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Hakensprünge durch die Kunstgeschichte

Naomi Felice WONNENBERG

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Der Frühling kommt, Osterzeit, und in den Wäldern – wie auch in den Supermärkten - wimmelt es nur so von Hasen. In Schokolade gegossen oder „in Echt" - die Langohren „vermehren sich" derzeit sprichwörtlich „wie Karnickel", und dank ihrer ausserordentlichen Fruchtbarkeit galten sie von alters her in den verschiedensten Kulturen als Fruchtbarkeitssymbol.

So wurde dieses heidnische Symbol in die christlichen Osterbräuche integriert, auch wenn der Hase mit seinem ausgeprägten Sexualtrieb der Kirche ansonsten „nicht so ganz koscher" war. Man findet ihn gewöhnlich zu Füssen der Maria Magdalena. Hier sieht man den Hasen, genau wie das sehr lange, offen getragene Haar Maria Magdalenas, als „Anspielung auf das unkeusche Leben der Heiligen vor ihrer Bekehrung", erklärt der Kunsthistoriker Matthias Deml eine solche Hasendarstellung in den Fenstern des Kölner Domes.

Greif frißt Hasen, Metapher für die Kosakenpogrome im frühen 17. Jahrhundert. Aus der Synagoge in Chodorow. Replika, heute im Bet Hatefutzot - Museum der jüdischen Diaspora. Foto: Y. Brill

Doch wie sieht es im jüdischen Kontext aus? Zunächst kann man ganz klar konstatieren, dass Meister Lampe bei Juden "nicht auf den Tisch" kommt. Er wird in der Thora explizit als nicht-koscheres Tier angeführt. Was der Ehre des Langohres keinen Abbruch tut. Schließlich sind der so positiv konnotierte Löwe oder der Adler auch nicht koscher.

Manche Rabbiner, wie z. B. Yosef Hayim Yerushalmi sahen in Hasen auch ein Symbol für Juden in der Diaspora: immer gejagt, immer auf der Flucht.

Der Begriff „Mühlviertler Hasenjagd" wurde sogar während der NS-Zeit für die Jagd auf Leute verwendet, die aus einem KZ flüchteten und von den Nazis gejagt wurden.

In vielen Pessachgebetsbüchern, so auch in einer Prager Haggadah von 1526 finden wir darüber hinaus eine „YaK-Ne-HaZ", die Darstellung einer Hasenjagd: „Jag‘ nen Has", die als eine Mnemonik, eine Eselsbrücke hilft, sich an die komplizierte Abfolge der Segenssprüche zu erinnern, die es einzuhalten gilt, wenn der Pessachabend, wie in diesem Jahr (2008) auf Motzei Shabbat, Schabbatausgang fällt. Y = Yain, Wein K = Kiddush, Segensspruch auf den Wein, u.s.w.

Drei anderen Langohren jedoch, die sich, wie es scheint, gegenseitig jagen, soll hier auf ihren geheimnisvollen Wegen quer durch die Jahrhunderte und Kulturen nachgespürt werden.

Drei-Hasen-Kreis aus der Synagoge in Chodorow. Replika, heute im Bet Hatefutzot - Museum der jüdischen Diaspora. Foto: Yaakov Brill

Im deutschen Sprachraum wird dieses graphische Symbol in einem Rätselwort beschrieben:

„Der Hasen und der Ohren drei / Und doch hat jeder seine zwei."

Die frühesten Darstellungen solcher "Rotating Rabbits" sind jedoch aus buddhistischen Höhlen in Touenhouang in China bekannt, sie werden auf das 6. und 7. Jahrhundert datiert, aus der Sui Dynastie.

Von da aus scheinen die Pelztierchen im 12. Jahrhundert über die Seidenstraße in den nahen Osten, in des sagenhaften Saladins Ajubidenreich gehoppelt zu sein. In einer Ausstellung über dieses sagenhafte Reich im Institut der arabischen Welt in Paris sieht man die drei Hasen im Kreise auf einer Keramikscherbe abgebildet, was „eher ungewöhnlich ist, im moslemischen Kontext" erklärt Eric Delpont, Verantwortlicher für die Sammlung und Ausstellungen des Pariser Museums. Als dieses Hasensymbol aus Asien in den islamischen Kulturraum kam, „fand man es zumeist auf Metallgegenständen eingraviert, wesentlich seltener auf Keramik", so Delpont. Ob in Metall oder in Glasur, es sei „schwierig, dem Symbol eine präzise Deutung im muslimischen Kontext zuzuordnen, doch wird der Hase zuweilen mit dem Begriff der Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht", schließt Delpont seine Erklärungen.

