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Die Balfour-Deklaration vom 2. November 1917

Erwin A. SCHMIDL

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Vor hundert Jahren, am 2. November 1917, richtete der britische Aussenminister, Arthur James Balfour (1848-1930), einen Brief an Baron Lionel Walter Rothschild (1868-1937), der eine Erklärung der britischen Regierung über eine mögliche „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ in Palästina enthielt. Eigentlicher Adressat war die Zionistische Weltorganisation – nach dem Sturz des russischen Zaren in der Februarrevolution und angesichts der bisherigen guten Kontakte der Zionisten zum Deutschen Reich wollte Grossbritannien die Unterstützung der Juden vor allem in den USA gewinnen. Für viele war dies – im Rückblick – der erste Schritt hin zur Gründung des Staates Israel. 

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Arthur James Balfour, britischer Aussenminister (1916-1919). Foto. Wikimedia Commons, abgerufen am 2.9.2017.

 

Die Balfour-Deklaration 

Inhaltlich war der Text dieser „Balfour-Deklaration“, als welche sie inzwischen bekannt ist, allerdings eine recht unverbindliche Zusage: 

 

„Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.“ 

 

Unter „the establishment in Palestine of a national home for the Jewish people“, wie es im englischen Original hiess, konnte man vieles verstehen, einen unabhängigen Staat (wie er schliesslich 1948 entstand) ebenso wie eine Autonomielösung welcher Art auch immer. Wie welche Lösung auch immer mit der im selben Atemzug angekündigten Respektierung der „civil and religious rights of existing non-Jewish communities in Palestine“ vereinbar sein sollte, war eine weitere offene Frage. In einem britischen „White Paper“ von 1922 hiess es dann, entgegen „übertriebenen Interpretationen“ („exaggerated interpretations“) der Balfour-Deklaration, sollte es zwar eine „nationale Heimstätte“ in Palästina, nicht aber einen jüdischen Staat oder eine jüdische Staatsbürgerschaft geben – die künftige Staatsbürgerschaft („nationality“) sollte, unabhängig von der Religion, einheitlich „palästinensisch“ sein. 

Der Text der Balfour Deklaration (ein erster Entwurf entstand im Juli 1917) stammte vom britischen Beamten und Zionisten Leon Simon (1881-1965). Simon war Sohn eines Rabbiners aus Manchester, wo der ursprünglich weissrussische Chemiker (und spätere erste israelische Staatspräsident) Chaim Weizmann (1874-1952) 1904 Professor geworden war. 

 

Widersprüchliche Ziele und Interessen

Der Nahe Osten war Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge der zunehmenden Orient-Faszination und nicht zuletzt durch die französische Ägypten-Expedition (1798-1801) unter Napoleon Bonaparte (1769-1821) in das europäische Blickfeld gerückt. Die Schwäche des Osmanischen Reiches und die Eröffnung des Suezkanals (1869) waren weitere Impulse; 1878 kam Zypern und 1882 Ägypten unter britische Kontrolle. 1911/12 eroberte Italien Libyen und die Dodekanes-Inseln (um Rhodos).

Im Ersten Weltkrieg schloss sich das Osmanische Reich den Mittelmächten an. Die Entente-Mächte, vor allem Grossbritannien und Frankreich, wälzten früh Konzepte zur künftigen Machtverteilung in dieser Region. Um sich die Unterstützung der Araber gegen die Osmanen zu sichern, machte Sir Arthur Henry McMahon (1862-1949), 1915 bis 1916 britischer Hochkommissar in Ägypten, in mehreren Briefen dem Führer des Hedschas und Scherifen von Mekka, Hussein ibn Ali (1853/56-1931) vage Zusagen hinsichtlich eines künftigen arabischen Reiches. Der bekannte „arabische Aufstand“ gegen die osmanische Herrschaft war die Folge. Unklar blieb die geographische Position dieses arabischen Reiches, vor allem die Frage, ob dieses auch Palästina westlich des Jordans beinhalten sollte. 

Etwa zur selben Zeit, Ende 1915, verhandelten der konservative Politiker Sir Mark Sykes (1879-1919), der schon als junger Mann den Nahen Osten bereist und kurze Zeit an der britischen Botschaft in Istanbul gedient hatte, und der erfahrene französische Diplomat François Georges-Picot (1870-1951), der davor Generalkonsul in Beirut gewesen war, ein Abkommen, in dem Grossbritannien und Frankreich ihre künftigen Einflusszonen im Nahen Osten festlegten. Der Entwurf wurde am 3. Jänner 1916 vereinbart, das Abkommen formell am 16. Mai 1916 besiegelt. Der Norden der arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs sollte unter französische, der Süden unter britische Kontrolle kommen. 

