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Unser Wien. "Arisierung" auf österreichisch

Tina WALZER

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Nach dem 12. März 1938 wurden Juden durch die Stadtbevölkerung in beispielloser Weise entrechtet, erniedrigt, vernichtet, beraubt. Nicht nur Private profitierten davon, sondern auch die öffentliche Hand. Nach 1945 jedoch herrschte in der öffentlichen Meinung die Einstellung vor, Österreich wäre als "erstes Opfer Hitler-Deutschlands" zu betrachten. Anders als in der Bundesrepublik, wo für konkrete Schäden detaillierte "Wiedergutmachungszahlungen" in beträchtlicher Höhe geleistet wurden, geschah dies in Österreich nicht. Stattdessen beherrscht bis zum heutigen Tag eine Frage die Debatte um Enteignung und Restitution: Wer ist eigentlich ein "richtiges" Opfer, wem steht diese Bezeichnung zu? Die Auseinandersetzung mit Österreichs NS-Vergangenheit ist immer noch lückenhaft. Allzu oft wird nicht nur die Existenz der Täter geleugnet, sondern auch die ihrer Opfer. Den solchermaßen totgeschwiegenen Betroffenen fällt die Verständigung mit den Wienern nicht leicht. Jedes Restitutionsbemühen aber steht damit vor einem unüberwindbaren Hindernis, denn: Kein "Opfer" ohne "Täter". Manipuliertes Rechtsbewußtsein Geht es um die Enteignung von Juden, so ist der Begriff "Täter" in der Wiener Gesellschaft oft nicht negativ besetzt. Die Wertvorstellungen aus der NS-Zeit dominieren bis heute die Sicht so mancher Profiteure und ihrer Nachkommen auf die Vergangenheit. Einst hatten ideologische Vordenker der Nazis Mittel und Wege gefunden, die gewaltsame Veränderung der Besitzverhältnisse als "gerecht" hinzustellen: Sie schufen Gesetze, die aus dem Akt der Beraubung eine legale Handlung werden ließen. Gleichzeitig nannten sie Raub und Bereicherung bei neuen Namen - "Arisierung" – die Überführung von Wertobjekten in "arischen" Besitz. Auch bereits bestehende Begriffe wurden zu Werkzeugen der Enteignungspolitik: "Liquidation" und "Abwicklung" sollten die wirtschaftliche Rentabilität des Raubzuges untermauern: Unter dem Vorwand der schlechten Geschäftsgebarung wurden jüdische Betriebe geschlossen, ihre Warenlager geplündert, ihre Bankguthaben einkassiert. So täuschten die neuen Worthülsen wie selbstverständlich eine Berechtigung vor. Im Mittelpunkt des Bemühens aber stand eine Verschiebung der Perspektive von Opfern und Tätern. Plötzlich waren "die Volksgenossen" zu den eigentlichen Opfern gemacht, während man "den Juden" die Verantwortung dafür in die Schuhe schob. So nahm sich der Profiteur einer Enteignung nur das, was ihm angeblich zustand - jedes Schuldgefühl wurde auf diese Weise von vorne herein abgewehrt. Vertreibungen Mit dem rapide voranschreitenden Verlust sämtlicher staatsbürgerlichen Rechte gerieten ab dem März 1938 immer mehr Juden in eine Zwangslage. Egal, wie sie handelten, sie waren ständig von Bestrafung und Ermordung bedroht. Daher ließen viele nichts unversucht, um wenigstens Familienangehörige und Verwandte zu retten. Zwischen den teuren Affidavits auf der einen und den horrenden Zahlungsvorschreibungen der Nazis auf der andereren Seite löste sich so mancher Familienbesitz in Luft auf. Adolf Kulka verbürgte sich, eine Geschäftsschuld seines Sohnes zu übernehmen. Dann löste er Versicherungspolizzen auf und