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Das Grabmal der Familie Elias Ein Abbild der Vielfalt jüdischen Lebens in Wien

Ursula Prokop

Eines der schönsten Grabmäler in der alten israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofes ist das Mausoleum der Familie Elias. 

Inhalt

Errichtet in einem orientalisierenden Stil erinnert es ein wenig an den legendären Taj Mahal. Von einer Zwiebelkuppel bekrönt scheint der kleine, aus weissem Carrara-Marmor errichtete Bau auf den aus rosa Baveno-Granit angefertigten Säulen zu schweben. Das Mausoleum wirkt wie von einem netzartigen Ornament überzogen, das neben den üblichen orientalischen Motiven insbesondere auch aus Rosetten und Davidsternen besteht, die Bezug nehmen auf das Judentum der Verstorbenen. Stolze 90.000 Kronen hat seinerzeit das kleine Baujuwel gekostet.1
In Auftrag gegeben wurde das Familiengrab im April 1908 von Jacques Menachem Elias jun. anlässlich des Ablebens seines älteren Bruders Abraham Menachem Elias, Seniorchef des familieneigenen türkischen Grosshandelsunternehmens Gebrüder A. H. Elias, das seinerzeit von Menachem H. Elias sen., dem Vater der beiden, gegründet worden war.  Der Firmensitz in Wien war aber nur eines der zahlreichen Unternehmen der Familie. Jacques Menachem jun., der 1844 (oder 1841)2 in Bukarest geboren wurde, das damals noch zum Einflussgebiet des Osmanischen Reiches gehörte, hatte in London, Brüssel und Wien studiert, und sich auch als Gelehrter einen Namen gemacht. Vor allem war er auch ein äusserst erfolgreicher Geschäftsmann, der zahlreiche Unternehmen betrieb: neben diversen Bankbeteiligungen und Minen in Dalmatien baute er insbesondere die Zuckerindustrie im damals jungen Königreich Rumänien auf.3
In Wien gehörte die Familie Elias zu den einflussreichsten Mitgliedern der türkisch-sefardischen Gemeinde. Verschwägert mit der Familie Russo4, spielte sie auch eine bedeutende Rolle bei der Errichtung des prachtvollen türkisch-sefardischen Tempels in der Zirkusgasse, der gleichfalls in einem orientalisierenden Stil errichtet wurde, da diese Formensprache insbesondere seitens der sefardischen Juden als identitätsstiftend angesehen wurde. Es ist zu vermuten, dass die Familie Elias das Bauvorhaben insbesondere auch finanziell kräftig unterstützt hat. Zum Zeitpunkt der Einweihung des Türkischen Tempels in Wien im September 1887 war Marcus M. Russo Präsident der türkischen Gemeinde. Menachem H. Elias sen. war es vorbehalten, als Gemeindeältester die Bundeslade zu eröffnen, um die Gesetzesrollen einzustellen.5 Auch sein Sohn Abraham, der ihm als Seniorchef in der Firma nachfolgen sollte und anlässlich dessen Todes das Grabmal errichtet wurde, dürfte sich um den Türkischen Tempel verdient gemacht haben. Denn wie dem Architekten der türkisch-sefardischen Synagoge Hugo von Wiedenfeld wurde auch Abraham M. Elias der hohe türkische Medjidis- Orden verliehen.6 Das Osmanische Reich stand damals seinen jüdischen Untertanen, die überwiegend als Kaufleute eine wichtige Rolle spielten, durchaus wohlwollend gegenüber, dementsprechend waren auch offizielle Vertreter des Sultanats bei der Einweihung anwesend. Der Oberrabbiner der sefardischen Gemeinde zum Zeitpunkt der Einweihung war Michael Papo, dessen Grab bezeichnenderweise gleich neben dem Mausoleum der Familie Elias liegt. 
Jacques Menachem Elias jun., der Auftraggeber des Grabmales, ging während des Ersten Weltkrieges wieder zurück in sein heimatliches Rumänien. Unverheiratet und kinderlos vermachte er Ende 1914 einen Grossteil seines Vermögens der von ihm gegründeten Stiftung Menachem H. Elias zugunsten der rumänischen Akademie der Wissenschaften und wurde in der Folge deren Ehrenmitglied. In Bukarest, wo er unter anderem als Vizepräsident der Banque General de Roumanie tätig war, machte er sich neben seinem Engagement im wissenschaftlichen Bereich wie grosszügigen Spenden an die Universität vor allem auch als Philanthrop verdient. Er stiftete das nach ihm benannte Elias-Hospital, damals eines der modernsten Spitäler in Rumänien und initiierte den Wiederaufbau der Spanischen Synagoge. Aufgrund dieser zahlreichen Aktivitäten wurde er schliesslich zum Ehrenbürger von Bukarest ernannt.7 1923 verstarb er ebendort, sein Leichnam wurde nach Wien überführt und in der Familiengruft beigesetzt.8 Nach dem Tod seiner Schwägerin Pauline 1909 sollte er das letzte Familienmitglied sein, das hier seine Ruhestätte fand. Dass das Grab noch heute weitgehend erhalten ist – nur das äusserst dekorative Gitter der Einfriedung ist den Zeitläuften zum Opfer gefallen – verdankt sich der rumänischen Akademie der Wissenschaften, die dankenswerterweise 1993 die Familiengruft ihres ehemaligen Ehrenmitgliedes restaurieren liess.9 
Soweit die kurze Geschichte des Auftraggebers und von dessen Familie. Viel tragischer ist das Schicksal des Schöpfers des kleinen Baujuwels - des Architekten Stefan Fayans. 1879 in Warschau geboren, das damals Teil von Kongress- Polen war und zum russischen Zarenreich gehörte, studierte er vorerst in St. Petersburg und kam nach Abschluss der Ausbildung 1902 nach Wien. Er studierte bei Karl König (damals einer der ganz wenigen jüdischen Professoren) an der Technischen Hochschule und gehörte zu den ersten Absolventen, die ihr Studium mit einem Doktorat abschlossen.10 Fayans arbeitete dann in verschiedenen Baubüros, unter anderem bei den Theaterarchitekten Fellner und Helmer, was möglicherweise zu seiner sehr dekorativen, fast bühnenbildhaften Ausrichtung beigetragen haben könnte. Daneben befasste er sich intensiv mit Friedhofsanlagen und Bestattungskultur.11 Möglicherweise haben seine Schriften zu diesem Thema Jacques Menachem jun. auf ihn aufmerksam gemacht und zur Auftragserteilung des Grabmales geführt, denn bemerkenswerterweise hatte sich Fayans zu diesem Zeitpunkt 1908 gerade erst selbständig gemacht und praktisch noch kein Projekt eigenständig realisiert. Das Grabmal der Familie Elias stellte sozusagen erst den Beginn seiner beruflichen Karriere dar.
Die sehr dekorativen, effektvollen Qualitäten von Fayans‘ Entwürfen führten dazu, dass der Architekt späterhin ein gefragter Spezialist für Innenrichtungen von Kinos und Lokalen wurde, darunter von vielen bekannten Wiener Institutionen: wie die berühmte Femina-Bar in der Kärntner Strasse (1913), das Schwarzenberg-Kino (1916), das Casino Zögernitz in Döbling (1927), das Parkhotel Schönbrunn in Hietzing (1927), die elegante Roxy-Bar im Schlosshotel Cobenzl und schliesslich das Palais de Danse im Kursalon im Stadtpark (1933). Viele von diesen Lokalen waren beliebte Treffpunkte der damaligen Schickeria. Darüber hinaus hatte er aber auch Arbeitersiedlungen und einen Gemeindebau des Roten Wien realisiert (Wien 12, Malfattigasse 7). Auch hatte er sich immer wieder publizistisch betätigt und insbesondere zu Fragen von Ästhetik und Stil Stellung genommen.12 Im Spektrum der Wiener Architektur der Zwischenkriegszeit hatte Stefan Fayans eine durchaus nicht unbedeutende Rolle gespielt. Dessen ungeachtet wurde er ein Opfer der Shoa. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs, der Machtergreifung der Nazis 1938, verabsäumte es Fayans, ins Exil zu gehen - ob aus mangelnden finanziellen Mitteln oder anderen Gründen muss offenbleiben. Wie alle in Wien verbliebenen Juden hatte er keine Chance. Er wurde im September 1942 in das Ghetto von Minsk deportiert, kurz darauf im Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet.13 
So reflektiert dieses Grabmal, das in seiner Art eine Besonderheit darstellt, die Vielfältigkeit des jüdischen Lebens in Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts, von der sefardisch-türkischen Familie, deren Mitglieder Staatsbürger des modernen Rumänien wurden, bis zu dem Architekten, der, in Warschau geboren, sein Studium in Russland begonnen hatte und in Wien insbesondere mit der Ausgestaltung von prominenten Lokalen Karriere gemacht hatte, um schliesslich in Maly Trostinec, das heute zu Weissrussland gehört, sein Leben zu lassen. 

