Die internationalen Jüdischen Kulturtage – als      Veranstaltung der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition      e.V., München, mit ihrer Vorsitzenden Ilse Ruth Snop-kowski – vereinten im      November zum 18. Mal Künstler aus Israel, Europa und den USA. Das      weitgefächerte Programm – Konzerte, Theater- und Filmvorführungen,      Dichterlesungen, Ausstellungen, Vorträge – machte wieder einmal deutlich,      daß die Kulturtage europaweit zu den bedeutendsten Begegnungen dieser Art      gehören. Unter dem Motto "Jiddischkajt in Wort un Lid" wurde einem      zahlreichen Publikum die Vielfalt und Eigenart jüdischer Kultur zu einem      unvergesslichen Erlebnis. Die Budapester Klezmer Band, Leitung: Ferenc Jávori (vorne      links) Sechs Monate bevor sich das Ende des verheerenden Zweiten      Weltkriegs zum 60. Mal jährt, zeigte eine elitäre Gruppe hervorragender      Künstler, die aus Israel, den USA, der Ukraine, aus England, Rußland,      Ungarn, Tschechien, Polen, Rumänien, Moldawien, Mazedonien und Deutschland      angereist war, daß die künstlerischen Äußerungen und Werte des Judentums      nach den Zeiten des Holocaust heute wieder aufleben und präsent sind in der      allgemeinen Kulturszene. Die jahrtausendalte "Jiddischkajt" konnte vom      Nationalsozialismus doch nicht ganz ausgelöscht und vernichtet werden. Somit war auch das primäre Anliegen der diesjährigen      Kulturtage, das Überleben des Jiddischen – einer alten, aus dem      Mittelhochdeutschen hervorgegangenen, klangvollen, wortreichen und      lieblichen Sprache – in allen Bereichen von Musik, Kunst und Literatur      sichtbar zu machen. Heute findet man wieder in vielen Ländern      Jiddischfreunde und -studenten an Hochschulen, in Theatergruppen oder      anderen künstlerischen Ensembles, die um eine Revitalisierung des jiddischen      Kulturerbes bemüht sind. Denn dieses Idiom der Ostjuden darf nicht wie jene      Millionen Menschen, die einst mit der "Mameloschen" lebten, ausgelöscht      werden. Das Eröffnungskonzert der international renommierten  Budapester Klezmer Band – Leitung Ferenc Jávori, der, zusammen mit      Eszter Biró, auch als Gesangsolist und Pianist auftrat – öffnete somit die      Tür zur stimmungsvollen Welt des Ostjudentums, wo diese Musik die Menschen      bei allen fröhlichen Festen begleitete. Die virtuosen Klarinettensoli von      István Kohán sowie das lockere Zusammenspiel der anderen Instrumentalisten –      Anna Nagy (Akkordeon), Bence Gazda (Geige), Gábor Tamás (Posaune), Balázs      Végh (Schlagzeug, Perkussion) – erreichte einen Höhepunkt, als dann auch  Yiddische Blues geboten wurden. Mitreißend waren auch die "Klesmer-Stationen" einer      Gruppe, die sich Yiddisch Balkan Express nennt und Musiker aus      Rumänien (Mihai Dragosch, Geige), Moldawien (Radu Captari, Piano),      Mazedonien (Mitko Serafimoski, Flöte und Tarbulka) und Deutschland (Detlef      Hutschenreuter, Saxophon) vereint, wobei zwei von ihnen, Dragosch und      Captari, auch als Schauspieler am Bukarester Jiddischen Staats-theater tätig      sind. Der aus Kisch- injew stammende Captari schrieb außerdem die Musik für      zwanzig Theaterstücke und sechs Filme. Ihr einzigartiges Konzert zeigte, wie      auch heute noch in der balkanischen Klesmer-musik nationale Überlieferungen      zu einem erfrischenden und leidenschaftlichen Klang verschmelzen. Als eine      "Mischung aus traditioneller Musik sephardischer Juden, transsilvanischer      Zigeuner und aschkenasischer Schtetlbewohner, eingebettet in Dub und      Breakbeats des urbanen London" bezeichneten die sieben Londoner New Wave      Klezmer ihren "Groove Sound des 21. Jahrhunderts"; und die Violonistin      Sophie Solomon meinte zu der originellen Genreverschmelzung: "Als Musiker      verarbeitet man immer die vielfältigsten Einflüsse... um so dann schließlich      die eigene Stimme zu finden." Zu den musikalischen Darbietungen gehörte schließlich      auch das Solo-Qanun-Konzert "Toy vivo" von Avshalom Farjun, Leiter der      israelischen Musikergruppe Bustan Abraham, sowie der Auftritt des      Prager Musikduos Marion (Monika Zaková und Jan Matej Rak ), begleitet      von Michal Zpevák, einem in der Szene gefragten Folk- und      Jazzklarinettisten, der das Programm durch seinen eigenen Klang bereicherte.      