Von einer künftigen „Heimstätte für das jüdische Volk“ war in dem Sykes-Picot-Abkommen noch keine Rede, obwohl Sykes 1916, ebenso wie Weizmann, in die Vorbereitung der Balfour-Deklaration eingebunden war. 

 

Der Krieg in Palästina 

Erste Operationen der Entente gegen das Osmanische Reich – einerseits durch den direkten Angriff auf die Meerenge der Dardanellen und andererseits durch einen Vorstoss von Basra nach Bagdad – scheiterten 1915/16. Es folgten heftige Kämpfe, unter anderem auch in Palästina: osmanische Versuche, den Suezkanal zu erreichen und Ägypten anzugreifen, waren ebenso wenig erfolgreich wie die britischen Angriffe bei Gaza. Die Türken wurden dabei durch deutsche und österreichisch-ungarische Truppen unterstützt. Erst in der dritten Gaza-Schlacht gelang es den britischen und Commonwealth-Truppen unter General Edmund Henry Allenby (1861-1936), die Front bei Be’er Sheva zu durchbrechen und am 7. November 1917 Gaza einzunehmen. 

Für die einheimische Bevölkerung in Palästina, vor allem für die dort lebenden Juden, bedeutete der Erste Weltkrieg eine Zeit der Entbehrungen und verstärkten Unterdrückung durch die türkische Verwaltung. (Einiges davon ist in dem, Schwejk-haft überzeichneten Roman Jerusalem wird verkauft des damaligen k.u.k. Offiziers und späteren Schriftstellers Eugen Hoeflich / Moscheh Ya‘akov Ben-Gavriêl (1891-1965) nachzulesen.) 

Die Kämpfe bei Gaza und Be’er Sheva gehören zum Hintergrund der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917. Am 16. November besetzten die Briten Jaffa und am 9. Dezember kapitulierte Jerusalem. Es sollte allerdings noch ein knappes Jahr, bis Ende September 1918, dauern, dass es den Briten in der Schlacht bei Megiddo gelang, den vollständigen Zusammenbruch der osmanischen Front – die damals nördlich der Linie Jaffa-Jericho verlief – zu erzwingen. Damit kollabierte das Osmanische Reich, dem wenig später Bulgarien, Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich folgten. 

 

Friede ohne Frieden 

Weizmann verständigte sich um die Jahreswende 1918/1919 sogar mit Husseins Sohn Faisal I. (1883-1933), dem künftigen König des Irak, über eine arabische Zustimmung zu den nationalen Ambitionen der Zionisten. Voraussetzung dafür aber wäre eine Einhaltung der Zusagen eines künftigen arabischen Reiches gewesen. 

Für die siegreichen Mächte der Entente stellte sich 1918 die Frage einer Neuordnung Europas und des Nahen Ostens. Die Friedensverhandlungen von Paris, die 1919/1920 zu den Verträgen von Versailles mit dem Deutschen Reich, Saint-Germain-en-Laye mit Österreich, Neuilly-sur-Seine mit Bulgarien, Trianon mit Ungarn und Sèvres mit dem Osmanischen Reich führten,1 waren Verhandlungen nicht der Sieger mit den Verliererstaaten, sondern innerhalb der Siegermächte über deren vielfältige, einander teils widersprechende Kriegsziele und Versprechungen. Nicht grundlos betitelte der jüngst verstorbene amerikanische Jurist und Historiker David Fromkin (1932-2017) sein Buch über den Fall des Osmanischen Reiches und die Schaffung des modernen Nahen Ostens A Peace to End All Peace – eine Friedenslösung, die jegliche Hoffnung auf Frieden beendete. 

Zu den verschiedenen Versprechungen der Entente-Mächte in dieser Region gehörte auch die Balfour-Deklaration. Aus zionistischer Sicht war sie jedenfalls eine Zusage, die Ziele der Bewegung, zwei Jahrzehnte nach dem ersten grossen Zionisten-Kongress (1897 in Basel), mit britischer Unterstützung umsetzen zu können. Rund drei Jahrzehnte nach der Deklaration, 1948, stimmten die Vereinten Nationen der Schaffung des Staates Israel zu.

 

1 Der Vertrag von Sèvres wurde drei Jahre später, im Juli 1923, im Vertrag von Lausanne zugunsten der Türkei revidiert.