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Vor 50 Jahren: David gegen Goliath?

Erwin A. SCHMIDL

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Mit der Beteiligung am britisch-französischen Suez-Unternehmen 1956 hatte Israel zwar eine Stärkung seiner Position durch die Demilitarisierung des Sinai erreicht, dennoch kam es weiter zu Überfällen palästinensischer Guerillas und israelischen Gegenschlägen. Auch die Präsenz einer UN-Truppe (der 1956 geschaffenen UN Emergency Force, UNEF) im Gazastreifen und im Sinai konnte derartige Zwischenfälle nicht verhindern. 

Auf der anderen Seite etablierte Präsident Gamal Abdel Nasser (1918-70) Ägypten als Führungsmacht der arabischen Welt. Zwar zerbrach die Union mit Syrien 1961 und scheiterte die Intervention im Jemen 1963/64, doch organisierte er 1964 den ersten „all-arabischen" Gipfel in Kairo. Wenig später entstand die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). 

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Die Eroberung der Halbinsel Sinai im Zuge des Sechstagekriegs am 7.-8.6 1967. Quelle:  https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c4/1967_Six_Day_War_-_conquest_of_Sinai_7-8_June.jpg , abgerufen am 16.06.2017.

Die Eskalation 

Am 7. April 1967 kam es an der israelisch-syrischen Grenze zu einem schweren Zwischenfall; israelische Jets schossen sechs syrische MiGs ab. Nach einer sowjetischen Warnung vor israelischen Truppenkonzentrationen an der syrischen Grenze verlegte Nasser im Mai zwei Panzerdivisionen in den Sinai und forderte den Abzug der UNEF-Friedenstruppe. UN-Generalsekretär Sithu U Thant (1909-74) stimmte dem zu. Später wurde er für diesen Schritt, der den Kriegsbeginn in gewisser Weise erst möglich machte, heftig kritisiert; er rechtfertigte sich damit, dass 1956 formal nur Ägypten, nicht aber Israel, der Präsenz der UNEF zugestimmt habe. Bei den folgenden Kämpfen kamen auch 15 „Blauhelme", die sich gerade in der Phase des Abzugs befanden, ums Leben.

Am 22. Mai blockierte die ägyptische Marine die Strasse von Tiran, die Zufahrt zum Roten Meer. Am 30. Mai und 4. Juni schloss Nasser Verteidigungsbündnisse mit Jordanien und dem Irak; irakische und saudische Truppen begannen die Verlegung nach Jordanien. Es schien, als wollte Nasser einen israelischen Angriff provozieren, um im Gegenschlag den verhassten „Judenstaat" zu zerschlagen und damit „al-Nakba", die „Katastrophe" von 1948, ungeschehen zu machen. Die israelische Regierung war zunächst unsicher, wie man auf diese Entwicklung reagieren sollte. Die am 1. Juni gebildete neue „Regierung der nationalen Einheit", mit Moshe Dayan (1915-81) als Verteidigungsminister, entschied am 4. Juni einstimmig für ein präventives Vorgehen. 

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David Rubingers berühmtes Foto von  Fallschirmjägern der israelischen Verteidigungsstreitkräfte IDF bei der Klagemauer in Jerusalem, kurz nach der Eroberung. Von links nach rechts: Zion Karasenti, Yitzhak Yifat, and Haim Oshr Foto: David Rubinger. Quelle : https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/f/f0/Soldiers_Western_Wall_1967.jpg , abgerufen am 16.06.2017.

Der Krieg

Am frühen Morgen des 5. Juni griffen israelische Flugzeuge überraschend ägyptische, später auch syrische und jordanische Fliegerhorste an und zerstörten 387 Flugzeuge (90 Prozent davon am Boden) und die meisten Radarstationen bei eigenen Verlusten von nur 19 Maschinen. Damit war die israelische Luftherrschaft gesichert. Das folgende Geschehen ist bekannt: Israelische Panzertruppen stiessen rasch entlang der Mittelmeerküste und durch die Halbinsel Sinai zum Suezkanal vor, den sie am 7. Juni erreichten; Sharm-el-Sheik wurde durch eine Luftlandung genommen. In einer zweiten Operation begann in der Nacht zum 6. Juni der Angriff israelischer Fallschirmjäger auf das Zentrum von Jerusalem, während gepanzerte Verbände die Jordanier aus dem Westjordanland zurückwarfen. 

