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Von Ost nach West und Zurück

Michael HALÉVY

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Du wirst es noch erleben, dass Erez Israel geboren wird. Du musst Dich sofort nach Jerusalem aufmachen1

Was Baruch Mitrani seiner Tochter Bella wünschte, konnte er selbst nicht mehr erleben: die Geburt des Staates Israel. Aber für die neue jüdische Heimstatt Palästina und für die Wiederbelebung der hebräischen Sprache hat er zeitlebens in Wort und Tat gekämpft.

Als Wanderer zwischen Sefarad und Ashkenaz ist er Lehrer und Gelehrter, Autor und Übersetzer, Kritker der Sefarden und Bewunderer der Aschkenasen. Als Vorkämpfer für eine moderne Bildung gründet er eine Schule in Adrianopolis (heute Edirne) und leitet 1870 eine in Shumla (heute Shumen),2 1876 eine in Vidin und zwischen 1889 und 1897 eine in Yafo. In Wien ist er nach dem Tod des bedeutenden Hazan Reuben Baruch für eine kurze Zeit Rabbiner, Kantor und Lehrer.

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Baruch b. Isaac Mitrani (1847 Edirne - 1919 Edirne). Abbildung: M. Halévy.

Als Maskil (Aufklärer) schreibt er seine pädagogischen Werke auf Hebräisch, darunter eine Grammatik des gesprochenen Hebräisch. Als religiöser Zionist und Mitarbeiter hebräischer Periodika der Haskala (jüdische Aufklärung) und Zeitschriften, die dieser Strömung nahestehen wie Ha-Magid („Der Prediger") und Havazelet („Die Lilie") kämpft er für die Kolonisierung Palästinas und die nationale Wiedergeburt. Er gibt einflussreiche Zeitschriften wie Karmi („Mein Weinberg"), Karmi Sheli („Mein eigener Weinberg"), Ha-Shalom („Der Frieden") und Ha-Oshar / El Prospero („Das Glück") auf Hebräisch und Judenspanisch heraus. Er schreibt Gedichte in hebräischer Sprache, die in den judenspanischen Zeitungen von Istanbul veröffentlicht werden und später unter dem Titel Tiferet Banim (Ruhm der Kinder) erscheinen.

Wie die Maskilim im Osteuropa auf Jiddisch, so schreiben die Sefarden ihre Romane (romansos, novelas), Gedichte (poezias) und Theaterstücke (dramas, dramos) auch auf Judenspanisch. Und ihre meist zweisprachigen Zeitschriften haben hebräische und judenspanische Titel. Und weil sie mit ihrer Muttersprache ein grösseres Publikum erreichen, werden ihre judenspanischen Schriften zum Vehikel der Modernisierung.3 Mit der sefardischen Haskala beginnt die sefardische Geschichtsschreibung, zuerst mit der Übersetzung deutscher und französischer Historiker (Leopold Zunz, Heinrich Graetz, Simon Dubnov, Théodore Reinach), später werden sefardische Historiker wie die Bulgaren Solomon Abraham Rozanes und Abraham Tadjer ihre Arbeiten auf Hebräisch und Judenspanisch veröffentlichen und die Grundlagen für eine sefardische Historiographie schaffen.

Die Hinwendung nach Westeuropa, die jüdische Aufklärung, der jüdische Nationalismus und der Zionismus bestimmen und verändern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das jüdische Gemeindeleben in den Balkanländern. Die Haskala führt zwar nicht zu Assimilationsbestrebungen in der sefardischen Welt, bringt aber sefardische Aufklärer (personas aklaradas) hervor, die mit den aschkenasischen Maskilim einen regen Gedankenaustausch pflegen. Einer dieser personas aklaradas ist Baruch Mitrani, Lehrer, Historiker, Erzähler und Dichter in einer Person. Seine Schriften werden in Wien, Istanbul, Saloniki, Jerusalem und Belgrad gedruckt und vielfach nachgedruckt. Im 19. Jahrhundert werden sie eifrig gelesen, heute sind sie gänzlich unbekannt und nur noch in wenigen Exemplaren überliefert. Es gibt keine wissenschaftliche Biographie über ihn, nur Skizzen und Fussnoten.4

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Ha-Shalom. Abbildung: M. Halévy.

