Ausgabe

Die Sinagoga Major von Barcelona

Tina WALZER

Inhalt

Im Souterrain eines mittelalterlichen Gebäudes der Altstadt, des Barri Gótic, finden sich Reste der Sinagoga Major von Barcelona. Der älteste heute noch bekannte urkundliche Nachweis dieser Grossen Synagoge stammt vom 24. März 1267: König Jakob I. von Aragón gestattete Reparatur- und Vergrösserungsarbeiten an dem jüdischen Kultbau.

Im Jahr 2002 wurden die restaurierten Räumlichkeiten einer der möglicherweise ältesten Synagogen Europas als kleines Museum eröffnet. Seit 1996 waren hier archäologische Untersuchungen durchgeführt worden. Demnach liegt das Alter der Hausfundamente im 3. Jahrhundert. Es wird vermutet, dass bereits in römischer Zeit eine Synagoge im damals römischen Barcino existierte, laut Untersuchungen nahe der Stirnseite des antiken Forum Romanum gelegen. Der Zusammenhang zwischen antiker Synagoge und mittelterlichem Nachfolgebau ist nicht restlos geklärt, doch die eindrucksvollen Gemäuer, zu denen der Besucher aus dem engen Gässchen Marlet Nummer 5 im Judenviertel Call Major der katalanischen Hauptstadt hinuntersteigt, vermitteln jedenfalls den Eindruck jahrhundertelanger Präsenz. Hier befand sich also die Sinagoga Major. In derselben Strasse ist auch gleich ein weiterer Hinweis auf die jüdische Geschichte der Stadt in hebräischer Schrift zu finden, nämlich ein Stein mit der Inschrift: „Die fromme Stiftung von Samuel ha-Sardí. Möge sein Licht ewig leuchten“, welche der Armen- und Krankenversorgung diente. 

Der heute bekannteste mittelalterliche Rabbiner der Sinagoga Major war Shlomo ben Abraham ben Adrét (1235 - 1310).

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Blick über die Aussenfassade des Gebäudes links, in dessen Souterrain die Sinagoga Major liegt, in der Carrer Marlet (früher Judengasse), im Call Major des mittelalterlichen Stadtzentrums von Barcelona.

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Der Eingang zum Museum Sinagoga Major, in der Carrer Marlet Nummer 5.

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Das Hinweisschild am Eingang zur Sinagoga Major in der Carrer Marlet Nummer 5.

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Die nördliche Begrenzung des Call Major: Blick in die Carrer del Bisbe nahe der Kathedrale von Barcelona.

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Antike Fundamente, archäologische Ausgrabung, Sinagoga Major.

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Blick in den Hauptraum der Sinagoga Major mit dem Thoraschrein an der Ostwand des Raumes.

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Das prächtige Glasfenster mit dem Magen David an der Westseite der Sinagoga Major.

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Die westliche Begrenzung des Call Major: Blick von der Carrer de l` Arc de Sant Ramon in die Carrer del Call.

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Blick in die Carrer dels Banys Nous, benannt nach den jüngeren jüdischen Ritualbädern des Mittelalters, gelegen im jüngeren Judenviertel Call Minor.

 

Tatsächlich entwickelte sich spätestens im 11.  Jahrhundert ein bedeutendes Judenviertel – in Spanien Call (von lat. calle oder von hebr. kehile) genannt – in den Grenzen der heute noch vorhandenen Strassenzüge, spanisch Carrers, de  l‘Arc de Sant Ramon, del Call, Bisbe und Sant Sever. Das Tor zum Judenviertel befand sich in der heutigen Sant Doménec-Strasse. Als dieser jüdische Siedlungsbereich namens Call Major Mitte des 13. Jahrhunderts zu eng wurde, kam in unmittelbarer Nachbarschaft das jüngere Judenviertel Call Minor entlang der Banys Nous-Strasse hinzu. Dieser Strassenzug erhielt seinen Namen nach den dort befindlichen jüdischen Ritualbädern. Die mittelalterliche jüdische Gemeinde wuchs im Laufe des 14. Jahrhunderts auf rund 4.000 Menschen an und fand im Zuge heftiger Pogrome am 5. August 1391 ihr gewaltsames Ende; bald danach wurde auch das Judenviertel aufgelöst. Die jüdische Bevölkerung Barcelonas stand für die folgenden Jahrzehnte unter enormem Druck, sich taufen zu lassen, um hier zu überleben, bis es im Zuge der Reconquista 1492 zur Vertreibung der Juden aus Spanien kam. Fünfhundert Jahre später, nämlich 1992, verfügte der spanische Staat, dass Nachkommen der damals Vertriebenen die spanische Staatsbürgerschaft erhalten können. 

