Vom 18. Februar bis 30. März 2000 fand im traditionsreichen Bellaria Kino in Wien eine Retrospektive des Filmarchiv Austria statt. Unter dem Titel "Unerwünschtes Kino. Der deutschsprachige Emigrantenfilm 1934 - 1937" wurden Filme präsentiert, die von jüdischen Emigrantinnen und Emigranten in Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei geschaffen wurden.
Noch im März 1933 gelangte die Filmlandschaft Deutschlands unter nationalsozialistische Kontrolle. Sechs Tage nach der Gründung des Propagandaministeriums, wurde am 17.März eine eigene Filmabteilung innerhalb dieses Ministeriums geschaffen. Im Juni kam es zur Novellierung der Filmkontingentordnung: Ein Film konnte demnach nur mehr als "deutsch" anerkannt werden, wenn alle Mitwirkenden "Deutsche" - nach nationalsozialistischem Terminus "Arier" - waren. Personen jüdischer Abstammung wurden automatisch als Ausländer eingestuft und mussten eine Arbeitserlaubnis beantragen.
Als einziges Land mit einer größeren          und deutschsprachigen Filmproduktion war Österreich ein bevorzugter          Fluchtort. Seit 1926 gab es zwischen beiden Staaten eine freie Einfuhr          von Filmen - ab 1933 wurde dieser Zustand allerdings brüchig. Deutsche          Stellen legten österreichischen Produzenten klar, welche Filme nach          Deutschland gelangen durften. Im März 1934 erklärte sich der          Verband der Filmindustriellen Berlin bereit, österreichische Kollegen          "zur Vorbeugung künftiger Einfuhr- und Zensurschwierigkeiten          zu beraten." Obwohl es in Österreich keinen "Arierparagraphen"          gab, wurden ab 1935 alle Gespräche im Sinne der Nationalsozialisten          geführt. Es entfiel zwar der Nachweis einer deutschen Staatsbürgerschaft,          aber "arische Abstammung" mußte nachgewiesen werden. Wenige          Ausnahmen wurden erlaubt: bei Künstlerinnen und Künstlern, die          nach Diktion der Nürnberger Gesetze "Halb- oder Vierteljuden"          waren, aber auch bei "arischen" Filmschaffenden, die mit einer          Jüdin/einem Juden verheiratet waren. Hier finden sich Namen wie Henny          Porten, Leo Slezak, Heinz Rühmann und Hans Moser.
 Trotzdem schien Österreich ein - noch - sicheres Exilland zu sein,          wo Emigranten unabhängige Produktionsfirmen gründeten, wie zum          Beispiel Rudi Loewenthal, Erich Morawsky und Fritz Schulz (die beiden          Erstgenannten stammten aus Berlin) ihre Wien-Film KG, Morawsky & Co.          (die Eintragung ins Handelsregister lautete allerdings Wiener-Film KG,          Morawsky & Co). Mit Salto in die Seligkeit (1934, Regie: Fritz Schulz)          produzierten sie den ersten von Nazideutschland unabhängigen Spielfilm.          Doch ein Jahr später, nach Letzte Liebe (Regie: Fritz Schulz), wurde          die Produktionstätigkeit eingestellt, obwohl die Wiener-Film weiter          bestehen blieb. Mit Der Pfarrer von Kirchfeld schufen Jakob und Luise          Fleck 1937 den letzten unabhängigen österreichischen Film. Seine          Vorführungen führten zu starken Protesten aus der rechten Ecke.          Kinobetreiber, die den Film programmiert hatten, erhielten anonyme Drohungen.          Dennoch wurde er ein Publikumserfolg.
Provisorische Zuflucht
Bereits im Jahre 1912 wurde in Ungarn das erste Studio, Hunnia, fertiggestellt.          Zu den bekanntesten Filmregisseuren zählten Mihály Kertész          (der in den USA als Michael Curtiz den unsterblichen Klassiker Casablanca          schuf) und Sándor Korda (später: Alexander Korda). Die Räteregierung          unter Béla Kun verstaatlichte alle drei Branchen der Filmindustrie:          Produktion, Vertrieb und Kinos. Nach dem Sturz der Räterepublik (Herbst          1919) kam es zu ersten Maßnahmen gegen jüdische Filmschaffende.          Durch eine Verordnung aus dem Jahre 1920 wurden alle jüdischen Kinobesitzer          aus der Branche ausgeschlossen. Erst drei Jahre später wurde diese          Vorlage modifiziert: Die Verjagten durften in ihren Beruf zurückkehren.          
