Im Herbst 1999 schlug die Israelitische Kultusgemeinde Wien als Rechtsnachfolgerin          der 1941 aufgelösten St. Pöltner Kultusgemeinde Alarm: Das Dach          der Zeremonienhalle auf dem St. Pöltner jüdischen Friedhof sei          derart undicht, daß das gesamte Gebäude binnen kurzer Zeit          irreparable Schäden aufweisen würde. Die IKG bat den Direktor          des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich, Klaus          Lohrmann, um Unterstützung bei Subventionsansuchen und Spendenaufrufen.          Kurz entschlossen stellte Dr. Lohrmann Anträge an das Bundesdenkmalamt,          das Land Niederösterreich und die Stadt St. Pölten und setzte          seine Kontakte zu Sponsoren ein. Da die Außenfassade einen traurigen          Anblick abblätternder Farbe bot und die hebräische und deutsche          Inschrift beinahe unlesbar geworden war, sollte gleichzeitig eine Gesamtrenovierung          der Außenfassade durchgeführt werden. Außer den öffentlichen          Stellen ermöglichten der Fachverband der Banken und Bankiers, die          Wirtschaftskammer Niederösterreich, die Diözese St. Pölten,          die Möbelfirma Leiner und eine Gruppe von Computerfirmen diese äußere          Generalrenovierung. 
 Glücklicherweise gelang es mir, die Inschrift auf der straßenseitigen          Fassade zu rekonstruieren, und sie wurde von den Mitarbeitern des Malerbetriebes          Gradinger vorbildlich renoviert. "Die Geborenen zum Tod und die Toten          zum Leben" und deutsch: "Die geboren wurden, derer harret der          Tod, und die da sterben, sie erwarten das Leben" mahnt eindringlich          an die Bestimmung aller Menschen und die Hoffnung auf die Auferstehung.          
 Über Planung und Errichtung der Zeremonienhalle ist nicht viel bekannt.          Bereits neun Jahre nach dem Zuzug der ersten Juden nach St. Pölten,          1859, wurde auf dem heutigen Pernerstorfer Platz der erste jüdische          Friedhof mit einer Zeremonienhalle angelegt. Bis dahin waren die Verstorbenen          in Krems bestattet worden. Es ist anzunehmen, daß sich bereits in          diesem Jahr auch eine Chewra Kadischa konstituierte, behördlich erfaßt          wurde sie jedoch erst 1894. Die Chewra Kadischa war allerdings nur Verwalter          des israelitischen Friedhofs, er befand sich als Liegenschaft im Eigentum          der Kultusgemeinde. 1904 veranlaßte die Stadtgemeinde aus nicht          näher bekannten Gründen die Sperrung des Friedhofs am Pernerstorfer          Platz und teilte das nördlich an den kommunalen Friedhof anschließende          Areal in der Karlstettnerstraße der Kultusgemeinde als Begräbnisplatz          zu. Die Zeremonienhalle am alten Friedhof trug die Kultusgemeinde ab und          beauftragte 1905 den St. Pöltner Baumeister Rudolf Wondracek sen.,          der sich in der Stadt durch bedeutende Bauwerke verdient gemacht hatte,          mit der Errichtung einer Zeremonienhalle auf dem neuen Friedhof. Eine          der beiden Tafeln im Innenraum gibt an, daß "Im Jahre 1905/06          dieser Friedhof von der israelitischen Kultusgemeinde erbaut und der Chewra          Kadischa am 6. Mai 1906 zur Benützung übergeben" wurde.          Kultusvorsteher war damals Karl Frank, sein Stellvertreter Samuel Mandl.          Die zweite Tafel bestätigt: "Dieser Friedhof mit Ceremonienhaus          wurde am 6. Mai 1906 von der Chewra Kadischa St. Pölten übernommen."          Ihr Vorsteher war Siegfried Schwarz, sein Stellvertreter Karl Frank und          Kassier der spätere Kultusvorsteher Albert Leicht. Die Breitseite          der Halle zieren Medaillons mit einem Vers in deutscher Sprache aus dem          Buch Hiob und einem hebräischen Totengebet. 
 Nach dem "Anschluß" zerstörten und verschleppten          St. Pöltner Nationalsozialisten die Grabsteine auf dem alten Friedhof          am Pernersdorfer Platz. Der Rest wurde von der städtischen Leichenbestattung          übernommen, der Verbleib dieser Steine, die ja ewiges Eigentum der          Toten sind, ist unbekannt. Auf dem Grundstück wurde eine Baracke          errichtet, die als Kindergarten Verwendung fand. Heute ist das Areal unbebaut,          und ein Gedenkstein erinnert an seine frühere Funktion.
