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Die "Umschulungslager" Doppl und Sandhof der Wiener Zentralstelle für jüdische Auswanderung, Teil 2

Gabriele ANDERL

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Die jüdischen Arbeitskräfte

Die beiden Lager Doppl und Sandhof wurden Mitte 1939 von der Wiener Zentralstelle bzw. dem Auswanderungsfonds erworben. Die folgenden Monate sind quellenmäßig kaum dokumentiert. Im Windhager Fremdenbuch Nr. 5 lose eingelegte Blätter zeigen aber, dass das Lager Sandhof bereits Anfang August 1939 bestanden hat. Während die später eingewiesenen Lagerinsassen durchwegs aus Wien kamen, stammte der überwiegende Teil der in dieser frühen Phase aufscheinenden 25 Personen aus Polen.

Seit Frühjahr bzw. Frühsommer 1940 nahmen in beiden Lagern die Einweisungen jüdischer Männer und männlicher Jugendlicher zu. Unter anderem erhielt der 1917 geborene Aron (Adolf) Menczer, der seit September 1939 der Leiter der "Jugend-Alija" (JUAL) im ehemaligen Österreich war, von der Zentralstelle Anfang Juni 1940 den Auftrag, 200 "freiwillige" Jugendliche für einen Einsatz in diesen Lagern zu stellen. Von etwa 200, die sich gemeldet hatten, wurden vom damaligen Leiter der Zentralstelle, Alois Brunner, 120 ausgewählt und den beiden Lagern zugewiesen. Anfang Juni kommandierte die Zentralstelle nochmals insgesamt 50 Jugendliche aus den Vorbereitungskursen der JUAL in Wien nach Doppl bzw. Sandhof. Am 27. September erhielt auch die IKG Wien den Auftrag, für die beiden Lager je 20 Personen im Alter bis zu 40 Jahren zu benennen. Als sich die jüdischen Funktionäre wegen der inzwischen berüchtigten Zustände in den Lagern weigerten, übernahm Alois Brunner persönlich die Auswahl.

Aron Menczer

Im Gegensatz zu den Konzentrationslagern waren die Lager Doppl und Sandhof nicht durch Zäune oder ähnliche Absperrungen von der Umwelt abgeschlossen, die Insassen durften die Lager gelegentlich verlassen und – wie aus den Tagesrapporten hervorgeht – auch einige Tage Urlaub nehmen. Entlassungen erfolgten im Auftrag der Zentralstelle bzw. ihres damaligen Leiters, Alois Brunner, in der ersten Zeit meist wegen der bevorstehenden Ausreise der Betroffenen, vor allem mit illegalen Transporten nach Palästina. Später wurden die Lagerinsassen meist zum Zweck ihrer Deportation nach Wien zurückgeordert.     

Gelegentlich fanden – zumindest in Doppl – Arztbesuche im Lager statt, oder Lagerinsassen wurden in den Ortschaften der Umgebung medizinisch behandelt; in schweren Fällen erfolgten Überweisungen an das Spital der IKG in Wien. Erwin Diamant, der sich in Doppl bei der schweren Arbeit einen Leisten- und Hodenbruch zugezogen hatte, wurde vom SS-Lagerleiter Slawik mit der Bemerkung entlassen, dass dieser "Schlappschwanz nach Wien abreisen" könne. Im Unterschied zum Sandhof wurde – wie aus den Tagesrapporten hervorgeht - kranken Lagerinsassen in Doppl manchmal einige Tage Bettruhe zugestanden. Wie aus Zeugenaussagen im Verfahren gegen den ehemaligen SS-Lagerleiter Weiszl hervorgeht, wurden von diesem kranke Lagerinsassen aber ebenfalls zur Arbeit gezwungen.

a) Doppl

Wie aus einer undatierten, aber höchstwahrscheinlich aus dem Jahr 1941 stammenden Standesliste des "Umschulungslagers Pappefabrik Doppl, Altenfelden, Linz" zu entnehmen ist, erfolgte der erste Zugang am 30. April 1940 (Dr. Stefan Molnar); eine erste Gruppe jüdischer Zwangsarbeiter folgte am 19. Mai 1940. Die Diensteinteilungspläne und Tagesrapporte des Lagers beginnen mit Anfang Juni 1940. Laut Tagesrapport trafen am 3. Juni 1940 sechsundzwanzig Juden im Alter zwischen 15 und 18 Jahren im Lager ein, während zwei krankheitshalber entlassen wurden. Am 27. Juni wurden 11 Neuzugänge zur Verstärkung der Belegschaft vermerkt, weitere 11 am 8. Juli.10 

Am 27. Juni 1940 begab sich Aron Menczer mit 25 JUAL-Mitgliedern freiwillig zum Arbeitseinsatz nach Doppl. Gemäß den Angaben des ehemaligen JUAL-Mitglieds Esra Peri hatten die jüdischen Jugendlichen und auch Aron Menczer anfangs tatsächlich geglaubt, es handle sich bei Sandhof und Doppl um "Hachschara"-Lager. Die Jugendlichen, von denen einige erst 14 Jahre alt waren, seien unter Leitung Menczers, aber ohne SS-Aufsicht, sehr geordnet in Gruppen mit Gruppenleitern mit der Bahn von Wien nach Doppl gefahren. Viele hätten sich damals durch die Meldung in ein Arbeitslager auch einen Schutz vor der drohenden Deportation erhofft.11 

Bereits am 18. Juli 1940 kehrte Menczer auf Weisung der Zentralstelle nach Wien zurück12 , wo er sich wieder intensiv der Betreuung der dort verbliebenen JUAL-Kinder zuwandte. Mitte Mai 1941 mussten im Auftrag der Zentralstelle das Palästina-Amt und die JUAL aufgelöst werden, und Menczer wurde mit einer Gruppe Jugendlicher abermals nach Doppl geschickt. Es gelang ihm, von dort aus regen Kontakt zu den in Wien befindlichen Mitgliedern der zionistischen Jugendbünde aufrecht zu erhalten.13  Unter diesen hatte es sich bereits herumgesprochen, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Doppl und Sandhof sehr hart waren. Esra Peri, damals ein Mitglied der JUAL, erinnerte sich später:

"Ende 1939 wurde Aron aufgefordert, ca. 200 Jugendliche in Arbeitslager zu schicken. Auch wir bereiteten uns im Laufe des Jahres 1940 darauf vor, in ein Lager zu gehen. Die Gerüchte von den Bedingungen dort waren nicht erfreulich. Ich wandte mich an Aron, und wir bekamen den Rat von ihm, bessere Lager zu wählen. Sein Rat war, ins Arbeitsamt [für Juden] zu gehen. (...) Wir wandten uns dorthin und konnten uns zwei Lager wählen, Eisenerz oder Präbichl. Wir wählten Präbichl, und ich blieb dort von Mai 1940 bis August 1940."14 

