Dass "damahls gantze Dörffer voll Juden in Oesterreich      waren"1 ,      schrieb der englische Arzt und Reisende Eduard Brown in den späten      1660er-Jahren, als er auf seinem Weg von Venedig nach Wien durch die      österreichischen Erbländer reiste. Im Gegensatz zu den Herzogtümern      Steiermark und Kärnten, wo seit 1496 keine Juden mehr geduldet wurden,      lebten in Niederösterreich in zahlreichen ländlichen Gemeinden Juden. Nicht      nur der englische Reisende wunderte sich. Die Geschichte der Juden in      Niederösterreich, die im 17. Jahrhundert bis zu ihrer Ausweisung in den      Jahren 1670/71 in mehr als 50 Orten auf dem Land lebten, ist bis heute fast      unbekannt geblieben. Der Zeitraum zwischen 1496 und 1671 stellt innerhalb der      jüdischen Geschichte Österreichs eine eigene Epoche dar, von den      Auswirkungen der Vertreibung der Juden aus der Steiermark und Kärnten      ausgehend, bis zu deren Ausweisung aus Wien und Niederösterreich in den      Jahren 1669 bis 1671. Zwischen diesen zeitlichen Eckpunkten kam es zu einer      langsamen Konsolidierung jüdischen Lebens in Österreich unter der Enns, zu      einem ökonomischen Aufstieg einzelner Personen oder Familien, zur Festigung      der jüdischen Rechtsstellung durch kaiserliche, landesfürstliche oder auch      ständische Privilegien, und zur Etablierung zahlreicher neuer jüdischer      Gemeinden, deren Blüte zwischen den Jahren 1620 und 1670 lag. Dass die jüdische Besiedlung im Land unter der Enns nicht      nur im Vergleich zu den anderen österreichischen Ländern, in denen abgesehen      vom äußersten Westen kaum Juden geduldet wurden, in der Frühen Neuzeit      relativ dicht war, ist in der Forschung zwar bereits seit längerem bekannt.      Dennoch ist Niederösterreich als jüdisches Siedlungszentrum im Heiligen      Römischen Reich bis heute kaum beachtet. Dies liegt zum einen an den      intensiven Forschungen insbesondere der letzten Jahre, die sich mit dem      schwäbisch-vorderösterreichischen Raum2  und mit dem Bodenseeraum3  auseinander setzten und den Südwesten des Reiches als Zentrum des      frühneuzeitlichen Landjudentums in den Blickpunkt rückten, während ähnliche      Forschungsinitiativen für die jüdische Geschichte Niederösterreichs lange      fehlten. Zum anderen ist die ältere Forschung zu den niederösterreichischen      Landjuden von sehr unterschiedlicher Qualität: Die wertvolle Studie von      Leopold Moses aus dem Jahr 19354  ist aufgrund ihrer unübersichtlichen Struktur nur schwer zu rezipieren. Sein      Fokus auf das 17. Jahrhundert blendet zudem weitgehend die Frage nach einer      Kontinuität der Siedlungsorte, die bereits im 16. Jahrhundert bestanden,      aus. Trotzdem sind hier die wichtigsten Quellen zur Geschichte der Juden in      Niederösterreich, die Steuerverzeichnisse der Landjuden aus den Jahren 1652      bis 1671, ausgewertet. Ältere Arbeiten, wie die Dissertation von Leo Menczer5 ,      sind wegen ihres veralteten Forschungsstandes problematisch. Die meisten      Studien, die sich jedoch mit der Geschichte der Juden in Niederösterreich      auseinandersetzen, blenden die Frühe Neuzeit nahezu gänzlich aus. Und auch      in der heimatkundlichen Literatur sind die jüdischen Gemeinden      Niederösterreichs auf einem sehr unterschiedlichen Niveau, zumeist      allerdings auf Basis der wenigen Forschungsliteratur behandelt, so dass bis      heute große Forschungslücken bestehen. In Zusammenarbeit mit dem Forschungsvorhaben "Germania      Judaica IV", das die Geschichte der Juden in Deutschland in der Zeit von      1520 bis 1650 untersucht, wurde am Institut für Geschichte der Juden in      Österreich (St. Pölten) in den Jahren 1998 bis 2004 das Forschungsprojekt "Austria      Judaica" durchgeführt, das sich neben Wien schwerpunktmäßig mit der      Geschichte der Juden in Niederösterreich in der Frühen Neuzeit beschäftigte.      