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Cherchez la femme und der sowjetische Geheimdienst

Karl PFEIFER

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Das Ehepaar Isabella Ginor und Gideon Remez,1 das sich als Journalisten mit historischer Forschung am Truman Institut der Hebräischen Universität Jerusalem beschäftigt, hat unlängst eine akademische Schrift publiziert, die sich mehr wie ein Spionagethriller, kombiniert mit einer romantischen Novelle, liest und ein neues Licht auf eine mehr als 20 Jahre währende Debatte wirft.2 Sie haben neue Beweise freigelegt, indem sie bislang nicht entdeckten Hinweisen nachgegangen sind und indem sie die alte Regel cherchez la femme beachteten. Karl Pfeifer sprach mit Ginor und Remez in Jerusalem.

  

DAVID.: Ihre Spezialität ist die sowjetische militärische und geheimdienstliche Verstrickung im Nahen Osten, wie in Ihrem preisgekrönten Buch „Foxbats over Dimona: The Soviets' Nuclear Gamble in the Six-Day War". Warum wurde für Sie eine Familiengeschichte, die im vorrevolutionären Russland begann, interessant?

Gideon Remez: Als wir den Auftrag von Yale University Press erhielten, Foxbats zu schreiben, bat uns der Verleger, ein Vorwort über den historischen Hintergrund des sowjetischen Interesses an Israel zu verfassen. Um dies zu tun, haben wir uns mit den sowjetischen Geheimdienstoperationen während der britischen Besatzung und Mandats (1917-1948) befasst und herausgefunden, dass daran hochrangige Personen beteiligt waren, noch bevor der Nahe Osten eines der ersten Schlachtfelder des Kalten Krieges wurde. Besonders fasziniert haben uns die Behauptungen, dass Dr. Max Eitingon (1881-1943), ein früherer Student von Sigmund Freud, eine der wichtigsten Personen und finanziellen Unterstützer der psychoanalytischen Bewegung, auch ein Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes war.

Die Debatte der akademischen und literarischen Medien über dieses Thema begann 1988 und konzentrierte sich hauptsächlich auf Eitingons Aktivitäten während der zwanziger und frühen dreissiger Jahre, als er ein psychoanalytisches Institut und eine kostenfreie Klinik in Berlin stiftete und leitete.

Es gab vorausgehende Hinweise, dass seine angebliche Aktivität für die Sowjetunion weiterging, nachdem die Nazis ihn 1933 (als Juden) aus seiner Position als Arzt entfernten. Zur Überraschung von Freud und anderer seiner Kollegen emigrierte Eitingon in das entfernte und verschlafene Jerusalem, wo er wieder die ersten psychoanalytischen Institutionen gründete und finanzierte.

Haben Sie herausgefunden, dass er an beiden Orten als sowjetischer Geheimagent fungierte?

Isabella Ginor: Wir glauben, dass es eine Menge von Indizien dafür gibt. obwohl er nicht als Mörder oder Oberspion beschäftigt war, wie in extremen Versionen unterstellt, eher als einer, der Dienste, Geld und Informationen sowie sein prächtiges Haus als geheimen und sicheren Unterschlupf zur Verfügung stellte, wo man sich treffen  und bei Gelegenheit auch logieren konnte.

Was wir entdeckten, hauptsächlich über Eitingons Familienverbindungen, zeigen seine starke Motivation und mildernde Umstände für seine Tätigkeit. Zwei Hauptmotivationen wurden bisher für seine Aktionen gegeben: die enge Verbindung seiner Familie mit dem sowjetischen System. Sie hatte ein Fast-Monopol in ihren Händen für den Pelzexport aus der Sowjetunion. Das andere war ihre Verwandtschaft mit dem NKWD-General Naum (alias Leonid) Eitingon, der bekannt ist als einer der Planer von Leo Trotzkis Ermordung. Es wurde fälschlicherweise behauptet, dass er und Max Brüder gewesen wären, aber wir haben bewiesen, dass sie Cousins zweiten Grades waren und dass die in der Welt verstreuten Zweige der Familie Kontakt miteinander pflegten.

