2004 gedenkt man auch Persönlichkeiten aus Kultur, Musik      und Wissenschaft. Am 4. März, anlässlich des 100. Geburtstages von Joseph      Schmidt fand im Rathaus von Köpenick ein Festakt statt. Die Musikschule des      Bezirks Treptow-Köpenick erhielt dabei den Namen "Musikschule Joseph      Schmidt". Das Haupt des rumänischen Kammersängers und Kantors ziert die von      der Deutschen Post am 4. März herausgegebene Sonderbriefmarke im Wert von 55      Cent. Das Filmhaus am Potsdamer Platz zeigte den 1933 von Richard Oswald      produzierten Streifen "Ein Lied geht um die Welt", durch den Joseph Schmidt      einst Berühmtheit erlangt hatte. Wer war nun Joseph Schmidt? Joseph Schmidt kommt am 4. März 1904 in einem Dorf      genannt Davideny in der Bukowina als drittes Kind jüdischer Eltern zur Welt.      Er hat noch vier Geschwister: Regina (1900 geboren), Betty (1902 geboren),      Schlomo (1906 geboren) und Mariem (1909 geboren). Die Bukowina gehört zur      damaligen Zeit als selbstständiges Kronland zum Staatenbund der k.u.k.      Monarchie. Schmidts Geburtsort befindet sich in der Nähe der historischen      Hauptstadt Czernowitz (rumän. Cernauti): Dort leben Ukrainer und Rumänen,      und der Anteil der jüdischen Bevölkerung ist nicht unbedeutend. Gerade die      Einwohner jüdischer Abstammung gelten als Träger der deutschen Kultur. In      Czernowitz beziehungsweise der Bukowina sind bedeutende Literaten des 19.      und 20. Jahrhunderts wie beispielsweise Alfred Margul-Sperber (1898-1967),      Rose Ausländer (1901-1988) oder Paul Celan (1920-1970) zu finden. Jossale, wie Joseph Schmidt in Davideny genannt wird,      scheint schon von klein auf für Musik zu schwärmen. Manchmal muss sich die      ganze Familie auf die Suche nach ihm machen und findet ihn am Waldrand, wo      er aufspielenden Zigeunern zuhört. In der Schule gilt der Ausreißer als      Tagträumer: Bis auf die Fächer Geschichte und Geographie sowie auf die      Singstunde interessiert ihn kaum etwas. Vater Schmidt, ein eher      zurückgezogener streng gläubiger Jude, der die meiste Zeit dem Studium der      Heiligen Bücher widmet, zeigt sich von dem immer deutlicher zu Tage      tretenden musikalischen Talent seines Sohnes unbeeindruckt. "Die Jungen      sollen es einmal besser haben" als er und "einen anständigen Beruf"      ergreifen, meint er. Jossale entwickelt sich mit der Zeit zum singenden      Wunderkind von Davidney: Er tritt bei Geburtstagsfeiern und Familienfesten      auf und verdient etwas Geld für seine Familie. Bald darf er auch in der      Synagoge seine Stimme zum Besten geben. Nach Kriegsbeginn (1914) übersiedeln die Schmidts nach      Czernowitz. Hier hofft das Oberhaupt der Familie, zu mehr Einkommen zu      gelangen. Der singende Joschi erhält Klavier- und Violinunterricht. Mit 14      Jahren singt er im Chor des Tempels von Czernowitz. Dennoch träumt er      vorerst von einer Karriere als Schauspieler. Er tritt im Czernowitzer      Kindertheater auf, wo er das Publikum mit musikalischen Einlagen begeistert.      