Die zionistisch organisierten Jugendlichen versuchten, trotz der widrigen Rahmenbedingungen auch in Doppl ihre bündischen Aktivitäten fortzusetzen und ähnlich wie in einem Kibbuz zusammenzuleben. Sie lasen gemeinsam jüdische und zionistische Literatur, sangen hebräische Lieder und feierten den "Oneg Schabbat"15 . Anfangs schliefen sie auf Stroh in einem Stall mit Betonboden. Der Überlebende Erwin Diamant bezeichnete diese Schlafstellen als "ausgesprochene Schweinestätten". Später bauten die Jugendlichen das Bauernhaus um, das ihnen als Unterkunft dienen sollte, zimmerten Stockbetten aus Holz und kochten gemeinsam. Nach der Ankunft Aron Menczers hielt dieser die Gruppe noch stärker zusammen und die Moral ihrer Mitglieder aufrecht.16 

Wie aus den Tagesrapporten hervorgeht, stand die willkürliche Verhängung von Strafen durch die SS-Aufseher auf der Tagesordnung. Am 26. Juni 1940 wurde ein Jude wegen Kameradschaftsdiebstahls überführt und durch den Lagerführer streng bestraft, am 28. Juni 1940 der jüdische Lagerkoch, David Manger17  wegen Veruntreuung von Lebensmitteln vom Lagerleiter seines Amtes enthoben und mit Sonntagsarbeit und zweiwöchigem Entzug des Prämiengeldes18  bestraft. Seine Funktion übernahm Kamillo Semo. Am 5. September 1940 wurden Kurt Steiner wegen Diebstahls und Eduard Kohn wegen Diebstahlverdachts von einem telephonisch herbeigerufenen Kriminalbeamten in Haft genommen und dem Gericht überstellt.

Am 18. September konstatierte die Lagerleitung laut Tagesrapport "Unfug im Kuhstall"19 , einen Einbruch im Hühnerstall sowie "hygiene- und kulturwidrigen Verfall". Weil die Schuldigen nicht zu eruieren waren, verhängte sie über sämtliche Insassen bis zur Feststellung der Täter eine Sperre der Mittagsmahlzeit. Zwei Tage später hielt der zu einer Inspektion im Lager befindliche SS-Untersturmführer Alois Brunner einen Appell ab und forderte die Schuldigen auf, sich zu melden. Als dies nicht geschah, verurteilte er das gesamte Lager für vier Wochen zu Sonntagsstrafarbeit. Die Sperre der Mittagsmahlzeit hob Wacheführer Weiszl auf.

Am 22. Oktober 1940 wurde vermerkt, dass fünf Juden, die zur Zahnbehandlung nach Lembach gesandt worden waren, dort trotz strengstens Verbots Einkäufe getätigt hatten. Weiszl verordnete hierauf für das ganze Lager eine vierwöchige Postsperre. Zwei Tage später hielt sich Brunner abermals im Lager auf und wandelte beim Morgenappell die Postsperre in eine einmalige Sonntagsarbeit um. Den fünf Schuldigen wurden vier Wochen Sonntagsarbeit und Postsperre auferlegt.

Weil die beiden Lagerinsassen Robert Eckler und Heinrich Kluger aus dem Hühnerstall Eier gestohlen hatten, verlängerte Weiszl am 16. Jänner 1941 die Arbeitszeit der gesamten Belegschaft für drei Tage bis 20 Uhr und verhängte 14 Tage Postsperre. Am 17. Jänner wurden Eckler und Kluger der Zentralstelle überstellt. Drei weitere Lagerinsassen, die fünf Tage Urlaub bekommen hatten, wurden beauftragt, die beiden Delinquenten an ihren Bestimmungsort zu bringen. Am 24. Jänner 1941 wurden die Juden Burstyn und Schaffer "wegen Renitenz und Arbeitsvernachlässigung" der Zentralstelle überstellt, am 1. März Franz Turner und Franz Fortgang "wegen Faulheit" aus dem Lager entlassen. Am 28. Februar 1941 wurden Julius Neufeld und Ernst Schechter aus dem Lager entlassen, "da sie nach Polen umsiedeln werden", am 17. November Fritz Blonder, Josef Bernfeld und Walter Spitz "wegen Umsiedlung ihrer Familie[n]".

Wie aus den Tagesrapporten zu entnehmen ist, wurden immer wieder auch einzelne Personen mit "Gefängnis" – offenbar innerhalb des Lagers – bestraft. Gelegentlich wurden auch Lagerinsassen zwischen den beiden "Umschulungslagern" der SS verborgt: So entsandte diese am 9. Oktober 1940 Siegfried Schwarzbartl von Windhag zwecks Durchführung von Anstreicherarbeiten nach Doppl.

Obwohl sie aufgrund fehlender Absperrungen und vergleichsweise geringer SS-Präsenz wohl theoretisch möglich gewesen wären, scheinen wirkliche Fluchtversuche aus dem Lager nicht vorgekommen zu sein. Der Tagesrapport vom 9. Juni 1941 hielt zwar fest, dass sich zwei Juden ohne Erlaubnis aus dem Lager entfernt hätten und nicht zurückgekehrt seien, doch wurde die Angelegenheit in den folgenden Rapporten nicht mehr erwähnt; offenbar hatten sich die beiden Abgängigen freiwillig wieder ins Lager begeben.

Die Tagesrapporte und -journale geben auch Auskunft über die jeweilige Zahl der im Lager beschäftigten Arbeiter: Am 3. Juni 1940 waren es 46 Mann, am 5. Juni 72, am 15. Juli 91. Am 16. Jänner 1941 war die Zahl auf 62 Mann zurückgegangen, am 1. März auf 54. Bis 28. Mai 1941 hatte sich der Lagerbestand – offenbar durch nochmalige Neuzugänge – wieder auf 72 erhöht. Ein deutlicher Einbruch war im September 1941 zu verzeichnen: Am 25. September etwa zählte die Belegschaft nur noch 44 Mann, am 17. Dezember 1941 waren nur mehr 25.20 

Bis zur Jahreswende 1941 / 42 waren im Lager ausschließlich jüdische Männer beschäftigt. Lediglich in der Fabrik waren nach Angaben von Zeitzeugen einige "arische" Männer tätig. Erwähnt wird unter anderem ein von den jüdischen Arbeitern gefürchteter Vorarbeiter oder "Partieführer" namens Nig(e)l.21  Wie aus einem Brief Weiszls hervorgeht, dürfte es sich bei diesem um einen Bauern aus der Umgebung gehandelt haben. Als die Fabrik und die Liegenschaften an die Firma Manner verkauft wurden, befanden sich noch rund 25 jüdische Zwangsarbeiter im Lager, die von Manner übernommen wurden. Wie Überlebende berichten, änderte sich an den Lebens- und Arbeitsbedingungen nach der Übernahme des Lagers durch die Schokoladenfirma nur wenig. Bernhard Müller wurde von dem von Manner eingesetzten Verwalter brutal verprügelt.