verkaufte einen Smyrna- Teppich, zahlte mit dem Erlös auf eine Schiffsfahrkarte an und kratzte sämtliches vorhandene Bargeld zusammen. Er schaffte es: seine Söhne konnten nach Bolivien auswandern.1 Béla Waldmann, Besitzer des Café Herrenhof, finanzierte die Ausreise seines Sohnes, seiner Tochter und seines Schwiegersohnes.2 Die Frauenrechtlerin Yella Hertzka unterstützte vierzehn ihrer nahen Angehörigen, die in finanziellen Schwierigkeiten waren bzw. sich die Flucht nicht leisten konnten.3 Oskar Hoffmann lieh seinem Bruder das für die Ausreise nötige Geld.4 Elisabeth Harta, die Ehefrau des Malers Felix Albrecht Harta, ermöglichte ihrem Bruder die Ausreise, indem sie die nötigen Formalitäten bezahlte und seine Restschuld an Miete in Wien beglich.5 Plakataktion bei jüdischen Geschäften Café Herrenhof Delogierungen Die "Umverteilung" jüdischen Besitzes war gründlich, den Opfern ließ man nichts. Sie standen bald mit leeren Taschen da, ohne Arbeit, ohne Bleibe, ohne Dokumente, ohne Rechte. Am Beispiel der Delogierungen etwa zeigt sich dies deutlich: Viele Juden wurden bereits im Zuge der Anschlußpogrome aus ihren Wohnungen hinausgeworfen. Eine Liste der Wiener Kultusgemeinde berichtet über Delogierungen um den 9. /10. November 1938: "Grünwald Jakob, X, Ettenreichgasse 1/8: Schlüssel abgenommen, Möbel auf den Gang gestellt. [...] Ajzykiewicz Hermann, XX, Raffaelgasse 16/18: Räumungsauftrag per 12. 11., Bargeld beschlagnahmt, hat 2 Monate altes Kind. [...] Bartfeld Meinert, IX, Van Swieteng. 6/5: Wohnungsschlüssel abgenommen, Wohnung versiegelt (6 Personen). [Gleichzeitig werden aus diesem Haus die Bewohner weiterer 3 Wohnungen vertrieben: Türnummer 6, 8, und 11] [...] Huppert Herbert, VII, Neustiftgasse 41: Am 10. Nachmittags Schlüssel von Geschäft und Wohnung beschlagnahmt, Mann, Frau und Kind obdachlos. [...] Boxer Heinrich, VI, Eszterhazygasse 31: Schlüssel abgenommen, Sohn soll am 17. ds. wegfahren, kann Sachen aus der Wohnung nicht holen. Mutter laut Zeugnis des Fürsorgearztes bettlägerig."6 Entrechtung im privaten und beruflichen Bereich Ein wahrer Dschungel an behördlichen Bestimmungen erblühte bald. Es war ein Durcheinander, jeder Nazifunktionär, jeder Beamte bestimmte nach Belieben, keiner hielt sich daran. Das Unternehmen "Entjudung" war trotzdem effizient im Enteignen. Jeder, den die Nazis mithilfe der Nürnberger Rassegesetze als "jüdisch" definierten, hatte der Enteignungsbehörde (genannt "Vermögensverkehrsstelle") eine detaillierte Aufstellung seiner Besitztümer per 27. April 1938 vorzulegen. Hugo Botstiber erbrachte eine Vermögensanmeldung, doch war ihm nicht klar, ob die diesbezüglichen Gesetze auf ihn überhaupt anwendbar waren. Nachweisen mußte er das natürlich selbst, und die Behörden teilten dann selbstherrlich mit, ob sie die eingebrachten Argumente akzeptierten oder nicht. Botstiber schrieb: "Ich bin katholisch, doch ist meine Abstammung bis jetzt nicht klargestellt. Nach der Familientradition bin ich Mischling I. Grades. Bis jetzt konnte ich die nötigen Dokumente noch nicht beschaffen, da meine Eltern Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika waren (Bürgerpapier in meinem Besitz). Wenn ich die nötigen Abstammungsnachweise in Händen habe, werde ich sie vorlegen u. diese mit Vorbehalt abgegebene Anmeldung als gegenstandslos zurückziehen." Botstiber war Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft und 63 Jahre alt. Sein Gehalt für Mai bis Juli wurde ihm nicht mehr ausbezahlt. "Ich bin derzeit krankheitshalber beurlaubt. Meine Ruhestandsbezüge sollen ab 1. August gezahlt werden, worüber ich allenfalls (siehe Bemerkg. 