Ausgabe

DIE ARBEITSWEISE DER DENUNZIANTEN DES NACHRICHTENREFERATES DER WIENER GESTAPOLEITSTELLE AM BEISPIEL DREIER BIOGRAPHIEN

Diana Carmen ALBU

Content

Teil II:

Die Denunzianten der Wiener Gestapo rekrutierten sich teils aus Personen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Widerstandsgruppe in Konflikt mit der Gestapo geraten waren, teils aus Justiz- und KZ-Häftlingen, die mit einer vorzeitigen Enthaftung rechnen konnten, wenn sie sich bereit erklärten, als Spitzel zu fungieren. Bei anderen Informanten handelte es sich um zum Tode verurteilte Personen, welche als Zellenspitzel im Hausgefängnis am Morzinplatz Verwendung fanden. Daneben warb die Gestapo unter den rassisch Verfolgten und den ausländischen Zivilarbeitern Konfidenten an.1
Den Nachrichtenagenten fiel die Aufgabe zu, in Widerstandsorganisationen oder kriegswirtschaftlich wichtigen Betrieben Fuß zu fassen, das Vertrauen der NS-Gegner rasch für sich zu gewinnen und diese zur Durchführung staatsfeindlicher Aktionen zu bewegen. In einigen Fällen erfolgte die Produktion von Flugblättern mit NS-feindlichem Inhalt in der Gestapodruckerei, die von den Konfidenten zur Verteilung ausgehändigt wurden.2 Bei der Ausforschung kleinerer oppositioneller Gruppen wurden die Spitzel bloß als Observanten eingesetzt; nach erfolgter Anzeige gegen die betreffenden Widerstandskämpfer wurden diese zur Einvernahme vorgeladen und mit psychischen und physischen Torturmethoden zu einer Geständnisablegung gezwungen.

Otto Hartmann

Einer der erfolgreichsten G(ewährs)-Männer der Wiener Gestapoleitstelle war der Burgschauspieler Otto Hartmann, welcher sich anno 1940 freiwillig in den Dienst der Gestapo stellte. Dieser stammte aus einer evangelischen Wiener

Das Foto wurde dankenswerterweise vom Dokumentationsarchivs der Österreichischen Widerstandes (DÖW) zur Verfügung gestellt.

Familie und sollte dem Wunsch seines Vaters entsprechend - dieser war als Prokurist in der Schattauer Tonfabrik beschäftigt -, die Handelsakademie besuchen. Ziemlich bald entdeckte der junge Hartmann jedoch seine Liebe zum Schauspiel, so dass er trotz dadurch hervorgerufener Konflikte mit den Eltern die Schule nach zweijähriger Ausbildung verließ, um die dreijährige Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien zu absolvieren. Diverse Engagements im In- und Ausland, insbesondere in Deutschland und der damaligen CSR folgten, allerdings handelte es sich um eher kleinere und unbedeutende Rollen.3

Durch den schlechten Gesundheitszustand und das darauf folgende Ableben des Vaters im Jahre 1933 - die Mutter war bereits drei Jahre zuvor verstorben -, sah sich der mittlerweile 29jährige Hartmann veranlasst, in die Heimat zurückzukehren. Hier fand dessen Aufnahme im Ensemble des Wiener Burgtheaters gegen ein Honorar von 250 Schilling im Monat sowie im 1934 gegründeten Schutzkorps der Ostmärkischen Sturmscharen statt. Im Rahmen des Letzteren bekleidete er die Funktion eines Korporals - als solcher wurde Hartmann im Zuge der Februarunruhen von 1934 von Bundespräsident Miklas mit der silbernen Verdienstmedaille und der silbernen Sturmscharenauszeichnung geehrt -, und betätigte sich nebenbei auch als Informant, indem er Schauspielkollegen bespitzelte und insbesondere sozial-demokratisch und nationalsozialistisch gesinnte Personen ausfindig machen sollte.4