Wer also ist Baruch ben Isaac Mitrani?

Baruch Mitrani wird am 11. April 1847 (25. Nisan 5607) in der Kleinstadt Kirk Kilissie (heute Kirklareli) geboren. Sein Vater Isaac ist Lehrer an der Talmud Tora HaGadol in Edirne,5 seine Mutter Mazal-Tov (Fortunée) ist eine Tochter von Israel und Sultana Dueñas aus dem bulgarischen Burgas.6 Unter dem Pseudonym BANIM (Akronym aus Ben Izhak Mitrani) verfasst er zahlreiche Bücher in hebräischer und judenspanischer Sprache, in denen er den Messianismus mit den Ideen der Haskala verbindet und somit zu einem der Protagonisten des religiösen Zionismus wird.

Nach den Einträgen der Bibliography of the Hebrew Book ist Mitrani der Verfasser bzw. Herausgeber von 14 judenspanischen bzw. judenspanisch-hebräischen Büchern und Zeitschriften:

1869            Diskorso de parashot shemot, Saloniki

1875            Hinuhe Banim, Teil I, Jerusalem

1877            Hinuhe Banim, Teil II, Wien

1878            Don Yosef i su ija (Wien)

1881            Eliezer i Naftali (Pressburg)

1881            Karmi (Pressburg-Adrianopolis)

1891            Istorya Antigua (Saloniki) [Pirke Rabi Eliezer / Don Yosef i su ija]

1891            Don Yosef primo ministro de Espanya (Saloniki)

1891            Karmi Sheli (Wien)

1895            Ha-Osher (Jerusalem)

1901            Istorya natural de la mar (Istanbul)

1902            Los dos ermanos (Istanbul)

1906            Ha-Shalom (Belgrad-Wien)

1912            Don Yosef primo ministro de Espanya (Jerusalem)

Schon mit fünf Jahren kann Mitrani den Humash fehlerfrei lesen und die Psukim (Verse) ins Judenspanische übersetzen. 1855 lässt sich sein Vater als Lehrer in Edirne nieder, um seinem Sohn eine gute religiöse Erziehung zu ermöglichen. 1856 wird in Edirne der vermutlich aus Ungarn stammende Lehrer, Orientalist und Sprachwissenschaftler Joseph Halévy (1827-1917) Direktor der aus einem Zusammenschluss kleinerer meldarim hervorgegangenen Talmud Tora Ha-Gadol der Portugiesengemeide.7 Er setzt nicht nur einen systematischen Hebräisch- und Französischunterricht für alle Schüler verbindlich durch, sondern gründet Lese-Gesellschaften, die ihre Mitglieder mit hebräischen Zeitschriften aus Europa vertraut und Edirne zu einem (kleinen) Zentrum der sefardischen Haskala machen.8

Die Zwistigkeiten zwischen den Anhängern des Fortschritts und den konservativen Rabbinern endete mit der vollständigen Niederlage der letzten. Jeder wünschte sich eine westliche Erziehung für seine Kinder9.

Da Halévys pro-westliche Ideen den Rabbinern nicht gefallen, verlässt er 1861 Edirne. Einige Jahre später kehrt er nach Edirne zurück und eröffnet eine kleine Knaben-Schule, die 1867 von der Alliance übernommen wird.10 Drei Jahre später eröffnet die Alliance auch eine Schule für Mädchen. Er verlässt die Stadt und wird in den nächsten Jahrzehnten später ein weltberühmter Orientalist und Falascha-Forscher an der Sorbonne.