„Ex oriente Lepus" - aus dem Orient kommend fanden die drei Hasen dann schliesslich auch den Weg nach Europa. Ein geschickter Steinmetz schuf Anfang des 16. Jahrhunderts das Drei-Hasen-Fenster im spätgotischen Kreuzgang des Paderborner Domes. Manche Kunsthistoriker wollen in den drei Hasen ein Symbol für die heilige Dreifaltigkeit sehen, dieser Theorie wird jedoch häufig wiedersprochen, da der Hase an sich ja, wie aus Demls Erklärungen hervorgeht, im christlichen Kontext negativ konnotiert ist.

Geheimnisvoll treten die Langohren auch in einer leicht abgewandelten Abbildung ein Jahrhundert nach ihrem Erscheinen am Paderborner Dom wieder auf, etwas weiter nördlich, in Hamburg. In der alchemistischen Schrift „Von der großen Heimlichkeit der Welt und ihrer Artzney, Chymische Schriften", Hamburg 1677, von Basilius Valentinus sieht man unsere drei Häslein von drei Hunden im Kreis gejagt.

Auch hier wird wieder auf ihr aktives Liebesleben und den regen Sexualtrieb angespielt:

„Dann wann Venus beginnt zu rasen/ so macht sie grausam viel Hasen/ Drumb Mars bewahrt mit deinem Schwerdt/ Dass Venus nicht zur Huren wird", so der Text der Abbildung.

Und obwohl die Häslein in deutschen Landen so liebevoll aufgenommen wurden, dass sie bis heute als Symboltierchen adaptiert werden, trieb es die rastlosen Nachtwesen weiter auf ihren Hakensprüngen durch die Kunstgeschichte. So schaffte Meister Lampe denn auch den Sprung über den Ärmelkanal, wo sich die Hasen im Südwesten Englands, in Devon, „wie die Karnickel vermehrten". Das rätselhaft-häufige Auftreten der rotierenden Nager in Dorfkirchen faszinierte die Kunsthistorikerin Sue Andrew derart, dass sie im Jahre 2004 die Forschungsgruppe „The three hares project" gründete. Sie fand die Darstellung in den hölzernen Dachstühlen an zentraler Stelle in den Kreuzungspunkt der Dachbalken eingeschnitzt.

Andrew erläutert: „Wir wissen von siebzehn Gemeindekirchen in Devon, die zumindest einen solchen Dachstuhlschmuck mit dem Dreihasenmotiv aufweisen. Das Dreihasenmotiv wurde als Schmuckaufsatz hergestellt, der den Kreuzungspunkt der Balken verdeckt. In ganz Devon haben wir insgesamt 29 gefunden, davon sind 19 mittelalterlich und aus Holz hergestellt. Die Schnitzereien sind derart unter-schiedlich, dass man daraus schliessen kann, dass sie in unterschiedlichen Werkstätten in der ganzen Gegend hergestellt wurden. Sie erscheinen immer an zentraler Stelle, oft in Kombination mit dem „Grünen Mann „, einem anderen vorchristlichen Symbol.

Doch auch in diesen schönen Dorfkirchen wollten sich die schnellen Läufer nicht aufs Faulbett legen. Und so kreisten sie weiter durch die Kunstgeschichte, diesmal wieder gen Deutschland, oder besser gesagt, in den „aschkenasischen" Kulturraum. „Aschkenasisch" bedeutete ursprünglich im althebräischen Sprachgebrauch „deutsch", doch bezeichnen wir heute jüdische Kultur in ganz Zentral- und Osteuropa als aschkenasische Kultur. Und in diesem Kulturraum finden wir die nächste Generation der rotierenden Langohren.

In allen der Autorin bekannten Holzsynagogen des 17. und 18. Jahrhunderts tauchen die drei Hasen unter den vielfältigen Holzmalereien auf.

Sowohl in jener Synagoge, die ursprünglich aus Horb in Süddeutschland stammte und später dem Israel Museum Jerusalem gestiftet wurde, wie auch in den transportablen Holzpanelen, die den Gebetsraum von Unterlimburg ausgeschmückt haben, findet sich das Drei-Hasen-Motiv. Auffällig ist dabei, dass die „Rotating Rabbits" immer an höchst prominenter Stelle auftauchen, immer genau über dem Thoraschrein an der Decke. In der jüdischen Sammlung weiser Sprüche, den „Sprüchen der Väter" (Pirke Avot) heißt es:

(והחוט המשולש לא במהרה ינתק יפרד)

„Auf dass die Dreiecksschnur nicht bald zerreiße", ein Ausspruch, der als Symbol für den Zusammenhalt und die Solidarität innerhalb der jüdischen Gemeinde gedeutet wird.

