Vor einigen Wochen durfte ich Billy Wilder in Los Angeles die Ehrenbürgerschaft          der Stadt Wien überreichen. Wilder, dem wir von "Some like it          hot" bis "Extrablatt" eine Reihe der grossartigsten Filme,          die je gedreht wurden, verdanken, verbindet mit vielen anderen Grossen          aus Kunst und Kultur des nun schon vorigen Jahrhunderts auch eines: seine          österreichischen
 Wurzeln und die Emigration vor dem Terror des Nationalsozialismus in die          Vereinigten Staaten. Eine ganze Generation jüdischer Bürger          wurde in der Zeit der "Gottesfinsternis" ermordet oder vertrieben,          darunter viele Künstler. Die Überlebenden unter ihnen haben          die österreichische Kulturgeschichte im Exil fortgeschrieben. 
 Österreich und auch die Stadt Wien haben in den Nachkriegsjahren          lange, zu lange, gezögert, sich um diese Menschen und ihre Werke          anzunehmen, sie zu ihren Lebzeiten zur Heimkehr einzuladen, sich später          um ihre Nachlässe zu bemühen. Um so mehr war es mir ein großes          Anliegen, die Rückholung aus dem Exil als politisches und kulturelles          Ziel zu formulieren und die entsprechenden Schritte zu setzen, um den          Kulturbruch, den NS-Terror, Exil und Krieg hinterlassen haben, wie immer          auch notdürftig zu überbrücken. Wir schulden das sowohl          den vertriebenen Künstlern, die im Exil lebe mussten und zu einem          großen Teil auch schon dort gestorben sind, aber auch unserer Jugend,          der wir diese verloren gewesene Welt, wenn auch unvollkommen, wenn auch          brüchig, so doch zugänglich machen wollen. Alfred Polgar, auch          ein Emigrant, hat einmal gesagt, als solcher habe er nicht zwei Heimaten,          sondern zwei Fremden. Wenn es uns gelingt, zumindest einigen noch lebenden          Künstlern, die Österreich als ihre Heimat verloren haben, das          Gefühl zu geben, hier doch wieder ein wenig zu Hause zu sein, hier          zumindest bruchstückweise an das anschließen zu können,          was sie als ihre Kindheitserinnerungen mitgenommen haben und wenn es gelingt,          unserer Jugend jene Periode österreichischer Kultur nahe zu bringen,          die ihre Kontinuität nur weit außerhalb der Landesgrenzen finden          konnte, haben wir viel gewonnen.
 Es war die erste Aufgabe und -nach wesentlicher Vorarbeit durch meine          Vorgängerin- eines der schönsten Ergebnisse meiner bisherigen          Tätigkeit als Kulturstadtrat, den Nachlass Arnold Schönbergs          für Wien zu sichern. Eine Reihe von Städten, darunter Berlin,          standen im internationalen Wettbewerb um dieses wertvolle Kulturgut. Die          Familie Schönberg hat sich schließlich für Wien entschieden.          Dabei galt und gilt es, Schönbergs wertvollen Nachlass nicht nur          zu archivieren und zu pflegen, sondern ihn zum Mittelpunkt einer kulturellen          Einrichtung im Dienste des Komponisten und der Musik des 20.
 Jahrhunderts zu machen. 
 Mit dem Alexander Zemlinsky-Fonds und der Ernst Krenek-Stiftung gelang          es, das Schaffen von zwei weiteren großen Komponisten und Exilösterreichern          für ihre Heimatstadt zu sichern. Die Ernst Krenek-Stiftung leistet          heute grossartige Arbeit in der Initiative der wissenschaftlichen Auseinandersetzung          mit dem Werk Kreneks und um die praktische Begegnung des Publikums mit          seinem Schaffen. 
 Mit der Friedrich Kiesler-Stiftung ist es gelungen, Wien das Werk eines          gleichermaßen unorthodoxen wie wegweisenden Architekten zu sichern,          eigentlich eines universellen Künstlers, dessen Kreationen weit in          die Zukunft weisen. Für die Wiener Stadt- und Landesbibliothek konnte          auch ein umfangreiches nachgelassenes Konvolut von Max Reinhardt erworben          werden, das die Auseinandersetzung mit dem Leben und Schaffen des Theatermagiers          in seiner Heimatstadt möglich macht. Nicht zu vergessen ist auch          die engagierte Arbeit von Primavera Gruber mit dem Orpheus Trust, der          von der Stadt Wien unterstützt wird. Fritz Spielmanns Hinterlassenschaft          - wir kennen von ihm so viele Lieder, oft ohne zu wissen, dass sie von          ihm sind - wurde auf diesem Weg wieder für Wien gewonnen. Über          die Toten soll man aber jene nicht vergessen, denen wir heute noch als          Lebende begegnen können. Jakov Lind und Fred Morton etwa kommen immer          wieder nach Wien, haben hier doch wieder künstlerische und menschliche          Anknüpfungspunkte gefunden, der vielfach Oscar-gekrönte Produzent          Eric Pleskow konnte für die Präsidentschaft der Viennale gewonnen          werden und eine ganze Reihe weiterer exilierter Wissenschaftler und Künstler          wurden mit Auszeichnungen der Stadt geehrt: darunter Jakob Allerhand und          Erich Chargaff, der in Wien wieder heimisch gewordene Georg Chaimovicz          und Inge Morath, die in der Kunsthalle im Museumsquartier ausgestellt          hat, Lucie und Paul Peter Porges, deren Schaffen das Jüdische Museum          präsentierte, der Musiker Norbert Brainin, der Germanist Harry Zohn          und der Kulturwissenschaftler Carl E. Schorske, der das Wien der Jahrhundertwende          um 1900 in denkwürdiger Weise in seinem Buch beleuchtet hat. 