Unter der Anleitung von Joseph Halévys und seines Vaters macht Mitrani derart grosse Fortschritte, dass ihm im Alter von 13 Jahren die Rabbiner den Titel Haribi Baruh verleihen. Mit 17 Jahren heiratet er Sarah, eine Tochter des aus Jerusalem stammenden Rabbiners Shelomoh Razon,11 mit der er zahlreiche Kinder haben wird.12 Mitrani stützt sich für den Unterricht auf ein Lehrwerk, das ihm sein Lehrer Halévy zur Verfügung gestellt hatte und das später Grundlage für sein eigenes Lehrwerk Hinuhe Banim sein wird.13 Nachfolger von Halévy wird Isaac Mitrani, den wenig später sein Sohn Baruch als Lehrer unterstützen wird. Dieser ist wie Halévy überzeugt, dass ein jüdisches Kind nicht nur den Talmud studieren, sondern sich auch den Künsten widmen sollte. Um dies zu erreichen, entwickelt Mitrani neue Unterrichtsmethoden. Vor allem ist ihm die méthode naturelle (ivrit be'ivrit) für das Erlernen der hebräischen Sprache wichtig. Halévy und Mitrani sind somit zu Recht Vorläufer der pädagogischen Ideen von Eliezer ben Yehuda.

Mit 22 Jahren veröffentlicht Baruch Mitrani 1869 in Saloniki sein erstes Buch: Diskorso de parashot shemot.14 Diese einflussreiche Schrift - das Vorwort ist in Hebräisch, der Text in Judenspanisch - nimmt alle seine lebenslangen Themen vorweg: Kampf für die Verbreitung der hebräischen Sprache und die Errichtung von Schulen, um den sefardischen Juden eine wissenschaftliche Bildung und Ausbildung zu ermöglichen:

Solange wir untätig sind, wird unser Judentum schwach sein, die heilige Sprache unbekannt und wir ungebildet, hat G‘tt recht, uns im Exil zu lassen15.

Hier ist er sich mit dem Zionisten und Rabbiner Yehuda Alkalay einig, den er in seinen Schriften wiederholt zitiert und den er später in Baden-Baden treffen wird. Beiden ist klar, dass der Weg nach Zion nur über die Wiedergeburt der gesprochenen hebräischen Sprache führt.16

Da seine Erziehungsmethoden den Rabbinern von Adrianopolis zu modern und zu liberal sind, sieht sich Mitrani 1869 gezwungen, die Stadt zusammen mit seiner Familie zu verlassen. Es beginnt nun ein unstetes Wanderleben, das ihn zunächst als Hebräischlehrer an die gerade eröffnete Schule der Alliance in Shumen (früher Shumla) in Bulgarien führt.17 Wenig später bewirbt er sich um die Stelle des Direktors an der 1870 gegründeten Mädchenschule in Edirne. Da er abgelehnt wird, gründet er zum Missvergnügen der Alliance eine eigene Mädchenschule.18 Seine Unzufriedenheit mit den von der Alliance vertretenen Unterrichtsmethoden und ihrer Lehrern macht er in polemischen und häufig verletztenden Artikeln öffentlich, die in den Jerusalemer Monatsschriften Havazelet und haMagid sowie in der Stambuler Zeitschrift Jurnal Israelit gedruckt werden.19

Als die Talmud Tora aGadol bei einem Brand zerstört wird, gründet er die Schule Akedat Yizhak (Bindung Israels), die er zusammen mit seinem Vater leitet.20 Um das Überleben der Schule zu sichern, ruft er den Unterstützungsverein Mikve Israel (Hoffnung Israel) ins Leben, dem in kurzer Zeit mehr als zweihundert Mitglieder beitreten. In der neuen Schule ist die Unterrichtssprache Hebräisch, neben Französisch wird aber auch Türkisch und Rechnen unterrichtet.21 Nach einem Bericht für die Alliance aus dem Jahr 1868 lernen alle männlichen Schüler in Edirne Hebräisch, Spanisch,22 Französisch, Türkisch und Rechnen.23