Innerhalb des Forschungsprojekts wurde nicht nur die vorhandene      Forschungsliteratur gesammelt, sondern vor allem auch systematisch die, zu      einem großen Teil bisher unbekannten, Quellen des Hofkammerarchivs, aber      auch vieler Stadt- und Herrschaftsarchive zu den niederösterreichischen      Landjuden bearbeitet, so dass nun die Grundlage für eine neue Darstellung      der Geschichte der Juden in Niederösterreich vorliegt. Teilaspekte dieser      Forschungen wurden bereits in den letzten Jahren der Öffentlichkeit      vorgestellt: Neben der bisher unveröffentlichten Dissertation von Sabine      Hödl sind dies vor allem die Forschungen von Peter Rauscher, der für die      jüdische Gemeinde in Langenlois dieses Jahr eine Monographie publiziert hat.6  Nicht zuletzt diesen Arbeiten ist es zu verdanken, dass nun als ein Ergebnis      des Forschungsprojektes ein Handbuch zur Geschichte der Juden in      Niederösterreich von 1496 bis 1670/71 geschrieben werden kann. Aus diesem      Buch, dass voraussichtlich im Jahr 2005 erscheinen wird, werden im Folgenden      einige Aspekte vorgestellt.7  Von Achau bis Zwölfaxing:  Die Vertreibung von 1420/21 bedeutete für lange Zeit das      Ende jüdischer Gemeinden in Niederösterreich. Die Wiederbesiedlung erfolgte      langsam, Gemeinden konnten sich nur schwer bilden, an alte Traditionen      konnte kaum angeknüpft werden. Bereits im 15. Jahrhundert sind jedoch      einzelne privilegierte Juden belegt, die sich, wenn auch vorerst ohne festen      Wohnsitz, in Niederösterreich aufhielten. Längerfristig war Niederösterreich      das einzige Land, in dem Juden nach den Vertreibungen des 15. Jahrhunderts      wieder Fuß fassen und sich auch neue Gemeinden bilden konnten. Obwohl die      niederösterreichischen Juden auch im 16. Jahrhundert mehrere Male mit      Ausweisungen bzw. Ausweisungsdrohungen konfrontiert waren, ist hier von      einer gewissen – wenn auch marginalen – Siedlungskontinuität im 16.      Jahrhundert auszugehen, bevor im 17. Jahrhundert eine Reihe neuer      Landgemeinden gegründet wurden. Nach der Vertreibung der Juden aus den Herzogtümern      Steiermark und Kärnten 1496 siedelten die Vertriebenen zunächst in der von      der Niederösterreichischen Kammer verwalteten Grenzregion zu Ungarn, dem      heutigen Burgenland, aber auch bereits in Niederösterreich selbst. In      Eisenstadt und Güns (Kõszeg) sowie in Marchegg sind Juden bereits seit dem      frühen 16. Jahrhundert belegt. Von Eisenstadt zog der bekannte Hirschl von      Graz wahrscheinlich um das Jahr 1509 nach Zistersdorf weiter, wo sich ein      Zweig seiner Familie dauerhaft niederließ. Die vertriebenen Laibacher      (Ljubljana) Juden durften sich vorübergehend in Eggenburg ansiedeln, während      einige der 1526 aus Pressburg (Bratislava) und Ödenburg (Sopron)      ausgewiesenen Juden ebenfalls in die Grenzregion zu Ungarn zogen. In den      1540er-Jahren kann schließlich die Anwesenheit von Juden in Wolkersdorf      belegt werden. Im gesamten 16. Jahrhundert lebten wohl – abgesehen von      der größeren burgenländischen Gemeinde Eisenstadt – nur wenige Juden in      Niederösterreich. Ein Verzeichnis von 1560 weist überhaupt nur fünf Juden      bzw. jüdische Familien auf, von denen sich allerdings zwei in Polen bzw.      Italien aufhielten. Neben Zistersdorf und Marchegg wird in dieser      Aufstellung wiederum Wolkersdorf genannt, wobei diese Liste kaum vollständig      sein dürfte. Dies legt etwa ein Steuerverzeichnis des Jahres 1567 nahe, in      dem für Marchegg, Zistersdorf und Wolkersdorf zusammen 38 Personen, 22      "alte" und 16 "junge" Juden verzeichnet wurden. Von einer äußerst dünnen Besiedlung im 16. Jahrhundert      ausgehend, ist für die letzten beiden Jahrzehnte dieses Jahrhunderts ein      Anstieg der jüdischen Bevölkerung im Land unter der Enns zu verzeichnen, die      sich auch durch die landesfürstliche Ausweisung von 1572/73 nicht wesentlich      verringerte. Erst in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts kam      es jedoch zu einer verstärkten Zuwanderung, zahlreiche Gemeinden entstanden      in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges, nicht zuletzt aufgrund von      Zuwanderung von Juden aus dem Reich. Bereits vor 1650 dürften sich die      jüdischen Gemeinden und Ansiedlungen konsolidiert haben, auch wenn die      Mobilität wahrscheinlich immer relativ groß blieb. Die zweite Hälfte des 17.      