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Einer von ihnen war Victor Brauner Die großen Namen der europäischen Avantgarde

Claus STEPHANI

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Am 12. März 2006 jährte sich der 40. Todestag eines der bedeutendsten Vertreter der rumänischen und europäischen Avantgarde – Victor Brauner, Maler, Grafiker, Zeichner, Dichter und Kunsttheoretiker. Aus diesem Anlaß sprach unser Mitarbeiter Dr. Claus Stephani (München) mit dem Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Dr. Emanuel Nadler, während seines Besuchs in Deutschland.

Dr. E. Nadler

DAVID: Herr Dr. Nadler, Sie sind sehr vielseitig tätig – als Schriftsteller, Lyriker, Fernsehjournalist und Kustos des Kunstmuseums Ihrer Heimatstadt Piatra Neamtz; doch vor allem sind Sie ein international bekannter Kunsthistoriker. Wann begannen Sie, sich mit Erscheinungsformen moderner Kunst zu befassen?

Dr. Nadler: Als Student, und damals zuerst im literarischen Bereich. 1972 schloß ich mein philologisches Studium an der Universität Jassy ab. Im Jahr 1976 erschien mein erster Gedichtband, dem später weitere acht Lyrikbände folgten. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe ich dann viel gelesen, bevor ich mich theoretisch mit dem modernen Kunstgeschehen beschäftigte. Mein Vater war Arzt und kam aus einer traditionsgeprägten Familie. Er pflegte mir immer wieder zu sagen: Wenn du etwas beginnst, mußt du zuerst genau wissen, wovon die Rede ist. Er gehörte eben zu einer Generation, wo gründliche Allgemeinbildung noch eine sehr wichtige Rolle spielte.

So hielt ich eines Tages auch ein ungewöhnliches Buch in der Hand: Eine Anthologie der rumänischen Avantgarde, die 1969 in Bukarest erschienen war, als es nach dem ‚Prager Frühling’ in unserem Land kurze Zeit eine Art „ideologisches Tauwetter" gegeben hat. Diese wichtige Veröffentlichung war von einem der renommiertesten Repräsentanten avantgardistischer Bestrebungen herausgebracht worden – dem bekannten Dichter und Arzt Sascha Pana, übrigens Jude.

Was mich damals außer den Texten besonders beeindruckte, waren die zahlreichen Illustrationen – Zeichnungen von Victor Brauner, Jacques Hérold, Marcel Janco, Maximilian Herman Maxy u.a. Dabei stellte ich fest, daß ein Großteil jener literarischen und künstlerischen Werke der Zwischenkriegszeit von jüdischen Schriftstellern und Künstlern stammte. Die Ursache dieses Phänomens ist in der Ablehnung alles Klischeehaften und im nonkonformen, freiheitlichen Geist des Judentums zu suchen, der sich so auch in diesem kreativen Bereich immer wieder äußerte.

DAVID: Würden Sie bitte diesen Gedanken genauer zusammenfassen?

Dr. Nadler: Gern. Bekanntlich war es André Breton, der in Paris Künstler aus verschiedenen Ländern um sich versammelte und 1925 in der „Revue surréaliste" die erste Definition einer neuen Kunstrichtung veröffentlichte. So bezog er unentdeckte Bereiche des Geistes, die Allmacht des Traumes und das selbstlose Spiel der Gedanken ins künstlerische Gestalten ein. Und er ergänzte dieses dann auch durch andere Attribute, die bereits vorher die Dadaisten – mit Tristan Tzara (Samuel Rosenstock), der, nebenbei gesagt, aus dem moldauischen Schtetl Mojnescht stammte – in das kreative Schaffen eingebracht hatten. Das Triebhafte und Irrationale, von Sigmund Freud entdeckt, kam so in die Kunst. Diese Richtungen erlebten – besonders in Rumänien, und da gab es die damals noch am Anfang stehenden jungen jüdischen Künstler – eine ungewöhnliche Rezeption. Sie alle waren – damit meine ich primär Arthur Segal und die bereits vorher genannten Künstler – eigentlich die ersten Repräsentanten einer europäischen Avantgarde.

DAVID: Diese Erkenntnisse sind jedoch in den letzten Jahrzehnten, soweit uns bekannt, bisher kaum geäußert worden.

Dr. Nadler: Das liegt vor allem daran, daß die Erfahrungen und Erneuerungen der Avantgarde von kommunistischen, d.h. parteiideologisch geprägten „Kunsttheoretikern" immer wieder als „dekadent", um nicht „entartet" zu sagen, verleumdet und abgewertet wurden.

DAVID: Sie haben vor kurzem im internationalen Bukarester jüdischen Verlag, Editura Hasefer, den monographischen Bildband "Victor Brauner – At the Roots of his Work" herausgebracht. Würden Sie uns diesen universellen Vertreter des phantastischen Realismus, dessen Todestag sich am 12. März zum 40. Mal jährte, kurz vorstellen?