Aber unsere wichtigste Entdeckung ist die Rolle, die Dr. Eitingons Ehefrau Mirra und ihre Familie spielten. Um das zu verstehen, müssen wir uns mit ihrer Biographie befassen. Früh fanden wir heraus, dass es sich nicht lediglich um einen Fall von Spionage handelt, sondern dass  wir auf die Geschichte einer fesselnden und beeindruckenden Frau gestossen waren, die in drei dramatischen Perioden lebte - den letzten Jahren des Zarismus, der Weimarer Republik und der Zeit vor der Entstehung Israels - und die sogar in der Literatur verewigt wurde.

 

Wie kam es, dass Sie die ersten waren, die das entdeckten?

Gideon Remez: Das Vernachlässigen der Gestalt von Mirra und ihre Verzerrung, wenn sie überhaupt erwähnt wurde, zeigen beispielhaft einige chronische Fallgruben der akademischen Forschung. Es gibt ein weites psychoanalytisches Schrifttum - seit Freuds Tod rechnet man mit durchschnittlich einem erschienenen Buch pro Tag über dieses Thema. Wenn man das Schlüsselwort „Psychoanalyse" in der israelischen Nationalbibliothek anklickt, gibt es dazu ungefähr 5000 Titel.

Nachdem eine einzelne Dissertation während der 70er Jahre den vorherigen Namen und den Namen von Mirras Vaters falsch angegeben hat, haben alle folgenden Studien einfach diese Fehler kopiert - wie alle wissen, ist der sicherste Weg, um ein Plagiat zu finden, die Prüfung, ob Fehler kopiert wurden. Dies hinderte alle Forscher der Psychoanalyse, mehr über Mirra herauszufinden. Weil Freud und einige seiner männlichen Kollegen sie nicht mochten und herabsetzten, blieb das konventionelle Bild einer verwöhnten, faulen und oberflächlichen Frau.3

Als die Polemik über die mutmassliche Kollaboration von Max mit der Sowjetunion begann, hat niemand sich bemüht, den Beitrag dieser Frau zu prüfen. Später, als es zu komplett verschiedenen Schilderungen ihrer Person kam - als es auch offensichtliche Anhaltspunkte gab, dass sie eine wichtige Rolle spielte -, erschien sie im Schrifttum anderer Fachrichtungen. Der gegenwärtige Trend der engen Spezialisierung hat alle daran gehindert, die Punkte zu verbinden, damit ein Bild entsteht. 

 

Welche Fachrichtungen?

Isabella Ginor: Nun, Gideon hat nicht zufällig den Begriff eine "Rolle spielen" benützt: Eines dieser Gebiete war das Theater. Eine der herabsetzenden Bemerkungen Freuds über Mirra war, sie sei eine "Komödiantin", aber es wurde auch erwähnt, dass sie in Konstantin Stanislavszkys Moskauer Künstlertheater spielte. Stanislavszky war aber dafür bekannt, dass er von seinen Mitarbeitern höchste Leistungen verlangte.

So überprüfte ich die Vornamen der Schauspielerinnen im Künstlertheater - und da war sie. Jetzt kennen wir ihren Mädchennamen: Mirra Burovskaya, geboren 1877, in einer jüdischen Familie in der südrussischen Stadt Ekiaterinodar (jetzt Krasnodar). Es stellte sich heraus, dass ihre Karriere, obwohl kurz, eine einsame Spitze erreichte, mit einem Höhepunkt 1908, als sie die Hauptrolle in Stanislavskys grossem Erfolg, Maeterlincks "Blauer Vogel", spielte. Sie wurde so die erste jüdische Schauspielerin, der es gelang, die zaristischen Gesetze gegen Juden zu überwinden und im russischen Theaterestablishment einen Platz zu erringen. Als ihre frühe Familiengeschichte zu Tage kam, wurde auch klar, warum sie im Mittelpunkt von Eitingons Verbindung mit den Sowjets stand.