Bald erkennt er jedoch, dass ihm seine kleine Statur von 154 cm auf der      Bühne zum Verhängnis werden könnte und entschließt sich, seine Stimme      professionell zu schulen. Auf Vermittlung des Chorleiters Josef Towstein      zählt Schmidt mit 18 Jahren zu den Schülern der bedeutendsten Stimmpädagogin      von Czernowitz, Felicitas Lerchenfeld-Hrimaly. Er hebt sich von den anderen      Mitschülern und Mitschülerinnen durch seine überdurchschnittlichen      Leistungen ab: Schmidt singt problemlos Skalen bis zum hohen C und darüber      hinaus; außerdem singt er unbekannte Werke vom Blatt. Folge dessen erhält er      zahlreiche Engagements in diversen Chorvereinigungen und Synagogen. Gläubige      versammeln sich in den Gotteshäusern, um Schmidts Stimme zu hören. Im      November 1924 gibt er sein erstes Konzert in Czernowitz. Die Zeitungen      berichten ausschließlich Positives über sein künstlerisches Talent. Im Frühjahr 1925 beginnt Schmidt sein Studium an der      Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik und Gesang in Berlin. Nach      einem Jahr unterbricht er es, um seinen Militärdienst beim 2.      Gebirgsjägerbataillon in Radautz (rumän. Radauti) abzuleisten. 20 Monate      lang ist er als Geigen- und Klavierspieler in der Militärkapelle tätig und      spielt sogar in der Jazzband als Schlagzeuger. Ende 1927 wird er entlassen      und setzt sogleich sein Studium fort. 1929 tritt Schmidt zum ersten Mal im      Ausland, in Antwerpen, auf. Dort sollte seine Karriere auch enden. Seine      Erfolge in der Heimat sowie in Antwerpen bestätigen ihm, dass er den      richtigen Weg beschreitet – nämlich eine Karriere als Sänger und nicht als      Schauspieler. Ende Oktober 1923 bricht die Ära des Rundfunks an. Am 18.      April 1929 debütiert Schmidt beim Berliner Rundfunk mit der berühmten Arie      des Vasco da Gama aus "Die Afrikanerin" von Giacomo Meyerbeer (1791-1864).      Dieses Musikstück lässt Schmidt über Nacht zum Rundfunkstar avancieren; mit      seinen Sendungen trägt er zur Popularität des deutschen Rundfunks bei. Er      wird in weiterer Folge als "Rundfunk-Tenor" mit Caruso-ählicher Stimme oder      gar als "der Rundfunk-Caruso" bezeichnet. Der Vergleich mit Enrico Carusos1  "Träne in der Stimme" ist nicht als "theatralisches Geschluchze, sondern als      Kunst des vokalen Ausdrucks" zu verstehen.  Seinen ersten Bühnenauftritt mit "Die drei Musketiere" in      Berlin erlebt Schmidt Ende August 1929. In weiterer Folge wird der      musikalische Genius von der Lindström AG für die Aufnahme von liturgischen      Liedern der jüdischen Reformgemeinde verpflichtet. Neben Chören und anderen      Sängern ist er einer der renommiertesten Solisten. Die elf erhaltenen      Gesänge in hebräischer und aramäischer Sprache gelten aufgrund seiner      außergewöhnlicher Koloraturtechnik als Höhepunkt seiner Diskographie. Zeit seines Lebens bleibt Schmidt ein bescheidener      Mensch, der auf irdische Güter keinen großen Wert legt. So bekommt sein      Onkel, bei dem er in Berlin in Untermiete wohnt, 1/3 seiner Gagen, seiner in      Czernowitz (nunmehr Rumänien) lebenden Mutter lässt er ebenfalls so viel      zukommen; 1933 gastiert Schmidt in der Schweiz, wo er das Publikum      in Begeisterung versetzt. Er ist ein Star, der angehimmelt, bewundert und umworben      wird. Nicht nur bei Auftritten muss er Autogrammstunden einplanen, sondern      auch auf postalischem Wege erreichen ihn Autogrammwünsche aus dem Ausland. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung in      Deutschland 1933 erfolgt die so genannte "Gleichschaltung" von Presse,      Rundfunk und Film; die Öffentlichkeit wird mit dem staatlich angeordneten      Judenboykott vom 1. April 1933 von Juden "gesäubert". Sämtliche Verträge mit      dem Berliner Rundfunk werden daher hinfällig. Am 20. Februar 1933 erlebt der      Künstler seinen letzten Auftritt an einem deutschen Sender. Dennoch bleibt      ihm die Filmbranche vorerst noch offen. Eine auf Schmidt maßgeschneiderte      Rolle in dem Film "Der Sänger des Volkes" wird ihm