Unter der Leitung der Firma Manner reduzierte sich die Zahl der jüdischen Arbeitskräfte immer mehr – die meisten von ihnen wurden deportiert. An ihre Stelle traten nichtjüdische Zwangsarbeiter: Zunächst trafen nach Angaben von Überlebenden etwa Anfang September 1942 ukrainische Frauen im Lager ein, die jedoch bereits nach wenigen Wochen zu Bauern der Umgebung geschickt und durch polnische Männer ersetzt wurden. Diese Periode ist quellenmäßig kaum dokumentiert und lässt sich fast nur durch Zeitzeugenberichte erhellen.22 

Überlebende berichten, dass sich die anfängliche Hoffnung, durch die Arbeit im Lager vor der Deportation geschützt zu sein, als Irrglaube erwiesen habe. Ein gewisser, wenngleich ebenfalls nur temporärer Schutz war offenbar gegeben, wenn die Eltern von jugendlichen Lagerinsassen als Angestellte bei der IKG Wien tätig waren. Die etwa 20-25 meist sehr jungen jüdischen Arbeiter, die die Firma Manner übernommen hatte, wurden schließlich alle zurück nach Wien und von dort nach Theresienstadt geschickt. Nach 1942 gab es in Doppl keine jüdischen Arbeitskräfte mehr.23 

Auch Bernhard F. Mueller, der am 1. Mai 1941 mit einer JUAL-Gruppe nach Doppl gekommen war, wurde im September 1942 nach Wien zurück beordert. Kurz danach wurde er mit den anderen aus dem Lager Entlassenen – Aron Menczer, dem "Madriach"24  Gustav "Tasso" Engelmann, Jacob Hacker, Josef Loewy, Ernest Wulkan und Hermann(Zvi) Riegler nach Theresienstadt deportiert.25 

Laut Hannah Weiner wurden die JUAL-Gruppen aus den Arbeitslagern Doppl und Sandhof am 24. September und am 1. und 9. Oktober 1942 gemeinsam mit zahlreichen Angestellten der jüdischen Gemeinde Wien in die Transporte nach Theresienstadt eingereiht. Aron Menczer traf am 14. September in Wien ein; er wurde am 24. September nach Theresienstadt deportiert und später in Auschwitz ermordet.26 

b) Sandhof

Verschiedene im Stadtarchiv von Waidhofen a. d. Ybbs aufgefundene, das Lager Sandhof betreffende Quellen dokumentieren neben der oben erwähnte Frühphase erst wieder den Zeitraum von April 1940 bis Mai 1942. Alle in dieser Periode in das Lager eingewiesenen 201 Juden kamen aus Wien. 27 

Rudolf Flussmann verbrachte drei Jahre auf dem Gut Sandhof - ab 1940 als sogenannter "Partieführer". Gemäß seinen Angaben wurden die Juden "von der jüdischen Personalstelle Wien" – womit zweifellos die IKG angesprochen war - nach Sandhof "verschickt":

"Zuerst hat es harmlos ausgesehen, und [es] hieß, die Leute kommen auf zwei Monate hinaus. Dies war z.B. bei mir der Fall. Ich selbst war zur Verschickung nach Polen eingeteilt im Lager Gänserndorf, und zwar war dies im Oktober 1939. Ich habe mich dann freiwillig zur Arbeit auf das Gut bei Waidhofen gemeldet (...)."28 

Laut Flussmann gingen durch das Lager während seines Bestandes insgesamt 421 Juden; im Durchschnitt hätten sich jeweils ca. 70 – 75 Personen dort aufgehalten.29  Die jeweilige Zahl der Lagerinsassen ist auch aus den Standeslisten zu entnehmen. Gemäß den Berechnungen von Walter Zambal lassen sich für die 27 Monate, die im Waidhofner Stadtarchiv durch Quellen dokumentiert sind, die Namen von 226 Lagerinsassen nachweisen.30  Diese waren zwischen 14 und 65 Jahre alt. Auffallend ist der hohe Anteil von Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren (rund 33 %). Die Aufenthaltsdauer schwankte zwischen wenigen Tagen und einem Zeitraum von über zwei Jahren, sie lag durchschnittlich bei etwas über einem Jahr.

Für das Lager selbst konnte Zambal nur einen Todesfall nachweisen: Der 16jährige Wilhelm Ratz starb am 26. Oktober 1940 und wurde in der jüdischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs beerdigt. Unter welchen Umständen er zu Tode gekommen ist, bleibt ungeklärt. Gemäß Zambals Recherchen wurden 122 der von ihm erfassten 170 Personen deportiert, wobei 45 der Deportierten den Krieg überlebten.31 

Ing. Siegfried Kolisch, damals Leiter des jüdischen Kriegsopferverbandes, verbrachte – mit einer Unterbrechung - neun Monate auf dem Sandhof, und zwar von Mai 1941 bis April 1942. Auch er gab an, er sei vom Leiter der Personalstelle (der IKG) bestimmt worden, Ausbesserungsarbeiten am Gut vorzunehmen. Dort habe er aufgrund seiner fachlichen Kompetenz eine bevorzugte Stellung genossen.32 

Nicht wenige jüdische Arbeitskräfte auf dem Sandhof hatten bei ihrer Einweisung in das Lager bereits Schweres hinter sich. So war der 1894 geborene Bernhard Zucker, der am 27. August 1941 als Tischler auf den Sandhof geschickt wurde, vom Landesgericht Wien wegen eines Verstoßes gegen das Blutschutzgesetz verurteilt worden und von Februar 1940 bis Februar 1941 inhaftiert gewesen. Zucker, der aus Wolhynien stammte, war staatenlos und polizeilich nicht gemeldet, weshalb er nach seiner Entlassung aus der Haft an das Ausländeramt des Polizeigefangenenhauses an der Rossauerlände überstellt wurde. Am 20. Juni 1941 wurde er an die ungarische Grenze gebracht. Nachdem die Zentralstelle bei der IKG einen Tischler für Waidhofen angefordert hatte, wurde vom Technischen Amt Zucker vorgeschlagen und sofort in die Zentralstelle und von dort auf den Sandhof gesandt.33 

In das Lager wurden auch fünf jüdische Männer eingewiesen, die zuvor nach Nisko verschickt worden und nach Wien zurückgekehrt waren. Sie wurden später ein zweites Mal deportiert.34 

