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Kulturökonomie als Gestaltungsprinzip einer "Geschichte der Juden in Österreich"

Klaus LOHRMANN

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Am Institut für Geschichte der Juden in Österreich sind die Vorarbeiten für eine Geschichte der Juden in Österreich im Gange. Im augenblicklichen Stadium werden grundsätzliche Überlegungen zur Gestaltung des Gesamtwerkes angestellt, deren Ergebnisse in verschiedenen Zeitschriften präsentiert werden, aber auch im Internet auf der Homepage des Instituts (http://members.nextra.at/injoest) besucht werden können. Die Homepage ist interaktiv und es können Diskussionsbeiträge geleistet werden, wozu ich alle Leser einladen möchte. Über die spezifischen Fragen, die mit einer Geschichte der Juden in Österreich verbunden sind, habe ich bereits geschrieben der Artikel ist auf der genannten Homepage abrufbar. Eine wesentliche Problematik betrifft die Darstellungsform einer Geschichte der Juden. Die Entscheidung darüber kann nur bei einer kritischen Analyse bisheriger Methoden fallen. Das wichtigste Kriterium der Kritik besteht wohl in der Beurteilung der Auswahl möglichst tiefgehender Fragestellungen; es ist demnach festzustellen, ob ältere Darstellungen überhaupt Antworten auf Fragen geben, die uns heute unter den Nägeln brennen bzw. auf Fragen, die neue Einsichten möglich machen.

Salo W. Baron hat zwei universale Ansätze in monumentalen Werken verwirklicht: Einmal ließ er sich von der jüdischen Gemeinde als zentrales Thema einer nach Zeit und Ort universal gestalteten Geschichte der Juden leiten, das andere Mal von der Sozial- und Religionsgeschichte. Beide Ansätze stehen einander sehr nahe, indem sie Rechts- und Sozialgeschichte kompakt aufeinander beziehen. Allerdings hat Baron aus dem Gemeindethema, wie die neueren Entwicklungen in der Forschung zeigen, nicht alle Konsequenzen ziehen können. Der tiefe differenzierende Blick in die jüdische Gemeinde, wie ihn etwa Michael Toch konsequent leistet, blieb ihm trotz mancher gedanklicher Ansätzte ein wenig fremd.

Ebenso sind die Möglichkeiten der integrativen Sicht des nichtjüdisch-jüdischen Verhältnisses zu nutzen, wie sie sich in der Betonung des stadtgeschichtlichen, aber auch des Landjudenaspekts ausdrücken. Herbert Fischer (Arye Maimon) und ihm bewußt folgend die Trierer Schule unter dem bestimmenden Einfluß von Alfred Haverkamp leisteten und leisten auf diesem Gebiet entscheidende Arbeit. Vom Religiösen und Kulturellen her betrachtet erfährt die Beziehungsgeschichte seit Jahren Bereicherung durch die Arbeiten von Israel Yuval und Friedrich Lotter.

In der Betonung der wechselseitigen Beeinflussung und vielleicht noch wichtiger der Beobachtung abgrezender und Eigenbewußtsein bildender Phänomene (diese Seite der Medaille kommt bei Haverkamp etwas zu kurz), wie dies in großer Differenziertheit Jakob Katz beschrieben hat, liegen weitere Chancen zu neuen Darstellungsformen zu gelangen.

Was förderte die vitalen Kräfte unter den Juden in der europäischen Diaspora, im konkreten Fall in Österreich? Waren es vielleicht gerade die eng gezogenen Grenzen für die Gestaltung der Lebensgrundlagen? Man muß sich vor originellen Antworten hüten. Eng gezogene Grenzen können Vitalität und Kreativität fördern, sind sie aber zu eng, können sie diese notwendigen Lebenstugenden auch abwürgen. Beides ist im Leben der Juden in Österreich vorgekommen.

Man sollte einmal das Denkexperiment wagen, was für Folgen es hat, wenn man die Frage nach der Bedeutung des Strebens nach persönlichem Glück bzw. den Grenzen dieses Strebens stellt. Die Suche nach diesen gedanklichen Grundlagen wird wohl die meisten Lebensbereiche berühren und Spannungen sichtbar machen. Nehmen wir nur jene Bereiche, die Gerhard Drekonja kürzlich unter dem Dachbegriff Kulturökonomie zusammengefaßt hat. Ein brillanter Denkansatz, der uns jenseits der Faktenhuberei in Einzelgebieten diese Einzelheiten aufeinander beziehen läßt und uns damit eine tiefere Sicht jüdischen Lebens für sich genommen und den notwendigerweise zu betrachtenden Beziehungen zu Nichtjuden ermöglicht.