Nach der Auflösung der Ostmärkischen Sturmscharen anno 1936 trat der Schauspieler als Ordonanzoffizier der Reserve der Frontmiliz bei, ein Jahr später wurde er Oberstürmer des Vaterländischen Schutzkorps. Am Vorabend der Machtergreifung präsentierte sich Hartmann einerseits als vaterländisch eingestellter Österreicher, andererseits als Angehöriger einer illegalen nationalsozialistischen Betriebszelle am Burgtheater und stellte sich als solcher in SA-Uniform als Wache für das NSDAP-Hauptquartier in Wien I zur Verfügung. Aufgrund jenes Doppelspiels, das er zeit seines Lebens zu spielen pflegte, konnte Hartmann weder als politisch zuverlässig, dh, als NS-loyal, einge-stuft noch seinem Antrag auf Aufnahme in die SA und in die NSDAP stattgegeben werden. Weiters durfte derselbe von Seiten der Berliner Oberbehörde trotz seiner erfolgreichen Ope-rationen aus demselben Motiv nicht als V(ertrauens)-Mann geführt werden.5

Fritz Lehmann, ein Freund und Kollege Hartmanns, glaubte dessen Erzählungen, sich nur zwecks "Tarnung" in NS-Kreise eingeschlichen zu haben, und warb ihn als Mitglied für die im Frühling 1939 initiierte Widerstandsorganisation, "Österreichische Freiheitsbewegung"6 - kurz OeFB - des Klosterneuburger Theologieprofessors und Augustiner Chorherren Dr. Karl Roman Scholz an. Als Neuling jener oppositionellen Gruppierung, zu deren Zielen die Planung und Durchführung von Sabotageakten und die Errichtung eines selbstständigen österreichischen Staates auf demokratischer Basis zählten, hatte Hartmann für die Anwerbung weiterer NS-Gegner Sorge zu tragen. Bald jedoch sollte Hartmann durch seinen unermüdlichen Einsatz als "Polizist", der beabsichtigte, alle "unzuverlässigen Elemente" zu liquidieren, zu einem von den OeFB-Funktionären besonders geschätzten Widerstandskämpfer avancieren und als solcher an streng vertraulichen Zusammenkünften und Besprechungen teilnehmen. Dabei pflegte er, jedes Detail zu stenographieren, Listen mit Daten von bekannten und unbekannten OeFB-Angehörigen zu führen und diese mit neugierigen und indis-kreten Fragen zu konfrontieren.7
Nach Hartmanns Ernennung zum Führer einer Hundertschaft, einer für Sabotageaktionen zuständigen Einheit, war plötzlich eine Radikalisierung feststellbar: Insbesondere junge OeFB-Mitglieder forderte Hartmann zur Sprengung von Telefonzellen, zur Zerstörung des Leopoldauer Gasometers und des Gestapohauptquartiers am Morzinplatz 4 sowie zur Vernichtung von Postkästen durch Hineinschütten von Säuren auf.8 Meist war der Hundertschaftsführer Hartmann der Initiator jener Pläne und beteiligte sich persönlich an der Durchführung. So beabsichtigte er gemeinsam mit der Hundertschaftsführerin Luise Kanitz und einem weiteren OeFB-Aktivisten, ein Wehrmachtsdepot im Halterbachtal in die Luft zu sprengen, zu dessen Zwecke Kanitz einen Ohnmachtsanfall vortäuschte, um ihren Kameraden den unbemerkten Zutritt ins Gebäude zu verschaffen; doch das Vorhaben schlug fehl, denn die Munition war bereits abtransportiert worden. In manchen Fällen plante der Nachrichtenagent Hartmann Gewaltakte gemeinsam mit Beamten der Gestapo, um sie der OeFB zu unterbreiten und ersteren die Möglichkeit zur rechtzeitigen und erfolgreichen Einlenkung bieten zu können.
Anweisungen der OeFB-Funktionäre wurden von Hartmann nicht an die Mitglieder der oppositionellen Bewegung, sondern an das N-Referat weitergeleitet, so dass Anfang Juli 1940 Verhaftungswellen einsetzten, denen sowohl die Oberhäupter der drei großen Widerstandsgruppen, Dr. Scholz, Dr. Castelic und Dr. Lederer als auch weitere Funktionäre und Aktivisten zum Opfer fielen.9 Für seinen Verrat an der OeFB wurde Hartmann mit einer Summe von 30 000 RM belohnt.