angeboten. Angesichts      seiner "nicht arischen" Abstammung muss der Titel jedoch geändert werden:      Daraus entsteht das berühmte "Ein Lied geht um die Welt"2 ,      das am 9. Mai 1933 im Ufa-Palast am Zoo seine Premiere erlebt. Schmidts      Begeisterung über das Filmangebot hält sich in Grenzen. Bei der Uraufführung      kommt er erst gegen Ende der Vorstellung auf die Bühne und wird dennoch mit      tosendem Applaus empfangen. Sein Zögern hängt bestimmt auch mit der Tatsache      zusammen, dass Propagandaminister Joseph Goebbels mit seinem Stab im      Ufa-Palast zugegen ist. Die Zeitung der NSDAP, "Völkischer Beobachter",      berichtet: "…Aber er ist sooo begabt und so edelmütig, so rührend, kein      Engel ist so rein… Und was man nicht sagt, aber desto deutlicher sieht: er      ist ein Jude. Jener Typ demütiger Volljude, mit dem einstmals so gerne      hausieren ging…"3  Schmidt gastiert in weiterer Folge in Wien, Toulon und      Salzburg. Das Apollo-Kino im 6. Wiener Gemeindebezirk eröffnet im August      1933 mit dem Spielfilm "Ein Lied geht um die Welt". Im Salzburger      Konzertsaal beeindruckt der "Sänger des Volkes" durch die Klarheit und das      Volumen seiner Stimme, denn dort singt er ohne Mikrophon, das sein      Tonvolumen retouchieren könnte. Überall erntet er Ovationen. Er tritt mit      anderen renommierten Stars wie dem großen Tenorsänger Leo Slezak (1873–1946)      oder der berühmten Schauspielerin der Stummfilmzeit Frida Richard      (1873-1946) auf. Journalisten lauern ihm in Hotels auf. Überall erkennt man      ihn als den großen Startenor. Als Schmidt einmal in der Wiener Staatsoper      als Zuschauer zu Gast ist, wendet sich das Publikum ihm zu und applaudiert      ihm in der Loge. Im Dezember 1933 erfolgt die endgültige Übersiedlung nach      Wien. 1936 setzt Schmidt seine Karriere als Filmschauspieler in      den USA fort: "Ein Lied geht um die Welt" findet auch in der amerikanischen      Presse positive Kritiken. Mit dem "Halleluja" aus Mozarts "Exsultate,      jubilate" erobert der begnadete Sänger die Herzen der Amerikaner. Er gilt      dort als Superstar. Zeitungen berichten von den beiden "Weltwundern" des      Jahres 1937: der Golden Gate Bridge von San Francisco und Joseph Schmidt. Zwar genießt der Sänger seine Erfolge und Popularität,      doch zieht es ihn nach Europa und im speziellen nach Wien, in die Stadt      seiner Triumphe. Gemeinsam mit Lotte Kohn4  und ihrem gemeinsamen Kind Otto nimmt Joseph Schmidt am 7. März 1938, also      fünf Tage vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, Abschied von      Wien. Er flieht zunächst in die Beneluxstaaten, danach nach Frankreich. Ab      und zu finden Konzerte statt. Allerdings erlebt der große Sänger auch eine      zweijährige Phase ohne öffentliche Auftritte. Daraufhin bemüht sich sein      Freund Max Neumann, für ihn Konzerte zu organisieren. Das für März 1942 in      Marseille geplante und ausverkaufte Konzert wird von der Prefecture      verboten, denn jüdische und "arische Künstler" dürfen nicht gemeinsam      auftreten.  