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„Was fanden all diese Menschen an mir?“ Zum 120. Geburtstag der Kunsthistorikerin und Journalistin Luise Straus

Annette BUSSMANN

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Luise Straus (02.12.1893-1944)1 zählt zu den ersten promovierten Kunsthistorikerinnen Deutschlands. Sie gilt als zentrale weibliche Figur der Kölner Dada-Szene und als feste Grösse des linksliberalen Kulturjournalismus der Weimarer Republik. 1944 in Auschwitz ermordet, wurde Straus dennoch jahrelang auf ihre kurze, turbulente Ehe mit dem Surrealisten Max Ernst reduziert. Inzwischen ist sie partiell rehabilitiert.2 Doch blieb bis heute manche Erzählung unveröffentlicht, manche Lebensstation unerforscht.

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Luise Straus mit Hans Hansen, Max Ernst, Richard Straus und Johannes Theodor
Baargeld, Köln, um 1919. Foto: Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst. 
Mit freundlicher Genehmigung Dr. Jürgen Pech

„Ein Glück, dass wir 24 Tassen hatten": Dada Köln
Untergetaucht im provençalischen Manosque und gezeichnet von jahrelanger Flucht vor den Nazis, schrieb Luise Straus 1941/42 ihre Autobiographie nieder. „Nomadengut" 3 nannte sie sie. Denn im Exil, glaubte die damals 48-Jährige, könne nur überleben, wer ein Nomade sei, wer keinem „sicheren Speisezimmer oder einem Schlafgemach in Glas und Nickel" nachtrauere. Erst ein halbes Jahrhundert nach Straus‘ Ermordung erschien das wohltuend unprätentiöse Werk, in dem sie - stellenweise - erstaunlich viel Humor walten liess.

Als etwa 1919, nach ihrer Hochzeit mit Max Ernst (1891-1976), ihre frisch angemietete, mit schwerfälligen Mahagonimöbeln belastete Wohnung am Kölner Kaiser-Wilhelm-Ring zum „Appendix des Bahnhofs"4 avancierte, wie Sohn Jimmy (1920-1984) lästerte - d.h. zum zentralen Treffpunkt der westdeutschen Nachkriegsmoderne - konterte Straus lapidar: „Ein Glück, dass wir 24 Tassen hatten". Im Tabula-Rasa-Taumel jener Tage philosophierte sie hier u.a. mit Hans Arp, Sophie Taeuber, Johannes Theodor Baargeld, Tristan Tzara über Dada, die neue antibürgerliche Kunst, eine Welt ohne Krieg, verkrustete Hierarchien und Konventionen. Als Armada v. Duldgedalzen kreierte sie Collagen, war in Ausstellungen involviert, trat als weibliche Schlüsselfigur von Dada Köln in Erscheinung. 1922 setzte Max Ernst ihr mit seiner Collage Rosa Bonheur des Dada (1922) ein kleines Denkmal. Kennengelernt hatten sich Straus und Ernst 1913 bei einem Modellzeichen-Kurs an der Universität Bonn. 1918, als die beiden heirateten, war Max Ernst als Künstler weithin unbekannt. Obendrein mittellos. Straus hatte zwei Jahre zuvor als eine der ersten Frauen Deutschlands in Kunstgeschichte promoviert und bestritt nun beider Lebensunterhalt als sogenannte wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Wallraf-Richartz-Museum (Kunstgeschichts-Dozenturen gingen damals ausnahmslos an Männer). 1919 leitete Straus das angesehene Haus kurzzeitig kommissarisch, verliess es jedoch mit Antritt des neuen Direktors - aus unbekannten Gründen. „Kunsthistoriker waren nicht gefragt", konstatierte Sohn Jimmy: Straus jobbte jetzt als Sekretärin, verkaufte Strümpfe bei Tietz, hielt Vorträge, baute ihre 1918 als Geschäftsführerin der rebellisch-progressiven Gesellschaft der Künste gewonnenen Kontakte aus.

