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Rosch Haschana

Rabbiner Joel BERGER

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Rosch Haschana, der Name des Festes bedeutet Haupt des Jahres, ist der erste Tag des jüdischen Kalenderjahres.  Das Fest dauert sowohl innerhalb, wie auch ausserhalb des Heiligen Landes zwei Tage lang. 

 

In der Tora ist über Rosch Haschana folgendes zu lesen: „Im siebenten Monat, am ersten Monatstag sei für euch ein besonders feierlicher Ruhetag, mahnendes Hörnerblasen und heilige Versammlung. Da dürft ihr keinerlei Arbeit tun und sollt dem Herrn ein Brandopfer darbringen.“ (3.B.M. 23: 24 – 25) Infolge der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n.d.Z. ist, seit der nachbiblischen Zeit, kein Tempelopfer mehr möglich. So wandelte sich auch der Inhalt des Festes unter Mitwirkung unserer Schriftgelehrten.

Der Inhalt dieser Festtage ist in unserer Zeit der Mitmenschlichkeit gewidmet. Die Umkehr und die Reue der eigenen Missetaten stehen im Mittelpunkt dieser ernsten Tage.  

Die weisen, alten Meister unseres Volkes wussten genau, dass sehr oft menschliche Trägheit und Faulheit der Teschuwa, der Umkehr, im Wege stehen können, deshalb bemühten sie sich,  jedem von uns auf einfachste, schlichte Art zu erläutern wie man diese Umkehr bewerkstelligen sollte.  Dem rationalen Gelehrten Maimonides, dem Philosophen, Rechtskundigen und Arzt im 12.Jahrhundert war es zuwider die „reumütige Umkehr“ als eines der g-ttlichen Gebote aufzuzählen. Umkehr auf G-ttes Befehl!  Dieser Gedanke war ihm unerträglich!  Er betonte eher: Den Menschen soll man daran wahrnehmen, wie er aus eigener Kraft seine Fehler und Verfehlungen vor G-tt bekennt und dann auch zur Umkehr bereit ist.

Unsere Meister der Lehre wollten die Teschuwa an der Schwelle eines Neuen Jahres eben nicht als so eine exakt auferlegte Pflichterfüllung wissen, wie z.B. die Einhaltung der Gebote des Schabbat, der Kaschrut, oder sogar der Nächstenliebe.  Sie wollten zum Ausdruck bringen, dass die Teschuwa alle Bereiche des Lebens umfasst.  In den „Sprüchen der Väter“, in den „Pirke Awot“, den Lehrensammlungen und Aussagen ethischer Maximen verschiedener früherer Gelehrten, werden wir ermahnt:  „Kehre einen Tag vor deinem Tode um.“ (Spr.d.Väter 2:10)  Da aber niemand seinen Todestag im Voraus kennt, solle man zeitlebens zur Umkehr bereit sein.  

Rosch Haschana bestärkt in uns das Bewusstsein, dass nur sehr wenige Menschen dazu imstande sind...Den Menschen, der in seinem täglichen Leben stets zur Teschuwa bereit ist, den nannten die Weisen „Baal Teschuwa“.  Der Begriff bedeutet:   ein Mensch, der die Bereitschaft entwickelt seine Fehler einzusehen und zu bereuen, um dadurch einen neuen Weg einzuschlagen.  So ein Mensch ist aber keineswegs ein Heiliger oder ein Zaddik, ein Gerechter, - sondern vielleicht eher ein Chassid, ein Frommer...Unsere Ahnen erkannten in dieser menschlichen Haltung die Verwirklichung der Lehre des Meisters Maimonides:  „Da jeder Mensch über sich selbst bestimmt“, - wir würden sagen, jeder von uns die freie Willensentscheidung besitzt,  „bemühe sich der Mensch Teschuwa zu tun, um sich seiner Verfehlungen zu entledigen.“ (H.Tschuwa 7:1)

Das Gebot der Tora schreibt uns für die Tage des Rosch Haschana, des Neujahrsfestes in das Schofar, das aus dem Widderhorn gefertigte Naturinstrument, zu blasen.  Der Prophet Amos, der im 8. Jahrhundert v.d.Z. lebte, bezeichnete die Töne des Schofar als furchterregend.  Diese Furcht treibt jedoch die Israeliten zur Reue ihrem G-tt gegenüber und zur Vergebung ihrer Nächsten.  In der grossen volkstümlichen Bewegung der Chassidim, im Osten Europas entfalteten die Rabbiner vielerlei Gedanken und Erzählungen das Schofarblasen betreffend.  Ihr Ausgangspunkt war eine Aussage des Psalmdichters der sinngebend verkündete:  „Selig ist das Volk, das den Schofarton versteht, O Herr, im Lichte Deines Angesichts wandeln sie“  (Ps.89:16). Die Rosch Haschana- Tage gelten als die Gerichtstage des Herrn über uns.  Unsere Handlungen des vergangenen Jahres werden „gewogen“, - und über unsere Zukunft wird eine Entscheidung getroffen.  Die Gleichnisse der Chassidim haben diese „Gerichtsverhandlungen“ mit leicht nachvollziehbaren, irdischen Motiven und Elementen ausgestattet.  Eine Gerichtsverhandlung auf Erden benötigt einen Ankläger und einen Verteidiger.  Die „Rolle“ des allmächtigen Richters wird naturgemäss dem Herrn, G-tt übertragen.  Der „Ankläger“ erscheint, - gemäss der ursprünglichen Bedeutung dieses hebräischen Wortes,- im Bilde des „Satan“.  Dieser pflegt die Israeliten vor dem Stuhl des Richters anzugreifen:  sie halten den Schabbat nicht ein, verletzen die ethischen Verhaltensgebote des Herrn, sie machen sich ihre Götzen....  Die Verteidigung, die Boten des Herrn, bemühen sich die Anklagen zu widerlegen und zu entkräften.  Jedoch müssen manche harten Fakten der „Ankläger“ sie in die Verzweiflung treiben...Manchmal nützen die mildernden Umstände leider auch nicht. Daher meint der Volksglaube, dass das Schofarblasen auch den Sinn haben könnte, den „Satan“,  den Ankläger zu verwirren, damit er seine unheilvollen, unheilbringenden Anklagen nicht zu Ende bringen kann.  Raschi (1040-1105), der volkstümliche Kommentator, - der eine Weile in Worms wirkte, fügte noch hinzu:  Man muss mit den für Rosch Haschana angeordneten hundert Schofartönen dem „Ankläger“ zeigen, wie eifrig wir den Geboten der Tora nachkommen wollen.  

Und ein bekannter chassidischer Rabbi ergänzte noch:  Wir Menschen auf dieser Erde sind nach so vielen Wirren und Leiden oft desorientiert...  Wir hoffen daher stets auf die Barmherzigkeit G-ttes, dass Er gegen uns Menschen aus Fleisch und Blut, keine harten Klagen gelten lassen wird.  Deshalb werden die von der Tora vorgeschriebenen Schofartöne den Ankläger des Volksglaubens, den „Satan“ verstummen lassen.