In den darauf folgenden Jahren fungierte Hartmann als "Lockvogel" in KPÖ-Kreisen. Auch hier gelang es ihm, das Vertrauen von Josef Kallisch, dem Anführer einer KPÖ-Widerstandsgruppe, zu gewinnen, so dass Zusammenkünfte häufig in der Wohnung des Gestapokonfidenten in der Reichsratstraße in Wien I stattfanden. Im Frühjahr 1941 erfolgte die Zerschlagung der Kallisch-Bewegung; Kallisch wurde wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und exekutiert, andere Mitglieder erhielten hohe Haftstrafen.10
Nachdem Hartmann im Zuge seines öffentlichen Bekenntnisses zu seiner Spitzeltätigkeit von Seiten der Gestapo arretiert und von Seiten der Burgtheaterdirektion mit einem Auftritts- und Hausverbot belegt worden war, absolvierte er eine militärische Ausbildung in Hainburg an der Donau, um danach in der Disziplinarabteilung der Wehrmachtskommandantur Wien für die Ausforschung von Deserteuren und "front-scheuen" Soldaten verantwortlich zu sein. Auch hier zeichnete er sich durch besonderes Engagement aus, wenn man bedenkt, dass er nicht nur während seiner Dienstzeiten als "pflichteifriger Fahnder" galt, sondern auch in seiner Freizeit "Fleißaufgaben" erledigte.11 Infolge seines labilen Gesundheitszustandes und seiner festgestellten Untauglichkeit erhielt Hartmann anno 1944 einen Posten als Kriminalangestellter bei der Kripoleitstelle Wien, wo er im Referat II C, das für die Aufklärung von Eigentumsdelikten zuständig war, bis zur Auflösung der Polizeiorganisation im April 1945 Dienst versah.

Am 4. April 1945 verließ Hartmann gemeinsam mit etwa 200 Kriminalbeamten Wien und setzte sich nach Innsbruck ab, wo er in Schwaz einerseits als Kriminalbeamter noch einige Wochen nach Kriegsende agierte, um schließlich mit einer Widerstandsgruppe Kontakt aufzunehmen und nach der Kapitulation in die neuformierte österreichische Kriminalpolizei einzutreten.12 Ende September 1945 wurde Hartmann jedoch von französischen Soldaten festgenommen. Nach einigen Aufenthalten in diversen Polizeigefangenenhäusern erfolgte Mitte Juli 1946 dessen Überstellung in das Gefängnis des Landesgerichtes Wien, wo ihm bei Außenarbeiten ein Jahr später die Flucht gelang. Hartmann konnte jedoch ausgeforscht und erneut in Haft genommen werden. Die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen Denunziation mit Todesfolgen endete mit einem Urteilsspruch, der den Denunzianten Hartmann zu lebenslangem Kerker verurteilte.
Seinen zahlreichen Ansuchen um Wiederaufnahme des Strafverfahrens bzw. um Begnadigung wurde nicht stattgegeben. Im Juli 1957 begnadigte ihn aber Bundespräsident Dr. Adolf Schärf für eine Probezeit von fünf Jahren.13 So verdingte sich der ehemalige Gestapoinformant, dessen Schauspielkarriere beendet war, als Verkäufer und kaufmännischer Angestellter bei diversen Wiener Firmen und starb trotz seines angeblich schlechten Gesundheitszustandes erst Ende der 80er Jahre in Wien.

Kurt Koppel & Grete Kahane

Der anno 1915 in Wien geborene Kurt Koppel stellte als Konfident der Gestapo einen besonderen Fall dar, denn er galt nach den Nürnberger Rassegesetzen als so genannter Volljude und dürfte bereits vor Hitlers Machtergreifung in Spanien als Spitzel agiert haben, wo er auf Seiten der Republikaner kämpfte und vermutlich mit Hilfe der Gestapo im Jahre 1938 nach Österreich zurückkehrte. Als langjähriges Mitglied und als bewährter Kämpfer für die Ziele des Kommunistischen Jugendverbandes, KJV, im 10. Wiener Gemeindebezirk -Koppel gehörte jener KP-Gruppierung seit 1935/1936 an-, fiel ihm nach dem März 1938 die Aufgabe zu, diverse Widerstandsgruppen, insbesondere aber jene von Kommunisten zu unterwandern.14

Die um zwei Jahre jüngere Grete Kahane, welche im Zuge des Anschlusses wegen kommunistischer Agitation arretiert wurde, stammte ebenfalls aus Wien und war Angehörige des mosaischen Glaubens. Über die Intervention ihres KP-Kameraden und Geliebten Koppel, welcher seit 1936 zu dem späteren Leiter des Nachrichtenreferats, Lambert Leutgeb, ein freundschaftliches Verhältnis unterhielt, erfolgte die Enthaftung der unter dem Decknamen "Sonja" bekannten Kahane. Als "Gegenleistung" für ihre Freilassung aus der Gestapohaft musste sie sich verpflichten, Spitzeldienste für die Gestapoleitstelle zu leisten.15
In häufiger Teamarbeit gelang es den beiden Konfidenten, sich in oppositionelle Kreise einzuschleusen bzw. einander als neue Mitglieder einer Widerstandsbewegung einzuführen und dort alle Begebenheiten auszukundschaften.

