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Dreidimensionale Rekonstruktion von Wiener Synagogen:

Bob MARTENS

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In der "David-Ausgabe" Nr. 52 wurde die Rekonstruktion der Wiener Synagoge in der Siebenbrunnengasse vorgestellt. Mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien (Magistratsabteilung 7 - Wissenschafts- und Forschungsförderung) konnten nun die Tempelbauten in der Pazmaniten- und Leopoldsgasse virtuell rekonstruiert werden. Die vorliegenden Arbeiten wurden in Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Herbert Peter durchgeführt. Weitere Rekonstruktionen sind in Arbeit und vor allem Innenaufnahmen sind hiebei als eine Art "Mangelware" anzusehen.

Synagoge in der Pazmanitengasse Westfassade

Die Grundlage der Rekonstruktionsarbeit wird von recherchierten Archivmaterialien gebildet, welche die Validität der virtuellen Rekonstruktion maßgeblich bestimmen. Hinzu muss festgehalten werden, dass die gegenständliche Rekonstruktionsarbeit sich vorwiegend mit Synagogen befasst, welche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet wurden. Auf Grund der Gründlichkeit der Baubehörde der Stadt Wien und den damit zusammenhängenden Anforderungen an Einreich- bzw. Auswechs-lungsplanungen (Maßstab 1:100), handelt es sich um eine überaus zuverlässige Quelle. Diese Planunterlagen geben jedoch üblicherweise keinen Aufschluss über etwaige Einrichtungsgegenstände und Möblierungen. Obgleich bestimmte Lücken zu verzeichnen sind, erstaunt, dass nach wie vor eine reichhaltige Zahl an Plandokumenten archiviert ist. Im Falle eines Verlustes von Archivmaterial hat dies einen weiteren Spielraum für die dreidimensionale Darstellung zur Folge und es gewinnt die "Spekulation" an Einfluss. Eine reichhaltige Fülle an Gebäudeschnitten steigert hingegen den Realitätsgehalt der Rekonstruktion. Dies ist auch der Fall, wenn Innenraumaufnahmen vorgefunden werden, welche allerdings bei jüdischen Gebetshäusern und Synagogen eher selten angefertigt wurden. Doch handelt es sich hier nahezu ausschließlich um Schwarzweißbilder, anhand derer sich die Farbgestaltung bestenfalls erahnen lässt. Zuweilen liegen auch künstlerische Darstellungen in Form von Ölbildern oder Aquarellen vor, welche zwar mit Vorsicht zu behandeln sind, aber dennoch als ergänzendes Quellenmaterial herangezogen werden können.

Synagoge in der Pazmanitengasse Innenansicht

Wenn über längere Zeiträume hinweg an computergestützten Modellierungen gearbeitet wird - so wie es in diesem Projekt der Fall ist - kann sich rasch eine erhebliche Unübersichtlichkeit in der Datenorganisation einstellen. Hier reicht das Strukturprinzip einer Bauteiltrennung innerhalb einer einfachen Geschoßstruktur für gewöhnlich nicht aus, um den "Durchblick" zu wahren. So können beispielsweise Brüstungen mit applizierten Ornamenten - welche meist in mehreren vertikalen Schichten zu modellieren sind - nur mittels einer strukturierten Datenorganisation nachvollziehbar archiviert werden. Der Aspekt der Nutzbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt stellt somit eine wichtige Vorgabe für nachfolgende Modellierungsvorgänge dar. So kann beispielsweise die Implementierung von Erkenntnissen aus der Zusammenarbeit mit Kunsthistorikern einen vertiefenden Modellierungsvorgang zur Folge haben. Auch Fluktuationen im Bereich des Bearbeiterkreises verlangen diesbezüglich nach einer ablesbaren Struktur.

Die festgelegte Systematik lässt sich wie folgt definieren, wobei Bezeichnung "Geschoss" und "Ebene" in diesem Zusammenhang auf die Software "ArchiCAD" bezogen ist:

• Recherchieren von Planunterlagen, Bildmaterialien und Baubeschreibungen

Dieser Informationsfundus ist von grundlegender Bedeutung und zu Beginn der computergestützten Rekonstruktionsarbeiten sollten nach Möglichkeit Planunterlagen verfügbar sein. Je mehr qualitativ hochwertiges Archivmaterial zur Verfügung steht, desto exakter kann die Synagoge rekonstruiert werden.