Diese neue Schule wird nicht nur zu einem Zentrum der Modernisierer in Edirne, sondern hier finden auch zum ersten Mal in der Türkei Theateraufführungen an jüdischen Schulen statt, für die Mitrani eigene Werke in hebräischer Sprache schreibt, die jedoch niemals(?) gedruckt werden:

Die Schule hatte Räume für den Unterricht, eine Bibliothek, einen Gebetsraum und eine Raum für Theateraufführungen. Er (Mitrani) schrieb die Stücke, deren Motive alle aus der Bibel stammten, wie Adam und Eva, Yosef der Zadik, Aman und Mordechay, etc.24 

Trotz seiner problematischen Beziehungen zur Alliance Israélite Universelle bittet er diese um Französischlehrer für seine Schule, möchte sich aber um keinen Preis von der Alliance abhängig machen. Bald sieht sich Mitrani jedoch gezwungen, die Schule zu schliessen. Als Pädagoge ist er überzeugt, dass jede Religion von der Bildfläche verschwinden wird, die nicht von einer Arbeit begleitet wird. Also fordert er, eine Hälfte des Tages der Arbeit und die andere Hälfte dem Studium zu widmen.25 Als die Alliance seine Festanstellung hinauszögert, verlässt er 1874 Edirne.26

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Bulgarien lässt sich Baruch Mitrani in Wien nieder, das viele Sefarden wegen seiner sefardischen Schulen, Institutionen, Bibliotheken sowie der dort verlegten sefardischen Zeitschriften und Bücher anzieht. Eine Generation später wird sich Wien zum Zentrum der sefardischen Philologie entwickeln, mit junge Sefarden aus dem Balkan, die an der Wiener Universität studieren und hier ihre noch heute lesenswerten Doktorarbeiten schreiben.27 Der polyglotte Baruch Mitrani, der neben Hebräisch, Türkisch, Arabisch, Griechisch und Englisch spricht, erlernt rasch die deutsche Sprache. Auf Vorschlag des hebräischen Schriftstellers Peretz Smoleskin nimmt er die Stelle eines Hebräischlehrers und Kantors an, um seine Familie ernähren zu können.28 1877 wird ihm und seiner Frau Sinbul in Wien die Tochter Sarah geboren.29 In Wien und im benachbarten Pressburg erscheinen nun seine wichtigsten Bücher und Zeitschriften.

1877 veröffentlicht er im Eigenverlag bei den Wiener Druckern L. und K. Deutsch, mit Lettern von Eliezer Zuckerman und mit Unterstützung der Wiener Sefarden Abraham Benveniste und Moses Zarfati,30 den zweiten Teil seines hebräischen Lehrbuchs Hinuhe Banim (Erziehung der Kinder): Lehr- und Lesebuch für den elementaren Unterricht in der hebräischen Sprache mit hebräischen und españolischen Übersetzungen, zum Gebrauch in jüdischen Volksschulen im Orient.31 Mit dem Lehrbuch erhofft sich Baruch Mitrani nicht nur Anerkennung, sondern auch die Verwendung dieses Lehrbuch in den Schulen des Osmanischen Reiches.32 Von dem zweiten Band seines Lehrwerkes scheint jedoch nur der erste Teil (helek rishon) erschienen zu sein.