Heute ist die jüdische Gemeinde von Barcelona eine der grössten Spaniens, aktuelle Zeitungsberichte sprechen von 1.000 Mitgliedern.1 Eine Wiederansiedlung erfolgte tatsächlich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts; die Zuwanderung war von Flüchtlingsbewegungen geprägt: Sefarden aus Griechenland und der Türkei, Aschkenasen auf der Flucht vor der Shoa aus Mitteleuropa, Juden aus den kommunistischen Ländern Osteuropas, Sefarden aus Marokko, Flüchtlinge vor den Militärdiktaturen lateinamerikanischer Staaten und, zuletzt, Zuwanderer aus den Ex-Sowjetrepubliken und dem ehemaligen Jugoslawien suchten hier Schutz und fanden eine neue Heimat. Angesichts der Terrorattacke im Stadtzentrum am 17. August 2017 rief der damalige Gemeinderabbiner von Barcelona Meir Bar-Jen Juden allerdings dazu auf, Spanien zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Die Comunidad Israelita de Barcelona (CIB), gegründet genau vor einhundert Jahren, 1918, besteht trotzdem weiter.

Das kleine Museum in der Marlet-Strasse besteht aus zwei Räumen, die besichtigt werden können. Im ersten Raum sind die archäologisch ergrabenen Fundamentmauern aus römischer Zeit zu besichtigen, im angrenzenden Nebenraum ist eine Synagoge eingerichtet, die für Feierlichkeiten wie Hochzeiten gebucht werden kann. Neben Ritualgegenständen und Facsimiles mittelalterlicher Urkunden beeindrucken vor allem eine Thorarolle in einem Vitrinenschrank sowie das moderne Glasfenster in Form eines Davidsterns an jener Wand, hinter der sich ursprünglich eine Vorhalle zur Synagoge befunden haben soll. Eine grosse Menorah fertigte der mallorquinische Künstler Ferrán Aguiló (geb. 1957) aus Schmiedeeisen an und stiftete sie der Synagoge zur Erinnerung an seine Vorfahren. Der jüdische Friedhof von Barcelona schliesslich, ursprünglich einer der grössten Europas und vom 9. bis ins 14. Jahrhundert belegt, befand sich auf dem danach benannten Berg, der südlich von Innenstadt und Hafen liegt, Monjuïc , und ist grossteils zerstört. 2001 wurden rund fünfhundert Gräber bei Bauarbeiten dort entdeckt.2

 

Hinweis:

Adresse Synagoge und Museum „Antiga Sinagoga Major de Barcelona“:
Marlet 5, Barcelona
Tel. (+34) 93 317 07 90

Öffnungszeiten:

Montag bis Freitag von 10:30 bis 14:30 und 16:00

bis 19:00 Uhr

Samstag und Sonntag von 10:30 bis 15:00 Uhr

Website: www.calldebarcelona.org

 

Alle Fotos: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.

 

1 Jüdische Allgemeine, Nr. 22/18, 31. Mai 2018, S. 7: 

https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/31745/highlight/Pieter&Lamberts:

Pieter Lamberts, Tradition in die Zukunftsstrasse. Barcelonas Comunidad Israelita wird 100 Jahre alt und lebt zurückgezogen. Der Gemeindechef möchte das ändern und sie bekannter machen.

2 Jüdische Allgemeine, 18.01.2007, abgerufen am 10.06.2018: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/ id/3389:

Reuven Friedmann, Spanien: In Barcelona wird das jüdische Viertel restauriert – doch die Gemeinde hat nichts zu sagen.