Dr. Nadler: Das habe ich in meinem Buch auf über 200 Seiten getan. Ich versuche es nun im Telegrammstil. Hermann Brauner, der Vater des Künstlers, war ein wohlhabender, gebildeter Kaufmann und stammte aus Galatz. In der Ehe mit Debora Goldner wurden die Kinder Rudolf, Rovena, Victor, Veronica, Harry und Theodor-Cesar geboren. 1912 übersiedelte die Familie nach Wien, mit der Absicht, sich dort endgültig nieder zu lassen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch zogen die Brauners nach Bukarest, wo Victor sein Kunststudium beendete. Er nahm dann, im November 1924, an der berühmten Contimporanul-Ausstellung teil, zusammen mit Paul Klee, Hans Arp, Kurt Schwitters, Hans Richter, Arthur Segal, Marcel Janco, Hans Mattis-Teutsch u.a. herausragenden Vertretern der Avantgarde. Es folgte, 1925, sein erster Aufenthalt in Paris und die Begegnungen in der Galerie Pierre Loeb mit der Elite der Moderne – Picasso, Max Ernst, Giorgio de Chirico, Joan Miró u.a. Damals begann sein aufsteigender Weg in der europäischen Kunst. Und so blieb er – mit kurzen Unterbrechungen und zahlreichen Ausstellungen in den größten Museen und Galerien der Welt, von Prag, Zürich, Rom, Venedig, Mailand und Wien bis Chicago, San Francisco, Houston und New York – Zeit seines Lebens in Paris. Auf seinem Grabstein aus weißem Marmor auf dem Friedhof von Montmartre, ist sein Credo eingemeiselt: „Pour moi, peindre c’est la vie, la vraie vie, ma vie" (Für mich bedeutet malen – Leben, das wahre Leben, mein Leben).

DAVID: Wann begannen Sie sich mit Victor Brauners „wahrem Leben" näher zu beschäftigen?

Dr. Nadler: In der Anthologie, die ich zuvor erwähnte, befanden sich auch Zeichnungen von Brauner, allerdings nur Arbeiten aus den Jahren 1920 bis 1938, als er sich zeitweilig noch in Rumänien aufhielt. Diese kleinen Kunstwerke haben mich damals sehr beeindruckt. Zwar hatten einige seiner frühen Gemälde in Museen von Bukarest, Galatz, Tulcea, Oradea (Großwardein) und Turnu Severin „unbemerkt überlebt", doch bis 1990 galt der inzwischen international bekannte Künstler bei uns im Lande als „ein verräterischer Flüchtling" und ein „peinlicher Bruder" des bekannten rumänischen Ethnologen und Musikwissenschaftlers Harry Brauner. Dieser war übrigens 1950 aus fingierten „politischen Gründen" als „Klassenfeind" zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Tatsache ist, und das möchte ich hier noch erwähnen, daß der rumänische Sicherheitsdienst, die Securitate, sogar auch über den im westlichen Ausland lebenden Künstler ein Akte anlegen ließ. Ich hatte Gelegenheit, dieses „Dossier" einzusehen, und da mußte ich feststellen, daß es hier auch Informationen gab, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, also noch von der damaligen Geheimen Staatspolizei, der Siguranta, aufgezeichnet wurden.

Brauner hatte sich übrigens am 16. Januar 1941 einen falschen französischen Paß beschafft, wo er mit seinem richtigen Namen, jedoch als „Elsässer" eingetragen war. Danach konnte er sich im nichtbesetzten Teil Frankreichs „freier" und „sicherer" bewegen, und so lernte er bei einem Abschiedsfest, das Max Ernst in Marseille gab, bevor er in die USA emigrierte, die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim kennen. Im Jahr darauf, 1942, als Marcel Duchamp und André Breton in New York die große dreiwöchige Veranstaltung „First Papers of Surrealism" eröffneten, war er mit dem Gemälde „Femme en chatte", aus dem Besitz Peggy Guggenheims, vertreten... Der falsche Paß half ihm damals als Jude unerkannt zu überleben.

DAVID: Das Denunziantentum hat, wie man sieht, zu allen Zeiten funktioniert. Sind aber diese geheimen „Dossiers" für die Geschichte der Avantgarde von Bedeutung?

Dr. Nadler: In gewisser Hinsicht schon. Denn sie vermitteln unbekannte Details aus dem Leben dieses Künstlers, über den ich mich vor der Wende 1990 nur begrenzt informieren konnte. Kataloge, Zeitschriften und andere ausländische Publikationen gab es nur gelegentlich in privaten intellektuellen Kreisen, und sie wurden meist im geheimen herumgereicht und gelesen.