Wie sehr Wien in den Mittelpunkt der sefardischen Welt getreten ist, zeigen nicht nur die zahlreichen Bücher und Zeitschriften, die hier gedruckt und verlegt werden, sonden auch die Tatsache, dass in Wien wichtige Lehrbücher zum Erlernen der hebräischen Sprache erscheinen, die nicht nur in Wien, sondern in allen Balkanländern verbreitet und im Unterricht verwendet werden. Alle diese Lehrwerke zeigen den Wandel des Hebräischunterrichts: von der Lektüre religiöser Texte (Tora, Gebete) zur méthode naturelle (Konversation in der Alltagssprache), von der traditionellen religiösen Erziehung für Jungen zur zionistischen Erziehung für Erwachsene, von der Übersetzung religiöser Texte hin zur Konversation.33 Aber in Wien erscheint auch spanisch-deutscher Dolmetscher für diejenigen Sefarden, die geschäftlich in Wien sind.

1877 veröffentlicht Mitrani unter dem Titel Shemu Banim eine Sammlung von literarischen Neuerscheinungen und biographischen Skizzen, die wie viele seiner publizistischen Arbeiten finanziell ein Misserfolg sind.34

Nach einem Treffen mit dem Rabbiner und Zionisten Yehuda Alkalay in Baden-Baden gründen beide eine Gesellschaft, mit dem Ziel, jüdische Kolonien in Palästina zu errichten, denn nur im Heiligen Land sollen und können Juden frei und selbstbewusst leben:35

Folgen wir also den Wegen unserer Väter ... gehen wir nach Erets Israel, um der Heimat unserer Väter zu dienen und unser Gott wird mit uns sein ... denn nur dort können wir ein Segen für uns und für die anderen sein36

Zwischen 1881 bis 1882 erscheint auf Anregung von Yehuda Alkalay in der Pressburger Druckerei von David Halevi und Abraham David Alkalay die hebräisch-judenspanische Zeitschrift Karmi mit insgesamt fünf Nummern.37 Da die Zeitschrift finanziell ein Desaster ist, verlegt Mitrani die Redaktion ins bulgarische Vidin, wo er für kurze Zeit die Leitung einer Schule übernimmt.38 Zwischen 1882 und 1903 erscheint die Zeitschrift in Varna und Sofia. 1890-1891 lässt Mitrani bei dem Wiener Drucker Moritz Knöpflmacher39 und bei Abraham David Alkalay in Pressburg die Zeitschrift Karmi Sheli drucken.40 Zwischen 1903 und 1906 wird er sie - im Dienste des religiösen Zionismus - unter dem Namen Ha-Shalom / Karmi Sheli in Sofia und Belgrad wieder aufleben lassen und seine Leser mit "Nachrichten aus Palästina, Geschichte der Juden, Religion und Geschichten" informieren.41 Gedruckt wurde die in unregelmässiger Folge erscheinende und immer mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfende Zeitschrift in Belgrad bei der Druckerei S. Horowitz, die Redaktion wanderte jedoch von einer Stadt zur anderen, was für judenspanische Zeitschriften auf dem Balkan eher die Regel als die Ausnahme war. Der Herausgeber der 2. Nummer des dritten Jahres war Isaac Mitrani, der Herausgeber der 3. Nummer des dritten Jahres war Baruch Mitrani.

Romane und Kurzgeschichten, häufig Übersetzungen aus dem Hebräischen, Französischen, Jiddischen oder Deutschen, sind nicht nur bei den Wiener Sefarden überaus beliebt. So übersetzt Baruch Mitrani schon ein Jahr später aus dem Hebräischen „en avla klara ke se avla entre muestros ermanos de la Turkia" ("in verständiger Sprache, so wie es bei uns in der Türkei üblich ist") den Roman

Don Yosef i su ija. Istorya muy kurioza ke akontesyo en la Espanya, en el sikulo kinzeno a la kuenta franka, de un djudio primo ministro del rey Don Iuan42

Mit den Einnahmen aus dem Verkauf hofft der ewig in finanziellen Nöten steckende Mitrani, seine Familie ernähren zu können:

Ich bitte (meine Leser) mir mitzuteilen, ob sie mehr von diesen schönen historischen Geschichten lesen möchten [...] damit würden sie ein gutes Werk tun, meine Familie und meine Kinder, die zur Zeit in schwierig Verhältnissen leben, zu unterstützen [...] und um die jüdische Literatur zu unterstützen43.

