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Ein Magier des Taktstocks

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Teresa Hrdlicka: Hugo Reichenberger, Kapellmeister der Wiener Oper

Wien: Edition Steinbauer 2016

264 Seiten, Hardcover, 33 Abbildungen

Euro 22.50

ISBN: 978-3-902494-77-1 

Ein bewegter Lebenslauf, eine bewegende Biographie: Hugo Reichenberger, durch fast drei Jahrzehnte „Hausdirigent" der Wiener Staatsoper, geboren in München 1873, gestorben ebendort 1938, Konzert- und Operndirigent, Komponist, Pianist, Lehrer,  in summa ein Künstler von eminenter Vielseitigkeit. 

Dass er oft als Routinier, als Alleskönner im Kapellmeisterfach, also ein wenig abschätzig eingestuft wurde, ist die negative  Folge ebendieser Begabung und Vielseitigkeit. Die gloriosen „Magier des Taktstocks", kommen wohl kaum in die Lage ein neues Opernwerk im letzten Augenblick zu übernehmen, ohne es zu kennen und quasi prima vista aus der Partitur zu dirigieren. Der „Routinier" Reichenberger hat solche Husarenstücke vollbracht, und dies nicht bloss ein einziges Mal. Wenn man die Stationen dieses reichhaltigen Lebens an sich vorüberziehen lässt,  werden einem alle diese verkleinernden und herabsetzenden Begriffe nicht mehr in den Sinn kommen. 

Reichenberger hat in seinen Wiener Jahren nicht nur das gängige Opern-Repertoire, sondern auch vorwiegend  die meisten Neuheiten einstudiert und dirigiert, oft sehr schwierige und komplizierte Werke. Mehr als dreitausend dirigierte Aufführungen in seinen Wiener Jahren von 1908 bis 1936 - damit  war er der eigentliche Träger  und Mitgestalter des Wiener Opernrepertoires. Auch bei den meisten Gastspielen berühmter Opernkünstler (Caruso, Battistini, Lauri-Volpi, Fleta u.a.) stand er am Dirigentenpult. 

Er war ein Meister in seinem Fach, der es zwar nicht zu Berühmtheit  brachte, aber dem Wiener Musikleben einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat. Dass dieser Dienst nicht immer anerkannt wurde, dass ihm oft genug Undank entgegenschlug, zählt zu den bitteren Seiten dieser Vita. Zwei Ereignisse waren es, die Hugo Reichenberger in die erste Reihe gestellt haben: die Wiener Erstaufführung der „Elektra" von Richard Strauss, die er im Jahr 1909 leitete. Und - mehr noch - mit der ersten deutschsprachigen Aufführung von Janáčeks Oper „Jenufa" (1918). Reichenberger war es, der den Wert des Werkes früh erkannt hat und sich mit aller Leidenschaft dafür einsetzte. Seine Anteilnahme ging so weit, dass er - unzufrieden mit der Übersetzung Max Brods - eine textliche Bearbeitung  der „Jenufa" hergestellt hat. Er war ein bescheidener Diener am Werk und verzichtete auf den Glanz der Berühmtheit. 

Reichenbergers Enkelin, die bereits den Briefwechsel Richard Strauss mit Hugo 

Reichenberger herausgegeben hat,  konnte in ihr biographisches Werk den in Familienbesitz befindlichen Nachlass ihres Grossvaters einarbeiten, ergänzt durch Zeugnisse aus Wiener, Münchener, Stuttgarter Archiven. Die Darstellung, bereichert durch interessante Illustrationen, verläuft in angenehmer Nüchternheit und lässt die - nicht immer erfreulichen - Ereignisse für sich selbst sprechen. 

Tragisch die letzte Lebenszeit Reichenbergers. Nach der demütigenden Kündigung in Wien (1935) kehrte er in seine Geburtsstadt München  zurück - also mitten ins Nazireich. Die Autorin meint nicht ohne Ironie, dass es ein Glück für ihren jüdischen Grossvater war, dass er im Jahr 1938 gestorben ist - jeder kann sich ausmalen, wie sein Ende in Deutschlands Mörderjahren ausgesehen hätte. 

Die Wiener Hof-und Staatsoper verdankt ihre herausragende Position nicht zuletzt den vielen Künstlern jüdischer Herkunft. Hugo Reichenberger nimmt in dieser Galerie einen Ehrenplatz ein. Kleine Ungenauigkeiten in der Publikation wie Prstaupinsky statt Przistaupinsky (S. 97) oder Karl Weigel statt Weigl (S. 118) fallen nicht ins Gewicht.