Die unter der Leitung des Kommunisten Erwin Puschmann stehende oppositionelle Gruppierung, der auch die Erfinderin der "Frankfurter Küche", Margarete Schütte-Lihotzky, angehörte, zählte zu den ersten Opfern der Denunziationstätigkeit von Koppel und Kahane. Schütte-Lihotzky fungierte als Verbindungsperson zwischen der Ostmark und der Türkei und reiste im Dezember 1940 nach Wien, wo sie im Rahmen einer Zusammenkunft mit Puschmann "Sonja" und "Ossi" alias Koppel kennenlernte. Bei den weiteren Treffen, die zumeist im Cafe Viktoria in Wien IX, Ecke Maria Theresienstraße und Währingerstraße stattfanden und als streng vertraulich und geheim galten, fanden Besprechungen über die weitere Vorgehensweise statt. Berichte, die höchstwahrscheinlich von Puschmann diktiert und von Kahane getippt und anschließend an die Gestapo übergeben worden waren, sollten über die Grenze geschmuggelt werden. Einen Tag vor Schütte-Lihotzkys Abreise in die Türkei traf sie Koppel im Kaffeehaus Gartenbau, der ihr weitere Details entlockte und eine gute Reise wünschte. Am darauf folgenden Tag, am 22. Jänner 1941, wurde sie gemeinsam mit Puschmann im Cafe Viktoria von zwei Gestapobeamten verhaftet.16

Anni Bienstock, eine Widerstandskämpferin des KJV des 10. Wiener Gemeindebezirkes, aus dem Grete Kahane infolge ihrer Inhaftierung im März 1938 ausgeschieden war, erinnerte sich an deren Einführung in die damalige Oppositionsgruppe, in der die Gestapoagentin ziemlich rasch Fuß fasste, und Fragen, die Details über die Aktivitäten aller kommunistischen Jugendverbände in Wien betreffend, stellte. In weiterer Folge zeichnete sich die als "Sonja", "Fritzi" oder "Elly" bekannte Kahane als besondere Aktivistin aus, indem sie Schreibmaschinen sowie einen Abziehapparat und Abziehpapier für die Herstellung von Flugblättern zur Verfügung stellte und diverse Ratschläge in der Vorgangsweise erteilte.17
Im Herbst 1941 setzten die Verhaftungsaktionen der Gestapo ein, im Frühjahr 1942 erfolgte die endgültige Zerschlagung des KJV durch die Gestapo, welche die Leitung der Gruppe sowie mehrere hundert Jugendliche arretierte, von denen etwa 30 Personen schließlich hingerichtet wurden.18

Die dritte Widerstandsbewegung, die "Hans Klaser" alias Kurt Koppel hochgehen ließ, war eine über 300 Personen umfassende Organisation, welche von der Gestapo als "Tschechische Sektion der KPÖ" bezeichnet wurde. Neben anderen tschechischen Turnvereinen wie beispielsweise dem D(elnicka) T(elocvicna) J(ednota)-Arbeiterturnverein, dem tschechisch-nationalen Sokol-Turnverein oder dem christlich orientierten Orel-Turnverein agierten die in jedem Wiener Gemeindebezirk ansässigen und jeweils aus vier Personen bestehenden so genannten Zellen der "Tschechischen KPÖ-Sektion"
mittels Verbindungsmänner;19 das bedeutete, dass die Mitglieder einander nicht unbedingt kannten und im Falle einer Verhaftung nicht in der Lage waren, weitere Personen ans Messer zu liefern. Antonia Bruha, eine Halbtschechin und Widerstandskämpferin aus den Reihen der Tschechischen Sektion der KPÖ, erinnerte sich daran, in Erdberg Flugschriften mittels eines primitiven Abziehapparates produziert und Rundfunknachrichten ausländischer Sender veröffentlicht zu haben. Auch war dieselbe gemeinsam mit ihrer Mutter, die gebürtige Tschechin war, für die Verbreitung und Austeilung der bereits 1934 verbotenen tschechischen Arbeiterzeitung im Raum Wien verantwortlich und beteiligte sich an der Planung von Sabotageakten.20
Im Frühjahr 1941 stieß Koppel, welcher ausschließlich unter dem Decknamen "Ossi" bekannt war, vermutlich über die Zentrale Leitung der KPÖ zur tschechischen Widerstandsgruppe und lieferte deren Mitglieder bereits ein halbes Jahr später der Gestapo aus. Manche der Opfer wurden noch im November 1941 bzw. Dezember 1942 im KZ Mauthausen liquidiert, andere kamen mit hohen Haftstrafen davon oder wurden ins KZ deportiert.21

