| 
																				 Die folgende Ansprache vom Nationalrat Präsidenten          Dr. Heinz Fischer wurde in Vertretung von Frau Mag. Hannah          Lessing im Schwarzhäupterhaus (Riga) vorgetragen: 
																				Meine sehr geehrte Damen und Herren! 
																				Der heutige 30. November 2001 erinnert Europa            an die schreckliche Ereignisse vor genau 60 Jahren, als sämtliche            lettische Juden aus den Ghetto Riga ermordet wurden und der            erste Transport von Deportierten aus Deutschland in Riga eingetroffen            ist.  60 Jahre später weihen wir heute in Riga ein Mahnmal            ein, das den Opfern des NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg gewidmet            ist. Die Gräber- und Gedenkstätte Riga-Bikernieki            erinnert dabei nicht nur an die 4.000 österreichischen            Juden, die in den Jahren 1941 und 1942 nach Riga deportiert            wurden und an die insgesamt 20.000 Juden aus Gebieten des            damaligen "Deutschen Reiches", sondern auch an tausende            sowjetische Kriegsgefangene und lettische Widerstandskämpfer,            die auf dem Gelände des Bikernieki-Waldes ermordet und            verscharrt wurden. Nur 800 der deportierten Juden, darunter            ca. 100 Österreicher, überlebten das Inferno.  Die Initiative für eine würdige Gräber- und            Gedenkstätte für die NS-Opfer in Riga hat von österreichischer            Seite im Jahr 1993 Ing. Erich Herzl, dessen Eltern aus Wien            nach Riga deportiert und hier von den Nationalsozialisten            ermordet wurden, ergriffen indem er mit einigen Hinterbliebenen            die "Initiative Riga" gegründet hat. Die Idee            Ing. Herzls, in Riga ein Mahnmal zu errichten, wurde von den            politisch Verantwortlichen der Stadt Riga und der Republik            Lettland positiv aufgenommen und vom Schwarzen Kreuz in Österreich,            das sich um die Pflege von Kriegsgräbern kümmert,            voll unterstützt. In enger Zusammenarbeit mit dem Volksbund            Deutscher Kriegsgräberfürsorge wurde das Projekt            Gedenkstätte dann mit finanzieller Unterstützung            des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge,            des österreichischen Nationalfonds, von 23 deutschen            Städten und der Stadt Wien durch den lettischen Architekten            Sergej Rysh realisiert. Die Gräber- und Gedenkstätte            Riga ist das erste Mahnmal in den heutigen Demokratien des            Baltikums und des früheren Ostblocks, das diesem Gedanken            folgt.  Man kann hier auf einem ehemaligen Hinrichtungsplatz, auf            dem sich das Mahnmal befindet, nicht stehen, ohne sich die            Frage zu stellen, wie es eigentlich geschehen konnte, daß            im 20. Jahrhundert, das ja auch ein Jahrhundert des Fortschritts,            des Kampfes um soziale Gerechtigkeit und der Entwicklung der            Demokratie war, die totale Barbarei triumphierte.  Eine Antwort zu geben, haben Schriftsteller wie Solschenizyn            und Pasternak oder Philosophen wie Karl Popper versucht, wenn            sie in ihren Werken beschreiben, wie nahe in der menschlichen            Natur das Böse und das Gute beisammenliegen und wie groß            die Gefahr ist, daß aus Nationalismus und Fanatismus,            aus Angst und Aggression, aus sozialer Not und Intoleranz            jenes gefährliche Gemisch des Totalitarismus entstehen            kann, das sich besonders unheilvoll auswirkt, wenn es auf            Gleichgültigkeit in anderen Teilen der Bevölkerung            stößt.  Es gibt aber Hoffnung, wenn ich daran denke, mit welcher "europäischer            Gesinnung" dieses Mahnmal, das heute eingeweiht wird,            errichtet wurde.  Für mich ist das Europa der Zukunft eine Gegenthese zu            den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Riga, Tallin, Wilna,            Prag, Warschau, Budapest, Bratislava, Laibach und andere sind            genauso europäische Städte wie Wien, Helsinki oder            Lissabon. Es gibt Probleme auf dem Weg zur Erweiterung. Aber            sie sind nicht im entferntesten vergleichbar mit den Probleme,            die entstehen können, wenn man in der Sackgasse des Nationalismus            landet.  Von einer "europäischen Gesinnung" ist auch            das Memorandum geprägt, das die "Initiative Riga"            an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerichtet            hat. In diesem Memorandum werden die Mitgliedsstaaten der            Europäischen Union ersucht "für alle Opfer            des Zweiten Weltkrieges, also Angehörige der Streitkräfte,            der Zivilbevölkerung, der kriegsführenden Staaten,            der politisch und rassisch Verfolgten eine umfassende Regelung            zu finden, um allen diesen Opfern von Krieg und Gewalt, unabhängig            von Neutralität, Religion und Geschlecht, das ewige und            würdige Ruherecht zu geben und dieses als einfaches ,Menschenrecht’            verbindlich festzulegen".  In diesem Sinne begrüße ich als Präsident            des Nationalrates der Republik Österreich die Errichtung            der Gedenk- und Gräberstätte Riga und danke allen            sehr herzlich, die sich um die Realisierung dieses wichtigen            Projektes mit Idealismus und unermüdlichen Einsatz bemüht            haben. 
																				Dr. Heinz Fischer 
																				 |