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Judentum in Südafrika

Bernhard BRUDERMANN

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Die preisgekrönte und vielbeachtete Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer (geboren 1923) zeichnet auch wieder mit ihrem jüngsten Roman, dem im Herbst 2012 erschienenen „Keine Zeit wie diese", ein ausführliches und informatives Bild Südafrikas. Gordimer streift nicht nur die Geschichte der Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika, die sich im Untergrund formierten, um gegen das Apartheidsystem zu opponieren, sondern stellt auch die aktuelle Lage Südafrikas - nun mehr als zwanzig Jahre nach Ende der Apartheid - mit all seinen Problemen anschaulich dar: Kriminalität, Arbeitslosigkeit, noch immer schwelender Rassismus, die Gesundheitssituation, gesellschaftliche Ungleichheit - und all diese Informationen  in ein neuerliches literarisches Meisterwerk eingebettet.

„Ist das eine orthodoxe oder eine Reformsynagoge ... Der Rabbiner begrüsst die versammelte Gemeinde auf Hebräisch und in umgangssprachlichem Englisch ... sein Hebräisch ist Dichtung, ein Chor singt in derselben Sprache, man muss keine Noten lesen können, um die Schönheit der Musik zu erfassen ... Der Rabbiner, oder was immer er ist ... Das ist mein Bruder..." (Nadine Gordimer, „Keine Zeit wie diese", Seite 60f.)

Aber auch das Judentum spielt in diesem Roman wieder eine wichtige Rolle; der Hauptprotagonist, aus einer jüdischen, liberalen Familie aus Johannesburg stammend, hadert immer wieder mit seiner eigenen Situation, mit seinem Umgang mit dem Judentum: er, intellektuell, ehemaliger Untergrundkämpfer des African National Congress (ANC), nunmehr Dozent an der Uni, rational, säkularisiert - ihm gegenüber sein Bruder, der mit seiner Familie zum orthodoxen Judentum zurückkehrt und darin glücklich aufgeht.

Und niemand hätte all diese Themen besser innerhalb eines Romans verarbeiten können als Nadine Gordimer, die bereits in Zeiten der Apartheid als eines der wichtigsten literarischen Sprachrohre auf dieses - auf Rassismus aufgebaute System - weltweit aufmerksam machte: die Tochter jüdischer Einwanderer aus Litauen und London, die Ehefrau, des aus NS-Deutschland emigrierten Kunsthändlers Reinhold Cassirer, aus dem bekannten Berliner Cassirer-Clan stammend. Nadine Gordimer zählt neben vielen liberalen und intellektuellen jüdischen Südafrikanern zu den wichtigsten Stimmen dieses Landes, jene Stimmen, die gegen die Apartheid auftraten, aber auch die gegenwärtigen (leider noch nicht gelösten) Probleme erkennen und thematisieren.

Erste jüdische Einwanderer kamen mit den ersten Siedlern nach Südafrika und spielten seit dem frühen 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle in der kulturellen, ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklung des Landes. Viele der aus England, Holland und Deutschland stammenden jüdischen Einwanderer waren von Anfang an in vielen Bereichen, wie der Medizin, der Ökonomie, der Architektur, der politischen sowie kulturellen Entwicklung, massgeblich am Aufbau des südafrikanischen Staates beteiligt und haben diese Rolle bis in die Gegenwart beibehalten.