Der populäre Kurzroman (48 Seiten), in der Pressburger Druckerei von Franz Nirschy (vormals Sieber's Erben)44 gedruckt und von dem Wiener Verlagsbuchhändler Joseph Schlesinger vertrieben (‹ayado en la butika del Si' Yosef Shlezinger en Vyenah›),45 wird mehrfach nachgedruckt.46 Wohl angespornt von dem kommerziellen Erfolg veröffentlicht Mitrani 1881 in Pressburg den historischen Roman

Eliezer und Naftali, ..... schöne Geschiche. Eine Geschichte die zur Zeit des Ersten Tempels zur Zeit der Shoftim (Richter) zugetragen hatte. Von einem gelehrten Franzosen entdeckt und in allen Sprachen Europas bekannt. In freier Übersetzung übertragen eines neuen und in hebräischer Sprache verfassten Buches des berühmten Gelehrten Aron Margoliot durch mich, Baruch, Sohn des Isaac Mitrani aus Adrianopolis.

Auch dieser Kurzroman (68 Seiten) - eine Übersetzung des hebräischen Romans Megila Eliezer veNaftali von Aharon Margoliot oder Margolis (Warschau 1864), die ihrerseits eine Übersetzung aus dem Französischen ist - wird 1901 unter dem Titel Los dos ermanos in Istanbul nachgedruckt.47 Beide Romane sind heute äusserst selten: Exemplare bzw. Mikrofilme von Don Yosef i su ija besitzen bzw. besassen nur die Jewish National and University Library in Jerusalem, das Jewish Theological Seminary in New York, das Staatsarchiv in Sofia sowie die Strassburger Universitätsbibliothek. Kopien von Eliezer i Naftali sind nur in der Jewish National and University Library in Jerusalem und im Staatsarchiv in Sofia nachgewiesen.48

Mit einer kurzen Unterbrechung lebt Baruch Mitrani von 1889 bis 1897 im Heiligen Land. In Yafo leitet er die sefardische Talmud Tora-Schule mit dem Auftrag, Gelder für ihren Unterhalt zu besorgen, was ihm jedoch nicht gelingt.49 In Jerusalem arbeitet er als Buchhändler und Redakteur der kurzlebigen politisch-literarischen Wochenschrift haOsher / El Prospero, die zwischen 1895 und 1897 in hebräischer und judenspanischer Sprache erscheint.50 Nach vier Jahren, die er persönlich als ein Scheitern empfindet, kehrt er nach Edirne zurück, wo er von neuem die Leitung der Akedat Itzhak übernimmt. Nach dem Tod seiner Frau verlässt er Edirne und übernimmt in Sofia die Leitung die Redaktion der hebräischen Zeitschrift Ha-Shalom, eine Neuauflage seiner Pressburger bzw. Wiener Zeitschrift Karmi Sheli.51

Wien wird er nur noch einmal wieder sehen, als ein kranker und von Geldsorgen geplagter Mann, der sich hier 1908 operieren lässt. Er kehrt nach Edirne zurück, wo er am 23. Av 5779 (19. August 1919) stirbt, vergessen von allen. Bis heute.

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1   Über ihren Ur-Grossvater Baruch Mitrani schreibt die heute in Paris lebende Bella Lustyk: "Ma grand-mère maternelle, Bella Behar, née Mitrani était sa fille et Baruh Mitrani qui était un visionnaire lui a laissé une injonction: tu verras que Eretz Israël va naître. Tu dois partir immédiatement pour Jérusalem. Donc, dès la proclamation de l'Etat, alors qu'ils étaient revenus de Turquie après la guerre et venaient de se réinstaller à Paris, elle et son mari, mon grand-père Raphaël Behar, sans hésitation, ont fait leur aliah et sont partis en Eretz Israël par train et par bateau avec le NEGBA en 1949. Ce départ fut pour moi un très grand déchirement car je les aimais et les admirais l‘un et l‘autre énormément", apud Bella Lustyk 2008.