Zur Kulturökonomie gehören z.B. Ausbildung und Erziehung im Spannungsfeld praktischer und grundlegender Bildungsinhalte. Betrachtet man diese Frage in diesem Zusammenhang fällt auf die Geschichte der Gelehrsamkeit und ihrer Krise im späten 18. Jahrhundert neues Licht. Es geht dabei nicht mehr um einen moralisierenden Bildungskatalog, sondern um eine dramatische Entwicklung der Akkulturation. Der Aufbruch der Juden in die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ist Ergebnis der Akzeptanz säkularer Bildungswerte; zugleich aber ist zu betrachten, daß die Familie in ihren vielfältigen Zusammenhängen mit allen Lebensbereichen in der bürgerlichen Gesellschaft eine ganz wesentliche strukturbildende Aufgabe hatte. Genau das brachten aber die Juden auf ihrem Weg in die bürgerliche Gesellschaft aus ihren eigenen Traditionen mit und beeinflußten damit die gesellschaftlichen Abläufe und Entwicklungen.

Drekonja hält ein Minimum von Gleichheit für eine bezeichnende Voraussetzung europäischen Erfolges im Konzert der Weltgeschichte. Juden waren zweifellos an diesem Erfiolg beteiligt. Der Aufbau der jüdischen Gesellschaft war trotz des adeligen, oligarchischen Strukturprinzips der führenden Familien von hoher Rücksichtnahme auf Gleichheit und die damit verbundenen Grenzziehungen für die Mächtigen geprägt. Voraussetzung dafür war der Spielraum für Kritik - ebenfalls eines des kulturökonomischen Elemente, die Drekonja anspricht. Die religiös-rechtliche Diskussionsbereitschaft zwischen dem Terror des bloßen Wortes und den Interpretationsspielräumen verwirklichte sich in den jüdischen Gemeinden und unterscheidet sie von den dogmatischen, diskussionsabwürgenden Methoden der katholischen Kirche, die nur einigen handverlesenen Personen das Diskussionsrecht zugesteht. Konkret führt das zu der wirtschaftsgeschichtlich hochinteressanten Frage, auf welche Weise kann und darf ich Gewinne erwirtschaften und was habe ich mit diesen Gewinnen zu tun? Die Frage nach dem Erwirtschaften der Gewinne hat viel mit den liberalen Freizonen, die im Berührungsbereich von Christen und Juden bestehen, zu tun. Vielleicht ist der gesamte europäische Liberalismus als Lebensform ein Ergebnis jüdisch-christlicher Koexistenz. Eine solche Wirtschaftsgeschichte wird ihre Darstellungsform weit ab von Zahlenketten und Produktionsstatistiken finden, sondern sie in alle anderen Lebensbereiche in erhellender Form integrieren können.

Drekonja erwähnt dann noch die Bekämpfung von Korruption. Allein die Diskussion über die Zuständigkeit des einen oder anderen jüdischen Gerichts zeigt, daß die Rechtsverhältnisse in den jüdischen Gemeinden geeignet waren, den Einfluß persönlicher Verbindungen und den damit zusammenhängenden Vorteilen zu minimieren. War der Bruder des Klägers oder Beklagten Vorsitzender oder Beisitzer des Gerichts, konnte die andere Prozeßpartei ein anderes Gericht verlangen.

Im Lichte der genannten Beispiele mag es gar nicht abstrakt erscheinen, wenn ich diesen Zugang für geeignet halte, vieles zu erklären, was routinierte, systematische Darstellungen nicht einmal als Problem erkennen können. Die kulturökonomische Analyse mit ihrer Frage nach den persönlichen und kollektiven Triebkräften ist an sich integrativ und dem "Fachidiotismus" entgegengerichtet. Im kulturökonomischen Vergleich christlicher und jüdischer Betreffe erscheint auch die vielzitierte Beziehungsgeschichte in einem neuen Licht, weil wir mit dieser Methode endlich über ein tragfähiges tertium comparationis verfügen.