 Die Einladung an die Vertriebenen der Nazi-Diktatur, der Versuch, verlorenes          Kulturgut wieder für Wien zu gewinnen, kann nur aus einer Position          der ernsthaften Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, der Klärung          und Bewußtmachung begangenen Unrechts erfolgen. Mit der Errichtung          des Mahnmals auf dem Judenplatz und der Gestaltung dieses Platzes und          seines historischen Erbes - von den mittelalterlichen Ausgrabungen bis          zum Misrachi-Haus - zu einem Ort des Gedenkens und der Begegnung mit dem          jüdischen Gestern und Heute ist sicherlich ein wichtiger Schritt          in diese Richtung gelungen.
 Dieser Platz ist ein Zeichen: sowohl für das Bewusstsein um die ungeheure          Schuld der Vergangenheit wie auch für den Willen zu einer Zukunft,          in der solches nie wieder möglich sein soll. Diesem Symbol müssen          aber auch konkrete Taten in anderen Bereichen zur Seite gestellt werden.          Dazu zählt ganz wesentlich die Rückgabe von unrechtmäßigen          oder bedenklichen Erwerbungen aus den Sammlungen der Stadt Wien. Mit dem          Gemeinderatsbeschluss vom April 1999 hat sich auf meine Initiative die          Stadt Wien verpflichtet, jene Kunst- und Kulturgegenstände aus den          Museen, Bibliotheken, Archiven und sonstigen Sammlungen der Stadt Wien          an die ursprüngliche Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger          zurückzugeben, die aufgrund der historischen Ereignisse von 1938          bis 1945 oder auch in den Nachkriegsjahren unter nicht rechtmäßigen          Bedingungen erworben wurden. Ich habe mich hier immer wieder für          eine Rückgabe ohne "Wenn und aber", ausschließlich          den Empfehlungen einer unabhängigen Kommission verpflichtet, eingesetzt.          Rund eineinhalb Jahre nach dem Beschluss des Gemeinderates haben sich          im Historischen Museum der Stadt Wien bereits über 100 Sammlungen          heraus kristallisiert, die einer genauen Prüfung unterzogen werden,          sind auch bereits eine ganze Reihe von Kunstgegenständen restituiert          worden. In der Stadt- und Landesbibliothek konnten sogar die Recherchen          der -freilich bei weitem nicht so umfangreichen- Erwerbungen dieser Ära          abgeschlossen werden, die abschließenden Berichte an die Kommission          sind in Ausarbeitung.
 Rückholung und Rückgabe ergänzen einander. Wir können          unsere Kulturgeschichte nur für uns -soweit überhaupt noch möglich-zurückgewinnen,          wenn wir auf dem Fundament der Wahrheit und Klarheit stehen und uns damit          auch von Werten trennen, deren Besitz das begangene Unrecht fortschreiben          würde. Wenn wir heute wieder Schönberg oder Reinhardt, Krenek          oder Kiesler in unserer Stadt in ihren Werken begegnen können, so          ist damit ebenso ein Neubeginn im Umgang mit der Vergangenheit gesetzt          wie im Bemühen darum, dass wir unsere Museen in der Sicherheit besuchen          können, keinen Kunstwerken zu begegnen, deren Herkunft Zweifel bezüglich          der Rechtmäßigkeit aufkommen lässt. Beides ist eine Basis          für eine Gesellschaft, die in der Gestaltung der Zukunft auch den          Blick zurück nicht scheut, weil sie doch ihre Schlüsse gezogen          hat. "In meiner Erfahrung wiederholt sich nicht die Geschichte. Die          Fehler, die wir machen, wiederholen sich" hat Simon Wiesenthal gesagt.          Es besteht die Hoffnung, dass diese Generation, bei allen Problemen, die          es gibt, die Fehler nicht mehr wiederholt, die sie aus der Geschichte          kennt.