 

War sie schon vor Eitingon verheiratet?

Gideon Remez: Zweimal. Für diese Forschungsarbeit las ich das erste Mal in meinem Leben ein Buch in jiddischer Sprache, die Erinnerungen von Ossip Dymov. Nach 500 Seiten fand ich die Beschreibung von Mirra unter einem anderen Namen. Mirra war zuerst mit einem Mitglied der reichen Brodsky-Familie verheiratet gewesen und hatte ein Kind von ihm. Durch unsere Forschung erfuhren wir, dass sie ihren Sohn, Viktor, bei seinem Vater lassen musste, als sie diesen verliess. Wir wissen, dass Viktor wenigstens bis 1913 lebte und eine herzliche Verbindung mit seiner Mutter pflegte. Freud wurde erzählt, dass der Sohn von Mirra von den Bolschewiken getötet wurde. Doch jemand mit dem gleichen Namen und Geburtsort kam 1923 in die USA. Wir versuchen noch das Schicksal von Viktor zu erforschen, doch dieses hat es für sie noch schwerer gemacht, und sie war bereit, eine Menge zu tun, um ihren zweiten Sohn zu beschützen.

 

Sie glauben, dieser zweite Sohn ist der Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses?

Gideon Remez: Ja, Mirra verliess Brodsky um 1902 und heiratete den soeben verwitweten Boris Khariton, ein prominenter Journalist und Aktivist der konstitutionellen Demokratischen Partei, der Chefredakteur ihrer neuen Tageszeitung wurde und nach St. Petersburg übersiedelte. Ihr Sohn Yuli wurde dort 1904 geboren und war für die längste Zeit seines langen Lebens (bis 1996) eine geheimnisumwitterte Person. Erst während der letzten Jahre der Sowjetunion wurde enthüllt, dass er der Vater der sowjetischen Atombombe war.

Zur Gesellschaft von Boris gehörten damals führende russische und jüdische Intellektuelle. Unter anderem traf Mirra dort Ossip Dymow (Yosif Perlman), einen aufstrebenden Stern der russischen Literatur, der ihr nachweislich geholfen hat, ohne formelle Schulung, nur mit ihrer Schönheit und Talent auf die Bühne zu kommen. Von einem Stück von Dymov, in dem sie spielte, übernahm sie ihren Künstlernamen Mirra Birens  - nach der Heldin Lydia Birens, eine ledige Frau, die ausserhalb der Ehe ein Kind zur Welt bringt.

Man nahm damals an, dass Mirra und Dymow eine Affäre hatten, was vielleicht wahr war. Auf alle Fälle nahm dies ihr Ehemann Boris an, und es kam zu einem grossen Skandal, als dieser im Mai 1907 versuchte Dymow zu erschiessen. Dieser schrieb später ein Stück über diesen Vorfall, das zuerst von Max Reinhardt in Berlin auf die Bühne gebracht wurde als Nju: Eine Alltagstragödie - eine stilistische und thematische Pionierarbeit, die Aufregung auslöste und später zu einem berühmten Film wurde. Aber die zweite Ehe von Mirra war ruiniert. Sie verliess ihren Mann und Sohn und ging nach Moskau, wo ihre Karriere mit Stanislavsky den Gipfel erreichte.

 

Wie und wann geriet Max Eitingon in diese Geschichte?

Isabella Ginor: Das geschah 1909, sein Vater, der Pelzhändler Chaim Eitingon, wurde 1891 aus Moskau, mit allen Juden, die zum zweiten Rang der Innungen gehörten, ausgewiesen. Dies dürfte ein lebenslanges Trauma für den damals 11-jährigen Max gewesen sein und liess ihm das zaristische Regime sicher nicht in einem günstigen Licht erscheinen.