Präsentiert wurden jiddische und tschechische Lieder, darunter auch wenig      bekannte Volksweisen aus Süd- und Westböhmen, und vielfältige Musikbeispiele      aus Mittel- und Osteuropa, wobei immer wieder die farbigen Interferenzen      zwischen den Kulturen dieser Länder deutlich wurden. Pesach Fiszmann mit seinem Jabele (Frosch). Im Hintergrund      die Musikgruppe A Tickle in the Heart Es war in der Sowjetunion, 1948, in einer Zeit der      staatlich gelenkten Judenverfolgung und Schauprozesse, als Dimitri      Schostakowitsch zufällig eine Sammlung jiddischer Lieder in russischer      Sprache entdeckte und danach den Melodienzyklus "Aus jüdischer Volkspoesie"      (Opus 79) komponierte, der allerdings erst acht Jahre später, drei Jahre      nach Stalins Tod, 1956, öffentlich gespielt werden konnte. Das war vor bald      einem halben Jahrhundert, und damals hatte Schostakowitsch, der wegen seiner      Judenfreundlichkeit als "Volksfeind" beschimpft wurde, über diese Lieder      gesagt: "Jede echte Volksmusik ist schön, aber von der jüdischen muß ich      sagen, sie ist einzig. Das ist keine rein musikalische Frage, es ist auch      eine moralische... heutzutage kann kein Mensch, der den Anspruch auf      Anständigkeit erhebt, Antisemit sein." Diese Worte eines weltbekannten      Musikers haben wohl, wie man täglich erleben muß, manche Ohren der heutigen      Welt nicht erreicht. Im Rahmen der Kulturtage wurden "Die 11 jiddischen      Lieder" von Detlef Hutschenreuter (Saxophon, Gesang), Alla Sabejinskaja      (Klavier), Valeria Chichkowa und Michoel Felsenbaum (beide Gesang und      Rezitation) aufgeführt. Als visuelle Begleitung gab es Videoprojektionen von      Kaltnadelradierungen des bekannten russisch-jüdischen Malers und Grafikers      Anatoli Kaplan, die er nach Schostakowitsch’ Tod zur Erinnerung an den      Komponisten und Freund schuf. Eine Begegnung der besonderen Art war, wie      auch in vergangenen Jahren, der Abend, an dem Publikumsliebling Sarale      Feldman – aus der Bukowina stammend, in Israel heimisch geworden – subtilen      jiddischen Humor in Form von Liedern und Sketchen brachte. Begleitet von der      aus Rußland eingewanderten Sängerin Marina Jakobowitsch und der Pianistin      Hana Altman, ehrte sie mit ihrem Programm, "Dus Gesang fun majn Harz",      einige unvergeßliche Schauspieler des jiddischen Theaters der Vergangenheit      wie Molly Picon, Max Perlman, Schimon Dschigan u.a. Ähnlich gestaltet – mit jiddischen Erzählungen,      Geschichten und Musik – waren auch die Auftritte von Pesach Fiszman, dem New      Yorker Jiddischlehrer, mit der Kölner Gruppe A Tickle in the Heart Swing Klezmer Trio, Jalda Rebling und Tobias Morgenstern (Akkordeon), beide      aus Berlin, die "Chassidische Geschichten von Wundern aus Worms, Prag und      Berditschew" vortrugen und ihren Abend unter ein Motto von Rabbi Kook      stellten: "In der Tora gibt es nichts Altes und nichts Neues – das Neue ist      alt, und das Alte ist neu. Oder: Das Alte erneuert sich, und das Neue      heiligt sich." Ebenfalls in literarischen Bereichen bewegten sich die      Lesungen von Michoel Felsenbaum – in der Ukraine geboren, im Bereich      jiddischer Kultur in Beltz (Moldawien) tätig, seit 1991 in Israel lebend –,      der seinen neuen jiddischen Roman "Schabbesstike Schweblech" (Schabbeszündhölzer)      vorstellte sowie eine Hommage an Mascha Kaléko (1907-1975), der galizischen      Lyrikerin und "rastlosen Wanderin zwischen den Welten", die auf der      Rückreise nach Jerusalem in Zürich verstarb, dargeboten von der      Schauspielerin Paula Quast und Lech Wieleba (Kontrabass). Itzig Manger, dem Dichter und "Prinz der jiddischen      Balladen", dem weltweit geschätzten Literaten, der 1901 als Sohn eines      Schneiders in Czernowitz geboren wurde und 1969 hochgeachtet in Gedera bei      Jerusalem starb, war ein besonderer Liederabend gewidmet. Manger, der      1919-1929 ein Vagabundenleben zwischen Bukarest, Warschau und Czernowitz      führte, 1939 vor den Nazis nach Paris, 1940 weiter nach England floh, 1951      in die USA auswanderte und sich schließlich 1961 in Israel niederließ,      schrieb um 1940 "Dus Lid fun der goldenen Pawe" (Das Lied vom goldenen      Pfau), mit dem der polnische Sänger, Schauspieler und Leiter des      Stadttheaters in Sopot, André Ochodlo – begleitet von einem fünfköpfigen      Musikensemble – seinen lyrisch-klanglichen Auftritt einleitete. Eine umfangreiche Ausstellung im Bayerischen      Hauptstaatsarchiv – "Wege in die Vernichtung. Die Deportation der Juden aus      Mainfranken, 1941-1943" –, dazu ein Dokumentarfilm und ergänzende Vorträge      sowie eine besondere cinematographische Kostbarkeit, der Stummfilm "Das      Leben der Juden in Palästina, 1913" mit französischen, englischen und      hebräischen Zwischentiteln, und schließlich der ungarisch-italienische      Spielfilm "Rózsa’s Gesänge. A Rózsa énekei" (2003) – Drehbuch und Regie:      Ándor Szilágyi, mit Maia Morgenstern, Franco Castellano, Ildikó Bánsági, Zum      Dávid u.a. – ergänzten und rundeten die thematische Vielfalt der Kulturtage      ab. Es war, wie schon angedeutet, eine Wiederbelebung und Wiederkehr des      Jiddischen in allen künstlerischen Bereichen, "einer Weltsprache, die man      heute immer noch von New York bis Johannesburg, von Czernowitz bis Biro      Bidschan spricht," wie der bekannte bukowinische Schriftsteller Josef Burg      vor kurzem sagte –, und besonders dadurch wurden diese Kulturtage zu einem      bisher einmaligen Ereignis, das für jene, die dabei waren, unvergeßlich      bleiben wird.