Ausgabe

Kärnten: Stumme Zeugen einer (fast) vergessenen Kultur

Charles STEINER

Content

Nicht viel erinnert vom jüdischen Leben in Klagenfurt. Ein jüdischer Friedhof und eine Gedenktafel an jenem Platz, an dem einmal ein jüdisches Bethaus stand, sind stumme Zeugen einer Zeit, als es ein florierendes Leben in der Kärntner Landeshauptstadt und in Kärnten gab - bis die nationalsozialistische Gewaltherrschaft diesem ein jähes Ende setzte. Ein Ende, von dem sich die jüdische Gemeinschaft nie mehr erholt hat.

Wenn man durch die Klagenfurter Innenstadt geht, glaubt man nicht, dass hier einmal eine jüdische Gemeinde existiert hatte. Lange Zeit wurde von vielen Repräsentanten des Landes und der Stadt ignoriert, dass die Nationalsozialisten auch in Kärnten, beginnend mit der Reichskristallnacht und mit darauf folgenden Deportationen, einen kulturellen Raubbau begangen hatten. Von den Bewohnern heute weiss kaum einer mehr um den Anfang und das Ende des kulturellen Lebens der Kärntner Juden Bescheid. Erst in der jüngeren Zeit hat man begonnen, auch dieses dunkle Kapitel in der Kärntner Landesgeschichte aufzuarbeiten. Und wenn man jetzt genau hinsieht, auf die Stolpersteine in der Innenstadt achtet, kann man erahnen, wie blühend die jüdische Kultur einst die Innenstadt und das Land durchflutet hatte, auch wenn die Gemeinde zahlenmässig nicht sehr gross war. Zahlreiche wirtschaftliche Initiativen im agrarisch geprägten Kärnten gingen von Juden aus, auch war eine Reihe von Personen mosaischen Glaubens tapfere Kämpfer im in Kärnten allzu oft verklärten Abwehrkampf, die dafür auch ausgezeichnet wurden.

h100_011

Das Klagenfurter Bethaus, Aussenansicht. Historische Aufnahme, undatiert. Mit freundlicher Genehmigung Landesarchiv Kärnten.

Bethaus als Symbol der Autarkie

Eines der wichtigsten Symbole der jüdischen Blüte in Kärnten war das Bethaus in der Platzgasse in Klagenfurt. Symbol deshalb, weil es die jüdische Gemeinde nicht immer leicht hatte, als Kultusgemeinde anerkannt zu werden, da die Mitglieder zu wenige waren und daher von der israelitischen Kultusgemeinde Graz mitverwaltet wurden. Es bedurfte an die 30 Jahre, bis die Bestrebungen, eine eigenständige Kultusgemeinde zu gründen, erfolgreich waren. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, an dem auch zahlreiche Kärntner Juden mit der Waffe in der Hand für ihre Heimat gekämpft hatten, war dem Vorhaben, wenn auch nur für kurze Zeit, der lang ersehnte Erfolg beschieden. Im Jahr 1923 wurde im Haus an der Platzgasse 3 in Klagenfurt das erste eigene Bethaus in einem Gebäude, das 20 Jahre zuvor erbaut wurde, bezogen. Im Erdgeschoss befand sich der Tempel, im ersten Stock die Gemächer des Rabbiners. Zuvor wurde in einem Gasthaussaal in der Kasernengasse (heute Karfreitstrasse) gebetet, dann in unmittelbarer Nähe zum Bethaus, im Haus Nummer 8 in der Platzgasse. Der erste Klagenfurter Rabbi war Ignaz Hauser aus dem niederösterreichischen Mistelbach. Letzter Rabbiner in Klagenfurt war Dr. Josef Babad.

Die ersten Versuche, eine eigenständige Kultusgemeinde in Klagenfurt unabhängig von Graz zu etablieren, begannen bereits Jahrzehnte vorher, nämlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ausgehend von der „Chewra Kadischa", der „Heiligen Bruderschaft", die zunächst als „israelitischer Krankenunterstützungs- und Leichenbestattungsverein" in Klagenfurt wirkte. Im Jahr 1887 wurde von Mitgliedern dieses Vereins ein Antrag an das k.u.k-Landespräsidium gestellt, einen Kultusverein gründen zu dürfen - mit dem Ziel, Gottesdienste abzuhalten und die jüdische Jugend erziehen zu dürfen. Allerdings erfuhr der erste Kultusverein wenig Zuspruch von den Glaubensbrüdern, was darin endete, dass die Gemeinde ab 1890 wieder von Graz aus verwaltet und 1895 ganz aufgelöst wurde. Interessantes Detail: Seit demselben Jahr hat der jüdische Friedhof im Klagenfurter Stadtteil St. Ruprecht Bestand, er existiert heute noch, obgleich er nur von den Friedhofstoren aus zu besichtigen ist, ausserhalb der Mauer des christlichen Friedhofs. Das Areal wurde von „Chewra Kadischa" erworben und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört. Erst 19 Jahre nach Ende des Kriegs wurde der Friedhof umfassend restauriert.