Jahrhunderts ist mit über 50 Siedlungsorten als Blütezeit des jüdischen      Lebens in Österreich unter der Enns zu bezeichnen, die 1670/71 durch die      Vertreibung unterbrochen wurde. Detaillierteres Material zur Siedlungsstruktur steht uns      allerdings erst ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zur Verfügung. Nach den      Steuerverzeichnissen der Landjudenschaft, die für die Jahre 1652 und      1662-1671 erhalten sind, lebten in ungefähr 52 bis 54 Orten in      Niederösterreich insgesamt zwischen 350 und 480 jüdische Familien, was,      nimmt man eine durchschnittliche Familiengröße von fünf Personen an,      ungefähr 1750 bis 2400 Personen entspricht. Dass diese Zahl keineswegs klein      war zeigt ein Vergleich mit Wien. In der Wiener Judenstadt, die zu den      größten Gemeinden des Heiligen Römischen Reichs zählte, wohnten vor der      Ausweisung maximal 3000 Juden. Neben wenigen größeren Gemeinden, allen voran Ebenfurth      mit 45 Familien im Jahr 1669, gefolgt von Weitersfeld (33), Zwölfaxing (25)      und Waidhofen an der Thaya (23), waren kleinere Siedlungen typisch für das      jüdische Leben in Niederösterreich. Durch Migration und Todesfälle waren      gerade die jüdischen Kleinstsiedlungen immer von der Auflösung bedroht.      Diese Instabilität der jüdischen Siedlungen auf dem Land zeigt etwa die      Eingabe des Schönbüheler Juden Joseph Veit aus dem Jahr 1662. Er suchte um      einen Steuererlass für sich an, da der wohlhabendste Jude im Ort samt seiner      Frau ermordet worden war und drei weitere die Gemeinde heimlich verlassen      hätten, und er nun alleine sei. Geographisch konzentrierten sich die jüdischen Siedlungen      im 17. Jahrhundert entlang der Donau, vor allem in der Nachbarschaft des      Handelszentrums Krems, das selbst keine Juden aufnahm. Eine weitere Häufung      jüdischer Siedlungen gab es im nördlichen Waldviertel, wo mit Waidhofen an      der Thaya mit über 100 Personen eine der größten Gemeinden lag, sowie      entlang der von Wien nach Süden gehenden Handelsstraße über Wiener Neustadt      in Richtung der ungarischen Grenze, wo sich in Zwölfaxing, Ebenfurth und      Achau große Gemeinden befanden. Weitere Siedlungen befanden sich in      unmittelbarer Nähe zur oberungarischen und mährischen Grenze. Religiöses Leben Im Gegensatz zu Wien, wo sich an der Wende vom 16. zum      17. Jahrhundert wieder eine institutionalisierte Gemeinde etablierte, die      schließlich im Ghetto über zwei Synagogen verfügte, war die Situation auf      dem Lande in den meisten Gemeinden eine andere. In vielen Fällen handelte es      sich nicht um eine Gemeinde (kehila) im eigentlichen Sinn, da, wenn      überhaupt, nur rudimentär Strukturen und Einrichtungen (Synagoge, Friedhof,      Mikwe) vorhanden waren. Viele Gemeinden waren wohl weder groß noch vermögend      genug, um eigene Synagogen errichten zu können. Zumeist wurden wohl Beträume      in Gemeindehäusern oder auch in Wohnhäusern vermögenderer Gemeindemitglieder      genutzt. Nur in wenigen Fällen wissen wir mehr über die Vorgeschichte der      Einrichtung oder des Baus einer Synagoge in den einzelnen Gemeinden. Für      Langenlois etwa ist bekannt, dass zunächst wohl ein Raum in einem Privathaus      als Betraum angemietet worden war, bevor eine Synagoge im sogenannten      "größeren Judenhaus", einem Wohnhaus, etwa um die Jahre 1624-1626      eingerichtet werden konnte. Die Synagoge stellt das Zentrum des gemeindlichen Lebens      der Juden dar. Eine weitere zentrale Gemeindeeinrichtung ist der Friedhof.      