2   Die Alliance gründete 1870 eine Knabenschule und 1874 eine Mädchenschule in Shumla, siehe Saul Mezan, Les Juifs espagnols en Bulgarie, Sofia 1925, S. 50.

3   Bahar 2008, S. 130-131; Benbassa 1996, S. 2; Aldina Quintana Rodríguez, Translations into Judezmo as a Means of Propagating the Zionist Ideology among the Sephardim (hebr.), in: W. Zeev Harvey & al., Zion and Zionism among Sephardim and Oriental Jews, Jerusalem 2002, S. 507-527.

4   Seine Schriften verzeichnet die vorzügliche Bibliography of the Hebrew Book, www.hebrew-bibliography.com.

5   Nach Gaon 1999, S. 417, war Isaac Mitrani Kaufmann in Edirne und später Shohetin in Filibe (Plovdiv), wo er 1878 gestorben sein soll.

6   Die Familie Trani stammt aus der italienischen Kleinstadt Trani. Spärliche biographische Informationen über Baruch Mitrani in Gaon 1999; Nassi 2000; Rodrigue 2005. Siehe auch die Widmung in seinem 1877 in Wien erschienen Buch Hinuche Banim, S. 4

7   Über Joseph Halévy und sein Werk siehe Daniel Friedman (Hrsg,), Rencontres avec les Juifs d'Éthiopie, Paris 2007.

8   A. H. Navon, La fondation de l'école de l'Alliance à Andrinople, Paix et Droit 3, April 1923, S. 13-15; Haker 2006, S. 39.

9   Alliance Israélite Universelle, Archives historiques, TURQUIE I. G. A 01- Z. 12, Brief vom 27. Juni 1867; Rodrigue 2005, S. 132-133.

10   Shimon Marcus, Über die Geschichte der Juden in Adrianopolis, Sinai 29, 1951, S. 318-344 (hebr.).

11   Gaon 1999, S. 633.

12   Gaon 1999, S. 405.

13   Rodrigue 2005, S. 133.

14   Von den europäischen Biobliotheken besitzen nur Oxford und Strassburg eine Kopie.

15   Diskorso, S. 26-27.

16   Jenni Lebel, Lovesick for Jerusalem. Rabbi Yehuda Alkalay, the Political and Communal Context of his Activity, Pe'amim 40, 1989, S. 21-48 (hebr.); Itzhak Refael (Hrsg.), Kitve ha-rav Yehuda Alkalay, 2 Bde, Jerusalem 1974 (hebr.). Siehe auch Michel Masson, La renaissance de l'hébreu, in: István Fodor & Claude Hagège (Hrsg.), La réforme des langues. Histoire et avenir, Hamburg 1983-1984, Bd. 4, S. 449.

17   Haramati 1978, S. 55; Rodrigue 205, S. 133. Nach den Unterlagen der Alliance Israélite Universelle waren jedoch Isaac und Baruch Mitrani zu keiner Zeit Lehrer an einer der Alliance-Schule, siehe www.archives-aiu.org/aiu/index.

18   Alliance Israélite Universelle, archives historiques, Turquie VI E, Bloch, 21. September 1871.

19   Rodrigue 2005, S. 133.

20   Haker 2006, S. 51.

21   Nassi 2000, S. 15-16; Haker 2006, S. 51.

22   Nach J. Mitrani wurde in keiner der vier jüdischen Schule Edirnes Judenspanisch unterrichtet (el judeo-español no es enseñado en las escuelas, siendo non es considerado como una lingua vivanté, ma todos lo conocen por averlo enseñado de sus parientes en sus tierna edad), Angel Pulido Fernández, Españoles sin patria y la raza sefardí, Madrid 1905, S. 423.

