Die Synagoge in der Eitelbergergasse in Wien, erbaut in den Jahren 1926-28, stellt einen der Schlüsselbauten im österreichischen Kunstdiskurses der „Jüdischen Moderne" dar. Nicht nur ist sie der einzige freistehende Synagogenbau, der in der Zwischenkriegszeit in Wien errichtet wurde, sondern auch der Entstehungsprozess und der diesen Prozess begleitende zeitgenössische Diskurs stellen einen wichtigen Gradmesser dar, um die Bedeutung eines solchen Projektes sowie die unterschiedlichen Positionen und Herangehensweisen dazu besser nachvollziehen zu können. Die vorliegende Arbeit bietet nun zunächst einen kurzen Einblick in den Diskurs um den Synagogenbau allgemein und setzt sich dann mit der Vorgeschichte des Baues auseinander – dem ersten Wettbewerb des Jahres 1912 und insbesondere mit dem Entwurf von Hugo Gorge sowie der Konkurrenz von 1924. Anschließend wird näher auf Arthur Grünberger, dessen Entwurf für die Synagoge in Hietzing schließlich verwirklicht werden sollte, und den Wettbewerb zur Errichtung eines Krematoriums am Wiener Zentralfriedhof eingegangen. Das nachfolgende Kapitel widmet sich dem Theoretiker des Synagogenbaus und Kulturkritiker Max Eisler und anhand seiner Person der Rezeption und Diskussion dieser künstlerischen und kulturpolitischen Problemstellung zu einer Zeit, die nicht zuletzt auch in ihrer zeitlichen Nähe zu den Schrecken des Nationalsozialismus zu sehen ist. Ein kurzer Abschnitt am Ende der Arbeit setzt sich dann auch mit dem weiteren Schicksal des Baus auseinander.
Abb.1. Ernst Lichtblau: Entwurf für den ersten Wettbewerb, Fassade. Quellenlage und Forschungsstand
Es gibt zahlreiche zeitgenössische Quellen, in denen das Projekt der Synagoge Erwähnung findet. So publiziert etwa die Zeitschrift „Der Architekt" sowohl unkommentierte Abbildungen der ersten Konkurrenz, eingereicht von Rudolf Perco und Ernst Lichtblau,1 als auch – vier Jahre später – einen umfassenden Beitrag des Architekten Hugo Gorge über seinen Synagogenentwurf.2 Ein Jahr nach dem zweiten Wettbewerb des Jahres 1924 veröffentlichte die Zeitschrift „Österreichs Bau- und Werkkunst" einen von Max Eisler verfassten Artikel3 über die Konkurrenz und die diversen Projektvorschläge, der auch eine theoretische Abhandlung zum Synagogenbau darstellt. Derselbe Autor zeichnet des weiteren verantwortlich für mehrere Artikel in „Menorah", einer monatlich erscheinenden Zeitschrift „für die jüdische Familie"4, in denen er sich kritisch mit „jüdischer Architektur" auseinandersetzt und vor allem zur Zeit der Fertigstellung der Synagoge in der Eitelbergergasse einen langen Artikel zum Wettbewerb und seinem Ergebnis verfasst.
Nach der Zerstörung in der Zeit des Nationalsozialismus findet die Synagoge zum ersten Mal wieder Beachtung in Hammer-Schenks Standardwerk über Synagogen in Deutschland, und zwar in Zusammenhang mit der Person Max Eisler im Abschnitt über „Theoretische Arbeiten zum Synagogenbau in den zwanziger Jahren".5 Auch Krinsky widmet der Synagoge in Hietzing eine lange und detaillierte Abhandlung, in der sie sich insbesondere dem ausgeführten Bau von Grünberger gegenüber sehr kritisch äußert.6 Genée zeigt zum ersten Mal eine Innenansicht des ausgeführten Baues und er stellt die Synagoge in einen Kontext zu den anderen religiösen jüdischen Bauten, die in Wien errichtet wurden.7 Hanisch und Kapfinger richten ihr Hauptaugenmerk auf den Aspekt des Wettbewerbes und dabei insbesondere auf die Entwürfe Neutras und bieten darüber hinaus eine sehr differenzierte Darstellung der Synagoge in ihrem historischen und lokalen Umfeld.8
Abb.2. Rudolf Perco: Entwurf für den ersten Wettbewerb, Fassade. 1. Einleitung
In Wien war es seit der Vertriebung aus dem Zweiten Ghetto9 den hier ansässigen Juden der Neubau eines Tempels nicht gestattet. Daher entwickelte sich eine Kultur vieler kleiner Betstuben, die in Privathäusern untergebracht waren. Dieser Umstand wurde erstmals durchbrochen, als in den Jahren 1824-26 nach Plänen von Josef Kornhäusel der Stadttempel in der Seitenstettengasse errichtet wurde. Seine repräsentative Pracht entfaltet dieses Gotteshaus erst nach dem Betreten des Komplexes, da es hinter einer Wohnhausfassade versteckt angelegt ist und sich von außen um nichts von den angrenzenden Gebäuden unterscheidet. Die zweite wichtige Synagoge, die in Wien errichtet werden sollte, war der so genannte „Leopoldstädter Tempel" des Architekten Ludwig Förster. Die Stellung der Juden hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon insoweit verändert, dass es möglich war, das Gotteshaus auch nach außen hin als solches erkennbar zu machen, ja sogar einen Bau monumentalen Charakters zu planen. Die imposante Anlage, bestehend aus einer großen Synagoge und zwei weiteren seitlichen Trakten, stellte den ersten sakralen jüdischen Bau in einer langen Reihe dar, die auch den Repräsentationsansprüchen der Gemeinschaft nach außen hin Rechnung trug. Er wurde in den Jahren 1854-58 errichtet. Durch die neuen Möglichkeiten, die sich nun darboten, setzte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe „Synagoge" ein. In dieser Zeit des aufkeimenden Historismus liegt dabei der Fokus des Interesses besonders auch auf der Suche nach dem „richtigen Stil". Die Frage „Wie sollen wir bauen?" spiegelt vor allem aber auch eine grundsätzliche Frage nach der Identität innerhalb des Judentums wieder, die zu stellen zu diesem Zeitpunkt durch die neu gewonnenen Freiheiten und Rechte erstmals möglich geworden war. Bei der Suche nach der „richtigen Art des Bauens" ging es zunächst einmal um eine grundsätzliche Entscheidung bezüglich der liturgischen Ausrichtung der Synagoge. Hier gab es zwei konträre Ansätze: ein Typus folgte dem orthodoxen Ritus und platzierte den Almemor im Zentrum des Synagogenraums. Der andere, der sich am reformierten Ritus orientierte, sah eine Längsausrichtung des Raumes – vergleichbar mit dem Schema einer christlichen Basilika – vor, bei der Thoraschrein und Almemor gemeinsam an der Ostwand angesiedelt waren. Viele weitere Unterscheide, in Fragen wie etwa der Einstellung zur strengen oder weniger strengen Abgrenzung eines Bereiches für Frauen oder auch der Art der Verwendung von Musik in der Synagoge, spiegeln eine Diskussion wider, in welcher der Bau – stark vereinfacht gesprochen – stellvertretend für Assimilation einerseits und Bewahrung der eigenen Werte