 Auf dem neuen Friedhof zerstörten die Nazis 1938 einen Teil der Grabsteine.          1943 wurde der Friedhof ein weiteres Mal geschändet, Grabsteine wurden          zerstört und umgeworfen.
 Weitere Schäden an Grabsteinen und an der Friedhofsmauer brachten          die Kriegsereignisse von 1945. 1951 wurden die Grabsteine am neuen Friedhof          auf Kosten der Stadt wieder aufgerichtet, diese allerdings einige Jahre          später bei der Rückstellung an die IKG Wien rückverrechnet.          Da nach dem Krieg nur wenige St. Pöltner Juden zurückkehrten,          verwahrloste der Friedhof, wie die vielen anderen in Österreich,          weitgehend. Im Herbst 1996 führte der Verein "Schalom"          grundlegende Renovierungsarbeiten durch. Die Landeshauptstadt St. Pölten          erklärte sich zwar zu mehrmals im Jahr anfallenden Gartenarbeiten          bereit, doch im Sommer klagen die wenigen Besucher, daß sie wegen          des hohen Graswuchses nicht an die Gräber ihrer Lieben herankommen          können. Auch manche größere Grabsteine drohen umzustürzen.          Die Deckplatte des Massengrabes von 223 Anfang Mai 1945 in Ybbs-Persenbeug          ermordeten ungarischen Juden bedarf ebenfalls dringend einer Restaurierung.
Feierliches Gedenken
Zum Festakt anläßlich der Renovierung der Zeremonienhalle          am 8. November 2000 waren zu unserer freudigen Überraschung über          80 Menschen erschienen, die der kleine Raum kaum zu fassen vermochte,          darunter Bezirkshauptmann Josef Sodar, Nationalrätin Heidemarie Onodi          und Vizebürgermeister Fred Brader. Auch das Medienecho war erfreulich          stark. Den erkrankten Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin          Pröll, vertrat Landesrat Wolfgang Sobotka, der, wie auch alle nachfolgenden          Redner, das Datum mit dem Gedenken an die sog. "Reichskristallnacht"          und die Opfer der Shoa in Verbindung brachte. Er nahm den schäbigen          Zustand des Innenraums - das schadhafte Dach hat große Wasserflecken          und das Abblättern der Farbe verursacht - zum Anlaß, über          den prächtigen Zustand der äußeren Fassade und die Verwahrlosung          des Inneren im metaphorischen Sinn -wie geht Österreich mit seiner          Vergangenheit um?- nachzudenken. Erst eine Stunde davor hatte der ehemalige          Dompfarrer von St. Pölten, Prälat Oppolzer, auf eine Bemerkung          Dr. Lohrmanns, daß wir nun Sponsoren für die Renovierung des          Innenraums suchten, spontan beinahe die Hälfte der Kosten zugesagt.          Finanzlandesrat Sobotka stellte nun ebenfalls die Hilfe des Landes in          Aussicht, schlug aber vor, nicht alle "Flecken zu übertünchen",          sondern als Mahnung und Gedenken eine kleine Stelle unbeschönigt          zu lassen.
 Auch Bürgermeister Willi Gruber schloß sich dem Gedenken an          die einstmals blühende jüdische Gemeinde St. Pöltens an,          und strich die Bedeutung der Forschungen hervor, die das Institut in den          letzten Jahren für die Geschichte der Stadt und der Region geleistet          hatte. Der Amtsdirektor der IKG, Avshalom Hodik, brachte die Bedeutung          von Grabstein, Friedhof, Trauerbräuchen und Totengedenken in der          jüdischen Religion nahe und betonte, dass der Angst vor dem Tod und          seinem Verdrängen, wie es für unsere säkulare Kultur typisch          ist, durch den Glauben an die Auferstehung und die Hoffnung auf ein Wiedersehen          begegnet werden kann. Er brachte den tiefen Dank der jüdischen Gemeinde          für die Sorge um jüdische Totenstätten zum Ausdruck, um          die sich die heute in Österreich lebenden Juden als Folge der Shoa          zu ihrem großen Schmerz nur ungenügend kümmern können.          Umrahmt wurde die Feier von Ernest Blochs "Nigun", dargebracht          von dem jungen St. Pöltner Geiger Philipp Kloimstein.