23   Paul Silberman, An Investigation of the School operated by the Alliance Israélite Universelle from 1862 to 1940, PhD dissertation, New York University, 1974, S. 75.

24   Elena Romero, Repertorio de noticas sobre el mundo teatral de los sefardíes orientales, Madrid 1983, S. 373-374; siehe auch Haker 2006, S. 52.

25   Nassi 2000, S. 16.

26   Rodrigue 2005, S. 134; Haramati 1978, S. 48.

27   Studemund-Halévy 2009.

28   Angaben nach Lustyk 2009.

29   Sarah Mitrani, geb. 25. 10. 1877, siehe M. Tagger, Birth Register Vienna, www.sephardicgen.com/databases/viennaBirths

30   Hinuche Banim, S. 8.

31   Teil 1 erschien 1875 in Jerusalem.

32   Rodrigue 2005, S. 133.

33   Gomel 2006b, S. 59.

34   Gaon 1965, S. 124, nr. 289. Von den europäischen Bibliotheken besitzt nur Strassburg eine Kopie.

35   Yehuda Alkalay (1798-1879), zionist geb. In sarajevo und gesztoprben in palästina; Lustyk; Gaon 1999, S. 406.

36   Nassi 2000, S. 17.

37   Karmi. Oja literarya nasyonala. Estampado en la estamparia de David Halevi i Abraham David Alkalay en Presburgo, Gaon 1965, S, 66-68, nr. 139.

38   Meyer Kayserling, Biblioteca Española-Portugueza-Judaica. Dictionnaire Bibliographique, Strasburg 1890, S. 112; Romero 1992, S. 187; Gaon 1965, S. 66, nr. 139; Yaari 747; Haker 2006, S. 42; Vicki Tamar, Bulgaria and Her Jews. The History of a Dubious Symbiosis, New York 1979, S. 109; Salvator Israel, Jüdische Zeitungen und Zeitschriften auf Hebräisch und Judenspanisch in Bulgarien, Godishnik 1, 1967, S. 139-167 (bulg.); Bulgarische Zeitschriften, 1844-1944. Eine annotierte Bibliographie (bulg.), Sofia 1969, 3 Bde, judenspanische Zeitschriften in Bd. 3, S. 16-20.

39   Zu Isaac und Moritz Knöpflmacher siehe Studemund-Halévy & Collin 2008; Studemund-Halévy 2010.

40   Karmi Sheli. , Gaon 1965, S. 68, nr. 141.

41   Gaon 1965, S. 68, nr. 140, S. 121-123, nr, 284; Yaari 748; Pesic 2007, S. 5.

42   Von den europäischen Bibliotheken besitzt nur Strassburg eine Kopie.

43   Diskorso, S. 1.

44   Zwischen 1852 und 1891 druckte 14 Titel auf Hebräisch und Judenspanisch.

45   In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts avanciert Joseph Schlesinger zum bedeutendsten Verleger sefardischer Literatur in Wien, siehe dazu Studemund-Halévy & Collin 2008; Studemund-Halévy 2010.

46   Max Grünbaum, Judenspanische Chrestomathie, Frankfurt am Main 1896, S. 147-148.

47   Der Roman geht auf einen Text des bei den Sefarden beliebten französischen Schriftstellers Jean-Pierre Claris de Florian zurück (Eliézer et Nephtaly, poème traduit de l'hébreu, Paris 1800); siehe auch Romero 1992, S. 255-256.

48   Collin & Studemund-Halévy 2009.

49   Haramati 1978, S. 79.

50   Nassi 2000, S. 18-19; Nassi 2001, S. 42; Gaon 1965, S. 105, nr. 241.

51   Hashalom, godište III (1905-1906), Beograd, Sofija, izdavaci: Isak i Baruh Mitrani; siehe auch Gaon 1965, S. 121-123, nr. 283;  Paunovski 1997, S. 59; Pesic 2007.