und Traditionen andererseits steht. Gleichzeitig mit diesen grundlegenden Überlegungen zur Bauform existierte noch die Frage nach dem Stil, die – im Gegensatz zu jenen Aspekten, die nur den Innenraum betrafen – nun durch die Repräsentation des Baus nach außen hin und in gewisser Weise auch mit einer Positionierung des Judentums innerhalb der Gesellschaft zusammenhing. Der Diskurs um den Stil hatte verschiedenste Facetten: So konnte der orientalisierende Stil als Ausdruck eigener jüdischer Identität – bis hin zu einer nationalen jüdischen Identität – angesehen werden. Für Kritiker hingegen griff er eine Formensprache auf, die keine originär jüdische war, sondern vielmehr an muselmanische Bauen erinnerte, und die Gemeinschaft damit noch stärker als „fremd" und unzugehörig erscheinen ließ. Ein anderer Ansatz war die Rezeption der Stile christlicher Gotteshäuser von Romanik, Gotik bis Renaissance – in Wien seien hierbei besonders die Bauten Max Fleischers im Stil der Ziegelgotik erwähnt – die für die Befürworter ein Zeichen von Gleichstellung, Anpassung und Zugehörigkeit war, von vielen aber auch scharf kritisiert wurde. Die Auseinandersetzung wurde nicht zuletzt verstärkt dadurch, dass nach der Lockerung des Niederlassungsrechts und der Gewährung der vollen Glaubens- und Religionsfreiheit durch das Staatsgrundgesetz des Jahres 1867 viele Juden aus den östlichen Gebieten des Habsburgerreiches den Weg nach Wien gefunden und dabei auch ihre religiösen Anschauungen und Gepflogenheiten Einzug in die Hauptstadt gehalten hatten. Des Weiteren begaben sich diverse Forscher, sowie andere Interessierte und Suchende – unter ihnen auch viele Künstler – auf ausgedehnte Reisen. Zahlreiche Publikationen setzten sich mit dem osteuropäischen Judentum auseinander.10 Im Weiteren wird gezeigt werden, wie sich unterschiedliche Aspekte dieser Thematik im Kleinen an einem Bauprojekt wie der Synagoge für Wien-Hietzing aufzeigen lassen.
Abb.3. Hugo Gorge: Entwurf für den ersten Wettbewerb, Innenraum 2. Der erste Wettbewerb
Die Notwendigkeit eines Ortes zur „Abhaltung von Gebetsversammlungen" in Hietzing bezeugt eine Quelle zum ersten Mal für das Jahr 1877, als der jüdische Baron Königswarter seinen Glaubensgenossen, die hierher auf Sommerfrische gekommen waren, seine Villa vorübergehend zu diesem Zweck zur Verfügung stellte.11 Bis zum Jahre 1912 hatte sich die demographische Situation bereits umfassend verändert und der Tempelverein des nunmehr XIII. Wiener Gemeindebezirks ließ einen Wettbewerb für die Errichtung einer Synagoge ausschreiben. Der für den Bau vorgesehene Platz befand sich in der Onno-Koppgasse (im heutigen XIV. Bezirk) und war ein freies zwischen zwei weiteren Gebäuden gelegenes Grundstück, das von der Straße aus von Westen her zu betreten war. Die Konkurrenz stand anscheinend für Anhänger aller religiösen Konfessionen offen, da unter den Architekten der zweiunddreißig eingereichten Projekte erwiesenermaßen nicht nur Juden waren.12 Zur Jury zählten bekannte Architekten wie Julius Deininger, Max Fabiani, Ernst von Gotthilf, Oskar Strnad, Jakob Gartner, Ernst Lindner und Friedrich Schön, des weiteren gehörten ihr noch der Direktor der Privaterziehungsanstalt für den XIII. Bezirk, Dr. S. Krenberger, sowie der Hofjuwelier Max Zirner an. Der jüdische Architekt Hugo Gorge konnte die Konkurrenz für sich entscheiden, des Weiteren prämierte die Jury die Entwürfe von Ernst A. Heise und Rudolf Perco.13 Die Arbeit des letzteren wurde gemeinsam mit jener von Ernst Lichtblau, der auch an der Konkurrenz teilgenommen hatte, dessen Entwurf aber keine Auszeichnung erhalten hatte, im selben Jahr in der Fachzeitschrift „Der Architekt" veröffentlicht.14 Im Grundriss zeigt sich bei beiden ein sehr ähnliches Schema in der Auffassung des Baus: von der Straße her betreten die Männer die Anlage durch zwei bzw. drei Türen und gelangen in einen kleinen Vorraum, der wiederum zum Hauptraum der Synagoge weiterführt. Hier liegt der Almemor in der Mitte, der Thoraschrein an der dem Eingang gegenüberliegenden Ostwand. Zu beiden Seiten des Thoraschreins führen Türen, (wahrscheinlich von der Bauvorschrift her geforderte Notausgänge)15, zum hinteren, unverbauten Teil des Gründstücks. Auf der rechten Seite des Baus gibt es einen Eingang, der über eine Stiege zu den Frauengalerien in den ersten Stock führt. Der Unterschied zwischen den beiden Entwürfen liegt darin, dass Perco zusätzliche Räumlichkeiten für die Gemeinde auf die zwei Seiten des Baus verteilt, während Lichtblau den Synagogenhauptraum aus der Mittelachse des Grundstücks nach rechts verschiebt und somit auf der linken Seite Platz schafft für einen Gemeinde- und Wohnhaustrakt, der auch einen separaten Eingang erhielt. Optisch entsteht in der Fassade (Abb. 1) nicht zuletzt dadurch ein gewisses Ungleichgewicht, das noch verstärkt wird, da der rechte Flügel des Gebäudes, der ausschließlich den Stiegenaufgang sowie einige Toiletten enthielt, wesentlich niedriger angelegt war als der restliche Komplex. Allerdings ist unbekannt, wie die umgebenden Häuser zur Zeit der Planung ausgesehen haben und vielleicht stellte gerade die unterschiedliche Höhengestaltung ein verbindendes Element zu den Nachbarbauten dar. Während Lichtblaus Fassadenentwurf stark an ein Wohnhaus erinnert und lediglich durch zwei Davidsterne, die in Fenstern auf Höhe des zweiten Stockes eingelassen waren, als „jüdisch" gekennzeichnet ist – also ein bescheidener und, wenn man so will, in jeglicher Hinsicht „angepasster" Entwurf ist – gestaltet sich die Fassade bei Perco (Abb. 2) um einiges imposanter. Er bedient sich der Idee des Pantheon und bekrönt seinen Bau mit einer großen, mit einem Davidstern versetzten Kuppel. Der Dreiecksgiebel, der die Fassade nach oben hin abschließt, sowie die darunter liegenden schmalen, langgezogenen Fenster erinnern zudem stark an einen Portikus, der bei Perco aber lediglich als Mittel der Gliederung dient. Den eigentlichen Eingang bildet eine Dreiportalanlage, ein sehr repräsentatives Element, das kurz zuvor auch von seinem ehemaligen Lehrer Otto Wagner bei der Kirche am Steinhof verwendet wurde. Mit der Wahl des Pantheon als Vorbild für das Aussehen der Synagoge bedient sich der Architekt einer sakralen nicht aber einer christlichen Formensprache, der eines „Hauses aller Götter", das nun auch den Juden als Gotteshaus dienen soll.
