Evelyn Adunka
Dario Calimani: Der Jude auf der Kippe. Zwischen Schoah und Antisemitismus. Der Erinnerung gerecht werden. Aus dem Italienischen von Hans Raimund. Löcker Verlag, Wien 2023, 170 S., Eu 19.80 ISBN 978-3-99098-172-6
Dario Calimani ist ein italienischer Anglist, der an den Universitäten von Cagliari, Triest und Venedig lehrte. Von 2002 bis 2006 war er Präsident der jüdischen Gemeinde von Venedig, ein Amt, das er ab 2021 wieder innehat.
Seine Grossmutter Anna und sein Grossvater Moise wurden von den Nationalsozialisten ermordet; in der Familie wurde lange nicht darüber gesprochen. Über die Lebensprinzipien seines Vaters schreibt er: „den Frieden, die moralische Redlichkeit, das Respektieren des anderen. All das, was ihm Faschismus und Nazismus verweigert hatten.“ Der Autor beschreibt das Überleben seiner Familie; er thematisiert aber auch die Mitschuld der Italiener an den Judenverfolgungen und die ambivalente Rolle der Schweiz, in die sich seine Familie retten konnte.
Die Universität war für ihn ein neutraler Ort, wo man, „ohne irgendetwas von der jüdischen Identität verbergen zu wollen“, als Mensch betrachtet und nach denselben Werten beurteilt werden möchte, „auf deren Grundlage jedes andere menschliche Wesen beurteilt wird: humanitäre Gesinnung, Korrektheit, Ehrlichkeit, Respekt vor den Rechten der anderen, Empathie für die Leiden der Menschen.“
In einem der letzten Kapitel beschreibt Calimani eine Konferenz des Goethe Instituts in Turin mit einem Vortrag des Romanisten Christoph Miething. Dieser „ist ein feiner deutscher Intellektueller“ und „ist absolut nicht als Antisemit einzustufen.“ Sein Vortrag enttäuschte ihn jedoch. Miething thematisierte sein Unbehagen als Deutscher: Er „verzerrt mit seiner Redekunst die Wahrheit der Geschichte und verweist auf die Schuld der Juden.“
Calimani hat ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt, in dem er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das jüdische Leben in Italien und das jüdische Erbe Venedigs beschreibt.
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