Ausgabe

Juden in Zwettl

Friedel Rainer Moll

Der erste namentlich bekannte Zwettler Jude Abraham lässt sich in der Zeit von 1315 bis 1317 im Archiv des Stiftes Zwettl durch Fragmente von Schuldscheinen nachweisen. Das Kloster stand also mit hier lebenden Juden in wirtschaftlichem Kontakt. Ausserdem dürfte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in oder um Zwettl ein bedeutender rabbinischer Gelehrter gelebt haben.1

Inhalt

Im Stift Zwettl verfasste Annalen berichten über das von Pulkau ausgehende Pogrom von 1338, im Zuge dessen alle in Zwettl ansässigen Juden ermordet wurden.2 Im ältesten Zwettler Urbar von 1560 und in den Ratsprotokollen aus dieser Zeit wird in der Stadt eine Judengasse genannt.3 Es handelt sich dabei um die heutige Hamerlingstrasse. Nahe dem Stift Zwettl befindet sich am sanften Hügel gegen Rudmanns hinauf eine Flur, die im Volksmund den Namen Judenfriedhof trug. Ob sich hier einst Gräber befanden, ist unbekannt; jedenfalls wurden bis heute keine Anzeichen dafür gefunden. In den Jahren 1669 bis 1671 mussten über kaiserlichen Befehl alle Juden Wien und Niederösterreich verlassen. Viele der Vertriebenen siedelten sich in Böhmen und Mähren, besonders in den grenznahen Gemeinden, an. Nur zu den Marktzeiten durften jüdische Kaufleute aus den nördlichen Nachbarländern nach Niederösterreich einreisen. In den Zwettler Archivalien finden sich für das 17. und 18. Jahrhundert vorwiegend in den Mautordnungen und -rechnungen Spuren über die vorübergehende Anwesenheit von Juden. Sie mussten generell höhere Mautgebühren entrichten als andere Personen.

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Blick in den Zwettler Judenfriedhof. Foto: Werner Fröhlich, Zwettl, 2006.

Erst mit der Revolution von 1848 und der darauffolgenden tiefgreifenden Umgestaltung von Staat und Gesellschaft war es ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Juden gestattet, Wohnsitz und Beruf weitgehend frei zu wählen. 1852 versuchte der Branntweinhändler Samuel Schidloff aus Altstadt (tschech. Staré Mésto) in Böhmen mit seiner Familie in Zwettl Fuss zu fassen. Trotz des heftigen Widerstandes der Zwettler Stadtverwaltung war es Schidloff letztlich möglich, sich in Zwettl niederzulassen. Die Schidloffs waren in der Folge die bedeutendste und angesehenste jüdische Familie in Zwettl. Nach 1938 wurden ihre letzten Mitglieder in den Konzentrationslagern ermordet. Bald nach den Schidloffs siedelten sich weitere jüdische Familien in Zwettl an, und es entstand hier eine kleine Gemeinde. Im Haus Nr. 171 (heute Landstrasse 62) richtete man einen Betraum ein, und über Betreiben und durch den finanziellen Einsatz von Samuel Schidloff konnte im Ortsteil Syrnau, unmittelbar neben dem christlichen Friedhof, ein „Judenfriedhof“ angelegt werden.

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Davidstern mit Taube. Im Dachbodenbereich des Zwettler Rathausturmes befand sich an der Front zum Hauptplatz hin lange Zeit ein Fenster in Form eines Davidsterns. Bei Umbauarbeiten im Jahr 2002 wurde es entfernt. Seither ist es verschollen. Foto: Werner Fröhlich, Zwettl, 1979.

Etwa ab der Mitte des 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein war nicht nur das Waldviertel – dieses aber ganz besonders – von judenfeindlich-antisemitischer Agitation geprägt. Ganz wesentlich verantwortlich dafür war der ab 1868 im nahe von Zwettl gelegenen Schloss Rosenau lebende Georg Ritter von Schönerer. Judenfeindliche Äusserungen waren damals in Reden von Politikern, Priestern sowie in der Presse alltäglich. Für Zwettl sei hier nur die von Schönerer herausgegebene Zwettler Zeitung genannt, in der während ihres gesamten Erscheinungszeitraums von 1890 bis 1908 keine Ausgabe ohne judenfeindlichen Artikel erschien. Mit Stichtag 11. März 1938 lebten in der Stadt Zwettl nach aktuellem Erkenntnisstand zwölf Personen, die nach den rassistischen Nürnberger Gesetzen als „Juden“ eingestuft wurden. Stellvertretend seien hier drei Familien genannt.