DAVID: Doch dann, 2004, erschien bei Hasefer in Bukarest – nach Veröffentlichungen in Frankreich und den USA – Ihr umfangreicher Bildband.

Dr. Nadler: Nach der Begegnung mit Brauners zeichnerischem Werk, das 1994 im Museum für moderne Kunst in Saint-Étienne gezeigt wurde und danach auch in Bukarest zu sehen war, entschloß ich mich, diesem ungewöhnlichen Künstler ein Denkmal zu setzen. Für mich, als Schriftsteller und Kunsthistoriker, konnte das selbstverständlich nur ein Buch sein. Dafür gab es aber noch drei gewichtige Gründe: Erstens – Victor Brauner kam aus dem östlichen Judentum, zweitens – er stammte aus Piatra Neamtz, der Stadt, in der die älteste Holzsynagoge Rumäniens steht und wo ich seit meiner Kindheit lebe, obwohl ich in Bacau geboren wurde, und drittens – Victor Brauner gehört heute, neben dem Bildhauer Constantin Brâncusi, zu den bedeutendsten Vertretern der modernen Kunst, wobei er sich besonders gut auch in die geistige Arena des 21. Jahrhundert einordnen läßt.

DAVID: Sie haben die internationale Brauner-Forschung durch neue Erkenntnisse bereichert. Welches sind Ihre weiteren Vorhaben in dieser

Richtung?

Dr. Nadler: Derzeit bereite ich eine große Dokumentarausstellung über die rumänische und westeuropäische Avantgarde vor, die ab Juni in unserem Kunstmuseum gezeigt wird. Gleichzeitig arbeite ich auch an einem weiteren Buch über Victor Brauner, das besonders seine literarischen Beziehungen zu zeitgenössischen Dichtern, wie Gellu Naum und René Char anleuchten wird und noch in diesem Frühjahr bei Hasefer erscheinen soll. Dabei werde ich besonders die jüdische Komponente einer zentraleuropäischen Geistigkeit erhellen und hervorheben. Genauer gesagt: Es gibt da eine spirituelle Achse, bzw. eine geistige Brücke, die auf drei großen Pfeilern ruht – Kafka-Brauner-Celan – und die das Kunstgeschehen im 20. Jh. weitgehend bestimmt und geprägt hat. Paul Celan (1920-1970), einer der größten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jhs., kam bekanntlich aus Czernowitz (Bukowina) und somit auch aus dem Ostjudentum.

DAVID: Andere Pläne und Projekte?

Dr. Nadler: Da gibt es viele Wünsche und Vorhaben. Was mir nun besonders am Herzen liegt, wäre eine Neuwürdigung des Malers Jacques Hérold – im Jahr 2010, zu seinem 100. Geburtstag. Auch er stammte aus Piatra Neamtz, hat in Paris gelebt und gewirkt. Hérold gehörte zum Kreis um André Breton und Max Ernst; Michel Butor widmete ihm seine erste Monographie. Geplant ist eine große Retrospektive mit einem schönen Katalog, ein internationales Symposium und andere Veranstaltungen.

DAVID: Würden Sie uns abschließend noch etwas über die Rolle jüdischer Künstler im rumänischen und europäischen Kunstgeschehen sagen?

Dr. Nadler: Die Antwort auf diese letzte Frage scheint am schwierigsten zu sein. Denn der Beitrag des Judentums zur modernen Kunst ist so vielfältig und umfassend, daß man diesen Aspekt in wenigen Worten nicht einmal andeuten kann. So will ich hier nur drei Namen nennen: Max Liebermann, Amedeo Modigliani, Marc Chagall – was wäre die moderne Kunst ohne sie? Und dann könnte man sich vielleicht auch die Frage stellen: Wie „jüdisch" waren eigentlich die großen Künstler der Moderne und in unserem Fall jene der osteuropäischen Völker?

Was Rumänien betrifft, will ich mich hier nur auf einen einzigen Namen beschränken: Constantin David Rosenthal (1820-1851), der Maler, der in Budapest geboren wurde, in Wien studiert hat, der ungarisch und deutsch sprach und 1842 nach Bukarest kam, wo er unter anderen die zwei bedeutendsten sinnbildlichen Gemälde der jungen nationalen Kunstbestrebungen unseres Landes schuf: „Das revolutionäre Rumänien" und „Rumänien zerreißt seine Handfesseln auf dem Freiheitsfeld". Danach fragte niemand mehr nach der Herkunft dieses Künstlers mit dem eindeutigen Namen. Doch ohne Rosenthal und ohne die vielen anderen – einer von ihnen war Victor Brauner – gäbe es Jahrzehnte hindurch in der modernen Kunst eine große Leere...

DAVID: Herr Dr. Nadler, wir danken Ihnen für dieses aufschlußreiche Gespräch.