1) in einem Nachtrage berichten werde."7 Es ist anzunehmen, daß er dieses Geld nicht mehr bekommen hat. Richard Kronstein schrieb an die Behörde: "Ich lebe seit dem Jahre 1933 in Zug in der Schweiz. Mein im deutschen Reichsgebiet gelegenes Vermögen besteht in dem Hause Wien XIX, Hohe Warte Nr. 50, E.Z. 274 Kat.- Gem. Heiligenstadt. Dieses Haus wurde noch vor dem Stichtag beschlagnahmt. Aus diesem Grunde ist es nicht möglich, die im Hause befindlichen Einrichtungsgegenstände und die Höhe ihres Wertes, soweit sie für die Vermögensanmeldung in Betracht kommen, festzustellen. Aber auch die Einbekennung des Wertes des Hauses als solchem ist derzeit nicht möglich, nicht nur, weil ich keinerlei Nutzen oder Ertrag davon habe, sondern auch, weil es noch völlig ungeklärt ist, was mit dem Haus geschehen wird. Der Wert des Hauses wird sich erst feststellen lassen, sobald von der Geheimen Staatspolizei die Entscheidung über sein weiteres Schicksal erflossen sein wird. Da erfahrungsgemäß die Erledigung derartiger Angelegenheiten wegen der großen Überlastung der Geheimen Staatspolizei längere Zeit in Anspruch nimmt, ersuche ich um Erstreckung der Frist für die Vorlage des Vermögensverzeichnisses bis 31. Oktober 1938."8 Béla Honig beschrieb die typische Arbeitsweise der im Zuge der Enteignung eingesetzten "kommissarischen Verwalter" so: "Der Wert meiner Betriebe Busch- und Haydnkino anzugeben, ist mir dzt. unmöglich, da dieselben unter kommissarischer Leitung, bzw. unter Verwaltung der Reichsfilmkammer stehen. Da mir der Zutritt zu den Betrieben nicht möglich ist, habe ich auch keinen Einblick in die Aufzeichnungen in denselben."9 Der ehemalige Eigentümer durfte seinen Betrieb – in diesem Fall zwei Kinos - nicht mehr betreten, hatte daher auch keinerlei Einblick in die Gebahrung, Mitspracherecht oder Einflußmöglichkeit mehr, mußte dafür aber dennoch Rechenschaft ablegen. Die Verwalter mißwirtschafteten in der Regel mit dem einzigen Ziel, sich persönlich zu bereichern. Daraus wurde dann eine Überschuldung konstruiert, die aber wieder der schlechten Geschäftsführung des Eigentümers in die Schuhe geschoben wurde. Liquidationen Mit der Behauptung, das angestrebte Unternehmen sei nicht rentabel geführt gewesen – Investitionskredite etwa wurden plötzlich als Verschuldung heruntergewirtschafteter Betriebe interpretiert - gelang es so manchem Profiteur, sich ganz ohne Entgelt in den Besitz der enteigneten Güter zu setzen. Hugo Fürst hatte das Grabencafé bis zu dem Zeitpunkt besessen, als ein "kommissarischer Verwalter" für den Betrieb eingesetzt wurde. Es ging bergab. Am 10. Mai 1938 wurde das Café mit Einverständnis der Gast- und Schankgewerbezunft geschlossen, denn da war das Kaffeehaus "als reiner Judenbetrieb schon so passiv, dass nicht einmal die laufenden Löhne bezahlt werden konnten." Daraufhin wurden Inventar und Warenvorräte durch die Hausinhabung versteigert und ein neuer "kommissarischer Verwalter" bestellt, der aber wohl zu spät kam, da er von den Versteigerungen gar nicht informiert war. Nun protestierte auch der erste "Verwalter", Pg. Franz D., machte sich zum Fürsprecher der Angestellten und zeigte die Hausinhabung bei der Vermögensverkehrsstelle an. Er plädierte dafür, beim Exekutionsgericht zugunsten der Angestellten zu intervenieren. 