 Schon in den frühen 30er Jahren war das staatseigene Hunnia-Studio          Anziehungspunkt für ausländische Produzenten. 1935 drehte Stefan          (István) Székely Ball im Savoy mit einem Star des unabhängigen          Films: Hans Jaray (1906 - 1990). Vom 1934 bis 1937 wirkte Hans Jaray in          sieben unabhängigen Produktionen mit. Seine letzte Rolle was die          des Pfarrers Hell in der Anzengruber Verfilmung Der Pfarrer von Kirchfeld          (1937). Am 14. März 1938 emigrierte er nach Zürich, dann im          Mai desselben Jahres nach Paris und schließlich nach New York. In          den Jahren des Exils machten schwere Depressionen eine Arbeit unmöglich.          Erst nach der Rückkehr nach Wien 1948 war wieder an eine künstlerische          Tätigkeit zu denken.
 Im Jahre 1937 spielte Otto Wallburg in Béla Gaáls Lustspiel          Bubi (Österreich/Ungarn) mit. Otto Wallburg, 1889 als Otto Maximilian          Wasserzug in Berlin geboren, galt als einer der Starkomiker des deutschen          Films. Als "liebenswerter Dicker" trat er in zahlreichen Klassikern,          wie Der Kongreß tanzt (Deutschland 1931), auf. Im Frühjahr          1934 emigrierte er nach Österreich, wo er in einigen ungarisch-österreichischen          Produktionen mitwirkte. Als aber immer weniger Engagements in Aussicht          waren, floh Otto Wallburg nach Holland, wo er ab 1943 im Untergrund lebte.          Nach einer Denunziation wurde er verhaftet, in das Lager Westerbork gesteckt          und von dort nach Auschwitz deportiert, wo er Ende Oktober 1944 ermordet          wurde.
Die Ereignisse des Februar 1934 in Österreich führten dazu,          daß Prag und Brünn - Städte mit einem regen deutschsprachigen          Kulturleben - Anlaufstelle für politische Flüchtlinge aus Österreich          wurden. Die "grüne Grenze" zwischen den beiden Ländern          erleichterte die Einreise ohne gültige Papiere.
 Die Unterzeichnung des Münchner Abkommens im Jahre 1938 und die Kapitulation          des Präsidenten Eduard Benes brachte dem von Tomás Garrigue          Masaryk geschaffenen demokratischen Staat ein jähes Ende. Xenophobie          und Nationalismus zeigten sich nun stärker, auch die Filmbranche          war davon betroffen. Bereits am 12. Oktober 1938 - wenige Tage nach dem          Münchner Abkommen - gab es Aufrufe, die tschechoslowakische Filmindustrie          von "Schmarotzern, die mit dem tschechoslowakischen Volk nichts zu          tun hätten" zu säubern. Jüdische Filmunternehmer wurden          zwar nicht direkt angesprochen, doch die Botschaft lag auf der Hand. Am          3. März 1939 mußten alle jüdischen Mitglieder aus der          Tschechoslowakischen Filmunion austreten. Nur 13 Tage später besetzten          deutsche Truppen die Tschechoslowakei, und das Reichsprotektorat Böhmen          und Mähren wurde proklamiert. Am 21. Juni wurden die Nürnberger          Gesetze eingeführt. Im August war allen jüdischen Bürgerinnen          und Bürgern der Kinobesuch in Böhmen und Mähren verboten.          Die Slowakei wurde unter Führung von Josef Tiso ein selbständiger          Vasallenstaat Deutschlands.
 Im Jahre 1933 mußte das Ehepaar Luise und Jakob Fleck - beide waren          in der Regie tätig - Deutschland verlassen und emigrierte nach Wien.          Von dort aus drehten sie 1935 in der Tschechoslowakei zwei Filme: Csárdás          und Der Wilderer vom Egerland. Zwei Jahre später konnte das Ehepaar          in Österreich filmen. Nach dem "Anschluß" wurden          beide in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald interniert. Dank          der Hilfe des emigrierten Regisseurs William Dieterle glückte ihnen          aber die Flucht, und um die Jahreswende 1939/1940 flohen sie nach Shanghai.          Der Ausbruch des Pazifikkrieges bedeutete für sie, wie für die          vielen anderen Flüchtlinge, Arbeitsverbot und somit ein Leben in          größter Not. Obwohl das Ehepaar Fleck 1947 wieder nach Österreich          zurückkehrte, war für beide ein Wiedereinstieg in die Filmindustrie          nicht mehr möglich.
"Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben..."
Weitere tragische Einzelschicksale verbergen sich hinter den Namen der          Künstlerinnen und Künstler, die im Programm der Retrospektive          des Filmarchiv Austria aufscheinen.
 Kurt Gerron (1897 - 1944) führte Regie in der musikalischen Verwechslungskomödie          Bretter, die die Welt bedeuten (Österreich 1935). Seine berühmteste          Leinwandrolle war wohl die des Varietédirektors Kiepert in Josef          von Sternbergs Der Blaue Engel (Deutschland 1930). Am 1. April 1933 -          am Tag des sogenannten "Judenboykotts" - betrat ein Aufnahmeleiter          während Dreharbeiten von Kurt Gerron das Filmstudio und schrie: "Alle          Juden verlassen das Studio!" Noch im selben Monat emigrierte Kurt          Gerron nach Paris, wo es ihm gelang, zwei Filme zu realisieren. Über          Österreich kam er im Oktober 1935 nach Holland. Nach dem Überfall          der Niederlande durch die Deutsche Wehrmacht leitete er das jüdische          Theater Joodsche Schouwburg in Amsterdam. Im September 1943 wurde er verhaftet          und über das Lager Westerbork in das Konzentrationslager Theresienstadt          deportiert. Dort drehte er den NS-Propagandastreifen Der Führer schenkt          den Juden eine Stadt. Die Hoffnung, durch diese Arbeit sein Leben, seine          Familie und Mitwirkende zu retten, ging nicht in Erfüllung. Wie alle          anderen am Film Beteiligten wurde Kurt Gerron im Herbst 1944 nach Auschwitz          deportiert und ermordet.
 Zunächst gefeiert und dann verjagt wurde auch Joseph Schmidt (1904          - 1942). Schon als Kind fiel der in Davideny nahe Czernowitz Geborene          durch eine hervorragende Stimme auf. Mitte der 20er Jahre kam er nach          Berlin, wo er auf der Bühne und später auch im Kino Karriere          machen sollte. Im Film Ein Lied geht um die Welt (Deutschland 1933) gelang          Joseph Schmidt der endgültige Durchbruch. Ein Jahr später drehte          Regisseur Richard Oswald in London das Remake My Song goes around the          World. Auch Ein Stern fällt vom Himmel (Österreich 1934, Regie:          Max Neufeld) - wurde in England unter dem Titel A Star fell from Heaven          1936 wiederverfilmt. In seinem letzten Film Heut' ist der schönste          Tag in meinem Leben (Österreich 1936) konnte Joseph Schmidt sein          wohl schönstes Lied vortragen: "Es wird im Leben dir mehr genommen          als gegeben". Nach der Annexion Österreichs 1938 floh er nach          Frankreich und weiter in die Schweiz. Völlig verarmt starb er - erst          38 Jahre alt - in einem Internierungslager bei Zürich am 16. November          1942 an Herzversagen.
 Als im Jahre 1947, auf Wunsch der Mutter des Verstorbenen, ein Rechtsanwalt          die Hinterlassenschaft Joseph Schmidts sichtete, fand er bloß einen          Koffer mit vergilbten Hemden und verschimmelten Schuhen, einen Siegelring          und eine 
 goldene Uhr, die der einst gefeierte Tenor als Anerkennung von einer Plattenfirma          erhielt. 

Zur Retrospektive erschien eine umfangreiche Publikation mit Essays zur          unabhängigen Filmproduktion in Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei,          mit ausführlichen Filmbeschreibungen samt Porträts der wichtigsten          Filmschaffenden: Armin Loacker/Martin Prucha (Hrsg.), Unerwünschtes          Kino. Der deutschsprachige Emigrantenfilm 1934 - 1937. Filmarchiv Austria,          Wien 2000 
 (ISBN 3-901932-06-02). Sie ist im Filmarchiv Austria (Obere Augartenstraße          1, 1020 Wien, Tel.: 216 13 00) oder im gut sortierten Buchhandel erhältlich.