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Die Juden: eine fast dreissigjährige Spurensuche
Krems ist eine besondere Stadt, das Zentrum der „deutschen Wachau“ wie es in einem Lied 1937 des Komponisten Heinrich Strecker heisst. Der Nibelungengau beschwört „hehre“ Zeiten. „Wach auf deutsche Wachau“. Krems ist die Stadt, wo der „Arierparagraph“ bei einem deutschen Turnfest im 19. Jahrhundert zum ersten Mal zur Anwendung kam, Krems ist die erste Stadt mit einem nationalsozialistischen Bürgermeister 1928, die Stadt, wo nach einem Attentat auf christlich-deutsche Turner die NSDAP in Österreich verboten wurde, Krems war das Zentrum der illegalen Bewegung und nicht zuletzt war Krems die Gauhauptstadt von Niederdonau.
Nach der Befreiung und den zehn Jahren Besatzungszeit durch die Sowjets zeigte Krems mit der Bürgerliste Dr. Wilhelm wie erfolgreich Nazis im öffentlichen Leben wieder Fuss fassen können. Kein Wunder also, dass die erste Wiedersehensfeier der Stalingradkämpfer in Krems 1959 stattfand und in diesem Zusammenhang auch das einzige Denkmal für einen General der Deutschen Wehrmacht errichtet wurde. Krems ist auch jene Stadt wo ein Bürgermeister es zu Wege brachte, zwei Mal Bürgermeister zu sein, einmal in der Nazi-Zeit und einmal in den 70er Jahren. Nach diesem Bürgermeister Dr. Max Thorwesten hat die Stadt auch ein Seniorenheim benannt. Im Alter hat dieser Politiker noch vom „grossen Baumeister Adolf Hitler“ geschwärmt. Ein Gesamtkunstwerk, wenn in Rechnung gestellt wird, dass Demenz eine Krankheit von SeniorInnen ist.
Die Darstellung einer sogenannten Judensau im Fellnerhof. Foto: R. Streibel, mit freundlicher Genehmigung.
Die christlich-germanischer Grundlage
Krems gehört aber auch zu einer der ersten Städte, wo Juden im 12. Jahrhundert sich angesiedelt hatten, Krems war für die Juden kurze Zeit bedeutender als Wien oder Wiener Neustadt. Die Geschichte des Judentums ist von Pogromen gekennzeichnet, so auch in Krems. Nach der letzten Vertreibung der Juden aus der Stadt 1670 kamen jüdische Händler nur mehr zu Wochenmärkten und erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte ein Zuzug in die Stadt. Während der bürgerlichen Revolution 1848 wurden die Juden abermals aus der Stadt vertrieben, doch die Etablierung einer jüdischen Gemeinde machte wenige Jahre später grosse Fortschritte. Auch im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gehörte der Antisemitismus zum Alltag der jüdischen Familien. Im Streit um die Errichtung einer Synagoge meinte der Gemeinderat und Rechtsanwalt Dr. Hans Stingl 1892: „Wir fussen auf christlich-germanischer Grundlage (…) Wir und meine Genossen beachten die Freiheiten des Bekenntnisses und halten diese Freiheit wie Kaiser Josef hoch (…) Gleichzeitig wehre ich mich aber entschieden dagegen, dass städtischer Grund zum Bau eines jüdischen Tempels hinangegeben werde (…) Ich bin drei Jahre in Krems und verfolge die Entwicklung der Stadt, aber eine solche Judenstadt war Krems noch nie. (…) Sie wissen ja ferner, was die religiösen Bräuche der Juden für ein Geschrei verursachen, wollen Sie nun, dass in der Ringstrasse sich dieses erhebe? (…) Ich hasse keinen Juden, aber ich sage, der Boden ist christlich-germanisch und da hat kein Jude etwas zu schaffen.“ Dass der Sohn dieses Abgeordneten, Dr. Hermann Stingl der erste Bürgermeister kurz nach dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938 war, zeigt die familiären Kontinuitäten im deutschnationalen Lager. Für den Grabstein von Dr. Hermann Stingl auf dem Friedhof in Krems hat die Familie eine Goethe-Zeile gewählt: „Aber hinter dem Wechselnden steht ein Ewiges“. Haben die Ewiggestrigen doch eine Zukunft?