Abb.4. Fritz Landauer: Entwurf für den zweiten Wettbewerb, perspektivische Ansicht mit Kuppel. 2.1. Hugo Gorge beim ersten Wettbewerb
Der Entwurf, mit dem Hugo Gorge die Ausschreibung gewonnen hatte, wurde aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zunächst nicht ausgeführt. Unmittelbar nach dem Krieg lässt die Veröffentlichung der Pläne, begleitet von einer ausführlichen Erläuterung Gorges in der Zeitschrift „Der Architekt"16 die Vermutung zu, dass die Pläne für die Umsetzung zu diesem Zeitpunkt verschoben, aber noch nicht völlig aufgegeben worden waren. Davon, dass es mit der Stellung der Juden in der jungen Republik nicht zum Besten stand, zeugt eine nahezu rechtfertigende Aussage des Architekten, die er seinen Ausführungen nachstellt. Darin meint er, dass „[m]anchen (...) die Veröffentlichung eines derartigen Projektes unzeitgemäß erscheinen [könnte]", aber dass es insoferne von Relevanz wäre, als er vielleicht einmal vor der Aufgabe stehen könnte, eine Kirche der Zukunft für eine verbrüderte Menschheit zu errichten, deren Vorbild die Synagoge, dieses „Versammlungshaus des Volkes", wie sie in wörtlicher Übersetzung heißt, sein könnte.17 Bereits hier erkennt man ein wenig von der intensiven Auseinandersetzung, in der er „Art und den Sinn [des jüdischen] Rituals (...) durch Umfrage, Forschung und Versenkung erfahren"18 hat, wie es Max Eisler Jahre später beschreiben sollte. So geht er denn auch in der Entwicklung des Konzeptes für den Bau von sehr grundsätzlichen Überlegungen zur Funktion aus. Die Synagoge sieht er als etwas „im ewigen Wandel der Zeiten" „sich ewig gleich geblieben[es]"19 und sucht die Inspiration für seine Planungen bei den von ihm so genannten „alten Synagogen"20. Der Ausdruck „alte Synagogen" umfasst dabei all jene Elemente aus Synagogen, die seiner Meinung nach die jüdischen Traditionen am besten verkörpern. Beim Entwurf für die Hietzinger Synagoge versucht er nun, „allen (...) traditionellen Gesichtspunkten", die er zuvor aus den unterschiedlichen Gebäuden sowie archäologischen Forschungsergebnissen abstrahiert hat, „Rechnung zu tragen."21 Beginnend mit dem Inneren (Abb. 3) ist dies zunächst der Almemor, der an mittelalterlichen Vorbildern, wie etwa jenem in der Altneusynagoge in Prag , orientiert ist22 und sich in der Mitte des Betraumes befindet. Für die Konzeption der Heiligen Lade hält Gorge als Symbol die alte Form einer tragbaren Truhe bei und positioniert sie vor der Ostwand, anstatt sie mit dieser baulich zu verbinden. Der Raum wird von Süden her betreten, sodass die Bundeslade nicht gesehen werden kann, bevor der Eintretende sich innerhalb des Raumes befindet. An der Südseite befindet sich ebenso die Frauengalerie, die sich in zwei Bögen zum Hauptraum hin öffnet.23 Die Wände des Innenraums sind in weiß gehalten und weisen außer einigen dunklen Textilien keinerlei Schmuck oder gar Ornamentierung auf. Interessant zu bemerken ist auch, dass sich der Raum mit seinen großen Fenstern so präsentiert, dass er bestmöglich mit Tageslicht versorgt wird; es gibt keine zusätzliche künstliche Beleuchtung etwa von der Decke, lediglich um den Almemor und in der Nähe des Thoraschreins sind einige wenige Lampen vorgesehen.
Der Gesamtkomplex ist im Grundriss in zwei Hälften geteilt: die linke Seite bildet den Hauptraum der Synagoge, während sich die rechte um einen Brunnenhof gruppiert. Auf der rechten Seite befinden sich zudem im ersten Stock Gemeinderäumlichkeiten und im zweiten Stock der Bereich, der für die Frauen vorgesehen ist. Beide Stockwerke teilen sich eine gemeinsame Treppe, da der erste Stock zu Zeiten des Gottesdienstes nicht benutzt wurde, weil dann der gesamte Frauenbereich einschließlich der Treppe nicht von Männern betreten werden durfte. Der Eingang zur Synagoge befindet sich in einer Achse mit dem Brunnenhof, Frauen- und Männereingang sind direkt nebeneinander angelegt, die Gestaltung der Türen und des gesamten Eingangsbereichs ist sehr funktional und schlicht, keinesfalls imposant. Die Fassade ist mit Bruchstein verblendet und vermittelt somit den Grundsatz des vollständigen Abschließens des Baus gegen die Straße hin. Neben den Türen (außer dem Eingang gibt es noch zwei Notausgänge auf der linken Seite) und einigen rechteckigen Fenstern ist das einzige zusätzliche Gliederungselement ein Erker, der auf der Höhe des zweiten Stockes als Laufgang zum Sängerbalkon diente. Mit seiner Orientierung an den „idealen" baugeschichtlichen Vorbildern sowie der genauen Übernahme bestimmter Details wie etwa des Almemor steht Gorge eindeutig in der Nachfolge des – in Wien so wichtigen und dominanten – Historismus. In der Art seiner baulichen Lösungen spiegelt sich aber gleichzeitig auch das Gedankengut der Moderne wider, wie etwa durch die Überordnung der Funktion vor der Form sowie seiner einfachen und klaren stilistischen Formensprache.