Infolge seiner Verräterrolle und nachdem sogar an den Wänden der Gefängniszellen in der Rossauerlände und auf den Eßschüsseln die Losung "Ossi ist Spitzel"22 angebracht worden war und von Neuinhaftierten vorgefunden wurde, konnte Koppel nicht länger in Wien operieren und wurde nach Agram abkommandiert. Dort agierte er inoffiziell als Mitarbeiter des deutschen Nachrichtendienstes, unterhielt permanenten Kontakt zur deutschen Gesandtschaft sowie zum Berliner Reichspropagandaministerium. Es gelang ihm, auch im öffentlichen Leben mitzuwirken, indem er sich als Mitarbeiter der Agramer deutschen Zeitung "Neue Ordnung" betätigte und zwei Werke unter dem Titel "Mörder am Frieden" und "Spione, Bomben und Verschwörer" publizierte.23 Nicht unerwähnt dürfen Koppels beinahe perfekten Kenntnisse der serbokroatischen, ungarischen, tschechischen, englischen und französichen Sprache sowie die Beherrschung des Spanischen und Hebräischen bleiben, die ihm bei der Überwachung kroatischer Persönlichkeiten und der Auskundschaftung der dortigen Vorkommnisse von großem Vorteil waren.24
Nicht nur Koppel, der in Agram über eine Villa und ein Auto der Marke Opel-Olympia verfügte und eine Sekretärin unterhielt, sondern auch seine Freundin Kahane lebte in guten wirtschaftlichen Verhältnissen, wenn eine Widerstandskämpferin des KJV im VG-Verfahren gegen Koppel aussagte, dass Kahane aus "ärmlichen Verhältnissen" stammte und plötzlich "kostbare Kleider und Wäschestücke trug, was auf eine höhere Einnahmsquelle" zurückzuführen gewesen sei.25
Während seines Aufenthaltes in Agram unternahm Koppel von Zeit zu Zeit Reisen nach Wien, um Post und Instruktionen von Leutgeb über Kahane, die mittlerweile ein Kind von ihm erwartete, entgegenzunehmen. Während die
jugoslawischen Behörden nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die Fahndung nach dem Kriegsverbrecher Kurt Koppel einleiteten, war in Österreich kein Verfahren gegen denselben anhängig, so dass Koppel noch am 18. April 1945 seine Geliebte und das bereits zweijährige Kind in Alt-Aussee besuchte, um danach bei seiner in Budapest lebenden Tante, Käthe Kohn, unterzutauchen und schließlich über die CSR, Deutschland und Belgien nach England zu fliehen. Angeblich soll er sich in weiterer Folge in Palästina und Ägypten aufgehalten haben.26 Der Aktenlage können keine näheren Informationen über das weitere Schicksal des Konfidentenpaares Koppel & Kahane entnommen werden. Anno 1948 war eigenartigerweise keine Partei des Wohnhauses Wien 3., Baumgasse 54, wo Koppel von November 1937 bis April 1938 als Untermieter polizeilich gemeldet war, in der Lage, irgendeine Auskunft über jenen zu geben.27