10 Ein Profi machte sich ebenfalls Gedanken über die verbesserte Nutzung des Grabencafés: "Ich beabsichtige dieses Etablissement vom Hausbesitzer zu mieten und darin ein rein volkstümliches Café- und Tanzcabaret in der Art des Münchener Centralpalastes, dessen Programm ich u. a. seit dessen Bestehen besetze, zu eröffnen. Der Eintritt soll mit Garderobe höchstens 1.- RM kosten, außerdem sollen die Getränke (Bier, Tassen Cafe, Schoppen Wein etc.) auf so niedriger Höhe gehalten sein, daß auch der sogenannte kleinere Mann sich einen Besuch leisten kann. Dabei sollen ganz erstklassige Programme (Tagesetat für Artisten ca. 350.- RM) geboten und eine aus 7 Mann bestehende ausgezeichnete Tanz- und Begleitkapelle engagiert werden. Mit dieser Betriebsform haben wir im Altreich, insbes. auch in München und mit dem Centralpalast allerbeste Erfahrungen gemacht und sind schrittmachend beim Abbau der früher unerschwinglichen Cabaretpreise gewesen, was nach den von mir in den letzten Wochen in Wien gemachten Erfahrungen dort besonders vonnöten wäre."11 Der Schreiber, seines Zeichens "staatlich konzessionierter Artisten- Agent (In- und Auslandsvermittlung)" zählt auf, was ihm zur Verwirklichung dieser Entertainerträume im Wege steht: Die Miete sei zu hoch und außerdem seit geraumer Zeit nicht bezahlt worden, die Konzession mit Schulden an Krankenkasse, Bund, Gemeinde Wien und Warenlieferanten belastet. Daß nun der Käufer diese Schulden übernehmen solle, halte er für untragbar, "denn die Konzession besitzt ja, da der Betrieb völlig heruntergewirtschaftet, momentan sogar geschlossen ist und erst eine neue, lukrativere Betriebsform gefunden werden muß, so gut wie gar keinen Wert. Ich wäre Ihnen nun für frdl. Rückäußerung verbunden, 1). Ob Ihrerseits Interesse für die Errichtung eines Betriebes der geschilderten Art besteht, 2). Ob die Möglichkeit besteht, Ihre Unterstützung bei der Erreichung eines vernünftigen Mietvertrages vom Hausbesitzer zu erhalten, 3). Ob mit der Niederschlagung der öffentlichen Forderungen gerechnet werden kann, 4). Ob mit Ihrer Unterstützung beim Ausgleich mit den Warenschuldnern zu rechnen ist, 5). Ob ich darauf rechnen kann, eine Cafehaus- und Cabaretkonzession zur Führung des Lokals in obigem Sinne zu erhalten."12 Der Betrieb wurde liquidiert und erstieg bald darauf wie Phönix aus der Asche - wieder als Kaffeehaus. Auch das Hotel "Imperal" gehörte der Bristol AG. Samuel Schallinger wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er ein Jahr darauf ums Leben kam. "Säuberung" in Vorstandsgremien Gerade die Aktiengesellschaften wurden mit dem Feindbild der bürgerlich- kapitalistischen Wirtschaftsordnung identifiziert. Als Vorwand für großangelegte Bereicherungsaktionen diente die angeprangerte Ausbeutung. Ein Beispiel: Große Kuranstalten und Hotels hatten mitunter die Organisationsform der Aktiengesellschaft gewählt. Samuel Schallinger war einer der Hauptaktionäre der Bristol AG, ihres Zeichens Betreiberin des feudalen Hotel Bristol in Wien 1, Kärntnerring 16. Schon am 21. März 1938 wurde