h100_010

Innenansicht des Klagenfurter Bethauses, Blick auf den Thoraschrein. Historische Aufnahme, undatiert. Mit freundlicher Genehmigung Landesarchiv Kärnten.

Das Klagenfurter Geschäftsleben blühte

Bevor die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten und damit dem jungen jüdischen Leben in Klagenfurt ein Ende setzten, sorgten zahlreiche Juden für ein blühendes Geschäftsleben an Orten in Klagenfurt, an dem heute auf dem ersten Blick nichts an deren Geschichte erinnert. Besonders im Stadtkern waren einige bekannte und beliebte Warenhäuser von Personen mosaischen Glaubens betrieben, etwa am Neuen Platz, am Alten Platz, in der Wiener Gasse und der Bahnhofstrasse.  Wer weiss denn schon, dass das Bekleidungsgeschäft an der Wiener Gasse 2 in Klagenfurt ursprünglich jüdischen Besitzes war, so man nicht auf den Boden blickt und dort die einen messingfarbenen Stolperstein findet, der erst im Vorjahr dort wie auch mehrere andere an vielen anderen ehemaligen Wirkungsstätten jüdischen Lebens in Klagenfurt angebracht wurde? Oder dass das Gebäude am Neuen Platz, wo heute eine C&A-Filiale untergebracht ist, einst einer jüdischen Familie gehörte? Wenig bekannt ist auch, dass der Klagenfurter Stadtteil Fischl einen jüdischen Namenspaten hat: Siegmund Fischl gründete einst die Spiritus- und Hefefabrik Fischl, den Klagenfurtern eher als Mauthner-Markhof-Fabrik bekannt, die heute stillgelegt ist. Fischls Nachfahren Ernst und Josef mussten die Fabrik den Nazis überlassen und flohen. Überall in Klagenfurt finden sich Stolpersteine, die stumm an die Geschichte gemahnen, die sich denen eröffnet, die sich ihr stellen wollen.

Die Novemberpogrome, zynisch als Reichskristallnacht bezeichnet, setzten dem kurzen Leben der Kultusgemeinde in Klagenfurt ein jähes Ende und beraubten die Stadt eines wertvollen Teils der eigenen Kultur. Es war am 10. November 1938, als ein vor Wut geifernder Mob von SA-Leuten nicht nur die Geschäftslokale stürmten, sondern auch das Inventar des Bethauses in der Platzgasse zerstörte. Die darin befindlichen Bücher wurden verbrannt, das geschändete Bethaus von der Gestapo beschlagnahmt. Unklar ist das Schicksal des letzten Rabbiners Josef Babad, der den ersten Stock des Bethauses bewohnte, nach der Zerstörungsaktion organisierter NS-Banden.

Mit dem Sturm auf jüdische Einrichtungen nahm die systematische Entrechtung, Demütigung, Misshandlung und auch Ermordung der jüdischen Kärntner, so sie nicht rechtzeitig fliehen konnten, ihren unweigerlichen Lauf. Sie wurden gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen, der Erlös kam auf Sperrkonten, die ihnen beim Versuch zu emigrieren, ebenfalls abgenommen wurden. Nur wenige von ihnen schafften es, rechtzeitig zu fliehen. Für viele waren die Novemberpogrome ihr Todesurteil - sie wurden deportiert und in Konzentrationslagern in ganz Europa getötet. Die Besitztümer wurden arisiert. Dem Bethaus, dessen Inventar 1938 zerstört wurde, wurde durch einen Bombentreffer wenige Wochen vor Ende des Krieges vollends der Garaus gemacht. Es wurde nicht mehr wieder aufgebaut. So dauerte es 43 Jahre, bis eine private Initiative es geschafft hatte, einen Gedenkstein in der Häuserlücke in der Platzgasse zu erwirken. Diesen kennt aber kaum ein Klagenfurter, denn dort, wo einst das Bethaus stand, ist nur mehr ein kleiner Parkplatz vorhanden. Der Gedenkstein wird von einem Gitter bedeckt und im Sommer von Büschen umrankt. Mit dem Wüten der Nazis ist das jüdische Leben in Kärnten ausnahmslos vernichtet worden.