1) Vgl. Grete Kahane, deren Spitzeltätigkeit im Rahmen dieses Artikels dargelegt ist, Vladimir Hovadek, der in der Generaldirektion der "Alpine-Montagegesellschaft" als
V-Mann operierte, Karl Zwiefelhofer, der anno 1942 wegen KPÖ-Agitation zum Tode verurteilt wurde, oder Rudolf Klinger, der bis 1943 als Spitzel agierte und gemeinsam mit seinen jüdischen Angehörigen nach Ausschwitz deportiert wurde. Aussage von Alois Öttl in der Polizeidirektion Wien am 22.11.1945, Tagesbericht der Gestapoleitstelle Wien vom 20.11. bis 23.11.1942, DÖW, Aussage von Karl Zeitlberger am 19.11.1956 in seinem VG-Verfahren, Vg8cVr739/45.
2) Die Taktik des "agent provocateur" war von der Gestapa Berlin grundsätzlich nicht erlaubt, von den Gestapoleitstellen wurde sie hingegen unterstützt. Vgl. Kriminaltaktik BA R58 763/162.
3) Bereits an der Handelsakademie hatte Hartmann gemeinsam mit einem Professor und einer Kollegin einen Theaterverein gegründet. Während der Ausbildung an der Staatsakademie wurde ihm angeboten, am Deutschen Volkstheater in Wien zu wirken, wo er eine monatliche Gage von 150 Schilling erhielt. Von 1929 bis 1933/1934 spielte er den jugendlich-schüchternen Liebhaber und Komikerrollen im In- und Ausland. Laut eigenen Angaben soll Hartmann in Berlin die höchste Gage erhalten haben. Vgl. Aussage von Otto Hartmann vor dem Untersuchungsrichter am 9.3.1946 und am 3.11.1947 in der Hauptverhandlung seines VG-Verfahrens, Vg7cVr5201/47, DÖW 19854.
4) Aussage von Otto Hartmann vor dem Untersuchungs-
richter am 23.11.1947 sowie am 3.11.1947, ebda. Exakte Angaben über Hartmanns "Erfolge" liegen nicht vor. Vgl. dennoch: Aussage des Burgschauspielers Fritz Lehmann, der bestätigte, dass Hartmann sich im Rahmen seiner Spitzeltätigkeit für die Sturmscharen besonders engagiert hätte. Aussage von Fritz Lehmann in der Pol.Dion. Wien am 1.8.1945 und in der Hauptverhandlung gegen O. Hartmann am 4.11.1947, ebda.
5) Seinen Auftritt in SA-Uniform vor dem NSDAP-Hauptquartier leugnete Hartmann in seinem VG-Verfahren, doch konnte er aufgrund zweier Zeugenaussagen der Lüge überführt werden. Vgl. Aussage von Fritz Lehmann am 1.8.1945 in der Pol. Dion. Wien und Leopold Joschke am 4.11.1947 in der Hauptverhandlung, ebda.
6) Diese wurde im Herbst 1938 von Dr. Scholz und dessen Freund Dr. Viktor Reimann als "Deutsche Freiheitsbewegung" in Klosterneuburg ins Leben gerufen und sollte mit deutschen und anderen ausländischen Widerstandsorganisationen in Fühlung treten. Ab September 1939 führte sie die Bezeichnung "Österreichische Freiheitsbewegung" oder "Freiheitsbewegung Österreichs". Anklageschrift und Urteil des Volksgerichtes vom 10.4.1942 gegen die Klosterneuburger Studentengruppe Roman Scholz, DÖW 414/a. Auch verfolgte man die Absicht, die Gruppen von Scholz, Castelic und Lederer zu einer Fusion zusammenzuführen, allerdings scheiterte dieser Plan an den separatistischen Bestrebungen von Dr. Lederer.
7) Laut Aussage von Luise Kanitz soll das schriftliche Festhalten von Besprechungen allen OeFB-Mitgliedern untersagt worden sein. Aussage von Luise Kanitz am 14.3.1946 und am 30.9.1946 sowie von Alois Hradil am 21.12.1946 vor dem Untersuchungsrichter im VG-Verfahren gegen O. Hartmann, ebda.
8) Jene Hundertschaften untergliederten sich in Reihen zu je 30 Mann, diese wiederum unterteilten sich in Dreierschaften und bestanden aus männlichen Personen; daneben gab es die BV-Gruppen zur besonderen Verwendung, die bei der Fälschung von Ausweisen und Kennzeichentafeln oder bei der Beschaffung von Versteckmöglichkeiten zum Einsatz kamen. Vgl. Anklageschrift des VGH vom 10.4.1942, ebda. Zu jenen Jugendlichen, welche die radikale Auffassung Hartmanns bestätigten, zählten beispielsweise, Wolfgang Heintschel-Heinegg, Ignaz Kühmeyer und Viktor Imhof. Aussage von Dr. Wolfgang Heintschel-Heinegg am 18.2.1947, von Ignaz Kühmeyer am 5.12.1946 und von Viktor Imhof am 5.1.1947 vor dem Untersuchungsrichter, alle in: VG-Verfahren gegen O. Hartmann, ebda.
9) So überreichte Hartmann beispielsweise den sogenannten "Auflösungsbeschluß" nicht Dr. Zimmerl, sondern der Gestapo. Es handelte sich dabei um keine Auflösung
der OeFB, sondern um die Fusion der drei großen Widerstandsgruppen mit allen anderen oppositionellen Organisationen mit Ausnahme der kommunistischen Gruppierungen. Aussage von Luise Kanitz am 6.11.1947 in der Hauptverhandlung des VG-Verfahrens gegen Otto Hartmann, ebda. Der Großteil der Verhafteten wurde exekutiert. Aussage von Wilhelm Reimers und Eduard Volters am 5.11.1947 in der Hauptverhandlung des VG-Verfahrens gegen O. Hartmann, ebda.
10) Aussagen der Kommunisten Anton Brich
am 14.11.1947 und Prof. Josef Laska am 15.11.1947
in der Hauptverhandlung des VG-Verfahrens gegen
O. Hartmann, ebda.