Jüdische Friedhöfe bestanden ebenso wie Synagogen wahrscheinlich in allen      größeren Gemeinden und wurden wohl von benachbarten kleineren Siedlungen      mitgenutzt. So verfügte etwa die Gemeinde von Grafenwörth über einen      Friedhof, in dem auch die Judenschaft von Nußdorf ob der Traisen ihre Toten      bestattete. Andere gemeindliche Einrichtungen, wie etwa eine Mikwe,      können für den niederösterreichischen Raum im 16. und 17. Jahrhundert (mit      Ausnahme von Wien und Wolfsthal) nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden,      auch wenn sie sicherlich in einigen Gemeinden vorhanden waren. Denn ein      Tauchbad mit "lebendigem Wasser" gehörte zu den festen Einrichtungen einer      Gemeinde. Vor allem in den kleinen Siedlungen war jedoch oft keine Mikwe vor      Ort. Aus diesem Grund wurde vielleicht, wie in anderen Kleinstsiedlungen im      Fränkischen, ein Fluss oder Bach für diesen Zweck genutzt, auch wenn wegen      des darin enthaltenen Schmelzwassers religiöse Probleme entstanden. Aufgrund der spärlichen Quellen sind wir auch kaum über      das religiöse Leben in den niederösterreichischen Landgemeinden      unterrichtet. Schließt man von dem Vorhandensein fester Kultuseinrichtungen,      wie Synagogen, Mikwen oder Friedhöfen, auf das Organisationsniveau der      jüdischen Gemeinden, so dürfte dieses in den niederösterreichischen      Landgemeinden nicht allzu hoch gewesen sein. Dennoch weisen die erhaltenen      Anlagebücher der niederösterreichischen Landjuden darauf hin, dass von den      etwa 50 Siedlungsorten in den 1660er-Jahren wohl mindestens die Hälfte der      Siedlungen groß genug waren, um selbständig einen Minjan bilden zu können.      War dies nicht der Fall, ging man wahrscheinlich zumindest an den hohen      Feiertagen in die nächste Gemeinde. Die Überwindung von größeren Strecken      und auch Probleme bei der Einhaltung der religiösen Gebote dürften bei den      zerstreuten kleinen Landgemeinden nicht selten gewesen sein. Gemeindliche      Strukturen gab es nur in den größeren Ansiedlungen, kaum jedoch dort, wo      einzelne Familien oder Personen an einem Ort lebten. Man kann davon ausgehen, dass die religiöse Observanz am      Land, vor allem in den Kleinstsiedlungen, erheblich litt. Vielleicht war es      auch im Land unter der Enns problematisch, sich mit rituell reinen      Lebensmitteln zu versorgen. War kein Schächter vor Ort, konnte es schwierig      sein, an koscheres Fleisch zu kommen. Dasselbe gilt für den Wein, auch wenn      der Import von großen Mengen an koscherem Wein nach Niederösterreich im 17.      Jahrhundert belegt ist. Selbst produziert wurde koscherer Wein, wie dies im      Privileg von 1656 ausdrücklich erlaubt worden war, wohl nur in kleineren      Mengen. Auch konnten sich im nahen Zusammenleben mit der christlichen      Bevölkerung Probleme ergeben, die im Alltag gelöst werden mussten. So war      etwa das Wirtshaus nicht nur ein Ort sozialer Zusammenkunft, sondern auch      der Ort, an dem Geschäfte getätigt wurden. Das wirtschaftliche Leben orientierte sich an den      christlichen, nicht den jüdischen Feiertagen. In Weitersfeld war es nach den      Aussagen des dortigen Pfarrers nicht einmal den Christen möglich, die      Sonntagsruhe einzuhalten. Die Judenschaft erbot sich, offensichtlich      anlässlich einer Beschwerde, gerne die christlichen Feiertage einhalten zu      wollen, sofern dies die christlichen Untertanen auch tun würden. Feiertage      konnten zum Teil auch am Arbeitsplatz begangen werden. Im Mauthaus von      Wilfersdorf nahe bei Mistelbach wurde gemeinsam dem Tag der Tempelzerstörung      (Tischa beAw) an der Mautstelle gedacht, allerdings ohne die Arbeit      gänzlich zu unterbrechen. Neben dem Mautner und seinem Angestellten waren      vor allem Nikolsburger Juden – wahrscheinlich durchreisende Händler – an der      Maut