Die letzte, aber nicht minder blutige Phase der Kämpfe bildete die Besetzung der syrischen Golanhöhen durch israelische Truppen. Von hier aus waren immer wieder israelische Siedlungen beschossen worden und hatten palästinensische Guerillas ihre Überfälle gestartet. Nach heftigen Luftangriffen begann der Angriff der Golani-Brigade sowie zweier Panzer-Brigaden, die bald durch zwei weitere Brigaden aus dem Süden verstärkt wurden. Israel kam hier der Vorteil der „inneren Linie" zugute. Am Nachmittag des 9. Juni konnte Quneitra genommen werden. Damit war der Weg nach Damaskus frei. Am Abend des 10. Juni erzwangen die Sowjetunion und die USA einen Waffenstillstand. 

Die Bilanz 

Mit dem Sechs-Tage-Krieg hatte Israel unter vergleichsweise geringen Verlusten (679 Gefallene und 2.563 Verwundete gegenüber rund 8.000 Toten und 22.000 Verwundeten auf arabischer Seite) die Lage im Nahen Osten massiv verändert. Entscheidend waren die gut geplanten und präzise durchgeführten Luftangriffe (allein 1.500 Einsätze am ersten Tag), die durch eine sorgfältige nachrichtendienstliche Aufklärung ermöglicht wurden. Die Israelis beherrschten ausserdem hervorragend den Kampf der verbundenen Waffen, d.h. das Zusammenspiel der verschiedenen Waffengattungen, dazu kamen das eingespielte System der Mobilmachung und die perfekte Logistik sowie Sanitätsversorgung. 

Den arabischen Truppen mangelte es weniger an Tapferkeit, sondern an entsprechender Führung, dazu kam eine oft schematische Umsetzung der sowjetischen Vorgaben. Am besten schlugen sich noch die - nach britischen Richtlinien ausgebildeten und gut geführten - jordanischen Truppen. 

Israel hatte damit seine militärische Schlagkraft erneut unter Beweis gestellt und war durch den Präventivangriff einem gleichzeitigen Angriff der arabischen Streitkräfte (unter weit schlechteren Bedingungen als 1973) entgangen. 

Für die Palästinenser bedeutete 1967 das Ende des Traums von der Rückkehr in die 1948 verlorenen Gebiete - im Gegenteil kamen jetzt weitere Flüchtlinge aus dem Westjordanland dazu. Für die arabischen Staaten wurden die zehntausenden Flüchtlinge zunehmend zur Belastung. In Jordanien eskalierte der Konflikt zwischen PLO und Regierung nach dem israelischen Angriff auf das Flüchtlingslager von Karame (21. März 1968) als Vergeltung für einen palästinensischen Anschlag auf einen Bus mit Kindern. 1970 entging der jordanische König Hussein I. (1935-99) nur knapp einem Attentat; nach schweren Kämpfen wurden die palästinensischen Organisationen 1970/71 aus Jordanien vertrieben („Schwarzer September"). 

Versuch einer Bewertung 

1967 feierten Juden in aller Welt stolz den israelischen „triumphalen Sieg", der einen neuen Holocaust verhindert habe. Für die arabischen Staaten bedeutete dies freilich die Erkenntnis, dass Israel nicht binnen weniger Jahre von der Landkarte verschwinden würde; dazu kam die Demütigung, dass Jerusalem israelisch besetzt war und die Israelis am Suezkanal standen. 

Rolf Steininger, einer der führenden Zeithistoriker im deutschen Sprachraum, verwies auf eine Einschätzung des damaligen österreichischen Vertreters in New York, des späteren UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim (1918-2007), der schon 1967 gemeint hatte, Israel habe einen militärischen Sieg errungen, „von einer politischen Lösung seiner Existenzfrage dürfte es jedoch weiter entfernt sein denn je". Erst nach einem weiteren Krieg - dem Yom-Kippur-Krieg von 1973 - begann ein Friedensprozess, der 1979 zum Friedensschluss mit Ägypten und 1994 mit Jordanien führte. Gelöst ist die Situation im Nahen Osten freilich bis heute nicht. 

Vielfach wurde darüber diskutiert, ob dieser Krieg vermeidbar gewesen wäre. Ephraim Karsh, Emeritus des Kings College in London und Professor für Politische Wissenschaft an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, verneinte dies jüngst in einem Beitrag im Middle East Quarterly: Angesichts der Unvereinbarkeit zwischen der Akzeptanz des jüdischen Staates auf der einen und seiner Einschätzung als „temporäres Phänomen" nach Art der Kreuzfahrer-Staaten auf der anderen Seite sei diese Auseinandersetzung unvermeidlich gewesen. Eine Frage, die letztlich bis heute unbeantwortet geblieben ist.