„Hindernisse muss man überspringen": Kulturjournalistin von Rang
Sie habe „die Angst im Blut", bekannte Straus. Kämpferisch war sie dennoch. „Hindernisse muss man überspringen, nicht umgehen", redete sie sich ein: 1922 trennte sie sich von Max Ernst. Er liebte nun Gala Eluard, die spätere Ehefrau Salvador Dalís. Straus war finanziell am Ende, Sohn Jimmy war  zwei Jahre alt. Sie versuchte sich als Sekretärin, stand als Akkordarbeiterin am Fliessband, gab Museumskurse zur Geschichte der Keramik. Und sie schrieb zusehends öfter Kunst- und Theaterkritiken. Mit steigendem Erfolg - auch überregional: Als sie sich über die „sinnlos aufgeklebten Fassaden" der Düsseldorfer GesoLei-Bauten (1925-26) Wilhelm Kreis‘ echauffierte, lehnten die Dresdner Neuesten Nachrichten zugehörigen Artikel zwar ab: Pikanterweise sass Kreis plötzlich an einflussreicher Stelle in Dresden. Doch durfte sie seither regelmässig als Rheinland-Korrespondentin für das Blatt wirken. Parallel arbeitete sie u.a. für die Kölnische und die Vossische Zeitung, das Kunstblatt, den NWDR. Das schöne „unabhängige Leben voll Arbeit und Erfolg", auf das sie im Exil stolz zurückblickte, hatte längst begonnen. Bekannt war sie wegen ihrer scharfsinnigen Texte zu bildender und darstellender Kunst. Zugleich aber erntete sie reichlich Lob für ihre Reportagen, etwa ihren Zug durch das dunkle Köln, der 1929 per Pseudonym im Querschnitt erschien.

„Was fanden all diese Menschen an mir?": Selbstzweifel und Widersprüche
„Neugier, Spürsinn, knappes und scharfes Urteil" seien ihr zu eigen, fand Straus. Zugleich zweifelte sie: „Ich habe das nie recht begriffen. Was fanden all diese Menschen an mir? Ich war nicht schön, auch nicht gerade abstossend hässlich", aber „klein und etwas zu rundlich". Die Trennung von Max Ernst traf sie schwer. Sie war suizidal, erkrankte, entschied sich aber für den Blick nach vorne. Die blonde Frau mit den ausdrucksstarken blauen Augen - Zeitgenossen verglichen sie gern mit Auguste Renoirs Frauengestalten - genoss fortan zahllose Liebhaber. Trophäengleich listete sie sie im „Nomadengut" auf: „Redakteure und Verleger, Maler, Architekten, Museumsleute" und „hin und wieder" Männer, die einfach nur „jung und sportlich waren." Auch Arno Breker, Hitlers späterer Lieblingsbildhauer, machte ihr den Hof. Gleichwohl entkam Straus, die sich bisweilen angestrengt nonkonformistisch gab, ihren grossbürgerlichen Wurzeln5 niemals ganz: Normgetreu reduzierte sie sich auf Äusserlichkeiten, grübelte, ob Liebhaber für Frauen schicklich seien. Zudem verharrte sie - mitunter - in misogynen Klischees: Zwar focht sie für ein gleichberechtigtes Leben und packte ihre Erzählung Männer im Hintergrund gar in eine Frauensiedlung. Widersacherin Gala Eluard aber degradierte sie zur „gierigen, gleitenden Russin". Auch sprach Straus Frauen Humor nahezu komplett ab.