11) Aussagen von den Mitarbeitern der Wehrmachts-
kommandantur, Rudolf Fiedler, Johann Slouk und
Dr. Gustav Rotter am 13.11., 14.11 und 15.11.1947
in der Hauptverhandlung des VG-Verfahrens gegen
O. Hartmann, ebda.
12) Er erhielt sogar einen zweisprachigen Mitgliedsausweis jener Widerstandsgruppe, um für den Fall der Gefangennahme durch die Alliierten als Widerstandskämpfer erkannt zu werden. Aussage von O. Hartmann am 4.11.1947 in der Hauptverhandlung, ebda.
13) Näheres zum Gnadenakt, siehe: VG-Verfahren gegen
O. Hartmann, ebda..
14) Bericht der Polizeidirektion Wien, Abt. 1 vom 18.1.1949, in: VG-Verfahren gegen Kurt Koppel, Vg5Vr966/49, DÖW 19827.
15) Vgl. Bericht der Polizeitdirektion Wien vom 18.7.1948, VG-Verfahren gegen K. Koppel, ebda.
Von 1939 bis 1941, als Koppel nach Agram abkommandiert wurde, wohnte Kahane gemeinsam mit jenem in Wien XV., Selzergasse 36. Aussage von Wilhelmine Zohmann, der Schwester von Grete Kahane, in der Polizeidirektion Wien am 21.2.1949, VG-Verfahren gegen K. Koppel, ebda.
16) Gespräche, an denen außer Puschmann nur Koppel und Kahane teilgenommen hatten, wurden Schütte-Lihotzky bei den Verhören vorgehalten. Auch die von Koppel ausgehändigten Berichte fand die Gestapo bei der Hausdurchsuchung von Schütte-Lihotzky. 1942 fand die Verhandlung vor dem Senat 2 des Berliner Volksgerichtshofes statt: Schütte-Lihotzky erhielt 15 Jahre Zuchthaus, Puschmann und zwei weitere Personen wurden zum Tode verurteilt, andere erhielten Zuchthausstrafen. Aussage von Margarete Schütte-Lihotzky in der Polizeidirektion Wien,
Zl.: I-46310/48, vom 23.2.1949, VG-Verfahren gegen
K. Koppel, ebda.
17) Aussage von Anni Bienstock in der Polizeidirektion Wien, Zl. I-46310/48, vom 22.2.1949, VG-Verfahren gegen K. Koppel, ebda. Bienstock lernte Kahane als "Elly" bei einem Ausflug im Wienerwald anno 1940 kennen.
18) Anna Opferkuh war die einzige Angehörige des KJV, die den Klauen der Gestapo entging. Aus dem Gefängnis
Wr. Neustadt wurde ihr von Friedl Hartmann, der verhafteten KJV-Funktionärin, durch einen gewissen Vrtilek
ein Kassiber übermittelt, das Kahanes Spitzeltätigkeit und Verrat bestätigte. Aussage von Anna Opferkuh in der Polizeidirektion Wien, Zl. I-46310/48, vom 22.2.1949,
VG-Verfahren gegen K. Koppel, ebda.
19) Eine Art Vorläuferorganisation des 1938 ins Leben gerufenen Wiener tschechischen Turnvereins war das "Tschechische Herz", ein nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie initiierter Fürsorgeverein, der Kindern den Aufenthalt in der Tschechoslowakei in den Ferien ermöglichte. Dabei darf nicht vergessen werden,
dass zum damaligen Zeitpunkt sehr viele Tschechen in Wien lebten, wenn man bedenkt, dass es in jedem Bezirk eine tschechische Volks- und Bürgerschule, ein tschechisches Gymnasium und eine tschechische Handelsakademie gab. Schriftlich festgehaltenes Interview mit Antonia Bruha vom 8.2.2001. Bruha, geborene Spat, geboren am 1.3.1915 in Wien, schrieb ihre Erlebnisse in der Gestapohaft und im KZ Ravensbrück nieder. Vgl. daher: Antonia Bruha, Ich war keine Heldin, Wien/München 1995.
20) Antonia Bruha wurde im Oktober des Jahres 1941 von zwei Gestapobeamten, die sich als Vertreter einer Staubsaugerfirma vorstellten, in ihrer Wohnung verhaftet und befand sich etwa ein halbes Jahr lang in Gestapohaft am Morzinplatz 4. Ihre drei Monate alte Tochter wurde einem kinderlosen Ehepaar übergeben; der Gatte der "Adoptivmutter" zählte ebenfalls zu den NS-Gegnern, was der Gestapo entgangen sein dürfte. Bruha wurde in weiterer Folge mit dem Vermerk "RU", Rückkehr unerwünscht, ins KZ Ravensbrück interniert, wo sie als politische Gefangene jeden vierten Tag zu essen bekam und als eine Art Ordinationshilfe des Lagerarztes fungierte. Bei ihrer Rückkehr aus dem KZ anno 1945 wog sie 32 kg. Interview mit A. Bruha, ebda.
21) In der Leibnitzgasse 10 wurde eine Gedenktafel mit 69 Namen von Hingerichteten der "Tschechischen Sektion der KPÖ" aufgestellt.Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation, Wien 1988, S218-222.
22) Aussage von A. Bienstock, VG-Verfahren gegen K.Koppel, ebda.
23) Zwar verlief die Suche nach den beiden Büchern in der Nationalbibliothek erfolglos, doch Kahanes Schwester bestätigte, von Grete Kahane jene Bücher bekommen zu haben. Aussage von W. Zohmann, VG-Verfahren gegen K.Koppel, ebda.
24) Bericht der Polizeidirektion Wien vom 18.1.1949,
VG-Verfahren gegen K. Koppel, ebda.
25) Aussage von Leopoldine Starek in der Polizeidirektion, Zl.-46310/48, vom 8.3.1949, in VG-Verfahren gegen
K. Koppel, ebda.
26) Bericht der Polizeidirektion Wien vom 18.1.1949, VG-Verfahren gegen K.Koppel, ebda.
27) Bericht der Polizeidirektion Wien Zl. 46310/48 vom 18.7.1949, VG-Verfahren gegen K.Koppel, ebda.

