Ausgabe

„Ich erlaube mir, eine grosse Vision zu haben“

Marianne ENIGL

Monika Sommer, Direktorin des neuen Hauses der Geschichte Österreich, im Gespräch

 

Inhalt

Die 43jährige Historikerin Monika Sommer wurde unter dreizehn Bewerbern als Gründungsdirektorin für das neue Haus der Geschichte Österreich ausgewählt. Ihre Arbeit begann im Februar 2017. Im Gespräch mit DAVID erzählt Monika Sommer von ihrer Idee, in der Neuen Burg in Wien einen Alma Rosé gewidmeten Ort einzurichten und ihn mit der Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben: Alma und Arnold Rosé“ zu eröffnen. Die neue Direktorin: „Wir sind die erste Ausstellung zum Republiks-Jubiläum, die der österreichischen Mitverantwortung an der Shoah einen fixen Platz einräumt.“

h119_34.jpg

Der Geigerin Alma Rosé ist nun in der Neuen Burg in Wien ein Erinnerungsraum gewidmet. Foto: M. Enigl, mit freundlicher Genehmigung.

 

DAVID: Was braucht ein Museum, damit es Sie fasziniert?

Sommer: Es braucht spannende Geschichten, spannende Objekte, und es braucht auch Emotion. Ein Museum muss intellektuell sein, aber auch emotional berühren.

DAVID: Ein Museum neu zu eröffnen ist etwas besonders Seltenes. Unser Gespräch findet während der hektischen letzten Auf- und Einbauten statt, was bedeutete dieses „Making of a Museum “ Ihnen als Gründungsdirektorin?

Sommer: Es ist eine ganz besondere Herzensangelegenheit und Freude. Ich bin froh, dass das Haus der Geschichte nach Jahrzehnte langen Debatten endlich eröffnet. Die Zweite Republik hat sich dieses Museum im besten Sinn des Wortes verdient. 

DAVID: Und Sie sind nach den vielen Diskussionen, bildlich ausgedrückt, einfach hineingesprungen?

Sommer: Wir springen da hinein mit der Chance, ein modernes Museum des 21. Jahrhunderts zu gründen. Es ist natürlich ein Abenteuer, dem wir uns hier als junges ambitioniertes Team mit grosser Freude stellen.

DAVID: Welche Bedeutung hat die österreichisch-jüdische Geschichte dieses Jahrhunderts in der Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“?

Sommer: Wir sind die erste Ausstellung zum Republiks-Jubiläum, die der österreichischen Mitverantwortung an der Shoah einen fixen Platz einräumt. Es wird ein Herzstück der Ausstellung sein, den Weg in die Jahre 1933/34 bis 1938 und das NS-Terrorsystem zu thematisieren – wir tun dies u.a. mit ausgewählten Widerstands-Biografien, aber auch Täter- und Täterinnenbiografien. Und: Jener Raum, der sich im Inneren der Neuen Burg vor dem Altan (dem Balkon der Neuen Burg, Anm.) befindet, wird künftig den Namen Alma Rosé-Plateau tragen. Hier starten wir mit der Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben: Alma und Arnold Rosé“.

DAVID: Das Schicksal der beiden Ausnahmegeiger Arnold Rosé und seiner Tochter Alma ist ein tief berührendes. Beide hatten die Flucht nach Grossbritannien geschafft, doch Alma ging nach Holland, um dort mit Konzerten den Lebensunterhalt zu bestreiten, ansonsten hätte der Vater seine berühmte Stradivari-Geige verkaufen müssen. Alma ist schliesslich nach Auschwitz deportiert worden. Wessen Idee war die Benennung dieses Raums nach ihr?

Sommer: Es war meine Idee. Bisher hiess er Mittleres Jagdplateau. Die Lage des Plateaus zwischen dem historisch so belasteten und kontaminierten Altan und der Sammlung alter Musikinstrumente ist prädestiniert, Alma Rosés zu gedenken. Almas Vater Arnold Rosé ist ja sofort nach dem „Anschluss“ von den Wiener Philharmonikern zwangsbeurlaubt worden und seine Tochter hat alles unternommen, um ihm das Leben im Londoner Exil zu organisieren. Im KZ Auschwitz-Birkenau konnte sie als Leiterin des Frauenorchesters vielen jüdischen Musikerinnen das Leben retten, bevor sie 1944  im KZ starb.