Einige Insassen durften bis 1940 das Lager verlassen, weil sich ihnen eine Auswanderungsmöglichkeit – meist nach Palästina – bot. Dies galt auch für den 1923 im burgenländischen Deutschkreutz geborenen Norbert Zaidman, der am 3. Juni 1940 mit anderen Mitgliedern der JUAL auf den Sandhof gekommen war. Er wurde bereits am 29. Juli gemeinsam dem etwa gleichaltrigen Leo Blum entlassen und schloss sich im September dem letzten illegalen Transport aus dem Deutschen Reich nach Palästina an. Der SS-Lagerleiter Anton Zita entließ die beiden Burschen mit dem Kommentar: "Ihr zwei Saujuden, auf nach Palästina!"35 

Gemäß Zeugenaussagen konnten auch die jüdischen Arbeitskräfte am Sandhof grundsätzlich um Urlaub ansuchen. Siegfried Kolisch berichtete, es seien dafür eigene Formulare aus Waidhofen verwendet worden. Auf diese sowie auf die Entlassungsscheine habe der SS-Lagerleiter Robert Walcher aber manchmal den Vermerk "Polen" gesetzt.36  Laut Rudolf Flussmann wurden Lagerinsassen, "die dem Walcher nicht zu Gesicht standen, über seinen Antrag abberufen und einem Polentransport zugeteilt". Vielfach hatte Walcher diese Personen bereits vorher schwer misshandelt.37  Die Tätigkeit am Sandhof habe eine Zeitlang einen gewissen Schutz vor der Deportation geboten; spätestens ab September 1942 sei dies nicht mehr der Fall gewesen. Er und alle noch am Sandhof befindlichen Juden seien am Ende nach Theresienstadt deportiert worden; die letzten zehn habe Walcher persönlich dorthin begleitet. Die Betroffenen seien dann von Theresienstadt in andere Lager verschickt worden.38 

Flussmann wurde am 30. September 1942 aus dem Lager entlassen, am 2. Oktober von Wien nach Theresienstadt deportiert39  und von dort weiter nach Auschwitz und schließlich nach Oranienburg verschickt. Er überlebte und wurde nach dem Krieg Verwalter des Gutes Sandhof.40  Nach Angaben von Zeitzeugen soll er später Selbstmord begangen haben.41 

Flussmanns Aussage, er sei mit den letzten jüdischen Lagerinsassen deportiert worden, steht in Widerspruch zur Aussage des 1922 geborenen und heute in Kanada lebenden Benno Strummer. Strummer hatte im niederösterreichischen Schwadorf eine "Hachschara" absolviert und war dann für acht Monate zu Steinbrucharbeiten in der Steiermark zwangsverpflichtet worden. Nach seiner Rückkehr wies ihn die Zentralstelle dem Lager Doppl zu, von wo aus er mit den letzten jüdischen Arbeitskräften im September 1942 zurück nach Wien gebracht wurde, um nach Theresienstadt deportiert zu werden. Strummer berichtete, der SS-Lagerleiter Walcher habe ihn wegen seiner Vorerfahrungen in der Landwirtschaft auf den Sandhof geholt, wo er wegen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit vergleichsweise gut behandelt worden sei. Nach Aussage Strummers wurde er erst 1943 mit einigen anderen jüdischen Arbeitern vom Sandhof nach Wien zurückgebracht, von dort nach Theresienstadt und dann weiter nach Auschwitz deportiert.42  Der Widerspruch zwischen den Aussagen Flussmanns und Strummers lässt sich nicht aufklären, zumal diese Periode quellenmäßig nicht dokumentiert ist.

Die Zwangsarbeit in Doppl und Sandhof

Wenngleich Doppl und Sandhof die euphemistische Bezeichnung "Umschulungslager" trugen, handelte es sich de facto um Zwangsarbeitslager, in denen die jüdischen Arbeiter in einem Zustand absoluter Rechtsunsicherheit lebten und gleichsam vogelfrei waren. Für die dort beschäftigten Juden galt nicht das sonst verbindliche Arbeitsrecht, und sie mussten Tätigkeiten verrichten, die nichts mit ihren eigentlichen Qualifikationen und ihren ursprünglichen Berufen zu tun hatten. Die Lager standen unter SS-Aufsicht, und von Freiwilligkeit der Arbeitsleistung konnte – selbst wenn sich einzelne Personen auf eigene Initiative für die Lager gemeldet hatten - keine Rede sein.

Für die sonstigen jüdischen Zwangsarbeiter außerhalb der Konzentrationslager galt im Allgemeinen, dass sie nach Mindesttarifen entlohnt wurden, die oft noch wegen angeblich schlechter Arbeitsleistung gesenkt wurden, dass sie fast nie Sonderleistungen wie Feiertags- und Urlaubsgeld oder Familienzuschläge und auch für qualifizierte Arbeiten nur Hilfsarbeiterlöhne erhielten.43  Soweit aus Zeitzeugenberichten und den vorhandenen Quellen zu entnehmen ist, wurden die jüdischen Arbeitskräfte in Doppl und Sandhof nicht einmal nach diesem Minimalschema entlohnt. Vielmehr musste die IKG Wien regelmäßig Zuschüsse für die Erhaltung der Lagerinsassen überweisen. So schickte sie etwa für den Monat September "über Auftrag der Zentralstelle" 1.845 RM an die Verwaltung des Lagers Doppl und 2.275 RM an jene des Lagers Sandhof, und zwar für Taschengeld, Verpflegung, Bekleidung, Transportspesen, Sanitätswesen, Unterkunft etc.44 

a) Sandhof

Die ersten jüdischen Arbeitskräfte hatten das Lager Sandhof für den weiteren Betrieb zu adaptieren. So wurde eines der zum Gehöft gehörigen Gebäude von Grund auf neu gebaut und eine 400 Meter lange Wasserleitung verlegt.45 

Gemäß den Angaben Rudolf Flussmanns dauerte die Arbeitszeit von 7 – 19 Uhr (bzw. 18 Uhr im Winter), unterbrochen von einer Stunde Mittagspause. Der SS-Lagerleiter Alfred Slawik habe jedoch darüber hinaus eine abendliche Beschäftigung für die Lagerinsassen eingeführt,

"indem er nach der Arbeit und auch am Sonntag Exerzieren und Sport beorderte. Er verlangte auch von den alten Lagerinsassen, dass sie auf den Schobersberg hinauf und zurück laufen, was nach 12stündiger Arbeitszeit und der schlechten Verpflegung eine besondere Zumutung war und nicht mehr der menschlichen Behandlung entsprach. Es kam soweit, dass sich schon die beim Aufbau beschäftigten Professionisten der Waidhofer Baufirma Schrey und die Bauern der umliegenden Gehöfte darüber beschwerten. Ich habe diesbezüglich beim Lagerverwalter Ebenberger interveniert, und [es] dürfte diese Beschwerde weitergegeben worden sein. Eines Tages erschien eine Kommission mit Hauptsturmführer Gutwasser und Sekretär Eichberger. Sonach wurde diese ‚Mehrbeschäftigung’ eingestellt. (...) Nachdem ich als Partieführer des Lagers mehr zu den Leuten als zum Beschuldigten gehalten habe, wollte mich Slawik in das Lager Doppl bei Neufelden, Oberösterreich, abschieben lassen, doch kam er selber bald als Lagerleiter dorthin, und ich verblieb am Sandhof."46 