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Das Mausoleum der Familie Elias am Wiener Zentralfriedhof, bei Tor 1, Alte jüdische Abteilung. 
Foto: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.
 

Anmerkungen
1 Wiener Bauindustriezeitung, 28.1911, S.125, T.129.
2 www.wikitree.com/wiki/Elias-297. Die Angaben bezüglich seines Geburtsdatums differieren, nach der in „Der neuen freien Presse“ 26.5.1923 erschienen Parte („verstorben im 83. Lebensjahr“) müsste er 1840/1 geboren sein.
3 Völlige Selbständigkeit erhielt das Königreich Rumänien erst nach dem Berliner Kongress 1881.
4 Rachele, eine Tochter des Verstorbenen Abraham M. Elias, war mit einem Jacques J. Russo verheiratet.
5 Die Einweihung des türkischen Tempels in Wien, in Österr.- Ungarische Cantorenzeitung, 1887, H.31, S.4f.
6 U. Prokop, Zur Geschichte des türkischen Tempels in Wien, In: DAVID, 24. Jg. 2012, Nr. 92, S.4f.
7 Inschrift der Gedenktafel auf dem Grabmal Elias.
8 Siehe Parte in der Neuen Freie Presse, 26.5.1923.
9 Siehe Anmerkung 7.
10 F. Fellner v. Feldegg, Der Architekt Dr. Ing. Stefan Fayans (Serie Wiener Architekten), Wien 1930.
11St. Fayans, Die Entwicklung der modernen Friedhofsanlagen und dero verschiedene Bestattungsarten. Wien 1905, sowie Kunst und Kultur im Dienste des Totenkultes, in: Zeitschrift des Österr. Ingenieur- und Architektenvereines 60,1908, S. 593ff.
12 St. Fayans, Architektur und Ästhetik, in: Mitteilungen der Zentralvereinigung der Architekten, 2,1909, Nr. 12. S.1ff.
13 Fayans wurde am 14. 9. 1942 deportiert und am 18.9.1942 in Maly Trostinec ermordet; Deportationsliste des Dokumentationsarchivs des Österr. Widerstandes/DÖW.