Abb.5. Richard Neutra: Entwurf für den zweiten Wettbewerb, perspektivische Ansicht. 3. Der zweite Wettbewerb
Im Jahre 1924 kaufte der Tempelverein für den 13. Bezirk für die – aufgrund der Inflation – astronomische Summe von 700 Millionen Kronen24 das Grundstück in der Eitelbergergasse 22, an der Ecke zur Neue-Weltgasse an, um nun an dieser Stelle eine Synagoge zu errichten. Was die Beweggründe für den Wechsel des Bauplatzes gewesen sein mögen, ist unklar, er führte in jedem Fall aber zu der Entscheidung, einen weiteren Wettbewerb durchzuführen, da das neue Grundstück andere Anforderungen an den Bau stellte. So sollte die neue Synagoge nun nicht mehr direkt an zwei Profanbauten angrenzend, sondern als freistehender Baukörper errichtet werden.
Ausgeschrieben wurde ein internationaler Wettbewerb, für ausschließlich jüdische Architekten, deren Jury unter anderem Josef Hoffmann, Alexander Neumann, Emil Hoppe und Arnold Karplus angehörten.25 Die Richtlinien des Wettbewerbs besagten, dass die Entscheidung der Jury für die Ausführung des Baus verbindlich war. Der erste Preis ging an Arthur Grünberger, weiters wurden die Arbeiten von Hugo Gorge und Fritz Landauer prämiert und der Entwurf von Richard Neutra angekauft. Der Entwurf sollte Pläne für eine Synagoge sowie Räumlichkeiten für die Gemeinde umfassen. Eine weitere Forderung bestand darin, dass der Almemor – im Sinne des reformierten Ritus – an der Ostseite des Synagogenraumes, in der Nähe der Bundeslade angebracht werden sollte, was eine entscheidende Änderung zum vorhergehenden Wettbewerb darstellte. Das Grundstück, das für den Bau erworben worden war, bestand aus zwei Parzellen: einer breiteren zur Neue-Welt-Gasse und einer etwas schmäleren, die an das Nachbargrundstück angrenzte. Betrachtet man nun die Grundrisse der eingereichten Projekte von Grünberger und Neutra, so erkennt man, dass beide ihren Entwurf so angelegt haben, dass sich der Hauptraum der Synagoge auf der einen, weitere erforderliche Räume auf der anderen Parzelle befinden. Gorge und Landauer hingegen entwarfen größere Synagogenbauten, deren Mittelachse leicht nach Süden in Richtung der Neue-Welt-Gasse verschoben war. Aus der Anlage dieser Grundrisse lässt sich die Hypothese ableiten, dass es eine zusätzliche – im Rahmen der Ausschreibungsrichtlinien – jedenfalls mögliche Nutzenüberlegung gewesen sein könnte, einen Entwurf vorzulegen, die Synagoge auf der südlichen Parzelle, die Räumlichkeiten für die Gemeinde hingegen auf der zweiten Parzelle zu planen, um gegebenenfalls zu ermöglichen, auch nur den wichtigeren der beiden Bauteile zu errichten. Eine solche finanziell motivierte Überlegung wäre aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Situation dieser Zeit durchaus nachvollziehbar. Betrachtet man den schlussendlich errichteten Bau, der eben lediglich aus einer Synagoge auf besagtem südlichen Grundstück besteht, drängt sich der Gedanke auf, ob nicht auch die Ermöglichung einer derartigen Ausführungsvariante entscheidenden Einfluss auf die Juryentscheidung gehabt und Grünberger nicht zuletzt dadurch den ersten Preis erhalten hatte. Die vier Projekte wurden im Jahr nach dem Wettbewerb von Max Eisler in der Zeitschrift „Österreichische Bau- und Werkkunst" vorgestellt, der sich an dieser Stelle zum Juryentscheid aber nicht weiter äußerte.26
Abb.6. Arthur Grünberger: Entwurf für den zweiten Wettbewerb, perspektivische Ansicht. 3.1. Hugo Gorge beim zweiten Wettbewerb
Hugo Gorge musste sich in seiner Planung von zwei der wichtigsten von ihm formulierten Grundprinzipien trennen und einerseits den Almemor nicht im Zentrum des Raumes sondern in der Nähe der Ostwand konzipieren, andererseits den Eingang zum Synagogenraum gegenüber der Bundeslade ansiedeln. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist an der Fassade ersichtlich, die nun mit einem großen Relief versetzt ist, darunter liegen fünf Türen, die als Eingangslösung durchaus repräsentativ wirken. Hinter den beiden äußersten Türen befinden sich Treppen zu den Frauengalerien im oberen Stockwerk, während die drei mittleren zu einem Vorraum führen, hinter dem ein ähnlicher Brunnenhof angelegt ist, wie er auch schon im ersten Entwurf geplant war. Ähnlich bleiben auch die Balkendecke sowie die Gestaltung des Almemor, der ebenfalls mit einem schmiedeeisernen Gitter versehen ist. Ansonsten hat sich die Erscheinung des Synagogeninnenraums aber entschieden verändert durch die reiche Ausgestaltung der Ostwand mit zwei riesigen ornamentierten Pilaster, die wohl Jachin und Boas repräsentieren sollen, sowie den darüber liegenden, ebenfalls etwas überdimensioniert wirkenden Dekorfeldern, in denen sich auch rituelle Symbole wiederfinden. Gorge hatte sich in seinem Aufsatz zum Synagogenbau zwar gegen die Verwendung von Symbolen und Ornamenten ausgesprochen, aber nicht prinzipiell, sondern nur dann, wenn diese „zu einer Schablone des Dekorierens [wurden,] als einzige[m] Ausdrucksmittel, um das Jüdische zu betonen."27 Dennoch war es bei seinem ersten Projekt gerade die Schlichtheit in der Ausgestaltung seiner Innenräume, die Reduktion auf das geistliche, den sakralen Charakter des Ortes gewesen, die überzeugt hatten und die er nun aufgab. Ein anderer Aspekt hingegen, das Prinzip der Abgeschlossenheit zur Straße hin, kam durch den blockhaften Bau, der nun an allen Seiten mit Bruchstein verblendet und am Dach zusätzlich mit spitzen Dreiecken versehen war, bei diesem Entwurf viel deutlicher und eindrucksvoller zum Ausdruck.