Vater Chaim ging zuerst mit seiner Familie nach Buczacz in Galizien, das zur k.u.k. Monarchie gehörte. Wir glauben, dass er von einem Kollegen, dem Schwiegervater des berühmtesten Sohnes der Stadt, dem Schriftsteller und Nobelpreisträger S.J. Agnon, Hilfe erhielt, dort seinen Wohnsitz zu nehmen und die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Es würde ein anderes Interview benötigen, um die komplizierte Verbindung zwischen den Agnons und den Eitingons zu schildern, aber hier ist ein andere Spur, die Max und Mirra in der Literatur hinterlassen haben: Wir fanden eine nicht publizierte Geschichte von Agnon in der Hinterlassenschaft Eitingons.

Chaim Eitingon liess sich in Leipzig nieder, wo er der "König von Brühl", dem Zentrum des Pelzhandels, und ein wichtiger Philanthrop wurde. Max hat mehrere deutsche Universitäten besucht, wo er eine Anzahl beeindruckender jüdischer Zeitgenossen aus Russland traf und besonders von den Pionierinnen unter ihnen beeindruckt war. In Zürich, wo er Medizin und dann Psychiatrie studierte, traf er Anna Smeliansky, die ihn aber abwies, weil sie wusste, dass sie durch eine Erbkrankheit belastet erblinden würde. Trotz ihrer Blindheit arbeitete sie ihr ganzes Leben als Psychoanalytikerin und praktizierte ab 1933 in Tel Aviv. Anna stellte Max ihre Freundin Mirra vor.

Mirra war zunächst nicht begeistert von Max, sie war nur bereit, ihn als Psychiater zu konsultieren, um sich vom Stress ihrer Familiengeschichte und dem Abbruch ihrer Karriere zu befreien. Er aber verliebte sich in sie, diesen "frischen Atemzug", der so verschieden war von den Frauen seiner orthodoxen Herkunft und den Ehefrauen aus Freuds Kreis, dem er sich kurz zuvor angeschlossen hatte. Als eine Lungenkrankheit Mirra nach Italien, in die Schweiz und den Schwarzwald bringt, um dort geheilt zu werden, folgt er ihr von Sanatorium zu Sanatorium, bis er endlich ihre Neigung gewinnt. Sie heirateten 1913. Max hat in der Zwischenzeit seine Praxis in Berlin eröffnet, doch als der Krieg ausbrach, meldeten sich beide zur österreichischen Armee, er als Arzt, sie als Krankenschwester, und wechselten Briefe aus verschiedenen Spitälern an der Ostfront.

 

Und nun kommt die russische Revolution und wird die Bühne für ein sowjetisches Spionage Drama?

Gideon Remez: Genau. Einer grossen Gruppe von Mitgliedern der Familie Eitingon, einige von ihnen Pelzhändler in Moskau, gelang es 1918, legal Sowjetrussland zu verlassen. Wir zeigen, dass dies nur durch die neue sowjetische Botschaft in Berlin bewerkstelligt werden konnte, deren zentrale Figur Adolf A. Joffe Freud in Wien besucht und bewundert hatte, zu einer Zeit, als Eitingon sich dort aufhielt. Die angeblichen Flüchtlinge vor sowjetischer Unterdrückung schlossen bald Millionen Dollar-Geschäfte für den Pelzexport mit Moskau ab, welche früh vom neuen Hauptsitz der Familienfirma in New York vermarktet wurden. Diese Firma hatte General Naum Eitingon auch mit Geld und Kontakten versehen, als er ankam, um Trotzkis Ermordung und ein Atomspionage-Netzwerk zu schaffen.

In der kriegsgeschädigten Weimarer Republik ermöglichten, die Dollars die Max erhielt, insbesondere während der galoppierenden Inflation 1922-23, eine Machtstellung in der Freudianischen Bewegung zu erreichen, durch die Finanzierung ihrer Aktivitäten und Verlagshäuser sowie des Instituts und der Klinik in Berlin. Das luxuriöse Haus von Max - geführt von Mirra - mit einem modischen Salon, dessen literarische und musikalischen Soireen russische Exilanten aller politischen Schattierungen anzogen, die auch oft für lange Zeit im Haus logierten, wurde zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt.