der Verwaltungsrat "entjudet". Das klingt ganz lapidar so: "Unter Vorlage der Protokolle der am 21. März 1938 abgehaltenen Verwaltungsratsitzung beantragen wir, die Herren Rechtsanwalt Dr. Ernst Hoffmann, Ing. Hermann Klimpfinger, Dr. Günther Rustler, Friedrich von Schoeller als Mitglieder des Verwaltungsrates unserer Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen, und die Herren Rechtsanwalt Dr. Paul Abel, Präsident Leopold Langer, Kommerzialrat S. Schallinger, Kommerzialrat Heinrich Löwinger, als Mitglieder des Verwaltungsrates unserer Gesellschaft zu löschen."13 "Zollfahndung" Auch Nathan Eidinger, Präsident der Cottage- Sanatorium AG in 18, Sternwartestraße 74 durfte seine Aktienanteile an der Gesellschaft nicht behalten.14 Gleich darauf erstattete die Zollfahndung Anzeige gegen den bereits in Zürich Weilenden wegen Nichtanmeldung von Schmuck. Die Ermittlungen der Zollfahndungsstelle Wien hatten nämlich folgendes ergeben: "Die Kriminalpolizeileitstelle Wien (Bl.1 d. A) teilte mir mit, dass der Zeuge Anton K., bei einer Instandsetzungsarbeit im I. Stock des Hauses Wien I, Schubertring 3 in einem Klosettraum eine tresorartige Maueröffnung entdeckte. In dieser Maueröffnung wurde von K. eine eiserne Kasette, in welche sich eine Platinbrosche mit 2 grossen, 18 kleinen Brillanten und einem Smaragd befand, gefunden. Durch die Ermittlungen meiner Beamten wurde festgestellt: Die Wohnung im 1. Stock des Hauses in Wien I, Schubertring 3 war in der Zeit von 1922 bis einschliesslich 1938 von den Eheleuten Nathan Israel Eidinger und Bertha Sara Eidinger bewohnt. Die Genannten sind rumänische Staatsangehörige. Das Klosett, in welchem das Schmuckstück gefunden wurde, gehört zur Wohnung. Nathan Eidinger ist vor dem Umbruch im Jahre 1938 mit einer Tochter in die Schweiz verreist. Bertha Eidinger ist im Mai oder Juni 1938 in die Schweiz abgereist. Das Schmuckstück ist im Verzeichnis über das angemeldete Vermögen des Nathan Israel Eidinger und der Bertha Sara Eidinger nicht enthalten. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Nathan Israel Eidinger und Bertha Sara Eidinger, das Schmuckstück im Klosettraum einmauern liessen, um es nicht anzumelden und dem Zugriff von Behörden zu entziehen. Sonstige Vermögenswerte der Eheleute Eidinger konnten nicht festgestellt werden. Das sichergestellte Schmuckstück hat einen Wert von ca. 8.000.- M. Ich beantrage, das Schmuckstück nach § 8 Abs. 3 der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. 4. 1938 RGBl. Nr. 63 I/ 38 im objektiven Verfahren einzuziehen."15 "Steuern" als Instrumente der Beraubung Die Nazis erfanden eine Vielzahl von Abgaben (genannt "Steuern"), die einzig den Zweck hatten, die Enteignung von Vermögenswerten von privaten Profiteuren weg in den Einflußbereich von Finanzbehörden zu lenken. Juden sollten nicht nur eine "Judenvermögensabgabe", sondern auch noch für ihre Auswanderung bezahlen (euphemistisch "Reichsfluchtsteuer"), und sie sollten für die Schäden der Novemberprogrome ("Sühneabgabe") aufkommen. Rudolf Weiß, ehemals Rechtsanwalt in Wien 19, Cobenzlgasse 37 hatte bereits sein gesamtes Vermögen verloren. Im Falle der "Steuerschulden" bemühte sich das Finanzamt 1940 um ein Nachspiel: "Der obgenannte nach Paris ausgewanderte Jude hat in seinem zur Bemessung der Judenvermögensabgabe gelegten Vermögensverzeichnis einbekannt, ausser Versicherungspolizzen, deren Rückkaufwert laut Mitteilung der Wiener Städt. und Wechselseit.