„Heimlicher, kaum eingestandener Jubel": Paris
„Wir hatten es alle kommen sehen. Aber wir hatten nicht an den Ernst der Gefahr glauben wollen", erinnerte Straus im Exil. Noch 1932 wettete sie scherzhaft mit einem Kommunisten, wer bei Machtübernahme der Nazis zuerst den Hut zu nehmen habe. Sie als „Jüdin"6. Oder er als Kommunist. Seit Langem standen in Köln antisemitische Übergriffe an der Tagesordnung.7 Sohn Jimmys Memoiren berichten reichlich davon. „Antisemitismus in grösserem Massstab" habe es bis 1933 in Köln nicht gegeben, notierte dagegen Straus. Nachdem die SS bereits im Februar 1933 ihre Wohnung durchkämmte, ihre Aufträge obendrein schwanden, ging sie im Mai 1933 nach Paris. Jimmy liess sie bei ihrem Vater. Vorerst. An der Seine angekommen, verspürte Straus „heimliche(n), kaum eingestandene(n) Jubel": Sie liebte Paris. Vor Ort aber wartete niemand auf eine weitere, arbeitsuchende Deutsche. Lausig entlohnte Jobs diktierten erneut ihr Leben. Heinrich Heine, ein Club für deutsche Flüchtlinge, suggerierte Halt. Die dortige „pathetische Stimmung" aber zermürbten Straus. Erst mit ihrer neuen Liebe, dem Journalisten Fritz Neugass (1899-1979), folgten glücklichere Zeiten, in denen sie unter wechselnden Namen publizierte - u.a. den ExilantInnen-Fortsetzungsroman Zauberkreis Paris, der 1934/35 im Pariser Tageblatt erschien.

„Verfolgt werden ist kein Spass": Manosque
Jahrelang mimte Straus vor ihrem Sohn - 1938 emigrierte er in die USA - die unerschütterliche Optimistin. „Wir haben die Vernunft und die Moral auf unserer Seite, und die sind stärker als marschierende Stiefel". 1942 aber, seit sie sich - nach kurzer Internierung im Lager Gurs - beim Schriftsteller Jean Giono in Manosque versteckt hielt, gestand sie, „ich habe Angst, seit Monaten schon... Verfolgt werden ist kein Spass. Und es wird immer schlimmer... Wie wird es enden?" Über drei Jahre wartete sie vergeblich auf ein US-Visum. Letztlich wurde sie denunziert und am 30. Juni 1944 vom Internierungslager Drancy nach Auschwitz deportiert.

 

1  Auch: Lou(ise) Straus-Ernst.

2  U. a.: Winckler, Lutz: Louise Straus-Ernst: Zauberkreis Paris. In: Krohn, Claus-Dieter [Hrsg.]: Frauen und Exil. München 1993 - Flecken, Susanne: Luise Straus-Ernst. Ein Leben voller Farbe. In: Kuhn, Annette / Roth, Valentine (Hgn.): 100 Jahre Frauenstudium. 1996, S. 185-190 - Remus, Ute: Sollst je du sollst du Schwänin auf dem Ozean. (Hörbuch) Köln 2004 - Hille, Karoline: Gefährliche Musen. Frauen um Max Ernst. Berlin 2009 - Pech, Jürgen: Luise Straus. Kunsthistorikerin und Journalistin. Brühl 2010 - Eine Frau blickt sich an, Reportagen und Erzählungen 1933-1941, Hg. vom Max-Ernst-Museum Brühl, Köln 2012.

3  Straus-Ernst, Louise: Nomadengut. Hg. von Ulrich Krempel. Hannover, 1999. (Hieraus alle nachfolgenden Straus-Zitate). Das Buch basiert auf einer um 1942 weitergereichten Durchschrift des Originals.

4  Alle nachfolgenden Ernst-Zitate aus Ernst, Jimmy: Nicht gerade ein Stillleben. Köln 1985

5  Ihre Eltern besassen eine Hutfabrik.

6  Straus war Atheistin, rieb sich aber angesichts ihrer jüdischen Eltern nicht daran, als „Jüdin" tituliert zu werden. Vgl. Ernst (1984), S. 102.

7  Matzerath, Horst: Köln in der Zeit des Nationalsozialismus. Köln 2009.