 

Die Familie Dr. Philipp Fränkel

Der Rechtsanwalt Dr. Philipp Fränkel liess sich 1924 mit seiner Gattin Mirjam in Zwettl nieder, 1927 kam ihr Sohn Heinrich zur Welt. Fränkel führte im Haus Hamerlingstrasse 4 eine Anwaltskanzlei. Nach dem Anschluss wurde ihm die Ausübung seines Berufes verboten. Am 16. Februar 1939 mussten die Fränkels nach Wien in ein Massenquartier im Haus Sechsschimmelgasse 14/21 übersiedeln. Am 14. Februar 1941 wurden Mirjam Fränkel und ihr knapp 14-jähriger Sohn Heinrich, der in der Zwettler Schule als stilles, fleissiges und ein wenig kränkliches Kind beschrieben worden war, mit dem ersten von zwei Transporten österreichischer Juden nach Oppeln (poln. Opole) gebracht. Von den insgesamt 2.003 Juden, die man im Februar 1941 nach Oppeln deportierte, sind achtundzwanzig Überlebende bekannt. Mirjam und Heinrich Fränkel gehören nicht dazu. Am 28. Oktober 1941 brachte man Dr. Philipp Fränkel nach Litzmannstadt (poln. Łódź). Seither fehlt von ihm jede Spur.

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Warenhaus des Paul Klein, 1930. Quelle: Stadtarchiv Zwettl, Sign. BA-05-01-41.

Die Familie Paul Klein

Paul und Irene Klein betrieben im Haus Sparkassenplatz 2 ein Textilien- und Schuhgeschäft. Die Familie Klein beschloss unmittelbar nach dem Anschluss, das Deutsche Reich zu verlassen. Paul Klein ging sofort daran, sein Geschäft zu liquidieren und das Warenlager aufzulösen, was nur mit bedeutendem finanziellen Verlust möglich war. Am 30. Juli 1938 reiste die Familie nach Wien ab. Am 17. September 1938 erhielt Kleins ehemaliger Nachbar in Zwettl, der Friseur Franz Schmoll, eine Karte aus Paris, in der sich Klein entschuldigte, dass seine Familie und er sich nicht verabschiedet hätten, und mitteilte, dass sie in die U.S.A. auswandern wollten. Dies gelang ihnen auch. Paul Klein und seine Enkelin besuchten 1969 die Stadt Zwettl.

 

Familie Taussig

Das Ehepaar Max und Rosa Taussig übersiedelte 1919 von Wien in das kleine Dorf Grainbrunn, südlich von Zwettl. 1920 kam ihr Sohn Paul zur Welt. 1933 zog die Familie nach Zwettl, wo der Vater Max – wie in Grainbrunn – mit landwirtschaftlichen Maschinen und Fahrrädern handelte. 1934 liessen sich Max, Rosa und Paul Taussig taufen, und der ursprünglich mosaische Hauptschüler Paul wurde Mitglied der Zwettler St. Georgs-Pfadfindergruppe. Nach dem Anschluss mussten Max und Rosa Taussig in Wien in verschiedenen Sammelwohnungen unterkommen. Am 26. Februar 1941 deportierte man das Ehepaar Taussig mit dem 2. Transport nach Oppeln (poln. Opole) in Polen. Seither fehlt von ihnen jede Spur. Der damals achtzehnjährigen Paul Taussig versuchte im September 1938, über Ungarn nach Jugoslawien zu flüchten. An der Grenze zu Italien wurde er aber wegen seines mit dem „J“ für „Jude“ gekennzeichneten Passes aufgegriffen. Im Frühjahr 1939 gelang es ihm, über Holland nach England zu entkommen. Paul Taussig erlangte nach Kriegsende eine führende Position in der englischen Postverwaltung. In den 1980er Jahren besuchte er mehrmals Zwettl und seinen Heimatort Grainbrunn. Paul Taussig verstarb am 5. Mai 1989 in Wakefield, West Yorkshire.

 

Derzeit wird in Zwettl die Errichtung eines Denkmals beziehungsweise einer Gedenkstätte für die hier einst lebenden, vertriebenen und ermordeten Juden geplant.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Autor

Schulrat Friedel Rainer Moll, geboren 1945 in Zwettl, war 1967-1969 Volksschullehrer in Grossgöttfritz, 1969-2003 Hauptschullehrer in Zwettl und 1979-2003 Leiter der dortigen Bezirksbildstelle. Sein langjähriges Wirken als Stadtarchivar von Zwettl (seit 1986) hatte nachhaltigem Einfluss auf das Kulturgeschehen von Stadt und Region. Er verfasste zahlreiche Publikationen zur Stadt- und Regionalgeschichte. Mittlerweile ist seine Tochter Elisabeth Moll (Jg. 1974) Stadtarchivarin von Zwettl.

 

Anmerkungen

1 Eveline Brugger, Mittelalterliche Spuren jüdischen Lebens im Waldviertel. In: Friedel Moll, Jüdisches Leben in Zwettl = Zwettler Zeitzeichen Nr. 13, Zwettl 2009, S. 8-9.

2 Dazu siehe auch: Eveline Brugger, Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung/Kontakte und Konflikte. In: Geschichte der Juden in Österreich. S. 123–227. Österreichische Geschichte, Bd. 15.

3 Stadtarchiv Zwettl, Sign. 06-01; Sign. 02-02.

 

 

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung F. R. Moll.