Ausgabe

Chanukka 2022

Rabbiner Joel Berger

Inhalt

Im jüdischen Kalender beginnt Chanukka am Abend des 25. Kislew, das ist der jüdische Monat, der zumeist in den Dezember fällt. Die Monate des jüdischen Kalenders basieren auf den Zyklen des Mondes, so dass der 25. Kislew, der immer vier Tage vor dem Neumond liegt, die dunkelste Nacht des Monats ist. Da Kislew immer in der Nähe der Wintersonnenwende liegt, führt Chanukka uns in die dunkelste Nacht des Jahres hinein. 

 

Die Dunkelheit dieser langen Nacht regt den Menschen dazu an, das Licht zu mehren. An Chanukka feiern wir das Überleben unserer Vorfahren als selbstbestimmtes Volk im eigenen Land. Wir feiern – ich möchte das hervorheben – nicht die Eroberung eines fremden Territoriums, sondern nichts anderes, als das Wiedererlangen der religiösen und kulturellen Freiheit unserer Vorfahren in ihrem eigenen Land. 

 

Die Geschichte von Chanukka erzählen uns die beiden Makkabäer-Bücher. Sie wurden vor über 2.000 Jahren niedergeschrieben. Die Autoren sind unbekannt. Aber sie haben etwa 100 Jahre nach   dem erfolgreichen Freiheitskampf der jüdischen Aufständischen – der „Makkabäer“ – die wundersamen Ereignisse für die Nachwelt verewigt. Damals, vor über 2.300 Jahren, erstreckte sich das Reich Ale-
xanders des Grossen
bis in den Nahen Osten. Nach seinem Tod zerfiel das riesige Reich in mehrere, kleinere Herrschaftsgebiete. Einer der Nachfolgestaaten war das hellenistische Reich der Seleukiden. Es hielt die politische Macht über Kleinasien und über den Nahen Osten – bis hin nach Nord-
indien. 

Zum Herrscherhaus der Seleukiden gehörte König Antiochus IV. Er verpasste sich den Nachnamen Epiphanes („der Erschienene“ oder „der Berühmte“).  Und er wollte das Judentum auslöschen. Antiochus IV. verbot bei Todesstrafe die Kaschrut, also unsere jüdischen Speisegesetze. Er untersagte die Beschneidung der Buben sowie das Einhalten des Schabbat. Nur eine kleine Gruppe unter der Führung von „Matitjahu“ widersetzte sich der drohenden kulturellen Vernichtung. Früher war dieser Priester im Tempel von Jerusalem, der längst als Kultstätte für Zeus missbraucht wurde, gewesen. Matitjahu und seine fünf Söhne widersetzten sich den fremden Herrschern und flohen in die judäischen Berge. Dort versammelte Matitjahu eine Armee von g‘ttesfürchtigen Männern, „Makkabäer“ genannt. Der Name geht zurück auf das hebräische Wort für „Hammer“. Die Makkabäer begannen mit einem Guerillakrieg, der drei Jahre lang dauerte. Nach seinem Tod führte Matitjahus Sohn Jehuda den Aufstand fort – gegen Antiochus, gegen seine Streitkräfte und gegen kollaborierende Juden. Schliesslich gelang den Makkabäern die Eroberung von Jerusalem. Sie vertrieben die fremden Herrscher und begannen mit der Wiederherstellung des entweihten Tempels.

 

Als vor 1.500 Jahren die späteren Abschnitte unseres Talmuds niedergeschrieben wurden, hatte sich im Nahen Osten die politische Situation grundlegend geändert. Die Nachfahren der Makkabäer und die traditionsgebundenen Rabbiner hatten sich weit voneinander entfremdet und entfernt. Die makkabäischen Familien hatten, als politische Machthaber, längst das Sagen. Mit der Zeit entwickelten die Nachfahren der Makkabäer, um sich an der Macht zu halten, einen Unterdrückungsapparat. Sie verbündeten sich sogar mit dem Römischen Reich. Aus den Unterdrückten von einst waren ein paar Generationen später die neuen Unterdrücker geworden. 

Und so begannen die traditionsgebundenen Rabbiner, die Chanukka weiterhin feierten, einen anderen Aspekt des damaligen Freiheitskampfes hervorzuheben. Der Legende nach fanden die Makkabäer bei der Neueinweihung des Tempels einen einzigen kleinen Krug mit koscherem Öl. Damit hätte im Tempel das Ewige Licht nur einen einzigen Tag lang gebrannt. Aber „Nes gadol haja scham“ – „Ein grosses Wunder ist dort geschehen“: Das Bisschen an Öl hielt das Ewige Licht im Tempel nicht, wie erwartet, einen, sondern ganze acht Tage lang am Brennen. So lange, bis das neue koschere Öl bereitstand. 

 

Die subtile Botschaft des Talmuds, also unserer nachbiblischen Lehre, lautet: 

 

Wir sollen eher das Wunder des Öls feiern als den militärischen Sieg. Und so gehören bis heute zu Chanukka diese Worte des Propheten Sacharja

 

„Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist spricht der Ewige.“ (Sachar. 4:6)