Nach Angaben des ehemaligen Lagerinsassen Siegfried Kolisch hatte Flussmann von Walcher die Arbeitseinteilung entgegengenommen und die Lagerinsassen instruiert. Flussmann habe zwar keine landwirtschaftliche Ausbildung besessen, sich aber viele Kenntnisse angeeignet. Laut Kolisch musste jeweils ein bestimmtes Tagespensum erledigt werden, wobei die Arbeiten unabhängig vom Wetter und vom Gesundheitszustand der Arbeitskräfte durchgeführt wurden. Kolisch selbst wurde zu Bauarbeiten herangezogen und war damit als einer der wenigen Lagerinsassen in seinem eigentlichen Beruf tätig.

Kolisch gab an, der SS-Lagerleiter Robert Walcher habe sich zwar selbst an den anfallenden Arbeiten beteiligt, doch Insassen geschlagen, wenn er mit deren Arbeitsleistung nicht zufrieden gewesen sei. Misshandlungen seien auf der Tagesordnung gestanden, und auch Kranke hätten die zum Teil sehr schweren Arbeiten verrichten müssen.47  Rudolf Flussmann schilderte nach dem Krieg die Situation im Lager folgendermaßen:

"Anfangs war es [das Lager] nur als Umschulungslager benannt worden, und später wurde es ein Straflager, wenn einer sich nach dem Sinne der Personalstelle48  etwas zu Schulden kommen ließ. Als ich ins Lager zu den Arbeiten kam, war es schon ein Straflager (...) Ich hatte den Eindruck, dass man von diesen (den Lagerinsassen) zu viel verlangte. Es hat sich ein Professionist leicht getan, aber ein Ungelernter sehr schwer. (...) Der Angeklagte hat sich oft geäußert, dass wir Juden zu keiner Arbeit fähig sind, obwohl jeder von uns sein Bestes an Kraft und Intelligenz gab. Wir mussten um 3 Uhr Früh aufstehen und mussten gleich mit den schweren Landarbeiten beginnen. Es waren Leute dabei, die nie einen Rechen gesehen haben oder überhaupt ein landwirtschaftliches Werkzeug. In seiner primitiven Art meinte er [Walcher], solche Leute seien nicht wert zu leben, sie hätten kein Lebensrecht.49 

Nach der Arbeit hätten sie anfangs exerzieren müssen; von dieser Praxis sei jedoch abgegangen worden, nachdem Bauern der Umgebung protestiert hatten.

Gelegentlich wurden einzelne jüdische Arbeitskräfte auch außerhalb des Lagers beschäftigt: So war Jaques Schafranek, ein Sattler und Tischler, im Sommer 1941 für einige Tage im Sägewerk Schnötzinger beschäftigt, um Holz für eine am Sandhof zu errichtende Hütte zu schneiden. Er kehrte jeden Abend zum Schlafen ins Lager zurück.50 

Grundsätzlich und auch am Sandhof waren die jüdischen Arbeitskräfte auf die eigens für Juden bestimmten Lebensmittelkarten angewiesen, die wesentlich kleinere Rationen vorsahen, als sie der übrigen Bevölkerung zustanden, und sie erhielten offenbar auch keine Zulagen. Die Lebensmittelkarten für den Sandhof wurden von der Gemeinde Windhag an den SS-Lagerleiter ausgefolgt. Die Rationen waren jedoch ungenügend, da die jüdischen Arbeiter nicht einmal das, was ihnen aufgrund der Karten zugestanden wäre, tatsächlich erhielten. Wie der ehemalige jüdische "Partieführer" Flussmann nach dem Krieg angab, wurden Lebensmittel von der SS-Lagerverwaltung für eigene Zwecke abgezweigt.51 

Walcher bezog die Lebensmittel beim örtlichen Kaufmann. Deponiert wurden sie im Wirtschaftsgebäude des Lagers, wo dem jüdischen Koch52  jeden Montag die entsprechende Menge, meist von Walchers Frau, übergeben wurde. Laut Flussmann behielt diese bestimmte Nahrungsmittel - etwa Grieß und Haferflocken – für sich und ihre Kinder zurück. Wie Flussmann und verschiedene andere Zeugen angaben, hätten die Lagerinsassen ohne die Zuwendungen der umliegenden Bauern Hunger leiden müssen.

Gelegentlich wurden auch im Lager Sandhof wegen Verfehlungen von Insassen Kollektivstrafen verhängt, zu denen neben der Streichung der Mittagspause Essensentzug gehörte.53 

b) Doppl

Das Spektrum der von den jüdischen Zwangsarbeitern in Doppl zu verrichtenden Arbeiten umfasste gemäß den erhaltenen Diensteinteilungsplänen vorrangig Forstarbeiten, landwirtschaftliche Arbeiten, Bauarbeiten und Tätigkeiten beim Straßenbau. Bäume mussten gefällt, zu Tal gebracht und mit Lastwägen oder Pferdefuhrwerken zur Fabrik transportiert werden. Die Arbeitskräfte wurden auch immer wieder für Erntearbeiten und sonstige landwirtschaftliche Hilfsarbeiten an die Bauern der Umgebung verborgt.

Als weitere Tätigkeiten wurden in den Tagesrapporten Pflastern des Hofes, Sandgewinnung aus dem Fluss, Förderung von Steinen aus dem Steinbruch bei Doppl, Schneeschaufeln, Erdarbeiten, das Stopfen von Strohsäcken, Kohleschaufeln und Pappeladen angeführt.54  In der Fabrik wurde das Holz zu Scheiten geschnitten und händisch geschält, sodann weiter zerkleinert und mit Wasser zu einem Brei verrührt. Aus der so entstandenen Masse wurden die Kartons gefertigt.