DAVID: Ursprünglich war geplant, auch den Altan, also den grossen Balkon, von dem aus Adolf Hitler 1938 seine „Anschluss-Rede“ hielt, in das Haus der Geschichte einzubeziehen.

Sommer: Auf dem Balkon haben wir mit der von Susan Philipsz eigens für den März 2018 konzipierten Soundinstallation „The Voices“ gestartet. Der Altan entspricht heutigen Sicherheitsauflagen nicht. Eine vor meiner Zeit erstellte Studie ergab, dass es rund 1,1 Millionen Euro kosten würde, etwa um eine Klimaschleuse einzubauen. Ursprünglich war die Investition vorgesehen, im Zug der Gesamtreduktion des Projekts wurde aber auch sie gestrichen. Man kann den Altan nicht betreten, aber man kann hinausschauen.

DAVID: Anstatt des berüchtigten Balkons wird man das Alma-Rosé-Plateau betreten.

Sommer: Es gibt in Österreich kein Holocaust-Museum. Und so sehe ich mich ganz besonders verpflichtet , dass wir uns dieses Schwerpunkts annehmen.

DAVID: Haben Sie ein Lieblingsobjekt in Ihrem Museum?

h119_36.jpg

Direktorin Sommer: „Es braucht Emotionen“. Foto Copyright: Julia Stix, mit freundlicher Genehmigung.

 

Sommer: Es ist schwierig, eines herauszuheben. Jedes Objekt gehorcht anderen Parametern. Es gibt kunsthandwerklich und historisch „sprechende“ Objekte wie den Kaiserlogenvorhang aus dem Parlament; eine ganz andere emotionale Kraft wiederum hat der Bär, der 1956/57 bei der Flucht aus Ungarn nach Österreich mitgenommen worden ist und den wir als Leihgabe bekommen haben. 

DAVID: Sie haben ja mit nichts begonnen, es gab nicht ein Objekt.

Sommer: Ich war allein. Mitte Februar 2017 habe ich begonnen, musste das Konzept, mit dem ich mich beworben hatte, weiter ausarbeiten, den Architekturwettbewerb für die Einrichtung international ausschreiben, musste ein Team aufbauen, Objekte finden. Eine tolle Chance ist es natürlich, wenn man das Team selbst zusammenstellen kann. In diesen eineinhalb Jahren ist sehr sehr viel passiert.

DAVID: Jedes Museum hat seine  Zimelien, Attraktionen. Was wird die Zimelie im Haus der Geschichte Österreich sein?

Sommer: Wir haben ein ganz zentrales Objekt der österreichischen Zeitgeschichte der Zweiten Republik – das Pferd, das von Alfred Hrdlicka und anderen als Kunstbeitrag zur Waldheim-Debatte gemacht worden ist. Es ist eine Leihgabe des Republikanischen Klubs. Vom Umfang her ist es unser grösstes, und es ist auch ein zentrales Objekt, das für eine geschichtspolitische Wende in der Zweiten Republik steht. Das Pferd steht für den Bruch im Selbstverständnis der Zweiten Republik.

DAVID: Wurde in der Vorbereitung politischer Druck auf Sie ausgeübt?

Sommer: Nein. Was die Konzeption der Ausstellung betrifft, gab es keinerlei Form von Einflussnahme.

DAVID: Gab es gesteigertes Interesse?

Sommer: Wir konnten ohne politische Intervention arbeiten.

DAVID: Es hat also niemand gemeint, wir hätten gerne ein „Make Austria great again“?

Sommer: Nein, auch das gab es nicht. Es ist mir wichtig zu sagen, dass wir die Chance haben, das Haus der Geschichte Österreich überparteilich aufzubauen. Überparteilichkeit – das ist mein Auftrag und ist mein Selbstverständnis. Es wird natürlich zu Kontroversen kommen. Vielleicht wird jemand fragen, warum das von Ihnen angesprochene Narrativ „Make Austria great again“ nicht erzählt wird. 

DAVID: Welche Kontroversen erwarten Sie?

Sommer: Über das so genannte Waldheim-Pferd wurde kürzlich nach einem Vortrag von mir schon diskutiert. Dieses Objekt löst immer noch Emotionen aus. Und das ist auch gut, denn damit werden Diskussionen geführt werden.