anwesend. Zusammen konnte man einen Minjan bilden und (mangels einer      Alternative in unmittelbarer Umgebung) den Feiertag begehen. Für den niederösterreichischen Raum trafen all diese      Probleme im religiösen Alltag wohl zumindest partiell zu, auch wenn das      dichte Netz an jüdischen Siedlungen im 17. Jahrhundert zumindest nahe legt,      dass die Gemeinden miteinander kommunizierten und in engerem oder weiteren      Kontakt standen. Dass viele dieser Siedlungen zumindest einen minimalen Grad      an Organisation erreichten, belegt etwa die Tatsache, dass für die meisten,      zumindest einige Familien umfassenden Ansiedlungen ein sogenannter      "Judenrichter", die frühneuzeitliche Bezeichnung für Gemeindevorsteher, der      die Gemeinde nach außen vertrat, belegt ist. Dennoch: sowohl hinsichtlich      der gemeindlichen Infrastruktur als auch hinsichtlich der Möglichkeiten, ein      religiöses Leben zu führen, gab es in den einzelnen Gemeinden und      Ansiedlungen eine große Spannbreite. Von wohlhabenden Gemeinden wie      Langenlois, in der ein großer Prozentsatz an gebildeten Personen wohnte, bis      zu kleinen Ansiedlungen, die über keinerlei Einrichtungen einer Gemeinde      verfügten, spannte sich der Bogen jüdischer Existenz in Niederösterreich. Christen und Juden – Kontakte und Konflikte Die allgemeine ausgrenzende und durch antijüdische      Stereotypen geprägte ablehnende Haltung gegenüber dem Judentum war      maßgeblich dafür verantwortlich, dass jüdisch-christliches Zusammenleben in      der Frühen Neuzeit in weiten Teilen von Konflikten geprägt war. Gerade für      die jüdischen Landgemeinden in der Frühen Neuzeit konnte jedoch belegt      werden, dass sich der christlich-jüdische Alltag auf dem Land von Kontakten      wirtschaftlicher oder auch geselliger Natur bis zu antijüdischen      Ausschreitungen erstrecken konnte. Diese Bandbreite, die in einem, wenn auch      geringem, Maße auch soziale Kontakte mit einbezog, lässt sich in der Stadt,      wo die jüdische von der christlichen Bevölkerung räumlich getrennt lebte,      nicht feststellen. Besonders auf dem Land, wo in kleinen räumlichen      Einheiten Christen und Juden miteinander lebten, war dieses Zusammenleben      von Nachbarschaft und Konkurrenz geprägt. Nachbarschaft von Christen und Juden, wie sie auf dem      Land zum Alltag gehörte, bedeutete Kontakte, aber auch Konflikte,      wirtschaftliche Konkurrenz, aber auch zuweilen Kooperation. Eine solche      entwickelte sich etwa zwischen dem Niederthaler Juden Adam David und den      Fleischhackern in Waidhofen an der Thaya, von der beide Seiten profitierten.      Adam David hatte mit den bürgerlichen Fleischhackern der Stadt ein Abkommen      getroffen, das bei der Schlachtung abfallende Unschlitt, welches die      Fleischhacker nicht absetzen konnten, zu übernehmen und an Seifensieder im      weiteren Umkreis zu verkaufen. Im Gegenzug gewährte er den Fleischhackern      kurzfristig Kredite und sicherte ihnen damit nötige Zwischenfinanzierungen.      Als der (eigentlich verbotene) Unschlittverkauf aufflog, baten die      Fleischhacker für den Juden, da sie sich ansonsten außer Stande sahen, das      Abfallprodukt Unschlitt selbständig zu vertreiben. Diese offensichtlich eine      Zeit lang fruchtbare Zusammenarbeit soll jedoch nicht dazu führen,      christlich-jüdische Kontakte rein aus einem positiven Blickwinkel zu sehen.      