Die Fabrik wurde mit Braunkohle betrieben, die auf Donauschleppern geliefert wurde. Doppl lag etwa eineinhalb Stunden Fußmarsch von der Donau entfernt.55  Der Überlebende Hermann Riegler gab dazu nach dem Krieg zu Protokoll:

"In diesem Schleppdampfer befanden sich 650 t Kohle, die wir mit Karren ausladen mussten. Der Kapitän des Schiffes behauptete, dass dies in 4 Tagen unmöglich zu entladen wäre, worauf ihm [der SS-Lagerleiter] W. [Weiszl] eine Wette um ein Fass Bier antrug, dass dies unter seinem Kommando doch geschehen werde. Nach alter Methode, die Peitsche und Stiefel gebrauchend, gewann W. auch tatsächlich die Wette. Wir hatten jedoch davon nur blutige Hände, Striemen und blaue Flecken."56 

Die jeweilige Arbeitseinteilung lässt sich aufgrund der erhaltenen Überlieferungen aus dem Lager rekonstruieren. Am Montag, dem 24. Juni 1940, betrug der Lagerstand insgesamt 66 Mann. Um 4.45 Uhr war Tagwache, um 5.45 Uhr wurde im Rahmen des Appells die Arbeitseinteilung bekannt gegeben. 25 der 66 Lagerinsassen befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Außendienst in Rohrbach; zwei wurden an diesem Tag in der Küche eingesetzt, drei im Stalldienst, einer als Schäfer, zwei im Stubendienst, vier bei Feldarbeiten, acht bei Straßenarbeiten, zehn zur Steingewinnung, vier zu Haus- und Hofarbeiten, einer zu Aufräumungsarbeiten. Ein Lagerinsasse befand sich auf Urlaub, einer war "marod", vier sollten "diverse Arbeiten" verrichten. An diesem Tag standen die Steingewinnung für den Straßen- und Brückenbau, Planierungsarbeiten an der Brücke, Straßenarbeiten, das Jäten von Unkraut sowie Haus- und Hofarbeiten im Mittelpunkt der Tätigkeiten. Arbeitsschluss war um 18 Uhr, um 18.15 fand der Abendappell statt.57 

Anhand der erhaltenen Lagerprotokolle lässt sich auch nachvollziehen, mit welchen Arbeiten die einzelnen Insassen zu verschiedenen Zeiten beschäftigt gewesen sind. Ernst Wulkan etwa musste im Laufe des November 1940 Holz schneiden und hacken, Pappe laden und mit dem Lastauto transportieren sowie Hilfsarbeiten bei "arischen Handwerkern" und Forstarbeiten verrichten. Insgesamt hatte er in diesem Monat drei von 30 Tagen dienstfrei.58 

Am 3. Juni 1940 wurden 25 Juden zwischen 15 und 18 Jahren zum Straßenbau in die Gemeinde Rohrbach delegiert, am 11. August 1941 neuerlich 12 Mann. Die Verköstigung, Verpflegung und alle sonstigen Mehrkosten hatte die Gemeinde zu bestreiten. Diese Arbeitskräfte wurden teilweise direkt von einem SS-Mann beaufsichtigt, teilweise lediglich vom SS-Lagerführer kontrolliert, was auch für sonstige Außenarbeiten galt.59  Gemäß den Berichten von Überlebenden waren die Betroffenen in den Sommern 1940 und 1941 jeweils etwa vier Wochen in Rohrbach im Einsatz und wohnten auch dort. Sie kamen dabei auch in Kontakt mit anderen Zwangsarbeitern, nämlich französischen Kriegsgefangenen.60 

In Anbetracht der schweren Arbeit war die Ernährung der Lagerinsassen in Doppl unzureichend. In den im Lager geführten Aufzeichnungen wurde jeweils auch der tägliche Speiseplan vermerkt: Am 4. September 1941 gab es beispielsweise zum Frühstück ein Marmeladebrot, mittags eine Mehlsuppe, zwei Stück Brot und Kartoffel mit Salzgurken, abends eine Gulyassuppe mit Brot.61  Gelegentlich, so berichten Überlebende, erhielten sie –verbotenerweise – in der Bäckerei von Altenfelden Brot ohne Marken.62 

Das Personal

Als der damals 39jährige Rudolf Flussmann63  am 26. November 1939 als "Hilfsarbeiter" im "Umschulungslager" der SS Gut Sandhof eintraf, war dort ein SS-Unterscharführer Charam oder Charans64  Lagerführer und Anton Ebenberger Verwalter. Robert Walcher kam erst im Februar 1941 auf das Gut. Laut Flussmann musste Ebenberger bereits zwei Monate später nach Unstimmigkeiten mit Walcher und der Wiener Zentralstelle (SS-Untersturmführer Brunner sowie SS-Hauptsturmführer Gutwasser aus dem RSHA) das Lager verlassen.65 

Von März 1940 bis Jänner 1941 (mit einer kurzen Unterbrechung von 28. Oktober bis 12. November 1940) war Anton Zita zunächst als SS-Sturmmann, dann als SS-Rottenführer und als SS-Unterscharführer" am Sandhof eingesetzt. Die Standeslisten wurden von ihm als "Lagerführer" unterschrieben.66 

Anton Zita, geboren 1909 in Göllersdorf, war vor dem Krieg Tischlergehilfe in Wien gewesen. Als langjähriges illegales NSDAP- und SS-Mitglied hatte er sich im Frühjahr 1938 bei der "Betreuungsstelle" Wien um "irgend eine öffentliche Anstellung" beworben und war der Zentralstelle zugewiesen worden. Im Herbst 1939 hatte Zita zu der nach Nisko am San delegierten SS-Mannschaft gehört.

Nach seinem Einsatz am Sandhof fungierte Zita als SS-Aufseher in den Wiener Sammellagern. Ab Februar 1943 gehörte er zu dem von Alois Brunner geleiteten Sonderkommando, das für die Beraubung und Deportation der Juden Salonikis verantwortlich war, im Sommer 1944 beteiligte er sich an den Deportationen aus Frankreich.67 

Zita wurde als Lagerleiter offenbar im April 1940 von Alfred Slawik abgelöst, der bis August 1940 am Sandhof blieb. Am 20. Oktober 1913 in Wien geboren und von Beruf ursprünglich Selcher, war Slawik bereits während der Verbotszeit illegales SS-Mitglied gewesen. Anfang Februar 1939 war er als SS-Sturmmann in die Zentralstelle eingetreten und dort zunächst beim Wach-, später beim Telephondienst eingesetzt und schließlich auch nach Nisko gesandt worden. Vom Sandhof wurde er als Lageraufseher nach Doppl abgeordnet.68 

Eine ehemalige Sekretärin der Wiener Zentralstelle, Gertrude Plattensteiner, gab nach dem Krieg zu Protokoll, Slawik habe gemäß den Berichten anderer SS-Leute in Nisko aus Heimweh geweint.