Genauso, wie der Gedenkstein an der Platzgasse von Büschen umrankt wird, droht sich die Schlinge des Vergessens um die Geschichte der Kärntner Juden zu wickeln. Die meisten Überlebenden kehrten nicht mehr nach Kärnten zurück, zu tief sassen die Misshandlungen und Demütigungen ihrer Mitbürger oder das Leid, das die Ermordung ihrer Angehörigen mit sich gebracht hat. Vom kulturellen Raubbau hat sich Klagenfurt nicht mehr erholen können, doch es gibt eine österreichisch-israelitische Gesellschaft in Kärnten, in dieser sind aber nicht vorwiegend Juden tätig. Für eine Kultusgemeinde ist die Anzahl der in Kärnten ansässigen Juden zu gering, daher wird sie wieder von Graz aus mitbetreut. Es schien fast so, als hätten sich die Kärntner mit dem Vergessen abgefunden.

Initiativen wider das Vergessen

In den vergangenen Jahren regten sich einige Initiativen, die die jüdische Geschichte Kärntens wieder in das kollektive Gedächtnis zu tragen trachten. Neben dem Gedenkstein für das ehemalige Bethaus im Jahr 1988 wurden, wie bereits in der Zeitschrift DAVID berichtet, im Vorjahr an ehemals jüdischen Wirkungsstätten in Klagenfurt sogenannte „Stolpersteine" angelegt. Pflastersteine aus Messing, die die Namen der damaligen Bewohner oder Betreiber mit deren Geburts- und Todesdatum beinhalten. Es handelt sich dabei um ein internationales Kunstprojekt des Berliner Künstlers Gunter Demnig, der im deutschsprachigen Gebiet bereits 34.000 solcher Steine legte. Elf sind in Klagenfurt zu finden. Der erste „Stolperstein" erinnert an Hermine Preis, die Frau des Kleidungshändlers Adolf Preis, der sein Geschäft in der Wienergasse 2 betrieb. Sie wurde im KZ Auschwitz ermordet. Demnig setzte ihn direkt vor dem Haus Dr.-Arthur-Lemisch-Platz 1. Kärntenweit fanden 50 Juden den Tod durch die Hand der Nationalsozialisten.

Doch die Aufarbeitung verläuft immer noch schleppend. Nicht zuletzt durch die jahrelangen politischen Kräfte, die, anstatt mit der grausamen Geschichte endgültig reinen Tisch zu machen, lieber vor SS-Veteranen auftreten, sie als anständige Leute bezeichnen und die Mörder immer noch - vom Land wie von der Stadt fürstlich subventioniert - fahnenschwingend auf Bergen aufmarschieren und reden lassen. Bei diesen Personen ist natürlich von den Opfern keine Rede, denn man feiert lieber das „Heldentum" und die „Pflichterfüllung", das Leid von Millionen europaweit wird einfach ausgeklammert und von vielen politischen Repräsentanten verharmlost. Dass sich Kärnten eines einzigartigen Teils seiner Kultur entledigt hat, darüber spricht heute niemand. Solange es diesbezüglich kein echtes Umdenken gibt, bleiben die paar Zeugnisse jüdischen Lebens in Kärnten weiterhin stumm.

Verwendete Literatur

Walzl, August: „Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich", Verlag des Kärntner Landesarchivs, Klagenfurt 2009.

Wadl, Wilhelm: „Spuren jüdischen Lebens in Kärnten vom Mittelalter bis zur Gegenwart", Verlag des Kärntner Landesarchivs, Klagenfurt 2003.

Danglmaier, Nadja: „Die jüdische Gemeinde in Klagenfurt - von gesellschaftlicher Assimilation zur Zerstörung - Auseinandersetzung von Jugendlichen mit verdrängter Regionalgeschichte", Projektarbeit als Abschluss des Akademielehrgangs „Pädagogik an Gedächtnisorten" an der Pädagogischen Akademie Linz, 2006.

Haider, Hans: „Kärntner Jüdinnen und Juden - Gedemütigt, verfolgt, vertrieben, ermordet". Grüne Bildungswerkstatt Kärnten, Klagenfurt 2008.