Abb.7. Arthur Grünberger: Entwurf für eine Feuerbestattungsanlage, Querschnitt. 3.2. Fritz Landauer
Von Fritz Landauer sind zwei Entwurfszeichnungen erhalten (Abb. 4). Beide erheben sich über einem kreuzförmigen Grundriss wobei in einem Entwurf gar eine Kuppel über der Mitte des Baus vorgesehen war. Mit diesen Gestaltungselementen hatte Gorge bereits einige Jahre zuvor abgerechnet, wenn er schreibt: „Man findet sogar neuere Synagogen, die als Grundriß die Kreuzform den christlichen Vorbildern entlehnt haben. Ebenso der Kuppelbau... es wird damit eine Mystik betont, ein Distanzieren zwischen Priester und Zuhörer in der baulichen Anlage, die dem jüdischen Kult immer fremd waren."28 Dennoch wurde der renommierte Architekt mit dem dritten Platz ausgezeichnet, da sein Entwurf „Aus Erfahrung", der stark an die Augsburger Synagoge erinnerte, die ein Jahrzehnt zuvor erbaut worden war,29 die Wiener Jury anscheinend mehr überzeugte als das – insbesondere im Vergleich zu Landauer überaus revolutionär anmutende Projekt von Richard Neutra.
3.3. Richard Neutra
Neutra reichte unter dem Titel „Der Neue Welt Tempel" – der sowohl die Anspielung auf die Straße, an der sich die Synagoge befinden sollte, als auch auf seine neue Heimat Amerika anklingen ließ – einen Entwurf im internationalen Stil ein (Abb. 5). Auf der rechten Hälfte des Grundstücks befindet sich ein lang gezogener Synagogenraum, auf der linken Hälfte Gemeinderäume sowie ein großer, ebenfalls länglich angelegter Hof . Angeblich war es insbesondere Josef Hoffmann, der Neutras Projekt ablehnte.30 Ein weiterer Grund dafür, dass es nicht prämiert worden war, könnte aber auch der sein, dass der Komplex an zwei Seiten direkt an die Nachbargrundstücke angrenzt und damit die rechtlichen Erfordernisse der „offenen Bauweise" des Hietzinger Cottage außer Acht ließ.31
Abb.8. Innenraum der Synagoge mit Blick auf die Ostwand. 4 Der Entwurf Arthur Grünbergers.
Unter dem Kennwort „1924" hatte Grünberger gemeinsam mit Adolf Jelletz das Projekt eingereicht, das ausgewählt wurde um später verwirklicht zu werden. Dabei erinnert sein Entwurf im Grundriss zu einem gewissen Grad an jenen von Gorge aus dem ersten Wettbewerb, indem er den eigentlichen Synagogenraum auf der linken, Brunnenhof und Verwaltungs- bzw. Gemeinderäumlichkeiten auf der rechten Seite anlegt. Anders als bei Gorge sind diese aber nicht in einem Komplex miteinander verwoben sondern klar abgetrennt nebeneinander angelegt. In der perspektivischen Ansicht (Abb. 6) sieht man denn auch, wieviel mehr Wert Grünberger auf das Gotteshaus, als auf das Zusammenspiel im größeren Kontext legt.
Das eigentliche Synagogengebäude ist ein kubischer Körper, der im Gesamteindruck sehr an die Wehrsynagogen im Podolien und Wolhyinien erinnert. Das große Eingangsportal erscheint durch die Abschrägung der Wand leicht nach vorne versetzt und wird flankiert von zwei Baldachinen mit Treppen, die zu den Frauengalerien führen. Nach oben hin wird der Bau von einem Zinnenkranz abgeschlossen, hinter dem das flache Walmdach verborgen ist. Die Fenster gestaltet er in diesem Entwurf in Form von Davidsternen – direkt unter dem Wandabschluss finden sich einzelne solcher Sterne, die von gemalter Verzierung umrahmt sind, an der Längsseite sieht er darunter liegend zusätzlich noch Fenster vor, die aus einer Art Traube an Sternen gebildet werden. Zusammen mit dem Motiv des Bogens, der jeweils über den Fensterabschnitten angebracht ist, lassen all diese Elemente die Außenwand sehr bewegt erscheinen. Die Anordnung der Fenster nimmt auch auf die Frauengalerien Rücksicht, sodass die „Fenstertrauben" an der Westseite nach oben hin abgestuft sind, wodurch sich von außen bereits die innere Gliederung des Gebäudes ablesen lässt. Unter den Frauengalerien ist noch Platz für weitere Räume vorgesehen, wie etwa einem kleineren Betsaal, der wochentags benützt werden konnte. Im Inneren des Hauptraumes setzt er Almemor und Bundeslade wie gefordert an die Ostwand, zu beiden Seiten führen Stufen auf die Plattform, auf der sie positioniert sind. Der Entwurf lässt sich aber nicht nur von Vorläufern im Synagogenbau her ableiten, sondern hängt auch noch mit einem ganz anderen Projekt Grünbergers zusammen. Das gleiche Architektenduo beteiligte sich bereits einige Jahre zuvor gemeinsam an einem Wettbewerb – jenem für die Errichtung eines Krematoriums am Wiener Zentralfriedhof.
