Ausgabe

Zur (fast) verschwundenen Aschkenasischen Gemeinde in Istanbul Serie, Teil III

Robert Schild

Der Österreichische Tempel und die Schneiderschul2

Inhalt

Wichtig ist, festzuhalten, dass der “Österreichische Tempel”, dieses schmucke Bethaus, errichtet im Jahre 1900 mit Unterstützung österreichischer Juden – und somit als eine Art Pendant zum ehemaligen “Türkischen Tempel” in der Wiener Zirkusgasse zu verstehen – heute noch voll funktionsfähig ist, während letzterer in der sogenannten Kristallnacht österreichischen Nazi-Schergen zum Opfer fiel. 

 

Auch der unweit gelegene, noch ältere “Schneidertempel” (erbaut 1894) verschwand nicht aus der kulturellen Silhouette Istanbuls. Dank einiger engagierter Mitglieder der heute sehr kleinen aschkenasischen Gemeinde wurde dieses bescheidene Bethaus im ausgehenden 20. Jahrhundert zu einer Kunstgalerie umgewidmet, die einen festen Platz in der Istanbuler Kulturszene einnimmt.3 Die Ende 1999 eröffnete, erste Ausstellung von internationalen Cartoons unter dem Motto Glaubensbekenntnisse für ein neues Jahrtausend bildete den Auftakt zu einer Reihe von bislang etwa 200 Vernissagen, Konzerten und Buchpräsentationen.

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Nach einem Konzert der Roman Grinberg Klezmer Gruppe im “Österreichischen Tempel”. Foto: A. Modiano.

Gemeinde-Institutionen

Der Bordellbetrieb Ende des 19. Jahrhunderts brachte eine Errungenschaft mit sich, die sich positiv bis in unsere Tage erstrecken sollte! Gemeinsam mit der kleineren, eigenen Synagoge “Or Hadasch” in diesem Viertel wurde auch ein Heim für ältere Damen des “leichten Gewerbes” ins Leben gerufen, das anschliessend in ein allgemeines Altersheim umgestaltet wurde. Diese Institution entwickelte sich im 20. Jahrhundert zu einem voll funktionsfähiges Heim weiter, vor allem für in die Jahre gekommene, verarmte Gemeindemitglieder. Es besteht heute noch als ein hoch angesehenes Altersheim, welches jedoch nicht mehr alleine von der aschkenasischen Gemeinde unterhalten wird.

 

Bedingt durch das empfindliche Zusammenschrumpfen dieser Gemeinde, aber zugleich ihren anwachsenden Wohlstand, wurden andere Institutionen, so wie etwa die “Ruhama”, “Lehem Ubasar Laaniyim” und “Goute de Laix” für verarmte Mütter, Familien und Kinder vollends aufgelassen. Als einzige, noch funktionsfähige Organisation dieser Gemeinde gilt der aschkenasische Friedhof im angesehenen Stadtviertel Ulus, wo seit den letzten Jahrzehnten auch wohlhabende sefardische Gemeindemitglieder beigesetzt werden. Ebenso ist die aschkenasische Gemeinde Eigentümer des grossen Grundstücks in Ulus, auf dem das heute bestehende jüdische Gymnasium erbaut wurde.

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Eine Ausstellung im “Schneidertempel”. Foto: G. Elsever.

Die türkischen Aschkenasim heute

Wie bereits im ersten Teil dieses Beitrags erwähnt, bestehen die türkischen Aschkenasim heute aus nur mehr rund einhundert Mitgliedern in Istanbul, bedingt durch das Eingehen von gemischten Ehen sowie eine seit Mitte des 20. Jahrhunderts fortschreitende Auswanderung Richtung Europa und Israel. Der Gemeinde obliegt deshalb nur die Unterhaltung des Friedhofs, der Kunstgalerie “Schneidertempel” sowie vor allem der grossen Synagoge (des “Österreichischen Tempels”). Leider ist dort in letzterer Zeit keine einzige Hochzeit oder Bar-Mitzvah gefeiert worden.

Trotzdem wollen wir diesen kurzen Streifzug mit einem Hoffnungsschimmer zu Ende bringen! Erwähnenwert ist nämlich, dass in den letzten Jahren – und dies mit grosszügiger Unterstützung seitens des Österreichischen Kulturforums und der Aschkenasischen Gemeinde in Istanbul – eine Reihe qualitativ hochwertiger und zudem gut besuchter Gemein-
schaftproduktionen erzielt werden konnte. 

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Die inzwischen aufgelassene Or Hadasch Synagoge. Foto: A. Modiano. Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung R. Schild.

Unter den Ausstellungen im “Schneidertempel” seien Fotografien zu Die Juden in Wien (2003) oder Auschwitz-Zeichnungen von Ceija Stojka (2012) erwähnt. Sowohl im
“Schneidertempel” als auch im “Österreichischen Tempel” und im Österreichischen Kulturforum aufgetreten sind beispiels-
weise die Wiener Klesmer-Gruppen Roman Grinberg´s Freilach (2013) oder Mandy´s Mischpoche (2015). Im Gedächtnis bleibt auch ein Konzert des Wiener Oberkantors Shmuel Barzilai unter Beteiligung eines sefardischen Kinderchors in der Neve Schalom Synagoge (2015) und ganz besonders eine auf türkisch gehaltene Ansprache des vormaligen Superiors der St. Georgs-Gemeinde, Hofrat Franz Kangler anlässlich des jüdischen Shoah-Gedenktags 2011 im “Österreichischen Tempel”.  Zudem hat der Tiroler EYE-Verlag, auf Initiative des Verfassers, eine Anthologie zeitgenössischer sefardischer Lyrik auf Ladino/Türkisch/Deutsch veröffentlicht, finanziell unterstützt sowohl durch Istanbuls Aschkenasim und Sefardim, sowie auch durch das Bundesland Tirol.4 

 

Mit solchen Aktivitäten setzt die kleine aschkenasische Gemeinde in Istanbul weithin sichtbare Lebenszeichen, welche man mit der Hoffnung begleitet, dass wenigstens dieses ganz spezifische Kapitel österreichischer Präsenz am Bosporus noch lange aufgeschlagen bleibe.

 

Anmerkungen

1 Dieser Beitrag beruht teilweise auf dem Vortrag “Die ‘Enfants Terribles’ – Aschkenasim in Istanbul” des Verfassers, gehalten bei einer Ringvorlesung des Instituts für Orientalistik der Universität Wien, am 12.05.2021.

2 Eine ausführliche Darstellung dieser beiden Synagogen erfolgte im Beitrag Der “Österreichische Tempel” in Istanbul, veröffentlicht in “DAVID” Nr. 123 (31. Jahrgang) von Dezember 2019, auf den hier verwiesen werden kann.

3 Schneidertempel Sanat Merkezi, Felek Sokak 1, Beyoğlu – http://www.schneidertempel.com

4 A. Eidherr, G. Nitsche & R. Schild (Hg.), Sandverwehte Wege / Los kaminos s’incheron de arena / Kumların Örttüğü Yollar (hrsg.); Landeck, 2002.