Gerade jene Fleischhacker, die sich in diesem Fall so für einen Juden      eingesetzt hatten, beschwerten sich in scharfen, von antijüdischen      Stereotypen getragenen Worten über den Fleischverkauf von Juden in Waidhofen      an der Thaya. Solche wirtschaftlichen Kooperationen wie in Waidhofen      waren kein Einzelfall. So weisen etwa auch Ermahnungen, dass es Christen      verboten sei, jüdische Waren durch die Mautstellen zu befördern und damit      die höheren Maut sätze, die von Juden verlangt wurden, zu umgehen, darauf      hin, dass dies wohl häufig vorgekommen sein mag. Auch für dieses Geschäft      brauchte es zwei Seiten, Juden und Christen, die davon profitierten,      Amtspersonen, die bestochen werden konnten, oder Kaufleute, die sich gegen      Entgelt bereit erklärten, die Waren von Juden zu transportieren. Kontakte      zwischen Christen und Juden mussten jedoch nicht immer friedlicher Natur      sein, sondern waren auch von Judenfeindschaft, von Auseinandersetzungen, die      mitunter auch gewalttätig enden konnten, geprägt. Auch wenn eine Vielzahl      von Konflikten zwischen Christen und Juden überliefert sind, so steht hinter      diesen Streitigkeiten auch ein "Normalzustand" im ländlichen Alltag, in dem      Christen und Juden – bei weitem nicht immer friedlich – miteinander lebten      und überlebten. Aufgrund der Forschungen der letzten Jahre zur jüdischen      Geschichte in Niederösterreich präsentiert sich das Land unter der Enns nun      als eine Region, in der sich vor allem im 17. Jahrhundert ein dichtes Netz      an jüdischen Siedlungen bilden konnte. Obwohl die Landjuden in der zweiten      Hälfte des 17. Jahrhunderts eine teilweise Loslösung von der Wiener Gemeinde      dadurch erreichen konnten, dass sie ab 1652 selbständig ihre Steuern an den      Landesherrn entrichteten, blieb die Wiener Judenschaft jedoch auch weiterhin      das Zentrum für das niederösterreichische Landjudentum. Die Entscheidung      Kaiser Leopold I., die Juden aus Wien auszuweisen, war schließlich dafür      verantwortlich, dass auch die niederösterreichischen Landjuden im Frühjahr      1671 das Land verlassen mussten. Die Blütezeit der jüdischen Landgemeinden      Niederösterreichs war zu Ende.  1 Edward Brown, M.      D., Auf genehmgehaltenes Gutachten und Veranlassung der Könl.- Engell.      Medicinischen Gesellschafft in London Durch Niederland / Teutschalnd /      Hungarn / Serbien / Bulgarien / Macedonien / Thessalien / Oesterreich /      Steiermark / Kärnthen / Carniolen / Friaul / etc. gethane gantz sonderbare      Reisen (...). Nürnberg 1686, S. 219.  2 Siehe z. B. die Sammelbände Rolf Kießling (Hrsg.),      Judengemeinden in Schwaben im Kontext des Alten Reiches. Berlin 1995 (Colloquia      Augustana 2), S. 128-153; Rolf Kießling – Sabine Ullmann (Hrsg.),      Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit. Berlin 1999      (Colloquia Augustana 10), sowie Sabine Ullmann, Nachbarschaft und      Konkurrenz. Juden und Christen in den Dörfern der Markgrafschaft Burgau      1650-1750. Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für      Geschichte 151).  3 Z. B. Bernhard Purin, Die Juden von Sulz. Eine      jüdische Landgemeinde in Vorarlberg 1676-1744. Bregenz 1991 (Studien zur      Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 9); Karl Heinz Burmeister, Medinat      Bodase, Bd. 3: Zur Geschichte der Juden am Bodensee 1450 – 1618. Konstanz      2001. Zu Hohenems siehe noch immer: Aron Tänzer, Geschichte der Juden in      Hohenems und im übrigen Vorarlberg. Meran 1905 (ND Bregenz 1982).  4 Leopold Moses, Die Juden in Niederösterreich. (Mit      besonderer Berücksichtigung des XVII. Jahrhundert). Wien 1935.  5 Leo , Geschichte der Juden in den N. Ö. Provinzstädten      im XVII. und XVIII. Jahrhundert. Ungedr. phil. Diss., Wien 1929.  6 Sabine Hödl, Zur Geschichte der Juden in Österreich      unter der Enns 1550-1625. Ungedr. phil., Diss., Wien 1998; Peter Rauscher,      Langenlois – æåì Eine jüdische Landgemeinde in Niederösterreich im Zeitalter      des Dreißigjährigen Krieges. Horn – Waidhofen/Thaya 2004 (Schriftenreihe des      Waldviertler Heimatbundes 44).  7 Im Folgenden wird auf Hinweise auf Forschungsliteratur und Quellen      verzichtet. Alle genauen Nachweise sind in der kommenden Publikation "Gantze      Dörffer voll Juden". Geschichte der Juden in Niederösterreich 1496-1670/71,      die 2005 erscheinen wird, angeführt.
 jüdische Ansiedlungen in      Niederösterreich