Abb.9. Detail des Innenraums mit Thoraschrein und Almemor. 4.1. Exkurs: Der Wettbewerb zur Errichtung eines Krematoriums am Zentralfriedhof
Die Gemeinde Wien veranstaltete in den Jahren 1920/21 eine offene Ausschreibung für den Bau einer Feuerbestattungsanlage am Wiener Zentralfriedhof. Die rege Beteiligung – es wurden insgesamt siebzig Projekte eingereicht – erklärte man sich damit, dass dies einerseits ein Monumentalbau werden sollte, dessen baldige Ausführung auch tatsächlich gesichert war, und andererseits, dass hier auch der künstlerische Ehrgeiz der Architekten in hoher Weise gefordert war, da für diese – für Wien und Österreich völlig neue – Bauaufgabe neue Ausdrucksformen gefunden werden mussten.32 Das für den Bau vorgesehene Grundstück befand sich in einem Bezug zum Neugebäude, wobei erst später entschieden wurde, das Krematorium innerhalb der Mauern des Neugebäudes zu errichten.33 Gefordert wurde von den Architekten ein strenger Zweckbau, der aber gleichzeitig einen sakralen Charakter haben sollte. Den ersten Platz erhielt das Projekt „Aus vorhandenen Mitteln" von Karl Hoffmann, Max Ferstel wurde mit seinem Entwurf „Ustrinia" mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Das mit dem dritten Preis bedachte und zur Ausführung vorgesehene Projekt „Zinne" war von Klemens Holzmeister eingereicht worden. Grünberger und Jelletz’ Entwurf „A ?" wurde nicht prämiert. Die Entscheidung der Jury war nicht unumstritten. Gleichsam rechtfertigend schreibt Holey, der als Mitglied der Jury die Entscheidung auch mitzutragen hatte, dass die Gefahr von Wettbewerben für die Weiterentwicklung der Kunst darin liege, dass die Gruppe von Künstlern in klarem Vorteil wären, die nach der Ausführung des Baus streben und sich deswegen bis ins kleinste Detail an die Vorgaben der Auftraggeber hielten, gegenüber jenen, die nach neuen Ausdrucksformen strebten und sich dafür manchmal mit voller Absicht über die beengenden Vorschriften des Programmes hinwegsetzen würden.34 – Eine Überlegung, die auch für den späteren Wettbewerb für die Synagoge in der Eitelbergergasse ihre Richtigkeit haben könnte. Dagobert Frey, für den der Entwurf von Grünberger und Jelletz eindeutig der beste gewesen war, veröffentlichte als Konsequenz aus diesem Juryentscheid35, in seinen „Glossen zum Krematoriumswettbewerb" das Projekt „A ?", außerdem noch einige weitere Entwürfe sepulkralen Charakters von Grünberger – darunter eine jüdische Friedhosanlage36 und ein Kriegerfriedhof in Gallizien – sowie einen Brief des Architekten, in dem er sich über seine künstlerische Absicht äußert.37 Das Krematorium wird gebildet aus einem Zentralbau, an den an der Rückseite ein weiterer kubischer Baukörper anschließt. Der Rundbau ist von einem Graben umgeben, über den drei Seiten Treppen zur Plattform des Hauptgeschosses führen. Von größter Bedeutung für Grünbergers Synagogenentwurf ist allerdings nicht so sehr diese Konzeption des Gebäudes, sondern vielmehr einige bauliche Details, die sich anhand des Querschnitts (Abb. 7) gut aufzeigen lassen. Zum einen verwendet er bereits hier eine ähnliche Idee für den oberen Abschluss des Baus, bei der das flach gehaltene Dach hinter einem Zinnenkranz verschwindet. Dieses Element dürfte von der Umfassungsmauer des Neugebäudes beeinflusst sein, und wird nicht nur von Grünberger sondern auch von Holzmeister aufgegriffen. Ein weiteres Detail, das sich in ähnlicher Weise auch bei der schlussendlich ausgeführten Synagoge wieder finden lässt, ist die Fensterlösung des Innenraums. In beiden Fällen werden hier die schmalen, langgezogenen Fenster von rundbogigen Nischen umfasst. Auch diese könnten in Anlehnung an die Umfassungsmauer entwickelt worden sein, deren Schießscharten im Inneren ebensolche rundbogigen Nischen aufweisen. Wahrscheinlich auf den Umstand eingehend, dass das Neugebäude an der Stelle errichtet worden sein soll, an dem sich während der Zeit der Belagerung Wiens das Zelt des osmanischen Heerführers befunden haben sollte, schreibt Grünberger über die Konzeption seines Baus folgende Worte, in denen er auch sein Verhältnis zum Synagogenbau offen legt: „Mein Streben ist, die Gestaltung des Aufrisses im Grundriß zwingend zu begründen und den Grundriß zum Träger, den Aufriß zum Interpreten des Formwillens zu machen. Daher kann beim Friedhof der Aufriß auf das „orientalische" Element verzichten, weil die Vielstützigkeit der Anlage (jenes Aneinanderreihen von Zelten, jenes Zeltlager der Orientalen – das mit der Zeit permanent wurde) die nationale Eigenheit des Baues viel stärker betont und charakterisiert, als alle Ornamentik dies könnte. Denken Sie im Gegensatz dazu an jene jüdischen Kirchen (von 1870 bis heute) teils gotisch, teils muselmännisch!"38
4.2. Die Ausführung des Baus in der Eitelbergergasse
Im Jahre 1926 wurde mit dem Bau der Synagoge begonnen, die 1929 fertiggestellt werden sollte. Adolf Jelletz hatte die Bauleitung inne, nachdem Arthur Grünberger bereits 1923 in die Vereinigten Staaten emigriert war und von dort aus am Wettbewerb teilgenommen hatte. Mit der Ausführung des Baus wurde die Firma Melcher & Steiner betraut.39 Vom April des Jahres 1928 existieren detaillierte Baupläne, die eine entscheidende Veränderung zum Entwurf des Wettbewerbs aufweisen, denn es war nun nur noch eine der beiden Parzellen, jene an der Ecke von Neue-Welt-Gasse und Eitelbergergasse, für den Bau vorgesehen. Dadurch waren auch nachhaltige Veränderungen an der Synagoge von Nöten, die nun auf kleinerem Raum zusätzliche Funktionen abdecken musste. Die Konsequenz war, dass der Bau sowohl in der Breite als auch in der Länge reduziert wurde.
Am hinteren Teil des Grundstücks befindet sich nun ein kleiner Garten mit Sitzbänken, allerdings ohne Brunnen. Die Frauengalerien sind übereinander gestaffelt auf zwei Stockwerke verteilt. Auch der Eingangsbereich zeigt sich verändert: die Freitreppen mit Baldachinen sind ersetzt durch zwei vorgezogene Bauteile, von denen der rechte wiederum über eine Treppe zur Frauengalerie führt, der linke für eine Garderobe gedacht ist. Auch die Außenwandgestaltung hat sich gegenüber dem Wettbewerbsentwurf verändert. Grünberger erreicht eine klarere Struktur, indem er die Anzahl der Fenster reduziert, und statt der Fenstertrauben nun lediglich sechs Fenster anbringt, in denen die Form des Davidsterns so abgewandelt wird, dass das nach unten weisende Dreieck statt mit spitzen, mit runden Enden versehen worden ist. Die tatsächliche Ausführung unterscheidet sich nur in der Lösung des Eingangsbereiches von der Planungsstufe des Jahres 1928, die nun wieder zu beiden Seiten von Baldachinen überdachte Treppenaufgänge aufweist. Der Einblick in den Innenraum (Abb. 8) zeigt deutlich die Stellung des Almemor an der Ostseite sowie die einfache Innenraumgestaltung mit hölzerner Balkendecke und den weißen Wänden, die nur durch die signifikante Fensterlösung gleichsam ornamentiert werden. Einen näheren Blick auch auf die Verglasung der Fenster gewährt ein Detail mit Almemor und Thoraschrein (Abb. 9), der sich mit seiner spitzbögigen Form nur bedingt in die übrige Konzeption des Raumes einfügt.