"Der Beschuldigte war das, was man in Wien ein ‚Seicherl’ nennt, ein typischer Liebediener, der im Stande war, einen Kollegen zu vertratschen und nachher aus Reue sich zu entschuldigen."69 

Flussmann verwies auf Gerüchte, wonach Slawik strafweise aus Doppl abgezogen worden sei, nachdem er sich dort Verschiedenes habe zu Schulden kommen lassen.70  Slawiks eigene Version lautete, er sei "von dort strafweise abgelöst [worden], weil man meine Lagerleitung als Sanatoriumsbetrieb bezeichnet hatte".71  Aussagen von Überlebenden unterstreichen den Zynismus dieser Aussage. So berichtete etwa Erwin Diamant, Slawik habe die jugendlichen Arbeitskräfte sofort nach deren Ankunft in Doppl wegen ihrer angeblichen "unerhörten Schlappheit" strafexerzieren lassen.72 

Slawik gehörte wie Zita zeitweilig zu den SS-Aufsehern in den jüdischen Sammellagern in Wien und fungierte als "Ausheber" der zur Deportation bestimmten Juden. Er galt als "Brüller" und verhielt sich den Opfern gegenüber vielfach sadistisch. Bei späteren Einsätzen war er gemeinsam mit anderen "Eichmann-Männern" an den Deportationen aus der Slowakei sowie aus Saloniki und Athen beteiligt. 1944 gehörte er zu dem aus langjährigen Mitgliedern des Eichmann-Referats im RSHA und der Zentralstellen für jüdische Auswanderung in Wien und Prag zusammengestellten und in Ungarn eingesetzten "Sonderkommando". Slawik wurde im April 1942 zum SS-Scharführer, im November 1943 zum Oberscharführer befördert.73 

Gegen Kriegsende zog sich Slawik gemeinsam mit Adolf Eichmann und einem Teil von dessen Mitarbeitern in die Gegend von Altaussee zurück und floh dann weiter in die Gegend von Braunau am Inn, wo er sich bei einem Bauern als Knecht verdingte.74  1946 wurde Slawik verhaftet und dann kurzzeitig im Anhaltelager Glasenbach interniert, von wo ihn der CIC im März 1947 an das Landesgericht für Strafsachen Wien überstellte. Im Zuge des gegen ihn angestrengten Gerichtsverfahrens wurde Slawik mit Urteil vom 20. September 1949 schuldig gesprochen, vor 1938 illegal der NSDAP und der SS angehört zu haben, nach dem Anschluss an der Aushebung von Juden mitgewirkt und verschiedene Personen empfindlich misshandelt zu haben, wobei auf die Häufigkeit und Rohheit dieser Übergriffe als erschwerende Faktoren hingewiesen wurde. Slawik wurde zu fünf Jahren schweren Kerkers und Vermögensverfall verurteilt. In dem Verfahren standen Slawiks Vergehen im Lager Hof in Bayern, in Theresienstadt und in Budapest sowie seine Rolle bei den Judenaushebungen in Wien im Vordergrund; seine Tätigkeit im Lager Sandhof spielte kaum eine Rolle und wurde auch im Urteil nicht erwähnt.

Die Verwahrungs- und Untersuchungshaft von September 1946 bis September 1949 wurde in die Haftzeit eingerechnet. Vom Vorwurf der missbräuchlichen Bereicherung wurde Slawik freigesprochen.75  Nachdem Slawik ein dreiviertel Jahr in der Strafanstalt Stein verbracht hatten, setzten ihn die Behörden im Mai 1950 auf freien Fuß: Die Strafe galt als verbüßt.76 

Ab Frühjahr 1941 unterstand das Lager Sandhof dem SS-Mann Robert Walcher. Walcher war am 8. Mai 1907 in Tanzenberg, Bezirk St. Veit a. d. Glan / Kärnten, geboren, in Kärnten aufgewachsen und dort bis 1938 als Fleischhauer tätig gewesen. 1939 hatte er das Geschäft wegen seines Rheumas aufgegeben und zunächst im Schlachthaus Wien gearbeitet. Nach eigenen Angaben war er Mitte Juli der Wiener Zentralstelle zugeteilt und dort zunächst als Torwache verwendet worden. Walcher wurde wie Zita und Slawik im Herbst 1939 nach Nisko entsandt.

Von November 1940 bis Anfang 1941 war Walcher im Lager Doppl eingesetzt, wo er zum Lagerführer ausgebildet werden sollte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien kam er im Februar oder März 1941 – zunächst im Rang eines SS-Unterscharführers, dann eines SS-Oberscharführers – als Aufseher auf den "Sandhof". Das Lager beschrieb er später als "landwirtschaftlichen Großbetrieb".77 

Laut Flussmann hatte Walcher immer die SS-Uniform getragen. Er sei von seiner Position sehr eingenommen und ein jähzorniger und fanatischer Mensch gewesen, der rücksichtslos und unerbittlich vorgegangen sei. Walcher habe im Laufe seiner Dienstzeit am Sandhof zweimal das Lager verlassen, um im Sammellager Sered a. d. Waag (Slowakei) an der Deportation der slowakischen Juden mitzuwirken. Er, Flussmann, habe von Walcher den Auftrag erhalten, während dessen Abwesenheit aufzupassen, "dass im Lager nichts vorfalle". Auch sei Walcher mehrfach nach Wien gefahren, um sich dort an der Zusammenstellung der Deportationstransporte zu beteiligen.78 

Walcher war von März 1941 bis zum Einmarsch der Roten Armee im Jahr 1945 am Sandhof tätig gewesen. Nach Kriegsende wurde er verhaftet. Anfang November 1945 wurde er aus der Untersuchungshaft beim Bezirksgericht Waidhofen an das Wiener Landesgericht für Strafsachen überstellt. Walchers Frau Johanna wohnte nach dem Krieg weiterhin bei einem Bauern in der Umgebung des ehemaligen Lagers.79 

Walcher wurde mit Urteil vom 3. Dezember 1946 schuldig gesprochen, zahlreiche Personen empfindlich misshandelt zu haben - und zwar als Kommandant und Verwalter des Judenlagers Sandhof-Windhag zwischen April 1941 und Herbst 1943, als stellvertretender Wachführer des Lagers Doppl bei Linz 1941 sowie in den jüdischen Sammellagern in Wien. Das Gericht sah es ferner als erwiesen an, dass er in der Zeit von 1940 bis 1945 in der Absicht, sich unverhältnismäßige Vermögensvorteile zuzuwenden, jüdisches Vermögen an sich gebracht, der SS angehört und sich bereits in der Verbotszeit als illegaler Nationalsozialist betätigt hatte.80 

Walcher wurde wegen Quälerei und Misshandlung, wegen missbräuchlicher Bereicherung gemäß § 6 Kriegsverbrechergesetz (KVG) und Hochverrats zu zehn Jahren schweren Kerkers sowie Vermögensverfall verurteilt. In der Urteilsbegründung hieß es:

"Das Lager [Sandhof] führte den Titel ‚Umschulungslager’, angeblich für landwirtschaftliche Umschulung von Juden, welche auswandern wollten. In Wirklichkeit wurden die Juden während der Gewaltherrschaft durch Drangsalierungen zur Auswanderung gezwungen bzw. gewaltsam aus der Heimat verschleppt und in Polen etc. angesiedelt u. dort der Vernichtung zugeführt. Bevor es dazu kam, wurden sie in Lagern, wie es die Lager Sandhof, Doppl und andere waren, zur Sklavenarbeit angehalten. (...) Wer die schwere Arbeit leisten konnte, hatte es hiebei besser. Wer sich aber ungeschickt zu der ungewohnten Arbeit anstellte, war den unberechenbaren Zornausbrüchen des Angeklagten wehrlos und rechtlos ausgeliefert. Es wurde auch niemals auf den Gesundheitszustand der Arbeitenden Rücksicht genommen. Hiedurch haben auch mehrere Insassen (...) an ihrer Gesundheit Schaden erlitten. Wer dem Angeklagten für die geforderten Arbeiten nicht taugte, wurde ausgeschieden und der zuständigen Stelle zur Verfügung gestellt. In mehreren Fällen wurde auch auf den Entlassungsdokumenten vom Angeklagten der Vermerk ‚Polen’ mit Blaustift eigenhändig beigesetzt. Die Lagerinsassen lebten und arbeiteten im Lager daher in ständiger Angst vor dem Angeklagten."81 

Im Zuge des Beweisverfahrens wurden einzelne Übergriffe Walchers detailliert geschildert. So waren mehrere Lagerinsassen an einem als "schwarzer Freitag" in die Geschichte des Lagers eingegangenen Tag bei der Heuernte von Walcher derart mit Rechen verprügelt worden, dass dabei ein Dutzend Rechen zu Bruch gegangen waren. Einen anderen jüdischen Arbeiter hatte er aufs gröbste misshandelt, weil dieser die ihm vorgeschriebene Arbeit – das Planieren der Lagerstraße mit einer 600 kg schweren Walze – nicht zu Walchers Zufriedenheit verrichten konnte. Zwei junge Lagerinsassen, die sich geweigert hatten, wilde Ochsen einzuspannen, hatte Walcher mit Schlägen und Essensentzug bestraft. Bereits in Doppl hatte er wiederholt Insassen misshandelt, Essensentzug und Sonntagsarbeit verordnet und gegenüber dem jüdischen Arbeiter Walter Neuhaus zynisch geäußert, dass es im Lager Doppl im Vergleich zu Polen, wo er sogar auf Juden habe schießen dürfen, "fad" zugehe.

Im Zusammenhang mit dem Tatbestand der missbräuchlichen Bereicherung stellte das Gericht Folgendes fest:

"Die Bereicherungsfälle sind solcher Art, wie sie gegenüber damals wehrlosen Juden in Evakuierungs- und sonstigen Fällen häufig an der Tagesordnung waren. Dazu gehört auch die Zuweisung von Möbeln aus der evakuierten Wohnung Bauer (Wallriessgasse) bzw. aus dem Evakuierungslager [sic!] Witke.82  Hiebei war auch dem Walcher bekannt, dass es sich bei diesen Evakuierungen und bei den Zuweisungen hiebei weggenommener Möbel nicht um gesetzliche, sondern um reine Gewaltmaßnahmen handle. Hiezu gehört ferner die Zuweisung etlicher Zuchthasen des Alexander Klarfeld an den Hasenstall Walchers nach dem Sandhofe und der Missbrauch der Arbeitskraft der Juden, ohne gesetzliche Dienstverpflichtung zu Möbeltransporten und zum Aufräumen der Wohnung Walchers im Sandhof und die missbräuchliche Verwendung solcher Lebensmittel, welche für die Lagerinsassen zugewiesen wurden, wie zum Beispiel von Öl, wovon die Juden niemals etwas erhielten. Es ist nicht förmlich erwiesen, aber es besteht weiters der dringende Verdacht, dass sich der Angeklagte auch gelegentlich von Transportbegleitungen, bei seinem Aufenthalt in der CSR und dergl. auf naziübliche Weise an Judengut bereichert hat."83 

Wie in einem Artikel im "Ybbstaler Wochenblatt" festgestellt wurde, hatte sich der "Judenpeiniger" vor Gericht "vollkommen verstockt, gefühlskalt und reuelos" gezeigt.84  Mehrere Ansuchen von Walchers Gattin um vorzeitige Begnadigung wurden zunächst abgewiesen. Aufgrund eines Gnadenaktes des Bundespräsidenten galt Walchers Strafe, die er in der Strafanstalt Stein an der Donau absaß, dann aber doch schon am 3. Juli 1951, also fast vier Jahre vor dem ursprünglich festgesetzten Strafende, als verbüsst. Nach Genehmigung der Stadtkommandantur Krems (Walcher war ab 3. Juli als Verwahrungshäftling der Sowjetischen Besatzungsmacht angehalten worden) wurde er am 29. Oktober 1951 auf freien Fuß gesetzt.85 

Nach Angaben Flussmanns hatte sich das SS-Personal am Sandhof auf jeweils einen Aufseher beschränkt. Der gefürchtetste sei Walcher gewesen, der mit seiner Frau im Lager gelebt und nach dem Weggang Ebenbergers auch die Verwaltung übernommen habe. Walchers Frau habe zwar in der Wirtschaft mitgeholfen, sich aber manchmal "recht unanständig" gegenüber den Lagerinsassen benommen, besonders bei der Lebensmittelzuteilung. Walcher und seine Frau hätten getrennt von den jüdischen Insassen gewirtschaftet. Neben dem SS-Personal habe noch eine (nichtjüdische) Magd (Marie Scharner) im Lager gearbeitet.86 

Auch andere Zeugenaussagen vermitteln den Eindruck, dass zumindest während der Dienstzeit Walchers keine anderen SS-Männer längerfristig im Lager stationiert gewesen sind. Das Lager in Windhag wurde mehrmals vom Leiter der Wiener Zentralstelle, Alois Brunner (Brunner I), inspiziert, der sich mit Walchers Tätigkeit sehr zufrieden zeigte.87 

In den Windhager Quellen scheinen allerdings punktuell noch einige andere Namen von SS-Männern auf, die höchstwahrscheinlich alle aus der Wiener Zentralstelle kamen88 : [Friederich] Kucera (30. und 31. Mai 1941 als "Lagerführer" am Sandhof); Rudolf Heischmann (am 25. September 1941 nach Wien abgereist); der SS-Wachmann Karl Swoboda (ab 26. Juni 1943 am Sandhof, am 23. Juli 1943 nach Prag abgereist) sowie der SS-Angestellte und Wachmann Franz Spatzer (scheint anderswo als Spazier auf; am 25. Juli 1943 genannt).89  Flussmann verwies in seiner Aussage auf eine vom B