 

Wurde es vom sowjetischen Geheimdienst benützt?

Isabella Ginor: Zweifelsohne, als Teil einer Abmachung. Vom Beginn der frühen zwanziger Jahre sind zwei häufige Gäste die russische Volkssängerin Nadezhda Plevitskaya und ihr Ehemann, der frühere "weisse" General Nikolai Skoblin. Ihr Hintergrund unterschied sich so radikal von demjenigen von Max und insbesondere von Mirras, dass es schwer fällt, anders zu erklären, warum die Eitingons sie so bevorzugten. Plevitskayas Behauptung in ihrer Gerichtsverhandlung 1938 in Paris, in der sie beschuldigt wurde, an der Entführung eines anderen "weissen" Generals beteiligt zu sein, dass Eitingon sie jahrelang finanzierte, war ein Beweis gegen ihn in dieser Spionage-Kontroverse. Doch seither wurde schlüssig bewiesen, dass sie und Skoblin 1931 als sowjetische Agenten rekrutiert wurden, und dies geschah in Berlin, als sie bei den Eitingons wohnten.

In der Zwischenzeit gab es noch ein Motiv für Eitingon zur Mitarbeit an der Seite von Mirra. Boris Khariton, der oft unter dem Zar im Gefängnis war, ging es unter den Sowjets noch schlechter. Er wurde 1922 mit dem "Dampfschiff der Philosophen" ins Exil geschickt und liess sich in Litauen nieder, wo er eine Emigrantenzeitung publizierte. (1941 erwischten ihn die Sowjets und er starb auf dem Weg in den Gulag.) Seinen Sohn Yuli hatte er in der Sowjetunion gelassen und gegen alle Chancen - in Betracht seines Hintergrunds - wurde er ein ausgezeichneter Student am Leningrader physikalisch-technischem Institut.

Darüber hinaus wurde er 1926 ausgewählt, sein Doktorat im Physik-Labor von Ernest Rutherford an der Universität Cambridge zu beenden, wo schon eine aktive sowjetische Spionageabteilung operierte. Auf dem Weg dorthin und zwei Jahre später auf seinem Weg zurück wurde es ihm erlaubt, seine Mutter und seinen Stiefvater in Berlin zu besuchen. Dies und andere Beweise lassen keinen Zweifel, dass Yulis Überleben während Stalins Säuberungskampagnen und sein kontinuierliches Aufsteigen in der wissenschaftlichen und militärischen Hierarchie - trotz seines Hintergrunds, welcher in so vielen ähnlichen Fällen zur Verhaftung und Schlimmerem führte - der Mitarbeit seiner Familie geschuldet war. Es summiert sich zu einem besonders tragischen und menschlichen, wenn nicht heroischen Aspekt der Lebensgeschichte von Max und Mirra.

 

Wie setzt sich diese Mitarbeit in Palästina fort?

Gideon Remez: Da wir in unserer Forschung chronologisch vorgehen, haben wir erst angefangen, uns mit dieser Periode zu befassen. Als die Nazis Eitingon aus "seinen" psychoanalytischen Institutionen in Berlin entfernten, waren seine Kollegen total überrascht, dass er nach Jerusalem emigrierte. Max führte dies auf das Betreiben von Mirra zurück. Und obwohl er Freud mitteilte, dass seine Familie während der Depression verarmt ist, was ihm nicht mehr ermöglichte, die Bewegung zu finanzieren, hat Max genug Geld, um ein anderes luxuriöses Haus in Jerusalem zu errichten und palästinensische Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen.

Von wo kam das Geld? Als die Spionage-Polemik 1988 ausbrach, hat eine führende israelische Kommunistin erklärt, dass Eitingon "einer der unsrigen war vom ersten Tag" und dass durch Eitingon Geld an die Partei gelangte. Sie hat später ihre Version einige Mal geändert, aber ihre originale Geschichte wird durch einige Hinweise, die wir fanden, unterstützt.