5. Zur Zeitgenössischen Rezeption am Beispiel von Max Eisler
Die Rolle Max Eislers ist im Kunstdiskurs der „jüdischen Moderne" in Österreich von immanenter Wichtigkeit. Zum einen, weil er über die Zeitschrift Menorah in zahlreichen Artikeln Einfluss auf das Kunstverständnis der jüdischen Gemeinschaft auszuüben suchte und zum anderen, weil er zu praktisch allen wichtigen Geschehnissen, die Judentum und Architektur betrafen, Stellung bezog. Seine Artikel vor allem auch zum Synagogenbau wurden sowohl in Zeitschriften mit hauptsächlich jüdischer Leserschaft, als auch in einschlägigen Architekturjournalen veröffentlicht. Dabei differenziert er, was nicht unwichtig zu bemerken ist, zwischen dem Diskurs, der in der allgemeinen Öffentlichkeit geführt werden konnte und jenem, wie er in einer jüdischen Zeitschrift möglich war.40 So kommentiert er denn auch die von ihm konstatierte „Enthaltsamkeit [in der] Sprache" bei Gorges Beschreibung seines Synagogenentwurfs in „Der Architekt" damit, dass er „für die allgemeine, also nicht bloß jüdische Öffentlichkeit bestimmt, und eine gewisse Reserve daher nur natürlich [war]."41 Eislers theoretischer Zugang zum Synagogenbau ist geprägt durch die Vorliebe für moderne Architektur und seine eher konservativere Ausrichtung in Sachen des Glaubens. Als eines der Vorbilder zählte für ihn Holland, da dort selbst dann, „wenn in einem ‚Kirchenrat’ die sogenannten Liberalen die Mehrheit haben, (...) es ihnen nicht im Traum ein[fiele], die Anlage ihres Tempels zu ‚reformieren’", wodurch sie „in [ihrer] usprünglichen Bedeutung [entfremdet]" und damit „nicht mehr für alle Juden brauchbar" sein würde.42 Besondere Affinität hatte er daher zu Gorge, dessen Abhandlung über den Synagogenentwurf des ersten Wettbewerbs er 1930 wortwörtlich und nahezu vollständig ein weiteres Mal publizierte.43 Zu Ablauf und Ergebnis des zweiten Wettbewerbs in Hietzing äußert sich Eisler durchwegs positiv. So schreibt er etwa, dies wäre die „erste einwandfreie Ausschreibung gewesen[, die] (...) dann auch den ersten einwandfreien Erfolg gehabt [habe]."44 Den einzigen wesentlichen Kritikpunkt, den er anbringt, stellte die Vorschrift dar, die „nach neumodischer Manier die nahe Nachbarschaft von Lade und Almemor"45 forderte, wodurch seiner Meinung nach der Wert der architektonischen Lösungen vermindert wurde. In seiner Abhandlung zum zweiten Wettbewerb betont er, alle drei Preisträger, sowie der Architekt des angekauften Entwurfes hätten „ganze Arbeit geleistet", da sie sauber und sachlich, ohne „falsche Sentimentalität" vorgegangen wären. Bei Grünbergers Entwurf bezeichnet er besonders den Grundriss als modern, durchsichtig und zweckmäßig und lobt darüber hinaus die beiden Baldachine, von denen er meint, sie würden dem Bau einen „Auftakt südlicher Leichtigkeit" verleihen. Etwas kritischer steht er hingegen den Entwürfen von Landauer und Neutra gegenüber, denen er vorwirft, „befremdliche Formen" in die Wiener Vorstadt zu bringen. Er sieht beide als „Anhänger der körperhaften Masse, [bei denen] selbst die Glieder ihrer Bauwerke (...) nur wie Rumpfstücke [wirken]." Zu Neutra bemerkt er zudem, es handle sich um einen „ausgesprochenen Amerikanismus, ein Magazin, also eine Art monumentalen Notbau, der dem heutigen Durchgangszustand des Problems ungeschminkten Ausdruck gibt."
1 „Der Architekt", 18. Jahrgang, Wien 1912, Tafel 38, o.S.
2 Hugo Gorge: Ein Synagogenentwurf. In: Der Architekt, 22. Jahrgang, Wien 1918/19, S.133-140.
3 Max Eisler: Der Wettbewerb um eine Wiener Synagoge. In: Österreichs Bau- und Werkkunst, 2. Jahrgang,
Wien 1925/26, S.1-7.
4 Im Jahre 1926 wurde der ursprüngliche Titel „Menorah. Illustrierte Monatsschrift für die jüdische Familie" abgeändert zu „Menorah. Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft / Kunst und Literatur". Die Zeitschrift erschien in den Jahren 1923-1932.
5 Harold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland, Hamburg 1981, bes. S.508-510.
6 Carol Herselle Krinsky: Europas Synagogen, Stuttgart 1988 (Engl. Erstausgabe New York 1985). Zur Synagoge in Hietzing insbesondere S.185–189.
7 Pierre Genée: Wiener Synagogen 1825-1938, Wien 1987, bes. S.98-99.
8 Ruth Hanisch, Otto Kapfinger: Der Wettbewerb um eine Synagoge in Wien-Hietzing. In: Boeckl Vertriebene und Visionäre, Wien 1995, S.249-253.
9 Das so genannte „Ghetto am Unteren Werd" oder Zweite jüdische Ghetto bestand seit 1625 und wurde 1670 unter Leopold I aufgelöst.
10 Als spätes Beispiel einer solchen Auseinandersetzung sei hier eine Arbeit von Dr. Balaban erwähnt mit dem Titel „Wehrhafte Synagogen in den östlichen Randgebieten der polnischen Republik", veröffentlicht im Jahre 1927 in der Zeitschrift Menorah. Sicherlich dürfte es ähnliche Publikationen aber bereits zu einem früheren Zeitpunkt gegeben haben.
11 Vgl. Krinsky 1988 (zit. Anm.6), S.185.
12 So war etwa Rudolf Perco, dessen Entwurf als einer von dreien dieser Ausschreibung prämiert wurde, Mit-
glied der römisch-katholischen Kirche.