Die Synagoge von Max Fleischer wurde 1894 eingeweiht. Da Krems ein besonderer Ort ist, fand das Novemberpogrom hier bereits im September 1938 statt, als die Juden der Stadt zum Gaudium von Schaulustigen gezwungen wurden, den Tempel zu räumen. Auch in den 1980er Jahren formulierte es eine angesehene Gattin eines Arztes so: „Natürlich sind wir hingegangen wie der Tempel geräumt wurde, unseren Nachbarn David Rachmuth haben sie ja auch geholt, wir wollten ein Mal sehen wie er was arbeiten muss.“ Der Tempel überlebte die NS-Zeit als Lager. Beim Bombenangriff auf Krems am 2. April 1945 wurden alle Häuser Richtung Bahnhof zerstört, die Synagoge war das erste unzerstörte Haus in der Häuserzeile. Im Jahr 1978 wurde der Tempel abgerissen, der zu spät einsetzende Aufschrei über diese Zerstörung hatte nur ein Gutes, es führte dazu, dass zumindest die Synagoge in St. Pölten restauriert wurde.
Ernst Neuners Pass mit dem eingestempelten „J“ für „Jude“ der NS-Zeit. Foto: R. Streibel, mit freundlicher Genehmigung.
Die unbemerkte „Judensau“
In den letzten fast dreissig Jahren hat der Autor dieser Zeilen versucht, gegen das Vergessen in der Stadt anzukämpfen, immerhin gibt es heute eine gläserne Gedenkstele für die Synagoge, zwei Denkmäler auf dem jüdischen Friedhof, und noch immer viele weisse Flecken. Bis zum Jahr 2018 unentdeckt und auch von der Kunstgeschichte unbeachtet blieben z.B. die „Judensau“ im sogenannten Fellnerhof, wo sich seit Jahren die Volkshochschule Krems befindet. Die „Niederösterreichischen Nachrichten“ haben die Entdeckung aufgegriffen und darüber berichtet.
„Mitten in der Stadt lebt eine „Judensau“, manchmal bestaunt oder bloss als Fabelwesen bezeichnet. Sie ist im Fellnerhof zu finden.
Das Gebäude hat sich der Bürgermeister und Handelsmann Theobald Müllner vom Italiener Johann Baptist Spazio errichten lassen. Neben dem prachtvollen Arkadenhof gibt es auch einen Saal und einen Stiegenaufgang mit Stuckaturen, wo Fabelwesen zu sehen sind.
Bei genauer Betrachtung sind hier jüdische Fratzen zu erkennen, bei genauerem Hinsehen auch ein Tier, das als „Judensau“ identifiziert werden kann.
„Seit Jahrhunderten leben wir mit diesen Fabelfiguren, und nirgends findet sich ein Hinweis. Wenige Jahre nach dem Bau des Palastes wurden die Juden im Pogrom 1670 aus der Stadt verbannt“, erläutert der Historiker Robert Streibel, der die Geschichte der Juden von Krems wieder sichtbar machen möchte.
Ein Konzept dazu hat Streibel dem Bürgermeister und dem Kulturamt vorgelegt. Auch eine Info-Tafel über das Fabelwesen sollte es geben. Ein guter Ort, um an die Pogrome des Mittelalters zu erinnern.“ (13. Juni 2018)
Weisse Flecken auch nach 70 Jahren
Weisse Flecken gibt es bis heute zu schliessen in einer Stadt, wo die Hälfte der jüdischen Gemeindemitglieder der industriellen Massenvernichtung zum Opfer gefallen ist. Das älteste Opfer war 85 Jahre und das jüngste 25. Katharina Sachs und Judith Sachs, Grossmutter und Enkelin. Es könnte sein, dass vielleicht irgendwann einmal auch eine Strasse nach diesen beiden Opfern benannt wird. Wer weiss. Die Befreiung vom Nationalsozialismus ist ja praktisch erst gestern gewesen, gerade 73 Jahre sind vergangen. Alles braucht eben seine Zeit.