Die Anordnung der Hasen in Kreisform kann man generell mit dem Symbol des Kreises in Verbindung sehen. Der Kreis hat keinen Anfang und kein Ende, er ist ewig, so wie der gläubige Mensch sich G’tt als ewig denkt.

Auch eines der Hauptexponate des Museums der Jüdischen Diaspora in Tel Aviv weißt unsere drei Leporiaden auf: (siehe Abbildung). Die Synagoge aus Chodorow bei Lvov (Lemberg) wurde von Israel Ben Mordechei Lisnicki von Jaryzcow im Jahre 1714 ausgemalt. Im Jahre 1941 von den Nazis zerstört, ließ sich dieses kunsthistorische Juwel nur mithilfe historischer Fotografien rekonstruieren. In einem Text der Kunsthistorikerin Ida Uberman über die gleiche Synagoge heißt es: „Wir finden hier Darstellungen von drei Tierarten, je in einem Kreis angeordnet. Ein Adler, Fische und Hasen. Diese drei repräsentieren die drei kabbalistischen Elemente der Welt: Erde, Wasser und Feuer/Himmel." Wichtig ist der jüdischen Kunsthistorikerin auch, dass „sie immer als Drei zusammen erscheinen", die Zahl drei sei „im kabbalistischen Kontext sehr bedeutungsvoll". Abgesehen von Uberman‘s Auslegung lässt sich eine Bedeutungsebene in allen Kulturen konstatieren: der Hase als Fruchtbarkeitssymbol. Und auch in der Chodorowsynagoge sieht man sie spiegelbildlich zu den drei Fischen im Kreis abgebildet, die ihrerseits als die fruchtbarsten Tiere des Wassers gelten, wohingegen die drei Hasen im Kreis als die fruchtbarsten Tiere des Landes gesehen werden.

In der Synagoge von Chodorow gibt es auch eine Darstellung, wie Hasen von einem Raubtier- hier einem greifähnlichen Wesen - gepackt und gefressen werden (siehe Abbildung). Diese Darstellung ist nach Rachel Schnold, Kuratorin am Diasporamuseum, „eine metaphorische Darstellung der Kosakenpogrome Anfang des 17.Jahrhunderts in Galizien", eine visuelle Aufarbeitung der traumatischen historischen Ereignisse. Dieser Darstellung sind Malereien von Raubtieren, die Blumen halten gegenübergestellt. Solche vegetarischen Löwen, Einhörner und Bären symbolisieren die Hoffnung auf das messianische Zeitalter, in dem laut Bibel selbst „der Löwe Gras fressen wird". Die Hoffnungen und Phantasien über die Ankunft des Messias erstarkten im 17. Jahrhundert und gipfelten in den Ereignissen um Schabtei Zwi, den „falschen Messias".

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Hasen - und der Dreihasenkreis insbesondere - in viele Kulturen migriert sind. Oft wurde dabei das alte Symbol mit einer neuen Bedeutungsebene aufgeladen. Dennoch scheint es von Kunsthistorikern etwas bemüht, den Hasen zuerst die Dreifaltigkeitstheorie und hernach die Kabbalah andichten zu wollen. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass Hasen mit ihrem graphischen Drei-Ohren-Rätsel Menschen aller Konfessionen und Jahrhunderte derart fasziniert haben, dass sie in den verschiedensten Kulturen und Konfessionen ihre Fährten in der Kunst hinterlassen haben - auch wenn sie mit ihren Hakensprüngen den definitiven Interpretationen der Kunsthistoriker immer wieder auf‘s Neue entkommen. Ich hoffe, die intellektuell-spielerische Hasenforschung durch die Jahrtausende hat ihnen trotzdem Freude bereitet und wünsche Ihnen Pessach Kasher Ve Sameach, inklusive YaKNeHaZ.

Naomi Felice Wonnenberg ist Kunsthistorikerin und Künstlerin und arbeitet seit 2004 in Bildungsabteilungen u.a. des Jüdischen Museum Berlin, von Yad Vashem, des Israel Museums Jerusalem und des Museums der Jüdischen Diaspora Tel Aviv. Sie schreibt regelmässig Kunstkritiken fuer die Jerusalem Post u.a. englisch- und deutschsprachige Zeitungen. Seit 2001 forscht sie über Darstellungen von Hasen und insbesondere von Rotating Rabbits.