- Janus bereits am 29. X. 1938 an ihn ausbezahlt wurde, Wertpapiere im Betrage von ca RM 8.373.- zu besitzen. Aus dem Bemessungsakt ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt, durch den festgestellt werden könnte, in wessen Verwahrung sich diese Wertpapiere befinden. Ich bitte Sie daher um Mitteilung, ob aus Ihrem Akt hervorgeht, wer diese Werte verwahrt hält. Sie bilden nämlich nunmehr noch die einzige Möglichkeit, durch die die von dem Juden zu leisten gewesene Vermögensabgabe einbringlich gemacht werden könnte."16 Übrigens: In die Villa von Weiß zog im Oktober 1938 der spätere österreichische Innenminister Oskar Helmer, besser bekannt durch seinen Ausspruch zur Restitutionsfrage: "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen", ein. In einem nächsten Schritt wurde Juden die Staatsbürgerschaft aberkannt und ihr Vermögen für "dem "Deutschen Reich verfallen" erklärt. Alexander und Louise Zemlinsky "sind ordnungsgemäss nach Bezahlung der Reichsfluchssteuer im September d. J. ausgewandert. Mit Ausnahme der Liegenschaft, Haus Wien, XIX. Kaasgrabengasse 24, die für Reichsfluchsteuerzwecke (abgerundet) auf RM 28.000.- geschätzt worden war, wurde das gesamte restliche Vermögen zur Bezahlung der Reichsfluchsteuer, Ordnung der inländlischen Verbindlichkeiten und Bezahlung der Auswanderungsspesen verwendet. Die 20%ige Busse würde RM 5.600.- betragen, die erste Rate 1.400.- Eine Barzahlung ist aber mangels liquider Mittel nicht möglich."17 So weit, so schlecht. Auch das Finanzamt urgierte, "Ich bitte mir mitzuteilen, ob Ihnen Vermögenswerte des Genannten, die zur Abdeckung von Steuerrückständen geeignet erscheinen, bekannt sind."18 Am 24. 7. 1941 erließ die Gestapo eine Beschlagnahmeverfügung und schrieb schließlich an den Reichsstatthalter Wien, Abwicklungsstelle Vermögensverkehrsstelle: "Ich habe das Ausbürgerungsverfahren gemäß § 2 des Gesetzes vom 14. 7. 1933, RGBl. 1, S. 480 in Verbindung mit § 1 der Verordnung über die Aberkennung der Staatsangehörigkeit und den Widerruf des Staatsangehörigkeitserwerbes in der Ostmark vom 11. 7. 1939, RGBl. 1, S. 1235, eingeleitet. Ich habe das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen sowie alle Rechte und Ansprüche des Emigranten mit dem Ziele der Einziehung zu Gunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt. Nach der Verlautbarung der Ausbürgerung im Reichsanzeiger ist für die Verfallserklärung die Dienststelle für die Einziehung verfallener Vermögenswerte im Finanzamt Moabit- West, Berlin, NW 7, Luisenstraße 36, zuständig. Ich bitte, nunmehr keine Verkaufs- und Bietgenehmigungen zu erteilen. Weiters bitte ich, meinem Vermögensverwalter, der im Einvernehmen mit dem Finanzamt Moabit- West bestellt wurde, die notwendigen Unterlagen für die Erfassung des gesamten Vermögens zur Verfügung zu stellen. Zum Vermögensverwalter wurde bestellt: Rechtsanwalt Dr. Stephan L., Wien 1, Meistersingerstr. 