Auch nach so vielen Jahren ist es immer noch möglich Geschichten von jüdischen Familien zu rekonstruieren auch wenn das bis heute nicht von allen gewünscht wird. Die Winzergenossenschaft Krems zum Beispiel will von ihrer Geschichte auch 2018 nichts wissen. Die Gründung 1938 war das Ergebnis einer „Arisierung“ des Weingutes von Paul Robitschek. Im historischen Roman „Der Wein des Vergessens“ (Residenz Verlag) haben der Autor und Bernhard Herrman eine Geschichte von Verrat und Treue, Liebe und Geschäft, Vernichtung und Verdrängung erzählt. 1938 befindet sich die Riede Sandgrube – eines der berühmtesten Weingüter der Wachau – im Besitz des jüdischen Geschäftsmanns Paul Robitschek, sein Partner ist August Rieger, Robitschek und der angebliche Baron sind Geschäftsfreunde und zugleich ein glamouröses Liebespaar. Die Denunziationen, dass Rieger der „Bettknabe des Juden“ sei, erleichtern die Arisierung jenes Besitzes, der zur Grundlage der berühmten Winzergenossenschaft Krems wird - ein Begriff für Wein und Kultur weit über die nationalen Grenzen hinaus. (Inzwischen hat die Winzergenossenschaft Krems gegenüber dem ORF einer Aufarbeitung ihrer Geschichte durch die Historikerin Dr. Brigitte Bailer-Galanda zugestimmt. Anm. d. Red.)
Zivilcourage hat einen Namen
Krems ist eine besondere Stadt und hat vieles zu bieten, Unglaubliches und viel Vergessenes. Ein bisher vollkommen Unbekannter hier Geborener heisst Ernst Neuner, er könnte zu einem Synonym für Zivilcourage werden. Ernst Neuner, geboren 1895 war das älteste von drei Kindern von Albert Neuner, der in Krems in der Schwedengasse 2 ein Modewarenhaus betrieb. Ernst war drei Mal verheiratet. Die Ehe mit Berta Kerpner, die nicht-jüdisch war, hat ihm das Leben gerettet. Gemeinsam mit seiner Ehefrau hat Ernst Neuner, der seit 1933 in Wien lebte, generalstabsmässig Verwandte und Bekannte in Theresienstadt mit Lebensmittelpaketen versorgt. Über die einzelnen Sendungen hat er penibel Buch geführt. Insgesamt finden sich 40 Personen auf seiner Liste. Am 2. November 1943 haben Ernst Neuner und seine Frau mit der Versendung begonnen, die ersten waren der 24jährige Neffe von Ernst namens Oskar Wertheimstein und seine um 2 Jahre jüngere Schwester Eva Wertheimstein. In der Liste sind auch die letzten bestätigten Sendungen vermerkt. Im Fall der Wertheimsteins wurde die letzte Sendung am 5. und 19. Juli 1944 bestätigt, trotzdem haben die Neuners auch noch bis zum 14. August 1944 Pakete geschickt.
Die insgesamt 40 Personen haben 960 Lebensmittelpakete zugeschickt bekommen. Die Versendung von Lebensmittelpaketen hat bis 9. Jänner 1945 gedauert. Das heisst in den 434 Tagen hat das Ehepaar jeden Tag im Schnitt mehr als 2 Pakete verschickt. Die Mutter von Ernst Neuner, Agnes Neuner, hat alleine 158 Lebensmittelpakete bekommen. Sie hat die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt.
Robert Streibel: geboren 1959 in Krems an der Donau, Studium der Geschichte in Wien, seit 1999 Direktor der Volkshochschule Hietzing; Forschungsprojekte zu Nationalsozialismus, Judentum und Exil sowie Gedenkaktionen zu Vertreibung und Widerstand im NS-Staat. Seine beiden dokumentarischen Romane „April in Stein“ (2015) und „Der Wein des Vergessens“ (2018) sind im Residenz Verlag erschienen.