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Charlotte Salomon

Silvia EIBLMAYR

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Die Ausstellung Charlotte Salomon. Leben? Oder Theater? war von 16. März bis 3. Juni 2007 in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais zu sehen.

Charlotte Salomon, Leben? Oder Theater?, Inv. Nr. 4155-1, Sammlung Joods Historisch Museum, Amsterdam © Charlotte Salomon Foundation

Leben? Oder Theater? ist ein einzigartiges Werk, das die junge Charlotte Salomon (1917 – 1943) in den Jahren 1940-42 geschaffen hat. Im Exil in Südfrankreich, wohin sie und ihre Großeltern vor der nationalsozialistischen Verfolgung aus Berlin geflohen waren, beginnt sie, ausgelöst durch traumatische Ereignisse in der Familie, in einer fiktionalisierten Biografie ihr Leben aufzuzeichnen.

Sie wählt die dramaturgische Form eines „Dreifarben Singespiels", wie sie es nennt, eine Kombination aus Bildern, Texten und zu einzelnen Szenen speziell ausgewählten Musikstücken. Auf 280 Gouachen mit dazugehörigen Texten, eine Auswahl für die Ausstellung aus dem insgesamt 1328 Blätter umfassenden Werk, erzählt Charlotte Salomon in 10 „Akten" ihre Geschichte. Sie malt auf Zeichenblättern, wobei sie lediglich drei Farben, rot, blau und gelb, verwendet, aus denen sie die Mischungen und Schattierungen herstellt. Die Texte malt sie zuerst auf über das Bild gelegte Transparentblätter, später direkt in die Szenen hinein.

Das Werk besteht aus einem Vorspiel, einem Hauptteil und einem Nachwort. Salomon lässt mehr als zwanzig Perso-nen mit erfundenen Namen auftreten. „Sie sind Darsteller eines dramatisierten Lebens, in dem sich, ganz bewusst, Realität und Erfindung ineinander auflösen. Charlotte Salomon selbst hat sich auf die Rolle des ‚Verfassers’ zurückgezogen. Eine Verfasserin, die als Erzählerin fungiert, manch-mal mit nüchternen Beschreibungen, oft mit ironischen Kommentaren." (Astrid Schmetterling)

Salomon beginnt ihre Geschichte vor ihrer Geburt mit dem Selbstmord eines jungen Mädchens, ihrer Tante; sie schildert die Hochzeit der Eltern, ihre Geburt, ihre Kindheit in Berlin, wo sie in einer an Kultur interessierten jüdischen Familie heranwuchs. Sie berichtet von ihrer Mutter, die sich das Leben nahm, als sie acht Jahre alt war, und von ihrem Vater, einem Professor für Medizin, der später die bekannte Sängerin Paula Lindberg heiratete. Sie malt sich als Kunststudentin, erzählt von ihren Leidenschaften als junges Mädchen und ihrem „Mentor" Amadeus Daberlohn, der ihr seine für die damalige Zeit aktuellen Kunsttheorien erklärt. Von den tragischen Selbstmorden, die ihre Familie überschattet hatten, erfuhr sie jedoch erst in Südfrankreich, als sich bei Kriegsbeginn auch die Großmutter umbrachte. Salomon beschreibt auch die politischen Ereignisse, die ihr Leben beeinflussen: die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und die zunehmenden antisemitischen Repressionen, die Emigration, schließlich den Tod der Großmutter und den Krieg.

Salomon, die passionierte Kinogängerin war, bedient sich bei ihrer künstlerisch höchst interessanten Erzählform filmischer Mittel wie der Rückblende und Montage, der Serialität, des Perspektivenwechsels oder der Großaufnahme, während die Bild-Text-Kombination an Comics erinnert. Die Auswahl der Musikstücke ist strukturell ebenfalls mit dem Film vergleichbar. Salomon wech-selt zwischen ernster Musik wie Liedern und Opernarien und populärer Musik wie Volks-liedern und Schlagern, die die jeweiligen Szenen begleiten oder untermalen. In Leben ? Oder Theater? antizipiert Salomon in ihrer die Genres überschreitenden, „offenen", gleichsam unaufführbaren Form wichtige Aspekte der Aktions- und Performancekunst der Nachkriegszeit mit den impliziten Fragen nach Gender und weiblicher Subjektivität.

Charlotte Salomon wurde 1943, kurz nachdem sie den österreichischen jüdischen Flüchtling Alexander Nagler geheiratet hatte, verraten und von den Deutschen verhaftet. Im selben Jahr wurde sie in Auschwitz ermordet, kurz darauf auch ihr Mann.

Ihr Werk wurde in Frankreich versteckt. Albert und Paula Salomon, ihr Vater und ihre Stief-mutter, hatten die Shoah in den Niederlanden überlebt und reisten 1947 nach Frankreich. Ottilie Moore, die Amerikanerin, die Charlotte und ihre Großeltern aufgenommen hatte, übergab ihnen die Bil-der. 1971 stifteten Paula und Albert Salomon das gesamte Werk dem Joods Historisch Museum in Amsterdam.

Zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie im Taxispalais sprachen Drs. Edward van Voolen, der Kurator der Ausstellung, die Direktorin des Museums Ulm, Dr. Brigitte Reinhardt, und die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg, Dr. Esther Fritsch. Der ehemalige EU-Kommissar Dr. Franz Fischler nahm die Eröffnung vor.

Im Rahmenprogramm der Ausstellung fand am 16. März 2007 eine Konferenz zu Leben? Oder Theater? statt. Unter der Moderation von Univ.-Prof. Dr. Daniela Hammer-Tugendhat (Universität für Angewandte Kunst) sprachen Drs. Edward van Voolen (Joods Historisch Museum, Amsterdam), Univ.-Prof. Dr. Ernst van Alphen (Universität Leiden) und Dr. Annegret Friedrich (Universität Gießen) über die Bedeutung des Werks von Charlotte Salomon. Mag. Hannes Sulzenbacher, Kurator am Jüdisches Museum Hohenems, sprach über die Perspektiven jüdischer Museen in der Gegenwart.

Charlotte Salomons Leben und Werk hat eine Reihe von Filmen inspiriert, von denen die Galerie im Taxispalais eine Auswahl gezeigt hat: Paula Paulinka (1996, Buch und Regie: Christine Fischer-Defoy, Caroline Goldie, Daniela Schmidt), eine Dokumentation über Paula Salomon-Lindberg, die Stiefmutter von Charlotte Salomon; sowie die beiden Spielfilme Charlotte (1980, Regie: Frans Weisz) und Die Liebe, mein Schatz, ist bodenlos (1998, Regie: Sabine Willmann), die in Anwesenheit der FilmemacherInnen vorgeführt wurden.

Die Wanderausstellung, die das Joods Historisch Museum in Amsterdam in Zusammenarbeit mit dem Städelmuseum in Frankfurt zusammengestellt hat, war zuvor in Frankfurt, anschließend in den Kunstsammlungen Chemnitz, im Sprengel Museum Hannover, im Musée d’Art et d’Histoire du Judaisme in Paris, in Yad Vashem, Jerusalem, und im Ulmer Museum zu sehen. Im wird im Herbst 2007 wird sie im Jüdischen Museum in Berlin gezeigt.

Charlotte Salomon

Leben? Oder Theater?

16. März – 3. Juni 2007
In Zusammenarbeit mit dem Joods Historisch Museum, Amsterdam

Katalog

Charlotte Salomon. Leben? Oder Theater?
Prestel Verlag, München 2004, 432 Seiten,
835 Farbabb., € 29,90

Galerie im Taxispalais

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