13 Hanisch, Kapfinger 1995 (zit. Anm. 8), S.249.
14 Der Architekt XVIII, 1912, Tafel 38, o.S.
15 Zu den Bauvorgaben bezüglich der Notausgänge bei dieser Ausschreibung vgl. auch: Gorge 1918/19 (zit.
Anm.2), S. 134.
16 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2).
17 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.135.
18 Max Eisler: Vom Geist der Synagoge, In: Menorah, VIII. Jahrgang 1930 (S.79-86), S.85f.
19 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.135.
20 Ebd., S.133.
21 Ebd., S.133.
22 Vgl. Krinsky 1988 (zit. Anm. 6), S.186.
23 Die publizierte Abbildung des Innenraums zeigt einen früheren als den von ihm beschriebenen Entwurf, der später aufgrund einer Programmerweiterung abgeändert werden musste und noch drei Bögen aufweist. Vgl. dazu Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.134.
24 Vgl.: David (Heft Nr. 53), Wien 2002: S.12.
25 Vgl. Hanisch, Kapfinger (zit. Anm. 8), S.249. 26 Eisler 1924 (zit. Anm. 3).
27 Gorge 1918/19 (zit. Anm. 2), S.133.
28 Ebd., S.133.
29 Vgl. Krinsky 1988 (zit. Anm. 6), S.186.
30 Vgl. Gerhard Weissenbacher: In Hietzing gebaut, Wien 1999, S.246.
31 Vgl. Hanisch/Kapfinger (zit. Anm. 8), S.252.
32 Karl Holey: Wettbewerb für eine Feuerbestattungsanlage auf dem Wiener Zentralfriedhof, In: Der Architekt, 24. Jahrgang, Wien 1921/22, S.65-67.
33 Vgl. Holey 1921/22 (zit. Anm. 32), S.67.
34 Vgl. Holey 1921/22 (zit. Anm. 32), S.66.
35 Dagobert Frey war der Herausgeber der Zeitschrift „Der Architekt", in der die Abhandlungen zum Krematoriumswettbewerb publiziert wurden.
36 Es könnte dies der Entwurf sein, mit dem Grünberger angeblich 1914/15 am Wettbewerb zur Errichtung eines jüdischen Friedhofes teilgenommen hatte. Vgl. dazu: Matthias Boeckl (Hrsg.): Visionäre & Vertriebene. (Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur), Wien 1995, S. 333. Des weiteren im Architektenlexikon auf der Homepage des Architekturzentrum Wien [www.azw.at] unter „Grünberger" (Stand: 18.V.2006).
37 Dagobert Frey: Glossen zum Krematoriumswettbewerb. In: Der Architekt, 24. Jahrgang, Wien 1921/22, S.72,79.
38 Frey 1921/22 (zit. Anm.37), S.79.
39 Hanisch, Kapfinger 1995 (zit. Anm. 8), S.253.
40 Eisler schreibt in einer kritischen Abhandlung bezüglich des neu errichteten Judenfriedhofes in Wien, in dem er alle Punkte offen legen will: „Hier sind wir wieder ‚unter uns’". Max Eisler: Der neue Judenfriedhof in Wien. In: Menorah, VI. Jahrgang, Wien 1928, (S.551-561), S.552.
41 Max Eisler: Vom Geist der Synagoge. In: Menorah, VIII. Jahrgang, Wien 1930, (S.79-86), S.86.
42 Vgl. Max Eisler: Ein moderner Tempel in Amsterdam. In: Menorah, VII. Jahrgang, Wien 1929, (S.559-567),S.566.
43 Vgl. Eisler 1930 (zit. Anm. 41), S.81-84.
44 Eisler 1929 (zit. Anm. 42), S.560.
45 Eisler 1925/26 (zit. Anm, 3), S.3.
Schlusswort
Das Projekt der Hietzinger Synagoge, mit seiner langen Vorgeschichte, ist ein für Wien einzigartiges Beispiel einer Auseinandersetzung mit Tradition und Identität. Die zahlreichen künstlerischen Lösungen und die damit verbundenen vielen theoretischen Ansätze spiegeln einen Weg und eine Suche wieder, wie kein anderes Kunstwerk dieser Zeit es wahrscheinlich besser könnte. Die siebzehn Jahre, vom ersten Wettbewerb 1912 bis zur Fertigstellung des Baus 1929, waren nicht nur auf politischer, sondern auch auf kultureller Ebene geprägt von umfassenden Veränderungen, die von vielen als Chance gesehen wurde, überkommene Werte abzulegen und eine moderne Identität zu schaffen, sich aber dabei dennoch der Traditionen bewusst zu sein. Es zeigt sich anhand dieses Beispiels der bewusste und selbstreflexive Diskurs eines Judentums, das auf vielen Ebenen einen wichtigen Beitrag zum „Projekt Moderne" leistete und sich dessen auch durchaus bewusst war. In der Verbindung dieser Moderne mit den eigenen, jahrhundertealten Traditionen sah man die Lösung für die Suche nach Identität, die so lange angedauert hatte und nun endlich an ihrem Ziel angekommen zu sein schien.
Dass dieser Zustand leider nicht lange währte, zeigen die Ereignisse der darauf folgenden Jahre. Während der so genannten „Reichskristallnacht", den Novemberpogromen des Jahres 1938, wurde auch die Hietzinger Synagoge systematisch zerstört. 1939 wurden die Reste des Gebäudes geschliffen und anschließend an dieser Stelle ein Wohnhaus errichtet, das bis heute besteht. Die Aufarbeitung dieser Ereignisse ließ lange auf sich warten. Nicht zuletzt als Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Juden in Hietzing an der dortigen Volkshochschule, entschied man sich schließlich, statt einer kleinen unscheinbaren Tafel ein angemesseneres Denkmal zu errichten. Im Jahre 2004 konnten die Arbeiten zu „Fenster im Alltag" des Künstlers Hans Kupelwieser abgeschlossen werden. Auf dem Gehsteig rund um das Grundstück, auf dem sich die Synagoge befand, erinnert nun ein gemaltes Fries an das Aussehen des zerstörten Gebäudes und eine Glasscheibe in einiger Entfernung bietet gleichsam einen „Blick in die Vergangenheit" und versucht so, dem Vergessen entgegen zu wirken. Der nicht zuletzt auch künstlerische Verlust, den Wien durch den Nationalsozialismus erlitten hat, kann aber nie wieder ungeschehen gemacht werden. Dem blühenden und fruchtbaren Diskurs wurde in Österreich ein jähes Ende gesetzt – die Gedanken aber lebten fort und konnten selbst durch die Grauen des Dritten Reiches nicht ausgelöscht werden.