• Vergleichen von planlichen Darstellungen mit fotografischen Aufnahmen

Um eventuelle Unterschiede zwischen Planung und Ausführung zu erkennen, sind vorab Planunterlagen mit fotografischen Aufnahmen zu vergleichen und etwaige Diskrepanzen zu orten. Darüber hinaus ist es nützlich, erste Analysen hinsichtlich der konstruktiven Gebäudestruktur (z.B. Raster, Fassadenteilungen, etc.) anzustellen.

• Festlegen einer Geschoßstruktur ("Horizontale Struktur")

Jedes Bauelement innerhalb einer virtuellen Rekonstruktion ist einem Geschoß zuzuorden. Es können beliebig viele Geschoße eingeführt werden, welche nicht ident mit der Geschoßstruktur der Planunterlagen sein müssen. Es ist sogar ratsam mit Zwischengeschoßen zu arbeiten, wenn es oberhalb des ideellen "1-Meter-Schnittes" eine Vielzahl an Ornamenten oder Deckenementen gibt. Speziell bei der Bearbeitung eines Projektes durch mehrere Personen, unterstützt die Geschoßstruktur eine korrekte Positionierung von Gebäudeteilen im dreidimensionalen Raum.

• Festlegen einer Ebenenstruktur ("Vertikale Struktur")

Nun ist eine Anzahl von Ebenen, deren Bezeichnung sich mit den zugeordneten Gebäudeteilen in Verbindung bringen lässt, anzulegen. Die Kriterien für eine Zuordnung von Bauelementen sollen nach konstruktiven Gesichtspunkten ausgewählt werden. Es ist durchaus möglich, dass Bauelemente einer Ebene die gedachten horizontalen Grenzen der Geschoßverwaltung im Bedarfsfall über-, oder unterschreiten. Nach Fertigstellung der Rekonstruktion sind alle Ebeneninhalte in Form einer schattierten Darstellung zu dokumentieren. Zu diesem Zwecke sind zunächst sämtliche Ebenen auszublenden und anschließend jeweils der Inhalt einer einzigen Ebene abzubilden.

• Erfassen von verwendeten Materialien

Jedes Element auf einer Ebene und in einem Geschoß hat eine spezifische Oberflächenfarbe (entspricht dem Material). Diese Farbe ist den einzelnen Geometrieflächen zugeordnet und kann auch innerhalb eines Objektes unterschiedlich sein. Das Element selbst wird deshalb nicht auf mehrere Ebenen aufgeteilt.

• Bestimmen von Texturen

Eine weitere Ordnungsstufe stellt jene der jeweiligen Oberflächenfarbe zugeordnete Materialtextur dar. Eine Textur ist die graphische Abbildung eines Baustoffes, welche bei der Berechnung einer photorealistischen Darstellung auf die Geometrie des Bauelementes projiziert wird. Spezialeffekte der photorealistischen Darstellungsmöglichkeiten einer CAD-Software können zusätzliche Licht-, Glanz- und Spiegeleffekte auf den Texturoberflächen erzeugen, welche durch verschiedene Lichtquellen innerhalb und/oder außerhalb des Gebäudemodells beeinflusst werden.

• Erstellen von Bibliothekselementen und Modulen

Die Konstruktion von projektbezogenen Bauelementen erfolgt mit allen zur Verfügung stehenden ArchiCAD-Standardwerkzeugen. Als Bibliothekselemente abgespeicherte Gebäudeteile sollen auch als sog. "Module" in ein eigenes Verzeichnis gesichert werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine nachträgliche grafische Änderung an einzelnen Bibliothekselementen.

• Archivieren der Projektdateien

Abschließend sind sämtliche Projektdaten in einer überschaubaren Verzeichnisstruktur abzulegen. Eine Erweiterung um einzelne Verzeichnisse kann bei Bedarf erfolgen (z.B. mit Texturen). Die Erfassung von verwendeten Materialien bzw. die Bestimmung von Texturen kann - wenn geeignete Informationen nicht vorhanden sind - gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Es muss bedacht werden, dass die Rekonstruktionsarbeit von Detaillierungsniveaus ("levels of detail") gekennzeichnet ist. Das heißt, weiterführende kunsthistorisch relevante Erkenntnisse sollten nachträglich eingebracht werden können. Unter Umständen handelt es sich hier um längere Zeiträume, in der die ursprüngliche Bearbeiterschaft zur weiteren Modellierung nicht mehr involviert ist. Darüber hinaus ist es schwer abzuschätzen, ob ein bestimmtes CAD-Softwarepaket in Hinkunft weiterhin verfügbar sein wird. Beide Gründe können große Schwierigkeiten bei einer Fortführung der Arbeit verursachen. Das bedeutet, dass eine Investition in der Datensystematik sich lohnen wird und den Weg für eine Nachnutzung - ggf. auch in einer anderen CAD-Umgebung - frei macht.