Das politische Klima und die anhaltenden militärischen      Siege der deutschen Wehrmacht zwingen Schmidt nach einigen misslungenen      Ausreiseversuchen zur Flucht in die Schweiz. Er ist 30 km von Zürich      entfernt, im Flüchtlingslager Girenbad, einer ehemaligen Textilfabrik, die      1949 einem Brand zum Opfer fällt, untergebracht. Angesichts der schlechten      Lagerverhältnisse muss Schmidt Ende Oktober 1942 mit Laryngitis      (Kehlkopfentzündung) und Tracheitis (Luftröhrenentzündung) in die Züricher      HNO-Klinik eingewiesen werden. Er klagt öfters über Brustschmerzen, die von      den Spitalsärzten ignoriert werden. Am Vormittag des 16. November 1942      stirbt der große Star im Alter von 38 Jahren, 8 Monaten und 12 Tagen – es      wird Herzversagen diagnostiziert. Alle 350 Lagerinsassen nehmen Abschied von      ihm. Obwohl nur 15 Mann die Erlaubnis haben, Schmidts Sarg auf einer kurzen      Strecke zu begleiten, schließen sich diesen auch die restlichen Flüchtlinge      an und geleiten den kleinen großen Mann auf seinem letzten Wege. Er wird      schließlich auf dem Israelitischen Friedhof Unterer Friesenberg in      Zürich bestattet. Wenige Menschen, darunter einige Kollegen des Züricher      Schauspielhauses beziehungsweise des Stadttheaters wie Wolfgang Langhoff,      Eugen Jensen oder Ernst Ginsberg erweisen ihm die letzte Ehre. Sein      Grabstein enthält hebräische sowie deutsche Worte. Oberhalb des Davidsterns      ist der Satz "Ein Stern fällt" eingemeißelt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges finden sich die      Überlebenden der Familie Schmidt – darunter drei Kinder – in Rumänien, in      Gura Humorolui, wieder. Mutter Sara bemüht sich vergeblich, eine      Ausreisemöglichkeit in die Schweiz zu erlangen. Mit Unterstützung von      Gertrud Ney-Nowotny5 ,      einer jungen Wienerin und Verehrerin des Kammersängers, bekommt Sara Schmidt      eine Ausreisegenehmigung nach Österreich. Bevor sie die Reise zum Grab ihres      Sohnes antreten kann, stirbt sie. Auf ihrem Grabstein im Friedhof von Gura      Humorolui steht folgendes geschrieben:  "SARA SCHMIDT Mutter des Kammersängers JOSEPH SCHMIDT gest. am 31./V.1950" Ein Lied geht um die Welt! Ein Lied, das Euch gefällt! Die Melodie erreicht die Sterne, Jeder von uns hört sie so gerne! Von Liebe singt das Lied, Von Treue singt das Lied, Und es wird nie verklingen, Man wer es ewig singen. Flieht auch die Zeit. Das Lied bleibt in Ewigkeit. Literaturhinweis: Die aktuellste Biographie über Joseph Schmidt: Alfred A. Fassbind, Joseph Schmidt, Ein Lied geht      um die Welt. Spuren einer Legende. Eine Biographie, Zürich 1992.
1 Vgl. Christian Springer, Enrico Caruso: Tenor der Moderne, Wien 2002 .
																				  2 Es handelt sich um Schmidts ersten Film, in dem er die      Hauptrolle spielt: Er hat die Rolle des kleinwüchsigen Sängers Riccardo, der      auf die große Liebe seines Lebens verzichten muss, weil diese zwar seine      Stimme bewundert, ansonsten aber nur Augen für den gut aussehenden Freund      des Sängers hat. Der Film trägt unverkennbar autobiographische Züge.  3 Zitiert nach Alfred A. Fassbind, Joseph      Schmidt, Ein Lied geht um die Welt. Spuren einer Legende. Eine Biographie,      Zürich 1992, S70.  4 Lotte Kohn ist zu Beginn ihrer Liason mit Schmidt noch      verheiratet und lässt sich einige Jahre später von ihrem Ehegatten scheiden.      Gerüchten zufolge soll Schmidt sie geehelicht haben, allerdings gibt es      dafür keine stichhaltigen Beweise. Der Sänger unterhält auch mit anderen      Frauen Liebesbeziehungen. Details darüber gehen aus der ansonsten      umfassenden Biographie nicht hervor.  5 Gertrud Ney-Nowotny hat Zeit ihres Lebens alles über die Person Joseph      Schmidt gesammelt und sie an eine ihrer treuesten Korrespondentinnen in      Zürich, Berty Rossetti, übertragen. Diese organisierte Ausstellungen und      Radiosendungen zum Andenken an den großen Startenor; das      Joseph-Schmidt-Archiv in Zürich ist ebenfalls auf die Initiativen der beiden      Damen zurück zu führen.