Es kam auch zu einer Verbindung zwischen den Eitingons und dem Schriftsteller Arnold Zweig, der so wie die Eitingons aus Deutschland ins Heilige Land geflüchtet war. In einer anderen literarischen Spur werden Max als Dr. Manfred Jacobs und seine Frau Mirra in Zweigs letztem Buch "Traum ist teuer" porträtiert. Zweig, der nach dem Krieg nach Ostdeutschland zurückkehrte, hat nicht nur offene pro-sowjetische Aktivitäten initiiert, wie die "V-Liga", um die sowjetische Kriegsanstrengung im Zweiten Weltkrieg zu unterstützen; Max Eitingon war Präsident der Jerusalemer Filiale dieser Organisation. Zweig hatte auch einen geheimen Kontakt mit dem in Moskau ansässigen National-Komitee Freies Deutschland, um Propaganda unter den deutschen Kriegsgefangenen in Ägypten zu betreiben. Während eines Besuchs im Zweig-Archiv in Berlin letzten Herbst haben wir einen Brief gefunden, in welchem - nach dem Tod von Max 1943 - Zweig Mirra einen Vorschlag unterbreitete, einem mutmasslichem sowjetischen politischen Büro in Jerusalem Zimmer zur Verfügung zu stellen. Aber solch ein Büro wurde nie offiziell vorgeschlagen, geschweige denn etabliert; Zweig hat Mirra tatsächlich eine vertrauliche Information weitergeleitet.

 

Wie ging es Mirra als Witwe?

Isabella Ginor: Max hat nie das Haus besessen, das er in Jerusalem hat bauen lassen, und Mirra wurde bald darauf delogiert. Seit 1938 hatte sich die finanzielle Situation von Max zusehends verschlechtert. Wir können nicht sicher sein, ob die Sowjets ihn wegen seiner Enttarnung in der Gerichtsverhandlung von Plevitskaya fallen liessen oder aus anderen Gründen.

Mirra blieb als Witwe mittellos zurück und wohnte bei ihrer alten Freundin Anna Smeliansky in Tel Aviv. 1947 fuhr sie nach Paris, um für eine Schwester zu sorgen, die dort lebte, starb aber September 1947. Ein anderer Brief im Zweig-Archiv bestätigt, dass sie schon ihre Rückreise nach Palästina gebucht hatte, obwohl sie dort nichts und niemand hatte. Vielleicht hatten Max und andere Recht, die sie als eine echte Zionistin beschrieben. Möglicherweise wurde ihre Fahrkarte benützt, um ihren Sarg nach Jerusalem zu bringen, wo sie in einem der letzten Begräbnisse vor Kriegsausbruch im Dezember 1947 neben Max am Ölberg begraben wurde. Ein indirekter Weg, um mit Yuli Kontakt zu haben, war seit den 20er Jahren offen, durch eine andere Schwester von Mirra, und er wurde über den Tod seiner Mutter in Jerusalem informiert.

1 Isabella Ginor schrieb über sowjetische und russische Angelegenheiten in „Haaretz". Der Historiker Gideon Remez war Chef der Auslandsnachrichten des Israelischen Radios. Das Ehepaar hat sich auf die Rolle der sowjetischen Nachrichtendienste im arabisch-israelischen Konflikt spezialisiert. Ihr Buch „Foxbats over Dimona: The Soviets Nuclear Gamble in the Six-Day War" (Yale 2007) wurde mit der silbernen Medaille des Buch-Preises des Washington Institute for Near East Policy ausgezeichnet.

2 "Her Son, the Atomic Scientist: Mirra Birens, Yuli Khariton, and Max Eitingon's Services for the Soviets." Journal of Modern Jewish Studies, Routledge, March 2012.

3 Sigmund Freud, Max Eitingon Briefwechsel 1906-1939, Zweiter Band, Herausgegeben von Michael Schröter, edition diskord, 2004.