Rekonstruktion 2., Pazmanitengasse 6

Der Tempel in der Pazmanitengasse wurde in den Jahren 1891 bis 1913 nach Entwürfen von Ignaz Reiser errichtet. Vollumfängliche Einreichplanunterlagen und darüberhinaus professionelle Fotografien standen zur Verfügung, welche offenkundig mit einer technischen Kamera angefertigt wurden. Aufgrund des hohen Informationsgehaltes bestand Klarheit über viele Details (vor allem auch bei den Innenraumaufnahmen). Dennoch führte dies zu einem höheren Aufwand in der Modellierung, zumal deutliche Unterschiede zwischen Fotografie (als Zeugnis einer endgültigen Ausführung) und Einreichplanung geortet werden konnten. Diese betrafen vor allem Aufteilungen, Proportionen sowie die Gestaltung von Dekorationen. Die Hauptfassade in der Pazmanitengassse beispielsweise wurde anders ausgeführt als aus der vorliegenden Einreichplanung gefolgert hätte werden können. Nicht eindeutig feststellbar war, ob eine Auswechslungsplanung diesbezüglich vorgenommen wurde. Die erwähnten Unterschiede betreffen Positionsverschiebungen und Formatkorrekturen der Fensteranordnungen. Vermutlich war dies bei der "rückwärtigen" Fassade in der Pillersdorfergasse ebenso der Fall, doch konnten hier keine Aufnahmen recherchiert werden und wurde vom Fassadenriss aus der vorliegenden Einreichplanung Gebrauch gemacht.

 

Rekonstruktionsmodell des Pazmanitentempels (Gesamtansicht, Westfassade)

Referenzen:

Genée, Pierre (1987): Synagogen in Wien.

Wien: Löcker Verlag, S. 96

Stiassny, Wilhelm (1894): "Synagoge für die

Polnisch-Israelitische Gemeinde in Wien", in: Allgemeine Bauzeitung,

Vol. 59, S. 70-71

Rekonstruktion 2., Leopoldsgasse 29

Entworfen wurde dieser 1892/93 errichtete Tempel von Wilhelm Stiassny. Für diesen Standort stand ebenfalls eine vollumfängliche Einreichplanung (mitsamt Auswechslungsplanung) zur Verfügung. Die Qualität der zunächst recherchierten Aufnahmen war eher dürftig, handelte es sich doch bei der Abbildung der Außenfassaden eher um eine Art "snapshot" und bei den Innenraumaufnahmen um eine Reproduktion. Erfreulicherweise tauchte jedoch im Archiv des Jüdischen Museums in Wien eine kolorierte Postkarte mit zehn Wiener Synagogen auf, auf welcher unter anderen die Leopoldgasse abgebildet war. Bemerkenswert ist das rot-weiß-rote-Streifenmuster wie auch das Sichtziegelmauwerk. Es konnten geringe Unstimmigkeiten zwischen den unterschiedlichen Planunterlagen, wie auch zwischen Plan und Fotografie, geortet werden. So erschien beispielsweise auf den Einreichplänen im Vorhof noch einen Balkon. Die seitlich des rückspringenden Baukörpers angeordneten Innenräume sind darüber hinaus schwer zu interpretieren. Jedoch lag das Hauptaugenmerk der Modellierung nicht auf diesen Räumlichkeiten. Desweiteren waren konstruktive Fragen betreffend der Ausführung der Dachkonstruktionen im Zuge der baulichen Errichtung zu lösen (z.B. Pultdach).

Rekonstruktionsmodell des Polnischen Tempels (Querschnitt, Westfassade)

Referenzen:

Genée, Pierre (1987): Synagogen in Wien.

Wien: Löcker Verlag, S. 90-93

Reiser, Ignaz (1914): "Der Jubiläumstempel - Wien II.

Pazmanitengasse 6", in: Wiener Bauindustrie-Zeitung,

Vol. 31, S. 87-88