Ignaz Nathan Reiser, der begnadete Architekt der letzten Jahrhundertwende, dem wir so viele interessante Gebäude in Wien zu verdanken haben und der heute schon vergessen ist, soll - geht es nach dem Willen der derzeitigen Eigentümer, die eines seiner dekorativsten Häuser allmählich verfallen ließen, - nun also ein zweites Mal getötet werden.
Es geht um das sogenannte Kai-Palais, das auffälligste Gebäude des architektonisch eher langweiligen Franz Josefs-Kai (Nr. 47, 1912 errichtet), das seit Jahren nicht mehr bewohnt ist und dem Verfall preisgegeben wurde (s. Bild 1). Besonders in diesem Fall ein erschütterndes Beispiel, wie hierorts mit der Geschichte des Stadtbilds und seiner Erbauer umgegangen wird. Denn gerade Architekt Reiser mit seiner ständigen phantasievollen Suche nach neuen Ausdrucksformen, dem am Ende seines Lebens so schlimm mitgespielt wurde, hat sich diese Gedankenlosigkeit am wenigsten verdient.
Ignaz Nathan Reiser, 1863 in Pressburg geboren, hat seine Braut Rosalie Lustig (geb. 1868) im Jahre 1896 in Ungarn geheiratet und seine Karriere in Wien begonnen. 1898 wurde Sohn Otto geboren, 1900 Sohn Robert und 1901 Tochter Margit. Er war von Anfang an ein vielbeschäftigter Mann, zuerst bei Baurat W. Stiassny, der das Rothschild-Spital am Währinger Gürtel und den Tempel Leopoldsgasse errichtete und bei dem er viel lernte, später arbeitete er selbständig: Um diese Zeit ist die Familie in das endgültige Domizil im 2. Bezirk, Vereinsgasse 16, gezogen. Er schuf Wohn- und Geschäftshäuser, die wir heute noch bewundern können und einige Bauten für die jüdischen Gemeinden (Tempel i. d. Pazmanitengasse u. die Mödlinger Synagoge), die zerstört wurden. Als sein Hauptwerk hat er jedoch die Zeremonienhalle am Vierten Tor des Wiener Zentralfriedhofs (1926-28) betrachtet (s. Bild 2).
Ignaz N. Reiser starb am 4. Jänner 1940 an Krebs. Seine Frau ließ ihm noch einen bemerkenswerten Grabstein aufstellen und hat - im Gegensatz zu ihren Kindern - das Land nicht verlassen wollen. Sie wurde im Juli 1942 nach Theresienstadt und im Herbst desselben Jahres in ein Lager im Osten deportiert, wo sie den Tod fand. Das Haus Vereinsgasse 16, in dessen Hoftrakt sich das Atelier Reisers befand, wurde von Bomben getroffen und auf sehr einfallslose Weise später wieder renoviert.
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