, stammt von 1883. Das fragmentarisch erhaltene Protokollbuch der Jahresversammlungen 1889 bis 1903 fand der Autor dann noch zufällig auf dem Dachboden des ehemaligen Hauses des Kaufmanns Julius Reismann. In den 200 Jahren ihres Bestehens war Gattendorf eine Filialgemeinde der jüdischen Gemeinde Kittsee, zu der der Autor vermerkt, dass deren Geschichte quellenmässig viel schlechter belegt ist.

In der burgenländischen Gemeinde Gattendorf, die heute rund 1120 Einwohner hat, siedelten sich 1726 die ersten Juden und Jüdinnen an. Den demographischen Höhepunkt erreichte die kleine Gemeinde 1857 mit 206 Personen. Danach kam es zu einem steten Abstieg, so dass 1934 nur noch 19 jüdische Einwohner verblieben.

Die Synagoge wurde 1862 errichtet. Sie war damit eine von 10 Synagogen des Burgenlandes, die dort von 1834 (Eisenstadt) bis 1878 (Kittsee) errichtet wurden. Zu den Synagogenbauten schreibt der Autor: „Alle im 17. und 18. Jahrhundert errichteten Landsynagogen waren schlichte Zweckbauten, die auf jede äussere Prachtentfaltung verzichteten und durch architektonische Anspruchslosigkeit geprägt waren." Die Synagoge von Gattendorf, von deren Inneren sich keine zeitgenössischen Fotos erhalten haben, hatte 46 Männer- und 34 Frauensitze. Bemerkenswert ist, dass sie vom Wiener Rabbiner Isaak Noah Mannheimer eingeweiht wurde. Das Schicksal der Ritualien des Tempels konnte Derks nicht eruieren. Der Tempel blieb im Novemberprogrom verschont und wurde nach der Vertreibung der Gemeinde zu einem Lager für Getreide und Erdäpfel und zu einem Gefängnis für russische Kriegsgefangene. 1952 wurde die ehemalige Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, der Rechtsnachfolgerin aller nach der Shoah nicht mehr wieder errichteten österreichischen jüdischen Gemeinden, restituiert. 1971 verkaufte die Kultusgemeinde sie an den Unternehmer Adalbert Kovacs. Dessen Pläne, das Gebäude als Gewerbebetrieb zur Aufbereitung von Altöl zu verwenden, scheiterten. 1980 kauften Hans und Hermine Kreminger von Kovacs die ehemalige Synagoge. Das Gebäude wurde danach als Lager für landwirtschaftliche Fahrzeuge genutzt. 1995 beschlossen die Besitzer, das Gebäude abreissen zu lassen, wozu sie ohne weiteres die Genehmigung erhielten. Zu dem Passus „Wegen des seit der schweren Beschädigung des Objektes [...] schreibt Derks: „Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass nach Aussage etlicher Gattendorfer Zeitzeugen die Synagoge 1938 nicht im Geringsten beschädigt wurde und von ‚schweren Beschädigung‘ kann überhaupt nicht die Rede sein." Diesen Satz belegt der Autor auch dokumentenmässig.

Über das Ende der Gattendorfer Synagoge schreibt Derks: „Der nun unvermeidliche Abriss begann am 27. April 1996 um 15 Uhr, einem Sabbat. Aufgrund der massiven Ziegelbauweise dauerte der Abbruch länger als vorgesehen. Am 4. Mai 1996 waren die Mauern bis zum Erdniveau abgetragen. Die Synagoge war vom Erdboden verschwunden. Ein Neubau wurde an dieser Stelle nicht errichtet. Heute wächst dort Gras."

Im letzten Abschnitt beschreibt der Autor die Geschichten und Schicksale von einzelnen Familien und Personen der Gattendorfer jüdischen Gemeinde." Dem Buch hätte ein wissenschaftliches Lektorat sicher sehr gut getan; mit der Ausnahme dieses Einwandes ist es ein wichtiges Stück, ein weiterer Mosaikstein der österreichischen jüdischen Heimatgeschichte.