Nachtrag zu Teil I.:

Verwendete Quellen und Unterlagen:
-Interview mit dem Kriminalbeamten Heinrich Wohl, Dokumentation des österreichischen Widerstandes (=DÖW 19060.
-Volksgerichtsverfahren (=VG-Verfahren) gegen die Schreibkraft des N-Referates Rosa Friedl, Vg3bVr 5068/45, DÖW.
-VG-Verfahren gegen den Kriminalbeamten Josef Kouba Vg8cVr430/50, DÖW.
-VG-Verfahren gegen den Gestapobeamten
Karl Peter Macher, Vg6dVr 7463/46, DÖW.
-VG-Verfahren gegen den Gestapobeamten Alois Öttl, Vg20aVr 651/58, DÖW.
-VG-Verfahren gegen den Gestapobeamten und Referatsleiter Johann Sanitzer, Vg4cVr 6284/48, DÖW.
-VG-Verfahren gegen den Gestapobeamten Johann Schwaighofer Vg4cVr 5016/47, DÖW.
-Bericht der Gestapoleitstelle Wien über die Besprechung aller N-Referate der Gestapostellen in der Ostmark vom 28.3.1944, DÖW 5080.
-Kriminaltaktik: Einsatz von Vertrauenspersonen, Schulungsunterlagen der "Sicherheitspolizei", - BA R58 763/161
-Runderlass Gestapa Berlin, B.Nr. 3026/e9g-II A 1 vom 2.5.1938, betreffend: "Ausbau des staatspolizeilichen Nachrichtendienstes", Bundesarchiv Koblenz, BA R58 243/200 ff.
-Runderlass Gestapa Berlin vom 3.1.1939, betreffend "Die Erfassung unzuverlässiger V-Personen", BA R58 517/27;
-Franz Weisz, Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien 1938 bis 1945, (Diss.Univ.Wien 1991).