Berühmte jüdische Persönlichkeiten in Südafrika

Eine ganze Reihe prägender südafrikanischer Persönlichkeiten stammt aus jüdischen Familien - nur wenige können hier kurz genannt werden: etwa Nathaniel Isaacs, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der ersten Erforscher der Region Kwa-Zulu-Natals war; der erste praktische Arzt in Südafrika, Dr. Siegfried Fraenkel, der bereits 1808 nach Kapstadt kam und hier massgeblich am Aufbau der jüdischen Gemeinde beteiligt war; weitere Ärzte wie Dr. D. Horwich, der die Jewish Ambulance Corps im Burenkrieg initiierte und leitete, aber auch der Hämatologe Maurice Shapiro, der Genetiker Sydney Brenner, die Chirurgen Jack Wolfowitz oder Jack Penn, der Anatom Philip Tobias oder der vormalige Gesundheitsminister Dr. Henry Gluckman. Aber nicht nur in der Medizingeschichte spielten jüdische Südafrikaner eine führende Rolle, sondern auch in der Bereichen der Ökonomie (wie die Familien Mosenthal, Schlesinger, Oppenheimer), im kulturellen und literarischen Leben mit Vertretern wie die international renommierte Malerin Irma Stern, die Literatinnen Sarah Goldblatt, Olga Kirsch und natürlich Nadine Gordimer sowie im Sport, etwa der ehemalige Formel 1-Pilot Jody Scheckter oder der Cricketstar Ali Bacher. Vor allem aber politisch haben sie sich, hier wiederum speziell jüdische Frauen besonders hervorgetan, etwa Helen Suzman (1917 bis 2009). Ihre Eltern waren Einwanderer aus Litauen, verheiratet war sie mit dem Arzt Mosie Suzman. Nach einem Studium der Wirtschaftsgeschichte war Helen Suzman ab den 1940er Jahren politisch aktiv und, gemeinsam mit Professor Colin Eglin (geboren 1925), die politische Führungsperson der Progressive Federal Party, dem Gegengewicht zur Nationalen Partei. Suzman muss als eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten der Opposition zum Apartheidsystem gesehen und gewertet werden, aber auch nach dessen Ende sparte Suzman - ähnlich wie ihre literarische Kollegin Gordimer - nicht an Kritik an den Missständen im neuen System. Viele liberal geprägte jüdische Südafrikaner sympathisierten mit den Befreiungsbewegungen oder wurden sogar aktive Untergrundkämpfer, wie etwa das Ehepaar Joe Slovo und Ruth First (die 1982 in Maputo bei einem Attentat ums Leben kam) und deren Töchter Gillian und Shawn Slovo als Schriftstellerinnen bzw. Drehbuchautorinnen durch ihre Literatur und ihre Filme wichtige Dokumente zum Untergrundkampf  hinterliessen; der Richter Albie Sachs, der bei einem Attentat ein Auge und einen Arm verlor und zu einem engen Berater Nelson Mandelas wurde. Die Reihe liesse sich fortsetzen.

Eine wichtige Rolle spielen jüdische Südafrikaner auch in der Architektur, hier muss etwa der Architekt und Soziologe Alan Lipman genannt werden, der sowohl im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten als auch im israelischen Unabhängigkeitskrieg im militärischen Einsatz war und während der Jahre der Apartheid in England lebte, oder die Architekten Dennis Tavill oder Barney Shapiro, die in Kapstadt (gemeinsam mit eingewanderten österreichischen Architekten) massgeblich an der urbanen Gestaltung der Stadt beteiligt waren.