DAVID: Und das Pferd wird wie ein riesiger Dinosaurier im Naturhistorischen Museum mitten drinnen stehen?

Sommer: Es überragt natürlich alles. Wir haben für die Hauptausstellung 750 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Im internationalen Vergleich ist das für ein Haus der Geschichte sehr kompakt, meist bespielen solche Häuser mindestens 2.500 bis 3.000 Quadratmeter. Es wird also eine sehr dichte Ausstellung, weil es viel zu erzählen gibt. Wir haben hohe Ansprüche an uns selbst, und ebensolche Ansprüche werden an uns herangetragen. Wir sind das erste Museum mit zwei gesetzlich verankerten Gremien. Einem Wissenschaftlichen Beirat, der politisch besetzt ist und einem Publikumsforum, das laut Gesetz mehr Personen umfasst als der Publikumsbeirat des ORF. 

DAVID: Heisst das, der Wissenschaftliche Beirat ist von ÖVP, SPÖ und FPÖ nominierten Experten besetzt?

Sommer: Der Beirat ist im Sommer 2016 bestimmt worden. Der damalige SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann und der damalige ÖVP-Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner haben je zwei Mitglieder benannt, die Landeshauptleutekonferenz hat Franz Schausberger nominiert, für das Österreichische Staatsarchiv gehört Direktor Wolfgang Maderthaner dazu.

DAVID: Ich habe Ihnen aus dem Neuen Palais in Potsdam einen Folder von der dort laufenden Ausstellung „Kaiser-Dämmerung“ über den Abgang der Hohenzollern 1918 mitgebracht. Wird es in Ihrer Ausstellung eine „Habsburger-Dämmerung“ geben?

Sommer: Wir starten mit dem 12. November 1918. Der dazu gehörige Ausstellungsteil heisst „Hoch die Republik“. Die Habsburger sind natürlich Teil der österreichischen Geschichte und scheinen in Zusammenhang mit der Darstellung der Demokratie-Entwicklung seit 1848 auf. Doch unser kulturpolitischer Auftrag war, auf die 100. Wiederkehr der Ausrufung der Ersten Republik zurückzuschauen. Darüber hinaus gibt es viele Institutionen, wo man sich mit dem ehemaligen Herrscherhaus auseinandersetzen kann. Vom Sisi-Museum über die Schatzkammer bis zu Schönbrunn. Doch es gibt bislang kein Museum, das einen vielstimmigen Bogen über das jüngste österreichische Jahrhundert anbietet.

DAVID: Wie sehen Sie das Haus der Geschichte Österreich im internationalen Aufmerksamkeitswettbewerb, für den architektonische Landmarks – etwa Bilbao – als Attraktion gebaut werden?

Sommer: Ich erlaube mir, eine grosse Vision zu haben: nämlich einen Neubau für das Haus der Geschichte Österreich. Unsere gesamte Repräsentation der Zweiten Republik findet in Häusern aus der Monarchie statt. Das Parlament, das Bundeskanzleramt, die Präsidentschaftskanzlei – alles befindet sich in historischen Räumen. Wo schreibt sich die Zweite Republik auch architektonisch in das Land ein? Es wäre schön, brächte das Haus der Geschichte zweierlei zum Ausdruck: dass man historische Verantwortung dort übernimmt, wo wir Schuld auf uns geladen haben und sich gleichzeitig architektonisch die positiven Aspekte manifestieren, nämlich, dass wir eines der reichsten Länder sind.

DAVID: Gehen wir noch einmal zu Alma Rosé zurück. Wird ein persönliches Stück an sie erinnern?

Sommer: Wir freuen uns über Almas kleines Tagebuch, einen Stift und eine Notentasche, drei Objekte aus Yad Vashem, die erstmals in Österreich gezeigt werden. Es sind Objekte aus Alma Rosés Zeit im KZ Auschwitz-Birkenau. Die Rosé-Geigen werden noch gespielt, die Stradivari Arnold Rosés wurde von der Oesterreichischen Nationalbank angekauft und wird aktuell von Benjamin Schmid gespielt, Alma Rosés Guardagnini gehört dem russischen Geiger Zakhar Bron. Wir bemühen uns, dass beide Geigen wieder einmal zusammen in Österreich spielen.