13. Er ist zur Geheinhaltung verpflichtet. Weiters wurde er angewiesen, die Unterlagen innerhalb der dort gestellten Frist wieder zurückzuleiten."19 Der Wiener Rechtsanwalt hatte in seiner Funktion als Vermögensverwalter über beschlagnahmtes Vermögen zu erheben, wie dessen bisherige "Verwertung" verlaufen war, diese abzurechnen, einen status quo zu erstellen und gegebenenfalls noch vorhandene Reste und Forderungen zu koordinieren. Über das Ergebnis seiner Aktivitäten berichtete er an den Oberfinanzpräsidenten Berlin Brandenburg, Außenstelle Vermögensverwertung. Im Falle der "arisierten" Buchhandlung Gilhofer & Ranschburg in 1, Bognergasse 2 mußte er feststellen, daß vom Vermögen des ehemaligen Teilhabers Wilhelm Schab gerade 260.- Reichsmark übriggeblieben waren.20 Das bei der Spedition eingelagerte Übersiedlungsgut war durch die Vugesta ("Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo") übernommen worden;21 lediglich das Dorotheum konnte ihn trösten. Angeblich hatte die Zollfahnungsstelle Wien eine goldene Zigarettendose eingebracht - der Erlös: 187,65.- Reichsmark. Sie wurden an das Finanzamt ausbezahlt.22 Die letzte "Verwertung" Der Großteil jüdischen Besitzes war bereits bis zum September 1939 geraubt. Die oft benutzte Behauptung, Juden hätten "ebenso wie alle anderen" einfach im Zuge der "Kriegswirren" ihr Eigentum "verloren", ist damit ad absurdum geführt. Nach Kriegsbeginn und verstärkt ab dem Winter 1940 wurde die systematische Verfolgung des Einzelnen weiter vorangetrieben. Das zurückgelassene Vermögen der Deportationsopfer schließlich wurde ebenso "eingezogen" wie jenes Gepäck, daß sie auf ihre Reise ins KZ mitgenommen hatten. Auch das wurde an der "Heimatfront" weiterverwertet. Während längst alle Juden aus Wien vertrieben und verschleppt waren, stritten sich nun die "Arier" in entwürdigender Weise um die errungenen Beutestücke. Grundlagen der Restitutionsverhandlungen nach 1945 Die Restitutionsgesetzte wurden in einem Klima verabschiedet, das immer noch vom Antisemitismus geprägt war: Die Verfolgung der Juden war etwas ganz Selbstverständliches gewesen, etwas, worüber auch nach dem Krieg nicht weiter gegrübelt wurde. In den Amtsstuben hatte sich nicht viel geändert - die personellen Kontinuitäten zur Nazizeit blieben größtenteils bestehen. Mangelnde Distanz kennzeichnete auch die persönliche Sichtweise vieler Rückstellungsgegner, die einen immer noch unproblematischen Umgang mit den Enteignungen pflegten. Im Ausblenden von Wirklichkeit war die Wiener Gesellschaft geübt. Die ehemaligen Eigentümer aber waren, wollten sie wieder ihren Besitz erlangen gezwungen, mit uneinsichtigen und feindlich gesinnten Profiteuren zu verhandeln. Und das über Jahre, mit hohen Anwaltskosten – der Erfolg blieb mehr als ungewiß: Hatte das "Deutsche Reich" Eigentum entzogen, so mußten sich die Antragsteller nun über Jahre mit opponierenden österreichischen Behörden herumschlagen; hatten aber Private "arisiert", so wurden die Rückstellungswerber vom österreichischen Gesetzgeber veranlaßt, diesen angeblichen "Käufern" ihres Eigentums den "Kaufpreis" zurückzuzahlen. Der Pferdefuß daran: Die Enteigneten hatten diese Summen nie erhalten, denn sie waren auf Sperrkonten der Nazibehörden einbezahlt worden. Nun sollten die Opfer den Tätern ihr Eigentum abkaufen. Viele konnten dies nicht, die geforderten Summen waren zu hoch, Bankkredite wurden kaum gewährt – und so war so mancher gezwungen, wollte er wieder in Besitz seines Eigentums gelangen, mit dem Profiteur seiner Enteignung Vergleiche einzugehen. Diese unfairen "Vergleiche" prägten den Charakter der österreichischen Restitution. Literaturauswahl: "Anschluß" 1938. Eine Dokumentation. 