Jüdisches Leben in Kapstadt

Kapstadt wird wohl nicht zu Unrecht oftmals als das „schönste Ende der Welt" bezeichnet, nicht nur wegen der einzigartigen Natur, dem Tafelberg als Kulisse, dem Ozean vor der Haustür, den wundervollen botanischen Gärten im Zentrum, den alten kolonialen holländischen und britischen Bauwerken - geglückt kombiniert mit moderner Architektur -, sondern auch wegen der Vielfalt an Kulturen und Religionen, die sich in dieser Stadt zu einer einzigartigen, vibrierenden Symbiose verbinden. Ohne die aktuellen Probleme, die das Alltagsleben in Kapstadt leider mitprägen, leugnen zu wollen, etwa die hohe Kriminalitätsrate, ein deutlich sichtbares und zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich, noch immer vorhandener Rassismus (von allen Seiten), die HIV-Problematik, funktioniert hier - augenscheinlich und auch bei näherer Beobachtung - das Miteinander der Religionen ohne Probleme: Die beeindruckende Synagoge  inmitten des Botanical Garden im klassischen Zentrum der Stadt (inklusive dem sehr interessanten South African Jewish Museum), liegt nicht weit von der anglikanischen Kathedrale oder der Moschee entfernt. In den modischen Innenstadtlokalen und Bars tummeln sich Menschen verschiedener Hautfarbe und Religionen und können offen mit dem Gegenüber diskutieren. Kapstadt galt bereits in den Zeiten der Apartheid als liberalste und offenste Stadt Südafrikas, hier zählte immer schon eher der „Lifestyle", etwa die Liebe zu „Outdoor"-Sportarten oder zur Musik, wodurch Gemeinsamkeiten geschaffen wurden. So findet sich etwa im Herzen der Stadt das Labia-Cinema, ein alternatives Kino, welches künstlerisch wertvolle Filme präsentiert und wo sich seit vielen Jahrzehnten die intellektuelle Szene Kapstadts trifft. Aber auch hier wird der Besucher das eine oder andere Mal mit Problemen wie dem Nahost-Konflikt konfrontiert: Da der idealistische Betreiber des Kinos Mitte 2012 einen pro-palästinensischen Film aus Rücksicht und Respekt vor seinem vorwiegend auch älterem, jüdischen Publikum nicht spielte, kam es zu immer wiederkehrenden antiisraelischen Demonstrationen gegen dieses Kino, mit einem Aufruf zum Boykott und gegen die Betreiber. Somit wurde die - in dieser Stadt - sonst gegenseitige religiöse Akzeptanz auch am anderen Ende der Welt unterlaufen.

Generell gesehen ist das jüdische Leben in Kapstadt präsent, im Alternativkino, in den vielen kleinen und grösseren Theatern, den Musikclubs, den modern eingerichteten Lokalen. Es trägt prägend zur Vielfalt dieser sich - trotz der bereits erwähnten und aktuellen Problemen - zum Positiven entwickelnden Stadt bei. Und viele dieser ständigen positiven Entwicklungen geschehen auch Dank der äusserst engagierten Bürgermeisterin Helen Zille, die um ein ständiges Miteinander der Kulturen bemüht ist. Unter ihr boomt die Stadt, und sie ist ständig bemüht, dank einer klugen Stadtentwicklung einen höheren urbanen Standard zu erreichen. Helen Zilles Vorfahren waren deutsche Juden, die in den 1930er Jahren aus Deutschland fliehen mussten und in Südafrika Aufnahme fanden. Somit hat Südafrika auch als offenes Land für jüdische Exilanten in dieser so dunklen Zeit seinen Beitrag geleistet. Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Judentum in Südafrika" ist noch lange nicht ausgeschöpft, ausführliche wissenschaftliche Arbeiten dazu wären wünschenswert.

Verwendete Literatur

Boraine, Jeremy (Publisher): Great South Africans, Penguin Books, Johannesburg 2004

Cohn-Sherbok, Dan: Dictionary of Jewish Biography, Continuum, London/New York 2005

Gordimer, Nadine: Keine Zeit wie diese, Berlin Verlag, Berlin 2012

Gordimer, Nadine: Die endgültige Safari, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1992

Gordimer, Nadine: Julys Leute, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005

Hagemann, Albrecht: Kleine Geschichte Südafrikas, Verlag C.H. Beck, München 2001

Lipman, Alan: On the Outside looking in - Colliding with Apatrtheid and other authorities, AAP, Johannesburg 2009

Taylor, Beryl: They helped build a country; in: South African Panorama, Pretoria März 1977.

Weitere Informationen aus dem South African Jewish Museum in Kapstadt bzw. aus Gesprächen mit Kapstädtern.