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Vermögensanmeldung 14. 7. 1938. 8 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 50872 unfol. Fristerstreckungsansuchen 1. 8. 1938. Hervorhebungen TW. 9 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 50357 unfol. Vermögensanmeldung 14. 7. 1938. 10 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 7118 Statistik unfol. Franz D. an Vermögensverkehsstelle 12. 8. 1938. 11 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 7118 Statistik unfol. Hans W. an Vermögensverkehrsstelle 26. 5. 1938. 12 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 7118 Statistik unfol. Hans W. an Vermögensverkehrsstelle 26. 5. 1938. 13 WSLA Handelsregister B 9/86 unfol. Dr. Paul Abel, Dr. Emerich Hunna Rechtsanwälte an das Handelsgericht Wien bezgl. Hotel Bristol AG. Antrag um Eintragung und Löschung von Mitgliedern des Verwaltungsrates 21. 3. 1938. 14 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 35417 unfol. Vermögensverkehrsstelle Abteilung Liegenschaften an die Krankenfürsorgeanstalt der Angestellten und Bediensteten der Stadt Wien betr. Verkauf der Wiener Cottage Sanatorium Aktiengesellschaft an die Krankenfürsorgeanstalt der Angestellten und Bediensteten der Stadt Wien, 28. 2. 1940. 15 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 35417 unfol. Zollfahndungsstelle Wien Dr. Böttger an Vermögensverkehrsstelle betr. Anzeige gegen Nathan Israel Eidinger und Bertha Sara Eidinger wegen Nichtanmeldung von Schmuck 19. 3. 1940. 16 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 41435 unfol. Finanzamt Heiligenstadt an die Staatliche Verwaltung des Reichsgaues Wien, Abt. III, Unterabt. 4 (Abwicklungsstelle der Vermögensverkehrsstelle) betr. Juva 9. 5. 1940. 17 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 5214 unfol. Rechtsanwalt Alfred I. an die Vermögensverkehrsstelle betr. Veränderungsanzeige und Bemessung der Judenbusse für Alexander und Louise Zemlinsky, früher Wien XIX; Kaasgrabengasse 24, zur Zeit USA 15. 12. 1938. 18 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 5214 unfol. Finanzamt Heiligenstadt (Vollstreckungsstelle) an die Vermögensverkehrsstelle betr. Prof. Alexander Zemlinsky 4. 4. 1941. 19 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, Bestand Vermögensverkehrsstelle, VVSt 5214 unfol. Geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien Referat II B 3 A an den Reichsstatthalter in Wien Abwicklungsstelle der Vermögensverkehrsstelle betr. Beschlagnahmeverfügung 24. 7. 1941. 20 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, FLD 420 fol. 8f. Stephan L. an Oberfinanzpräsidenten Berlin Brandenburg Vermögensverwertung Aussenstelle betr. Vermögensverwaltung Wilhelm Schab, dessen Ehefrau Adele und deren Kinder Franziska und Friedrich 9. 6. 1942. 21 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, FLD 420 fol. 12 Vugesta Dr. Weeber an Stephan L. betr. Wilhelm Schab, 19, Formanekgasse 40 Ausfolgung von Umzugsgut durch die Firma Ullmann, Rink & Co 27. 8. 1941. 22 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Abteilung 06, FLD 420 fol. 14 Dorotheum an Stephan L. betr. Wilhelm und Adele Schab Ablieferungsschein Nr. 35.449 und 35.621 11. 9. 1941.